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BGH, Beschluss vom 1. Juli 2003 - 4 StR 55/03


Entscheidungstext  
 
BGH, Beschl. v. 1.7.2003 - 4 StR 55/03
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 55/03
vom
1.7.2003
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Vergewaltigung u.a.
- 2 -
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und der Beschwerdeführer am 1.7.2003 gemäß § 349 Abs. 4
StPO beschlossen:
Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Dessau vom 28. November 2000 mit den Feststellungen
aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten J. wegen Vergewaltigung in
Tateinheit mit versuchter Erpressung und mit sexueller Nötigung in zwei rechtlich
zusammentreffenden Fällen unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus einer
rechtskräftigen Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren
und den Angeklagten M. wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit versuchter
Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die gegen
dieses Urteil gerichteten Revisionen der Angeklagten meinen, es fehle
hinsichtlich des Vorwurfs der versuchten Erpressung an einer wirksamen Erhebung
der Nachtragsanklage; der Angeklagte J. behauptet, es fehle auch im
übrigen an einer wirksamen Anklageerhebung, da zwei der drei angeklagten
Vorfälle zeitlich nicht hinreichend konkretisiert seien. Darüber hinaus rügen die
Angeklagten die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Rechtsmittel
haben Erfolg.
- 3 -
I.
Die behaupteten Verfahrenshindernisse bestehen nicht, wie der Generalbundesanwalt
in seinen Antragsschriften zutreffend dargelegt hat.
II.
Die Rechtsmittel haben mit der Sachrüge Erfolg, so daß es eines Eingehens
auf die Verfahrensrügen nicht bedarf. Der Senat weist jedoch hinsichtlich
der vom Angeklagten J. erhobenen Verfahrensrügen auf die diesbezüglichen
Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts hin, der
wegen durchgreifender Verfahrensfehler die Aufhebung des angefochtenen
Urteils, soweit es diesen Angeklagten betrifft, beantragt hat.
1. Den Urteilsfeststellungen ist nicht zu entnehmen, daß bei den Vorfällen
II 1 und 2 der Urteilsgründe die sexuellen Handlungen durch den Einsatz
von Nötigungsmitteln im Sinne der §§ 177, 178 StGB a.F. erzwungen worden
sind.
a) Zwar hat der Angeklagte J. nach den zu dem ersten Vorfall getroffenen
Feststellungen auf dem Weg zum Fahrzeug - in Abwesenheit des
Angeklagten M. - eine Drohung gegen den Sohn der Zeugin K. ausgesprochen,
falls diese (bei dem ihr angekündigten "Verkauf" ins Ausland für Pornoaufnahmen)
Schwierigkeiten mache [UA 11]. Dem Urteil ist aber nicht zu entnehmen,
daß die Zeugin unter dem Eindruck dieser Drohung dem sexuellen
Ansinnen der Angeklagten nach Geschlechts- bzw. Oralverkehr Folge leistete.
Vielmehr ist ausdrücklich festgestellt, daß es "als Ausgleich" für das Entgegen-
4 -
kommen der Angeklagten (die der Zeugin gestatteten, den "Kaufpreis" selbst
aufzubringen) zu den sexuellen Handlungen gekommen ist.
Damit belegen die Feststellungen nicht, daß die Zeugin von den Angeklagten
mit Gewalt oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder
Leben zum außerehelichen Beischlaf genötigt worden ist.
b) Für den zweiten Vorfall ist den Urteilsfeststellungen ebenfalls nicht zu
entnehmen, daß der Angeklagte J. eines der in § 178 StGB a.F. bezeichnetes
Nötigungsmittel zur Erzwingung des Analverkehrs eingesetzt hat. Insoweit
hat das Landgericht lediglich festgestellt, daß die Zeugin K. "unter dem
Eindruck des vorher Geschehenen" in das Auto des Angeklagten J. gestiegen
und zu seiner Wohnung mitgefahren ist. Zwar können frühere Mißhandlungen
oder Drohungen eine noch zur Tatzeit fortwirkende Drohwirkung entfalten,
insbesondere kann bereits zugefügte Gewalt eine fortwirkende Gewaltandrohung
mit einschließen (vgl. hierzu Tröndle/Fischer StGB 51. Aufl. § 177
Rdn. 11 m.w.N.); hier ist eine solche Situation jedoch nicht belegt. Den Urteilsfeststellungen
ist vielmehr zu entnehmen, daß die Angeklagten die Zeugin
K. und deren damaligen Lebensgefährten auch nach dem ersten Vorfall, bei
dem der Angeklagte J. eine Drohung ausgesprochen hatte, noch besuchten.
