BGH, Urteil vom 21. Oktober 2004 - 3 StR 94/04
Nachschlagewerk: ja                                                                                                                                     Navigation
BGHSt:   ja, nur zu 1 und 2
Veröffentlichung: ja
_________________

StGB § 129
1. Die Zwecke einer Vereinigung sind dann auf die Begehung von Straftaten
ger ichtet, wenn dies ihr verbindlich festgelegtes Ziel ist ( Abgrenzung zu
BGHSt 27, 325 ff.). Es reicht nicht aus, daß sich eine Vereinigung, die ihre
Ziele mit friedlich-politischen Mitteln verfolgt, die Begehung von Straftaten
unter bestimmten Bedingungen vorbehält, von denen nicht absehbar ist, ob
und wann sie eintreten.
2. Die Strafbar keit wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung nach
§ 129 StGB setzt nicht voraus, daß es aus dieser her aus bereits zu konkr e-
ten Tatplanungen oder zu vorber eitenden Aktivitäten für Straftaten gekom-
men ist.
3. Ob die Zwecke oder die Tätigkeit einer kriminellen Vereinigung untergeor d-
net im Sinne des § 129 Abs. 2 Nr. 2 StGB sind, ist bei einer nur aus einem
Teil der Mitglieder einer Gesamtorganisation (etwa nur aus den Mitgliedern
ihrer Führungsebene) gebildeten Vereinigung im Hinblick auf die Zwecke
und Tätigkeit der Teilorganisation und nicht auf die der Gesamtorganisation
zu beurteilen.
 
BGH, Urteil vom 21. Oktober 2004 - 3 StR 94/04 - Oberlandesgericht Celle
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 94/04
 vom
21. Oktober 2004
in der Strafsache
gegen

1.
2.

wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung u. a.;
hier: Revision des Angeklagten A.
 
- 2 -


Der 3. Strafsenat des Bundesger ichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
19. August 2004, in der Sitzung am 21. Oktober 2004, an denen teilgenommen
haben:

Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
 Prof. Dr. Tolksdorf,
die Richter am Bundesgerichtshof
 Dr. Miebach,
 Winkler ,
 Pfister,
 Becker
 als beisitzende Richter ,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
 als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt     ,
Rechtsanwältin     
- in der Ver handlung vom 19. August 2004 -
 als Verteidiger,
Justizamtsinspektor
- in der Ver handlung vom 19. August 2004 -,
Justizangestellte
- in der Sitzung am 21. Oktober 2004 -
 als Urkundsbeamte der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
 
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1. Auf die Revision des Angeklagten A. wird das Urteil des Ober-
landesgerichts Celle vom 20. Oktober 2003, auch soweit es
den Mitangeklagten K. betrifft, im Strafausspr uch aufgeho-
ben. Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen bei-
der Angeklagter werden aufr echterhalten. Dagegen werden die
Feststellungen zur Ausrichtung der Vereinigung auf die Bege-
hung demonstrativer Straftaten im Zeitraum ab Anfang 2000
aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-
tels, an einen anderen Strafsenat des Oberlandesgerichts zu-
rückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verwor fen.

Von Rechts wegen

 

 Gründe:

Das Oberlandesgericht hat den Angeklagten A. wegen Mitgliedschaft in
einer kr iminellen Vereinigung in Tateinheit mit Beihilfe zum Erschleichen einer
Aufenthaltsgenehmigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Mo-
naten und den Mitangeklagten K. wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen
Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verur-
teilt. Der Angeklagte A. hat hiergegen Revision eingelegt und diese mit der
Sachrüge begründet. Sie hat teilweise Erfolg.
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I.

