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BGH, Beschluss vom 11. Mai 2004 - 1 StR 181/04


Entscheidungstext  
 
BGH, Beschl. v. 11.5.2004 - 1 StR 181/04
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 181/04
vom
11.05.2004
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern u. a.
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11.05.2004 beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Bamberg vom 16. Dezember 2003 dahin abgeändert,
daß der Angeklagte des sexuellen Mißbrauchs von Kindern in
361 Fällen und exhibitionistischer Handlungen in 64 Fällen
schuldig ist.
2. Im übrigen wird das Verfahren eingestellt.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
4. Soweit das Verfahren eingestellt ist, trägt die Staatskasse die
Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten.
Im übrigen trägt der Angeklagte die Kosten seines
Rechtsmittels und die der Nebenklägerin dadurch entstandenen
notwendigen Auslagen.
Gründe:
Der Angeklagte hat an einem nicht mehr genau feststellbaren Tag im
Frühjahr/Sommer 1993 sich vor der am 1. Juli 1985 geborenen Tochter seiner
damaligen Lebensgefährtin selbst befriedigt und dabei auch seinen Finger in
ihre Scheide gesteckt. In der Folge nahm er bis zu ihrem 14. Geburtstag eine
Vielzahl, ihrer Art nach im einzelnen geschilderter, unterschiedlicher sexueller
Handlungen mit und vor der Geschädigten vor. Nach ihrem 14. Geburtstag hat
er sie, wie teilweise auch schon zuvor, bis Sommer 2001 regelmäßig veranlaßt,
ihm bei der Selbstbefriedigung zuzuschauen. Er wurde deshalb, hinsichtlich
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der Zahl der Fälle nach Maßgabe des Zweifelssatzes, wegen sexuellen Mißbrauchs
von Kindern in 361 Fällen (§ 176 StGB in der jeweils anzuwendenden
Fassung) und wegen exhibitionistischer Handlungen in 80 Fällen (§ 183 StGB)
verurteilt. Die Strafkammer hat mit differenzierten Erwägungen gegen den erheblich,
auch einschlägig, vorbestraften und während mehrerer Jahre innerhalb
des Tatzeitraums auch bewährungsbrüchigen Angeklagten in den Mißbrauchsfällen
Einzelstrafen zwischen 15 Monaten und acht Monaten und im übrigen
von jeweils sechs Monaten verhängt (Gesamtsumme 3.715 Monate) und hieraus
eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren gebildet.
Die Revision des Angeklagten hat insoweit Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO),
als das Verfahren wegen Verjährung einzustellen ist, soweit der Angeklagte
wegen exhibitionistischer Handlungen zwischen 1. Juli und 15. Oktober 1999
verurteilt worden ist. Im übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
1. Die Revision sieht ein Verfahrenshindernis darin, daß die Angaben zu
den einzelnen Taten in der unverändert zugelassenen Anklage weder datumsmäßig
noch sonst genau genug seien. Die Anforderungen des Bundesgerichtshofs
an die Konkretisierung derartiger Serientaten seien zu gering.
Das behauptete Verfahrenshindernis liegt aus den vom Generalbundesanwalt
im Antrag vom 20. April 2004 zutreffend dargelegten Gründen nicht vor.
2. Die erste zur Unterbrechung der für Vergehen gegen § 183 StGB dreijährigen
Verjährungsfrist (§ 78 Abs. 3 Nr. 5 StGB) geeignete Handlung war der
Erlaß eines Haftbefehls gegen den Angeklagten am 15. Oktober 2002 (§ 78
Abs. 1 Nr. 5 StGB). Daher sind die zwischen 1. Juli und 15. Oktober 1999 begangenen
Vergehen gemäß § 183 StGB verjährt.
