BGH,
Beschl. v. 10.1.2006 - 4 StR 490/05
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 490/05
vom 10.1.2006
in der Strafsache
gegen
wegen fahrlässiger Tötung u.a. hier: Revisionen der
Nebenkläger Helene F. , Herbert F. und Wolfgang F.
- 2 -
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des
Generalbundesanwalts und nach Anhörung der
Beschwerdeführer am 10.01.2006 gemäß
§ 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revisionen der Nebenkläger Helene F. , Herbert F. und
Wolfgang F. gegen das Urteil des Landgerichts Kaiserslautern vom 11.
Mai 2005 werden verworfen. Jeder Beschwerdeführer hat die
Kosten seines Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch im
Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe: Das Landgericht hat den Angeklagten wegen
fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit
fahrlässiger Gefährdung des
Straßenverkehrs, wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort
in Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr sowie
wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung
es zur Bewährung ausgesetzt hat. Ferner hat es gegen ihn
Maßregeln nach §§ 69, 69 a StGB
verhängt. Gegen dieses Urteil wenden sich die
Nebenkläger mit ihren auf die Sachrüge
gestützten Rechtsmitteln. Sie beanstanden in erster Linie,
dass eine Verurteilung des Angeklagten nicht auch wegen eines durch
Unterlassen begangenen versuchten Totschlags erfolgt ist. Daneben
erstreben sie eine Verurteilung wegen Aussetzung mit Todesfolge
(§ 221 Abs. 3 StGB). Den Revisionen bleibt der Erfolg versagt.
1
- 3 -
1. Nach den Feststellungen befuhr der Angeklagte mit seinem Pkw am 13.
Mai 2002 gegen 17.10 Uhr die zu dieser Tageszeit gewöhnlich
lebhaft befahrene L 386. Auf gerader Strecke geriet er infolge
vorausgegangenen Genusses von Alkohol sowie der Einnahme des
Medikaments Diazepam auf die Gegenfahrbahn und erfasste den dort
ordnungsgemäß entgegenkommenden Radfahrer
Hans-Joachim F. . Obwohl der Angeklagte anhand des
Aufprallgeräusches bemerkt hatte, dass ein Mensch schwer
verletzt worden war, setzte er seine Fahrt fort. Das Landgericht hat
nicht auszuschließen vermocht, dass der Angeklagte angesichts
der Tageszeit sowie der ihm als lebhaft befahren bekannten
Örtlichkeit darauf vertraute, dass ein Dritter die notwendigen
Maßnahmen zeitnah ergreifen würde.
Tatsächlich wurden die Rettungskräfte auch durch
unmittelbar danach hinzukommende Verkehrsteilnehmer informiert und
Hans-Joachim F. nach einer Erstversorgung in eine Unfallklinik
verbracht, wo er noch am gleichen Abend verstarb. Das Landgericht ist
rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass der Tod des Opfers in gleicher
Weise eingetreten wäre, wenn der Angeklagte angehalten und so2
2. Die Rechtsmittel der Nebenkläger sind, soweit sie auf der
Grundlage des festgestellten Sachverhalts eine Verurteilung des
Angeklagten wegen eines (untauglichen) Versuchs des Totschlags durch
Unterlassen zum Ziel haben, bereits nicht zulässig. 3 a) Nach
§ 400 Abs. 1 StPO kann der Nebenkläger das Urteil
nicht mit dem Ziel anfechten, dass der Angeklagte wegen einer
Gesetzesverletzung verurteilt wird, die nicht zum Anschluss des
Nebenklägers berechtigt. Die Anschlussberechtigung der
Nebenkläger ergibt sich hier aus § 395 Abs. 2 Nr. 1
StPO, wonach sich die Eltern und Geschwister eines durch eine
rechtswidrige Tat Getöteten der erhobenen
öffentlichen Klage als Nebenkläger
anschließen 4
- 4 -
können. Rechtswidrige Taten im Sinne dieser Vorschrift sind
Straftaten gegen das Leben sowie solche, die durch den
Tötungserfolg qualifiziert sind (BGHSt 44, 97, 99;
Senatsbeschluss vom 13. Juni 2002 - 4 StR 95/02, DAR 2002, 421). Die
Nebenkläger waren daher jedenfalls unter dem rechtlichen
Gesichtspunkt einer rechtswidrigen Tat nach § 222 StGB
(fahrlässige Tötung) zum Anschluss berechtigt;
insoweit ist eine Verurteilung des Angeklagten auch erfolgt. b) Eine
Anschlussberechtigung der in § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO genannten
Personen besteht jedoch nicht bei einer (nur) versuchten Straftat gegen
das Leben des Angehörigen. Dafür spricht bereits der
klare Gesetzeswortlaut, der die Nebenklageberechtigung an die Begehung
einer (rechtswidrigen) Straftat anknüpft, durch die der
Angehörige getötet worden ist. Darüber
hinaus entspricht dies auch der Gesetzessystematik: Bei einer
versuchten Straftat nach den §§ 211 und 212 StGB
sieht das Gesetz eine Befugnis zum Anschluss des Tatopfers selbst vor
(§ 395 Abs. 1 Nr. 2 StPO). Dessen Nebenklagebefugnis geht nach
der Änderung des Rechts der Nebenklage durch das
Opferschutzgesetz vom 18. Dezember 1986 im Todesfall nicht mehr auf
seine in § 77 Abs. 2 StGB bezeichneten Angehörigen
über (BGHSt 44, 97, 98/99). 5 c) Die aufgezeigte Rechtslage
steht - entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer - nicht
im Widerspruch zu den „Intentionen des
Opferrechtsreformgesetzes“. Ist - wie hier - der Tod des
Opfers durch eine rechtswidrige Tat verursacht worden, so sind dessen
Angehörigen nach § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO befugt, sich
dem Strafverfahren als Nebenkläger anzuschließen und
die ihnen in dieser Eigenschaft nach § 397 StPO zustehenden
Rechte wahrzunehmen. Lediglich ihre Rechtsmittelbefugnis ist nach
Maßgabe des § 400 Abs. 1 StPO
eingeschränkt. Dies beruht auf einer gesetzgeberischen
Entscheidung, die durch das Gesetz zur Verbesserung der Rechte von
Verletzten im Strafverfah-6
- 5 -
ren (OpferRRG) vom 24. Juni 2004 keine Änderung erfahren hat.
Auch den von den Beschwerdeführern angeführten
Gesetzesmaterialien lässt sich ein entsprechender Wille des
Gesetzgebers nicht entnehmen. 3. Soweit die Nebenkläger eine
Verurteilung des Angeklagten nach § 221 Abs. 3 StGB anstreben,
sind ihre Rechtsmittel zwar zulässig, aber
unbegründet. Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen
Feststellungen scheitert eine Strafbarkeit nach dieser Bestimmung schon
daran, dass der Tod nicht durch die „Tat“,
nämlich dadurch, dass der Angeklagte das Opfer im Stich
gelassen hat (§ 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB), verursacht worden ist,
sondern durch das vorausgegangene Unfallgeschehen. Das Leben des
Tatopfers hätte auch bei sofortiger Hilfeleistung durch den
Angeklagten nicht gerettet werden können. 7 4. Die
Nachprüfung des Urteils hat auch im Übrigen keinen
die Nebenkläger oder - was der Senat in entsprechender
Anwendung des § 301 StPO zu prüfen hatte - den
Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben. 8
Tepperwien Maatz Athing Ernemann Sost-Scheible |