Das Oberlandesgericht hat folgenden Sachverhalt festgestellt:

1. Innerhalb der Kur dischen Arbeiterpartei PKK (Partiya Karkeren Kurdi-
stan) hatte vor August 1996 in Deutschland eine terroristische Vereinigung be-
standen, die aus den Europa- , Regions- und Gebietsverantwortlichen und aus
den leitenden Kadern der Unterorganisationen bestanden hatte. Im Sommer
1996 wurden die ter roristischen Aktivitäten eingestellt, die Vereinigung bestand
jedoch als kriminelle Vereinigung weiter. Ihr Zweck und ihre Tätigkeit waren auf
drei Ber eiche von Straftaten gerichtet:

- Aufgabe des von der Führungsebene der PKK geleiteten "Heimatbüros"
war es, die Guerillakämpfer in Kurdistan materiell und personell zu un-
terstützen, ihnen Ausrüstungsgegenstände und rekrutierte Kämpfer zu-
kommen zu lassen, verletzte Kämpfer nach Europa zur Behandlung zu
schleusen und hier zu einen umfangreichen Kurierdienst zwischen Kurdi-
stan und Europa aufrecht zu erhalten. Ferner hat das "Heimatbüro" die
organisatorischen Vor aussetzungen für den illegalen Aufenthalt der ei-
genen Kader in Deutschland geschaffen. Dazu wurden systematisch in
großer Zahl falsche Ausweise und Aufenthaltserlaubnisse beschafft und
andere Verstöße gegen das Ausländergesetz begangen.

- Die PKK-Führungsebene unterhielt ferner ein Strafsystem, um gegen
Verhaltensweisen von Mitgliedern, aber auch von Außenstehenden vor-
zugehen, die sie als schädlich einstufte. Die Kader setzten die Strafen
fest und ließen sie von eingesetzten Kommandos vollstrecken. Die Voll-
streckung war mit der Begehung von Delikten wie Kör perverletzung,
Fr eiheitsberaubung, Nötigung und Bedrohung verbunden.
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- Die PKK-Führungsebene setzte auch in dieser Zeit ihre Praxis fort, de-
monstr ative Gewalttaten in Deutschland zu begehen, um auf ihre politi-
schen Ziele hinzuweisen. Dabei kam es zu zahlreichen mit Gewaltaktio-
nen verbundenen Besetzungen von Botschaften, Konsulaten und ande-
ren Einrichtungen. Die Besetzungen waren mit Straftaten wie Hausfrie-
densbruch, Landfriedensbruch, Sachbeschädigungen großen Ausma-
ßes, Körperverletzungen, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte u. a.
verbunden. Fer ner wurde eine Vielzahl von Brandanschlägen auf türki-
sche Einrichtungen in Deutschland verübt.

2. Im Jahre 1999 änderte die PKK ihr Vorgehen. Der militärische Kampf
ihrer Verbände gegen die türkische Armee war gescheitert, der Führer der
PKK, Abdullah Öcalan, geriet in türkische Haft. Die PKK-Führung erklärte den
Guerillakampf einseitig für beendet und ordnete den Rückzug der bewaffneten
Einheiten aus der Türkei an. Auf dem 7. außer ordentlichen Parteikongreß am
17. Januar 2000 wurde eine "Friedensinitiative" zur verbindlichen Politik erklärt.
Nach diesem Zeitpunkt gab es in Deutschland keine von der PKK organisier ten
demonstrativen Gewalttaten mehr. Die "Friedenslinie" wurde auf dem 8. Partei-
kongreß im April 2002 bestätigt; auf ihm wurde die Einstellung aller Aktivitäten
unter dem Namen der PKK beschlossen und als Nachfolgeorganisation der
"Kongr eß für Fr eiheit und Demokratie Kurdistans (KADEK)" gebildet. Nach der
Feststellung des Oberlandesgerichts hat sich jedoch die innerhalb der PKK in
Deutschland gebildete kriminelle Vereinigung vorbehalten, zu einem gewalt-
samen Kurs zurückzukehren, wenn sich die politischen Verhältnisse zum
Nachteil der PKK verändern sollten.

