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BGH, Beschluss vom 11. September 2003 - 2 StR 230/03


Entscheidungstext  
 
BGH, Beschl. v. 11.9.2003 - 2 StR 230/03
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 230/03
vom
11.09.2003
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags u.a.
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 11.09.2003 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Kassel vom 10. Januar 2003 aufgehoben:
a) im Einzelstrafausspruch bezüglich des Totschlags und
b) im Gesamtstrafenausspruch.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels,
an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
1. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags (Einzelfreiheitsstrafe:
elf Jahre und sechs Monate) und wegen Unterschlagung in Tateinheit
mit Erwerb sowie Führen einer Schußwaffe ohne erforderliche Erlaubnis
(Einzelfreiheitsstrafe: 1 Jahr und sechs Monate) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe
von zwölf Jahren und drei Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem
psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.
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Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung
formellen und materiellen Rechtes rügt. Sein Rechtsmittel hat mit der
Sachrüge in dem aus der Beschlußformel ersichtlichen Umfang Erfolg: der Einzelstrafausspruch
wegen Totschlags und damit auch der Gesamtstrafenausspruch
haben keinen Bestand, da die Ausführungen des Tatrichters bei der
Prüfung eines besonders schweren Falles des Totschlags (§ 212 Abs. 2 StGB)
rechtlichen Bedenken begegnen. Im übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet
im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2. Nach den Feststellungen des Landgerichts tötete der Angeklagte im
Wald einen Jäger, der ihm den Weg zu Pilzen versperrte, mit einem Messer.
Hierbei stach er ca. 50 Mal auf das Opfer ein, wobei das Landgericht zugunsten
des Angeklagten davon ausging, daß bereits der erste mit direktem Tötungsvorsatz
geführte Stich tödlich war. Nach dem Tod des Opfers nahm der
Angeklagte dessen Gewehr in Zueignungsabsicht an sich.
Der Angeklagte handelte bei der Ausführung der Tat im Zustand erheblich
verminderter Schuldfähigkeit; seine Steuerungsfähigkeit war erheblich eingeschränkt,
aber nicht aufgehoben. Nach Auffassung des Landgerichts weise
die Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten paranoide und schizoide Züge auf,
die den schweren anderen seelischen Abartigkeiten zuzuordnen seien und das
Gewicht einer krankhaften seelischen Störung erreichen würden. Dieser Zustand
sei keineswegs nur vorübergehender Natur, sondern länger andauernd.
Das Landgericht bejahte die Voraussetzungen des Totschlags, verneinte
aber Mordmerkmale im Ergebnis. Es nahm hierbei an, daß der Angeklagte objektiv
aus niedrigen Beweggründen gehandelt habe, er sich aber letztlich im
Hinblick auf seine paranoide Persönlichkeitsstruktur nicht der Umstände bewußt
gewesen sei, die den Antrieb zum Handeln sittlich besonders verwerflich
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machen. Deshalb würden die subjektiven Voraussetzungen des Merkmals
"niedrige Beweggründe" fehlen. Das Mordmerkmal "grausam" lehnte der Tatrichter
aus objektiven und subjektiven Gründen ab. Objektiv liege Grausamkeit
nicht vor, da zugunsten des Angeklagten davon ausgegangen werden müsse,
daß bereits der erste Messerstich tödlich gewesen sei, so daß das Opfer nicht
besonders starke Schmerzen oder Qualen erlitten habe. Es fehle aber auch an
den subjektiven Voraussetzungen, da in Anbetracht der affektiven Erregung
und der ursächlichen Persönlichkeitsstörung nicht davon ausgegangen werden
könne, er habe mit dem Bewußtsein grausamer Tatausführung gehandelt.
Im Rahmen der Strafzumessung lehnte das Landgericht zunächst einen
minder schweren Fall des Totschlags (§ 213 StGB) - auch unter Berücksichtigung
des vertypten Milderungsgrundes des § 21 StGB - rechtsfehlerfrei ab. Bei
der Prüfung eines besonders schweren Falles des Totschlags (§ 212 Abs. 2
StGB) war sich das Landgericht bewußt, daß die Nähe zu einem Mordmerkmal
zur Bejahung des § 212 Abs. 2 StGB nicht ausreicht, sondern vielmehr schulderhöhende
Umstände hinzukommen müssen, die besonderes Gewicht haben.