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Die Strafkammer geht davon aus, daß die genannten Taten jedenfalls
einmal pro Woche stattgefunden haben. Aus im einzelnen dargelegten Gründen
(z. B. Aufenthalten im Landschulheim) stellt sie im Hinblick auf den Zweifelssatz
jedenfalls 40 derartiger Taten pro Jahr fest. Gebot der Zweifelssatz,
beim Umfang der Verurteilung von so wenig Taten auszugehen, wie dies nach
den Umständen in Betracht kommt, so gebietet er bei der Entscheidung darüber,
wie viele der abgeurteilten Taten verjährt sind, von so vielen Taten auszugehen,
wie dies nach den Umständen in Betracht kommt. Bei wöchentlich
einer Tat und dem in Rede stehenden Zeitraum von etwas über 15 Wochen
sind dies 16 Taten. In diesem Umfang stellt der Senat daher das Verfahren ein.
3. Die Strafkammer hat bei der Würdigung der Aussage der Geschädigten
berücksichtigt, daß bei ihr typische Folgen langjährigen sexuellen Mißbrauchs
vorlägen. Gestützt ist diese Annahme auf eine umfangreiche Beweisaufnahme
zur Aussagegenese - die Polizei wurde zunächst nicht durch eine
Strafanzeige auf den Vorgang aufmerksam, sondern weil sie von dritter Seite
wegen akuter Suizidgefahr der Geschädigten alarmiert worden war - ebenso
wie auf die Vernehmung zahlreicher Zeugen aus dem Umfeld der Geschädigten,
z. B. ihrer Psychotherapeutin, und auf die Beobachtungen, die die Strafkammer
bei der Vernehmung der Geschädigten selbst gemacht hat. Die Annahme
der Revision, all dies spreche gegen sexuellen Mißbrauch und für eine
planmäßige Falschbelastung des Angeklagten durch die Geschädigte, was ein
Gutachten über die Glaubhaftigkeit der Geschädigten bestätigt hätte, verdeutlicht
unter diesen Umständen eine Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 244
Abs. 2 StPO) nicht. Auch insoweit verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen
des Generalbundesanwalts, die durch die Erwiderung der Revision
(§ 349 Abs. 3 Satz 2 StPO) nicht entkräftet werden.
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Auch im übrigen hat die auf Grund der Revisionsrechtfertigung gebotene
Überprüfung weder im Schuldspruch noch hinsichtlich der Einzelstrafen einen
Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
4. Die auch im übrigen ohne den Angeklagten benachteiligenden
Rechtsfehler gebildete Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren kann trotz des
Wegfalls von 16 Einzelstrafen von je sechs Monaten ebenfalls bestehen bleiben.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist dies bei
Wegfall einer Einzelstrafe oder eines kleinen Teils von Einzelstrafen dann der
Fall, wenn sich die Gesamtstrafe gleichwohl nach Sachlage, insbesondere im
Hinblick auf Zahl und Höhe der übrigen Einzelstrafen ohne weiteres rechtfertigt,
also ohne daß insoweit Raum für die Ausübung dem Tatrichter vorbehaltenen
Ermessens durch das Revisionsgericht wäre (vgl. BGH, Beschl. vom 13.
Februar 2004 - 1 StR 571/03; BGH wistra 1999 28, 29; w. N. b. Kuckein in KK
5. Aufl. § 353 Rdn. 21).
So verhält es sich hier. Dies ergibt sich schon aus den verbleibenden
425 (statt 441) Einzeltaten, für die 3.619 (statt 3.715) Monate Freiheitsstrafe
verhängt wurden. Hinzu kommt, daß die Strafkammer - auch - bei der Bildung
der Gesamtstrafe maßgeblich auf Gesichtspunkte abgestellt hat, die im wesentlichen
das Gesamtgeschehen prägen und nicht von der exakten Anzahl der
Einzelfälle gekennzeichnet sind. Dies gilt für den strafmildernd berücksichtigten
Gewöhnungseffekt ebenso wie für die strafschärfend berücksichtigte erhebliche
Traumatisierung der Geschädigten. Unter diesen Umständen ist im dargelegten
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Sinne ausgeschlossen, daß die Strafkammer, die im übrigen aus Rechtsgründen
nicht gehalten gewesen wäre, verjährtes Geschehen bei der Strafzumessung
völlig außer Betracht zu lassen, eine niedrigere Gesamtstrafe verhängt
hätte, wenn sie erkannt hätte, daß ein kleiner Teil der abgeurteilten exhibitionistischen
Handlungen verjährt ist.
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