3. Der Angeklagte A. war bereits ab 1991 Funktionär der PKK in
Deutschland. Er ist am 6. Mai 1999 durch das Oberlandesgericht Düsseldorf
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unter anderem wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu
einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten, ausgesetzt zur Be-
währung, verurteilt worden. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist seine
Tätigkeit als Gebietsverantwortlicher der Regionen Süd und Nord im Zeitraum
von Mai 2000 bis März 2002. Auch der Mitangeklagte K. war bereits seit
1991 für die PKK aktiv und ist deswegen bestraft worden. Gegenstand seiner
Verur teilung ist hier die Tätigkeit als Gebietsverantwortlicher der Region Mitte
1 im Zeitraum von Juni 2001 bis März 2002.

 

 II.

Die Annahme des Oberlandesgerichts, die Zwecke der Führ ungsebene
der PKK in Deutschland seien ungeachtet des Kurswechsels im Jahre 1999
auch für den Tatzeitraum von Mai 2000 bis März 2002 noch auf die Begehung
demonstrativer Gewalttaten gerichtet gewesen, hält auf der Grundlage der ge-
troffenen Feststellungen r echtlicher Nachprüfung nicht stand.

1. a) Eine Vereinigung ist dann auf die Begehung von Straftaten gerich-
tet, wenn dies der verbindlich festgelegte Zweck ist, zu dessen Er reichung sich
die Mitglieder verpflichtet haben. Die Organisation der Vereinigung muß auf
den Zweck der gemeinschaftlichen Begehung von Straftaten hin konzipiert sein
(Rudolphi in SK-StGB § 129 Rdn. 9; ders. in FS für Bruns S. 321; vgl. auch
Bubnoff in LK 11. Aufl. § 129 Rdn. 32; Lenckner in Schönke/Schröder, 26. Aufl.
§ 129 Rdn. 7; Tröndle/Fischer, StGB 52. Aufl. § 129 Rdn. 13). Nur dann ver-
mag die Betätigung der Vereinigung die ihre besondere Gefährlichkeit begrün-
dende Eigendynamik zu entfalten, die Grund für die durch § 129 StGB be-
stimmte Vorverlager ung des Strafschutzes ist (BGHSt 28, 147, 148 f.). Daraus
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folgt, daß der gemeinsame Wille zur Begehung von Straftaten fest gefaßt sein
muß und nicht nur vage oder insbesondere von dem Ergebnis weiterer Wil-
lensbildungspr ozesse abhängig sein dar f.

Soweit in der Entscheidung des Senats vom 21. Dezember 1977 (BGHSt
27, 325, 328; in Bezug genommen in BGH NJW 1999, 503, 504 und in BGHR
StGB § 129 Gruppenwille 2) die Anforderungen an die Zweckgerichtetheit unter
Berufung auf eine Entscheidung des Reichsgerichts vom 23. Januar 1920
(RGSt 54, 102, 105) dahin beschrieben sind, die Begehung künftiger Taten
müsse "ins Auge gefaßt sein", es reiche aus, wenn sich die in der Vereinigung
zusammengefaßten Mitglieder "bewußt sind, daß es bei der Verfolgung ihr er
Pläne zur Begehung von Straftaten kommen kann" (vgl. dazu auch Maur ach/
Schroeder/Maiwald, BT 8. Aufl. § 95 Rdn. 5), und mit diesen Wendungen ge-
ringere Anfor derungen an die Annahme einer kriminellen Vereinigung gestellt
werden sollten als die vorstehend beschr iebenen, hält der Senat an dieser
Auslegung nicht fest. Sie steht bereits nicht in Einklang mit dem Wor tlaut des
§ 129 Abs. 1 StGB, der mit der Wendung "deren Zwecke .... darauf gerichtet
sind, Straftaten zu begehen" eine zweckrationale Ausrichtung des Willens der
Mitglieder zum Ausdruck bringt (vgl. Rudolphi in FS für Bruns S. 321) . Nur
wenn die Mitglieder der Vereinigung über das "bloße Bewußtsein, daß es zu
Straftaten kommen könne", solche Taten auch als Ziel und Zweck ihres Zu-
sammenschlusses anstreben, er scheint die von dem Tatbestand vorgenomme-
ne Gleichstellung von Vereinigungen, deren Zwecke darauf gerichtet sind,
Straftaten zu begehen, mit solchen, bei denen bereits eine ausgeübte Tätigkeit
eben diese Ausrichtung hat, gerechtfertigt. Nur dann ist nämlich auch die be-
sondere Gefährlichkeit der Vereinigung gegeben, die den Gesetzgeber veran-
laßt hat, den Strafrechtsschutz so weit in das Vorfeld einer Rechtsgutsverlet-
 
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zung oder konkreten Rechtsgutsgefährdung vorzuverlagern, wie dies durch
§ 129 StGB geschieht (Rudolphi aaO).