2. Durchgreifenden rechtlichen Bedenken unterliegt auch die Beweiswürdigung
hinsichtlich des dritten Vorfalls. Aus den Urteilsgründen ist nicht
nachvollziehbar, worauf die Strafkammer die Feststellung stützt, der Angeklagte
J. habe den Oralverkehr durch die Drohung, ansonsten seinen Rottweiler
auf die Zeugin K. zu hetzen, erzwungen. Da sich der Angeklagte J.
auch hinsichtlich dieses Vorfalls nicht zur Sache eingelassen hat, kommen in-
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soweit nur die Bekundungen der Zeugin K. in Betracht. Soweit im Urteil die
Aussage der Zeugin zu diesem Vorfall wiedergegeben ist, enthält diese keine
sicheren Angaben zum Einsatz des Nötigungsmittels; vielmehr hat die Zeugin
K. insoweit lediglich bekundet, sie glaube, von dem Angeklagten J. sei "so
etwas in der Art, daß, wenn sie rumzicke er den Hund auf sie hetze, gekommen".
Durch diese vage Aussage ist die Anwendung eines Nötigungsmittels im
Sinne des § 178 StGB a.F. nicht belegt.
Zwar ist es möglich, daß die Zeugin ihre Angabe nach Vorhalt einer früheren
Aussage präzisiert hat, jedoch hat die Strafkammer dies im Urteil nicht
dargelegt. Sie hat sich darauf beschränkt mitzuteilen, daß die Zeugin auf "Vorhalt
von Bl. 35 Bd. I der Akte" geäußert habe, daß dies stimme; es könne
schon sein. Dies ist unzureichend, da der bloße Hinweis auf bei den Verfahrensakten
befindliche Vernehmungsprotokolle durch Bezeichnung von Fundstellen
keine zulässige Bezugnahme darstellt (vgl. Meyer-Goßner StPO 46.
Aufl. § 267 Rdn. 2). Die Strafkammer hätte vielmehr darlegen müssen, welche
Angaben die Zeugin in der früheren Vernehmung gemacht hat, um dem Revisionsgericht
die Überprüfung der Beweiswürdigung auf Rechtsfehler zu ermöglichen.
3. Das Urteil ist deswegen insgesamt, auch bezüglich der versuchten
Erpressung (vgl. Kuckein in KK 5. Aufl. § 353 Rdn. 12), aufzuheben. Im übrigen
bemerkt der Senat:
a) Bei der Beurteilung der Konkurrenzverhältnisse ist zu beachten, daß
ein minder schweres Delikt zwei schwerere Straftaten nicht zu einer rechtlichen
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Einheit zu verbinden vermag (vgl. BGHR StGB § 52 Abs. 1 Klammerwirkung 4,
8).
b) Sollte die neu erkennende Strafkammer erneut zu einer Verurteilung
der Angeklagten kommen, wird sie bei der Bemessung der Strafen zu berücksichtigen
haben, daß die Staatsanwaltschaft im Revisionsverfahren das Beschleunigungsverbot
nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK verletzt hat (vgl. BGH
NStZ 1999, 181; wistra 2001, 57). Die Revisionsbegründungen der Angeklagten
gegen das Urteil vom 28. November 2000 waren am 7. bzw. 8. März 2001
eingegangen. Gleichwohl sind die Akten erst am 4. Februar 2003 dem Generalbundesanwalt
vorgelegt worden, da sie, wie sich aus den Sachakten [Bd. V
Bl. 6] ergibt, bei der Staatsanwaltschaft unbearbeitet liegen geblieben sind.
Diese Verzögerung hat der Tatrichter in der Weise zu berücksichtigen, daß er
Art und Ausmaß der Verzögerung feststellt und in einem zweiten Schritt das
Maß der Kompensation durch Vergleich der an sich verwirkten mit der tatsächlich
verhängten Strafe ausdrücklich und konkret bestimmt (vgl. BVerfG NStZ
1997, 591; BGH NStZ 1999, 181 f.).
c) Die Abfassung des Urteils gibt schließlich Anlaß zu dem Hinweis, daß
die Forderung nach Angabe der Beweisgründe nicht dahin mißverstanden werden
darf, es müsse der Inhalt der in der Hauptverhandlung erhobenen Beweise
dokumentiert werden (vgl. Meyer-Goßner/Appl, Die Urteile in Strafsachen,
27. Aufl. Rdn. 350 m.w.N.).
Der Tatrichter ist gehalten, die in der Hauptverhandlung erhobenen Beweise,
sofern sie für die Entscheidung von Bedeutung sind, zusammenfassend
zu würdigen. Eine ungewöhnlich ausladende Darstellung sämtlicher Aussagen
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von Angeklagten und Zeugen im Ermittlungsverfahren und in der Hauptverhandlung
bis hin zu ersichtlich unwesentlichen Einzelheiten wird dem nicht gerecht;
sie ist überflüssig und kann zudem die Besorgnis begründen, der Tatrichter
sei rechtsirrtümlich davon ausgegangen, eine breite Darstellung erhobener
Beweise könne eine eigenverantwortliche Würdigung ersetzen (vgl. BGH
NStZ 1985, 184; BGH JZ 1990, 297 m.w.N.).
Vorsitzende Richterin am Maatz Kuckein
Bundesgerichtshof Dr. Tepperwien
ist urlaubsbedingt verhindert zu
unterschreiben
Maatz
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