Ist die Begehung von Straftaten - wie für die Annahme einer Vereinigung
im Sinne des § 129 StGB erforderlich - in dem beschriebenen Sinn verbindlich
festgelegtes Ziel des Zusammenschlusses, so ist die mitgliedschaftliche Betei-
ligung ohne weiteres tatbestandsmäßig. Zu einer teilweisen Verwirklichung des
Willens auf Begehung entspr echender Straftaten, sei es zur Planung einer kon-
kreten Tat oder wenigsten zu vorbereitenden Aktivitäten für solche Taten (Be-
schaffen von Ausrüstung, Auskundschaften von Zielen u. ä.) muß es nicht ge-
kommen sein (BGHSt 27, 325, 328; BGH NStZ 1999, 503; ebenso Bubnoff
aaO; Rudolphi aaO; Lenckner aaO; Tröndle/Fischer aaO). Die Gegenauffas-
sung, es müsse wenigstens eine erste Tat geplant oder sonst eine Tätigkeit
entfaltet worden sein, in der sich die Gefährlichkeit des Zusammenschlusses
nach außen manifestiere (vgl. Ar zt/Weber, Strafrecht BT § 44 Rdn. 14; Fürst,
Grundlagen und Grenzen der §§ 129, 129 a StGB S. 77 ff. m. w. N.) , findet im
Gesetz keine Stütze. Soweit zu ihrer Begründung angeführt wird, es würden
anderenfalls auch "utopische Träumer" erfaßt, die nur "vage Ziele" verfolgten,
betrifft dies das Merkmal der Zweckgerichtetheit. Werden die dargelegten An-
forderungen an die Festigkeit und Ver bindlichkeit des Willens der Organisation
zur Begehung entsprechender Straftaten beachtet, sind diese Bedenken unbe-
gründet.

b) Diese Grundsätze gelten für eine neu gegründete Vereinigung, die ih-
re Ziele zunächst mit legalen Mitteln verfolgt und sich nur vorbehält, bei der
Erfolglosigkeit dieses Kurses zur Gewalt überzugehen, ebenso wie für eine
Gruppierung, die früher Gewalttaten begangen hatte und nunmehr einen fried-
lichen Kurs unter Vorbehalt einer Rückkehr zur früheren Ausrichtung verfolgt.
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Der Charakter einer Gruppierung kann sich durch die Änderung ihrer Zwecke
und Tätigkeit wandeln. So wie aus einer Vereinigung, die legalen Zwecken
diente, dur ch die spätere Ausrichtung auf die Begehung von Straftaten eine
kriminelle Vereinigung werden kann (BGHSt 27, 325 ff.), kann umgekehrt ein
Personenzusammenschluß, der bislang auf strafbare Zwecke und Tätigkeiten
ger ichtet war, die Eigenschaft einer kriminellen Vereinigung verlieren, wenn er
diese Ausrichtung aufgibt und einen legalen Kurs verfolgt. Allerdings wird in
diesem Fall, wenn sich die Vereinigung die Rückkehr zu früher begangenen
Straftaten vorbehält, im Rahmen der Beweiswürdigung regelmäßig Anlaß zu
besonders sorgfältiger Prüfung sein, ob die bislang in ihren Aktivitäten kr iminel-
le Organisation nunmehr ernsthaft einen straftatenfreien Kurs verfolgt oder nur
vorübergehend ihre strafbaren Aktivitäten unterbricht (etwa um ihre Kräfte zu
erneuern oder einem aktuellen Verfolgungsdruck auszuweichen), aber den fe-
sten Willen hat, danach die Begehung von Straftaten fortzusetzen.

2. Bei Anlegung dieser Maßstäbe belegen die Gründe des angefochte-
nen Urteils nicht, daß die Führungsebene der PKK in Deutschland, die nach
dem Kur swechsel 1999 keine demonstrativen Gewaltstraftaten auf den Weg
gebracht hat, jedenfalls nach ihr en Zwecken auch noch im Tatzeitraum auf die
Begehung solcher Delikte ausgerichtet war. Allerdings wür de die Annahme ei-
ner solchen Ausger ichtetheit nicht dar an scheiter n, daß es - nach dem Kurs-
wechsel - noch nicht zur Planung einer derartigen konkreten Tat gekommen
war. Die Annahme einer tatzeitraumbezogenen Ausgerichtetheit auf demon-
strative Gewaltdelikte beruht aber auf wider sprüchlichen Feststellungen, die
eine Verletzung des Zweifelssatzes besorgen lassen, sowie einer unzurei-
chenden und deswegen rechtsfehlerhaften Beweiswürdigung.
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a) Zu der Kursänderung Anfang 2000 sowie zu den Gründen und zum
genauen Inhalt des Vor behalts der Rückkehr zum Gewaltkurs hat das Oberlan-
desgericht im Rahmen der Wiedergabe der getroffenen Feststellungen (UA
S. 17) ausgeführ t, daß es nicht habe klären können, ob die Führungsebene der
PKK in Deutschland diese Änderung in der ernst gemeinten, wenn auch nicht
vorbehaltlosen, Absicht einer künftig friedlichen Verfolgung ihrer Ziele eingelei-
tet hat oder ob dieser nur aus taktischen Gr ünden mit Rücksicht auf ihren be-
drohten Führer Öcalan er folgte. Damit nicht vereinbar sind die Bewertungen im
Rahmen der Beweiswürdigung, die Begehung von demonstrativen Gewalttaten
sei "weiterhin aktueller und unverzichtbarer Bestandteil der Tätigkeit der Orga-
nisation" und der "Friedenskurs stellt sich somit nur als taktisch begründete
Maßnahme von zeitlich begrenzter Dauer " dar (UA S. 39).

War danach aber mit der Kursänderung der PKK Anfang 2000 - nicht
ausschließbar - die Absage an demonstrative Gewaltstraftaten als Mittel zur Er-
reichung der verfolgten Ziele ein er nstgemeintes Anliegen und hatte sich auch
oder jedenfalls die Führ ungsebene in Deutschland dieser neuen Ausrichtung
verschrieben, so mußte das Oberlandesgericht nach dem Zweifelssatz seiner
Bewertung der Beteiligung des Angeklagten diese Möglichkeit zugrundelegen.

Bei diesem Sachverhalt fehlte es aber an der erforderlichen festen Aus-
richtung der Zwecke der Führungsebene der PKK in Deutschland auf die Be-
gehung von demonstrativen Gewalttaten. Die vorbehaltene Rückkehr zu sol-
chen Taten hing zunächst davon ab, daß eine wesentliche Lageverschlechte-
rung für die PKK eintreten würde; sodann mußten - als Reaktion auf eine sol-
che Verschlechterung der Situation - die zuständigen Gremien in der PKK, ins-
besondere aber die die kriminelle Vereinigung bildende Führungsebene, eine
Entscheidung dahin treffen, den friedlichen Kurs zu beenden und erneut zur
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Begehung von Gewalttaten - auch in Deutschland - überzugehen. Damit war in
zumindest zweifacher Weise ungewiß, ob es überhaupt jemals zu solchen Ta-
ten kommen wür de und wann dies gegebenenfalls geschehen könnte. Ein auf
die Begehung von Straftaten gerichteter verbindlicher Wille, wie ihn der Tatbe-
stand des § 129 StGB voraussetzt, ist danach - soweit es den Bereich der de-
monstr ativen Gewaltdelikte anbelangt - für den Tatzeitraum im angefochtenen
Urteil nicht festgestellt.

b) Da mithin die abweichende Auffassung des Oberlandesgerichts recht-
licher Nachpr üfung nicht stand hält, kommt es nicht mehr entscheidend dar auf
an, ob die im Rahmen der Beweiswürdigung geäußerte - den Feststellungen
widersprechende - Annahme, solche Taten seien nach wie vor aktueller und
unverzichtbarer Bestandteil der Tätigkeit der Organisation gewesen, Er gebnis
einer rechtsfehler freien Würdigung ist. Auch dies ist indes nicht der Fall. Bei
der Bewertung der zum Beleg seiner Auffassung angeführten Ver lautbarungen
(UA S. 38 - 41) hat das Oberlandesger icht wesentliche Aspekte und Deu-
tungsmöglichkeiten außer Acht gelassen:

Die zitierten Äußerungen stellen - was zunächst nicht außer Betr acht
bleiben darf - allgemeine politisch-programmatische Erklärungen dar, bei de-
nen teilweise die Urheber schaft ebenso unklar ist wie ihre Aussagekraft für den
Willen gerade der Mitglieder der in Frage stehenden kriminellen Vereinigung
(vgl. etwa UA S. 39 "in einem Artikel der Serxwebun"). Im übrigen steht bei ih-
nen ersichtlich die Situation der PKK in Kurdistan im Vordergrund. Ein ausrei-
chender konkreter Bezug zum weiteren Verhalten der kriminellen Vereinigung
in Deutschland ist ihnen nicht zu entnehmen. Denn selbst wenn die PKK im
kurdischen Kampfgebiet zur Anwendung von Gewalt zurückkehren würde, wäre
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dies nicht gleichbedeutend mit einer Wiederaufnahme der Begehung demon-
strativer Gewalttaten in Deutschland.

Darüber hinaus wäre es geboten gewesen, diese Erklärungen nicht ein-
seitig im Sinne einer Gewaltoption zu interpretieren, ohne erkennbar andere
Erklärungsmöglichkeiten zu erörtern. Es liegt jedenfalls nicht fern, daß diese
vorwiegend an die türkische Regierung gerichteten Äußerungen vor allem ap-
pellativen Charakter hatten. Es hätte auch bedacht werden müssen, daß die
Kursänderung nach den Feststellungen nicht nur eine Reaktion auf die Verur-
teilung Öcalans, sondern auch eine Folge des Scheiterns des militärischen
Vorgehens war. Auch dies könnte dafür sprechen, daß der Kurs einer friedli-
chen Lösung ernsthaft versucht werden sollte.

Soweit das Oberlandesgericht in diesem Zusammenhang auf die weiter-
hin angestrebte "Mobilisierung der Masse" abhebt, besagt dies für eine Ge-
waltorientier theit wenig, da auch ein friedlicher Kurs es erfordern mag, die
"Masse" der Anhänger für politische Aktionen wie Demonstrationen u. ä. zu
gewinnen. Nichts anderes gilt für die von der PKK im Frühsommer 2001 orga-
nisierte "Identitätskampagne" mit der Abgabe massenhafter
Selbstbezichtigungsschreiben ("Auch ich bin ein PKK’ler"). Es ist nicht
erkennbar , daß diese Aktion gerade der Vor bereitung von demonstrativen
Gewalttaten gedient hat. Soweit in der Beteiligung an dieser Kampagne
Verstöße gegen das vereinsrechtliche Betätigungsverbot nach § 20 Abs. 1
Nr. 4 VereinsG zu sehen sind (vgl. BGH NJW 2003, 2621), müssen diese bei
der Beurteilung des Charakters der Führungsebene als Vereinigung nach §
129 Abs. 1 StGB außer Betracht bleiben, da es sich um Organisationsdelikte
im Sinne der Tatbestandsausschlußklausel nach § 129 Abs. 2 Nr. 3 StGB
handelt (vgl. BTDrucks. 4/2145 S. 13; Bubnoff in LK 11. Aufl. § 129 Rdn. 37;
Lenckner in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 129 Rdn. 11; Rudolphi in SK-
 
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Rdn. 11; Rudolphi in SK-StGB § 129 Rdn. 7; Tröndle/Fischer, StGB 52. Aufl.
§ 129 Rdn. 21).

Soweit das Oberlandesgericht nach dem Tatzeitraum abgegebene Erklä-
rungen vom 12. Februar 2003 als "Aufkündigung der Friedenslinie" interpretiert
(UA. S. 19, 41) und zur Stützung seiner Auffassung zum Charakter der Vereini-
gung im davor liegenden Zeitraum heranzieht, ist dies nicht frei von Bedenken.
Zum einen betreffen die Erklärungen das Vor gehen in Kurdistan und nicht das
hier allein maßgebliche Verhalten der Führungsebene der PKK in Deutschland
("Auswirkungen der Erklärung sind in Deutschland und Europa bisher nicht r e-
gistriert worden" - UA S. 19). Zum anderen wird aus ihnen nicht hinreichend
deutlich, daß der Friedenskurs tatsächlich endgültig aufgegeben worden ist
(vgl. Stellungnahme vom Juli 2003, in der davon die Rede ist, daß man sich
"weiter hin" an die Feuerpause halten wolle, wenn der Waffenstillstand auch
von der Gegenseite eingehalten werde, und in der die Rückkehr zum Guerilla-
kampf lediglich angedroht wird - UA S. 18, 19) .

3. Durch die rechtsfehlerhafte, von den Feststellungen nicht getragene
Annahme, die Führungsebene der PKK in Deutschland sei auch im Tatzeitraum
nach ihren Zwecken auf die Begehung demonstrativer Gewalttaten ausgerich-
tet gewesen, wird der Schuldspr uch des angefochtenen Urteils nicht gefährdet.
Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 129 Abs. 1 StGB sind nämlich bereits
im Hinblick auf Straftaten in den Bereichen "Heimatbüro" und Strafsystem er-
füllt. Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen waren Tätigkeit und
Zwecke der Führungsebene auch nach der Kursänderung Anfang 2000 nach
wie vor auf die Begehung dieser Straftaten gerichtet. Bei diesen Taten handelt
es sich auch nicht um solche, deren Begehung nur ein Zweck oder eine Tätig-
keit von untergeordneter Bedeutung im Sinne des § 129 Abs. 2 Nr. 2 StGB war.
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Zwar hat das Oberlandesgericht seiner Beurteilung dieser Frage maßgeblich
die Ausrichtung auf die Begehung demonstrativer Gewalttaten zugrundegelegt,
so daß fraglich erscheint, ob es ohne diesen Aspekt ebenfalls zu einer Vernei-
nung der Untergeordnetheit gelangt wäre. Hier auf kommt es indes nicht an, da
es sich um die Entscheidung einer Rechtsfrage handelt, die der Senat selb-
ständig vorzunehmen hat.

Nach der Rechtsprechung ist die Begehung von Straftaten dann nicht
von untergeordneter Bedeutung, wenn sie zwar nur einen von mehreren Zwek-
ken (oder eine von mehr eren Tätigkeiten) der Vereinigung darstellt, dieser
Zweck (diese Tätigkeit) aber wenigstens in dem Sinne wesentlich und damit
gleichgeordnet mit den anderen ist, daß durch das str afrechtswidr ige Verhalten
das Erscheinungsbild der Vereinigung aus der Sicht informierter Dritter mitge-
prägt wird (BGHSt 41, 47). Damit scheiden gelegentliche und eher beiläu-
fige kriminelle Handlungen aus dem Anwendungsbereich des § 129 StGB
ebenso aus wie solche kriminelle Aktivitäten, die im Vergleich zum Gesamt-
zweck und der Gesamttätigkeit der Vereinigung nebensächlich sind (Lenckner
aaO Rdn. 10; Tröndle/Fischer aaO Rdn. 20).

Die strafrechtlichen Aktivitäten in den Ber eichen "Heimatbüro" und Straf-
system erfolgten nach den Feststellungen systematisch und über einen langen
Zeitr aum in einer Vielzahl von Fällen. Sie mögen zwar für die Tätigkeit und Zie-
le der PKK insgesamt von eher untergeordneter Bedeutung sein. Jedenfalls für
die Führungsebene in Deutschland stellen sie aber - gemessen an deren Auf-
gaben und Tätigkeiten - nicht nur gelegentliche oder beiläufige Handlungen
dar . Besteht eine kriminelle Vereinigung nur aus einem Teil der Mitglieder einer
Gesamtorganisation - wie hier aus den Angehörigen des engeren Führungszir-
kels der PKK - kommt es für die Beurteilung der Frage "untergeordneter Be-
 
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deutung" vorrangig auf die kriminellen Aktivitäten und die sonstigen Zwecke
und Tätigkeiten speziell der Personen an, die die kr iminelle Vereinigung bilden.
Die Tätigkeit der Gesamtorganisation ist dabei nur insoweit von Bedeutung, als
sich in ihr die - sonstige - Führungsarbeit der Kader widerspiegelt. Da nach den
Feststellungen dem "Heimatbüro" eine wesentliche Bedeutung für die Auf-
rechterhaltung der Führungsstruktur en zukam und das Strafsystem der Auf-
rechterhaltung der Disziplin und damit auch der Befolgung der Anweisungen
der PKK-Führung diente, können diese Aktivitäten auch unter Berücksichtigung
des Umstandes, daß die Zahl und Schwere der für den Tatzeitraum festgestell-
ten Straftaten eine rückläufige Tendenz gegenüber früheren Jahren aufwies,
noch nicht als nebensächlich bewertet werden. Etwas anderes mag für spätere
Zeitr äume gelten, wenn die Bestrafungsaktionen tatsächlich - wie im April 2002
für die Zukunft angekündigt - vollständig eingestellt wor den wären. Für die Be-
urteilung des Charakters der Ver einigung im davor liegenden Tatzeitraum hat
dies indes keine Bedeutung.

4. Dagegen hat der Str afausspruch keinen Bestand. Es kann nicht aus-
geschlossen werden, daß das Ober landesgericht bei einem geringeren Schuld-
umfang auch zu einer niedriger en Strafe gelangt wäre. Im übrigen ist die bei
der Strafzumessung vorgenommene Einstufung der Gruppierung als "über die
allgemeine Gefährlichkeit hinaus besonders gefährliche kr iminelle Vereinigung"
bedenklich. Sie läßt besorgen, daß den Angeklagten uneingeschränkt das Ge-
wicht von Straftaten angelastet wor den ist, die die PKK längst vor dem urteils-
gegenständlichen Zeitraum und insbesondere vor der eingeschlagenen Kurs-
änderung begangen hatte. Für die Strafzumessung ist die sich aus der Bege-
hung der konkreten Straftat ergebende Schuld maßgeblich. Da den Angeklag-
ten die Mitgliedschaft in der kriminellen Vereinigung im Zeitraum von Mai 2000
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bis März 2002 vorgeworfen wird, kommt es auf die Gefährlichkeit der Vereini-
gung in diesem Zeitraum an.

Die Aufhebung des Urteils war nach § 357 StPO auf den Mitangeklagten
K. , der keine Revision eingelegt hat, zu erstrecken, da die sachlich-
rechtlichen Mängel in gleicher Weise auch den ihn betreffenden Strafaus-
spruch berühren.

 III.

Die - doppelrelevanten - Feststellungen zur Zweckgerichtetheit der Ver-
einigung auf demonstrative Straftaten ab Anfang 2000 hat der Senat trotz Auf-
rechterhaltung des Schuldspruchs aufgehoben, um dem neuen Tatgericht die
Möglichkeit zu geben, insoweit zu neuen Feststellungen zu gelangen.

Dagegen konnten die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen
der Angeklagten aufrechterhalten werden, da sie rechtsfehlerfrei getr offen wor-
den sind. Der neue Tatrichter ist nicht gehindert, insoweit zusätzliche Feststel-
lungen zu treffen, die mit den aufrechterhaltenen nicht in Widerspruch stehen.

Tolksdorf      Miebach     Winkler
     Pfister      Becker