Diese sah der Tatrichter in der Nähe zu zwei Mordmerkmalen ("grausam" und
"aus niedrigen Beweggründen"), um dann auszuführen:
"Obwohl damit die Nähe zu zwei Mordmerkmalen und gleichsam besonders
schulderhöhende Momente vorlägen, mußte die Annahme eines
besonders schweren Falles des Totschlags bei Gesamtwürdigung aller
objektiven und subjektiven Umstände aus dem Grund scheitern, daß
diese Nähe der Tat zum Mord auf der paranoiden Persönlichkeitsstörung
des Angeklagten beruht, der infolge dessen im Zustand verminderter
Schuldfähigkeit gemäß § 21 StGB handelte. Somit können die niedrigen
Beweggründe und die brutale Art der Tatausführung dem Angeklagten
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nicht mit dem einen besonders schweren Fall begründenden Gewicht
vorgeworfen werden, da der Angeklagte nicht voll umfänglich in der Lage
war, die tatauslösenden Wut- und Rachegefühle willensmäßig zu
steuern, denn bei dem Angeklagten war die Steuerungsfähigkeit erheblich
eingeschränkt. Es würde in der Regel dem Schuldprinzip widersprechen,
wollte man den Täter, der aus subjektiven Gründen nicht wegen
Mordes verurteilt werden kann, wegen der Nähe der objektiv vorliegenden
Motive zu den niedrigen Beweggründen im Sinne des § 211 StGB
auf dem Umweg über den besonders schweren Fall des Totschlages mit
der dem Mörder zugedachten Strafe belegen (vgl. BGH NStZ 1981,
258). Ausscheiden mußte schließlich auch die Möglichkeit, den Strafrahmen
des besonders schweren Falles gemäß § 212 Abs. 2 StGB lediglich
nach § 49 Abs. 1 StGB herabzusetzen.
Aufgrund der Ablehnung eines besonders schweren Falles wegen der
eine andere schwere seelische Abartigkeit darstellenden paranoiden
Persönlichkeitsstörung kam nunmehr jedoch eine Milderung des daraufhin
einschlägigen Strafrahmens des § 212 Abs. 1 StGB nach den §§ 21,
49 Abs. 1 StGB nicht mehr in Betracht. Denn der Umstand der erheblich
verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten wurde bereits bei der
Strafrahmenbestimmung herangezogen und ist damit für eine weitere
Strafrahmenverschiebung verbraucht. Bei Verneinung eines besonders
schweren Falles aufgrund der erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit
allein oder mit weiteren Umständen kommt entsprechend dem
Grundgedanken des § 50 StGB eine nochmalige Strafrahmenverschiebung
durch Herabsetzung des Regelstrafrahmens nach §§ 21, 49 Abs. 1
StGB nicht mehr in Frage (vgl. BGH NStZ 1986, 312; Stree in Schönke/
Schröder, StGB 26. Aufl. § 50 Rdn. 7; Tröndle/Fischer, StGB 51. Aufl.
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§ 50 Rdn. 2). Denn andernfalls würde eine mit dem Regelungszweck
des § 50 StGB nicht vereinbare Doppelverwertung von Strafzumessungstatsachen
in Bezug auf die Strafrahmenwahl ermöglicht.
Zur Ahndung der Tat reichte mithin der Regelstrafrahmen des Totschlagtatbestandes
aus, so daß gemäß § 212 Abs. 1 StGB für die Tat
von einem Strafrahmen von fünf Jahren bis 15 Jahren auszugehen war."
3. Diese Ausführungen des Tatrichters begegnen durchgreifenden
rechtlichen Bedenken. Das Landgericht hat rechtsfehlerhaft nur unter
"Verbrauch" (§ 50 StGB) des vertypten Milderungsgrundes (§ 21 StGB) einen
besonders schweren Fall des Totschlags verneint. Es kann hierbei dahinstehen,
ob im vorliegenden Fall überhaupt grundsätzlich an die Nähe zu zwei
Mordmerkmalen gedacht werden kann, da das Mordmerkmal "grausam" nicht
lediglich aus subjektiven Gründen ausscheidet, sondern auch objektiv nicht
gegeben ist, wenn man die zugunsten des Angeklagten getroffenen Feststellungen,
daß bereits der erste Messerstich tödlich war, konsequent beachtet. Es
bedarf auch keiner Entscheidung, ob die Verneinung eines besonders schweren
Falles unter Berufung auf einen vertypten Milderungsgrund die Anwendung
des § 50 StGB ohne weiteres nach sich zieht (vgl. dazu unter anderem Gribbohm
in LK StGB 11. Aufl. Rdn. 14 ff. zu § 50 StGB; BGH NJW 1986, 1699,
1700; BGHR StGB vor § 1/minder schwerer Fall - Gesamtwürdigung, unvollständige
11).
Der Rechtsfehler des Landgerichts ist darin zu sehen, daß es nicht erkannt
hat, daß hier nicht der vertypte Milderungsgrund der erheblich verminderten
Steuerungsfähigkeit als Folge der Persönlichkeitsstörung an sich zur
Verneinung eines besonders schweren Falles des Totschlags führt, sondern
daß bereits die tatsächlichen Umstände aus dem Umkreis des besonderen ge-
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setzlichen Milderungsgrundes die Annahme eines besonders schweren Falles
ausschließen. Die paranoide Persönlichkeitsstörung des Angeklagten, die zur
Verneinung der subjektiven Voraussetzungen der Mordmerkmale geführt hat,
läßt auch die "Nähe" zu diesen Mordmerkmalen entfallen. Es fehlt die besondere
Verwerflichkeit, die die Tat in ihrem Unwert zurechenbar mit Mord auf eine
Ebene hebt. Der Tatrichter durfte daher nicht zunächst gedanklich die Voraussetzungen
des § 212 Abs. 2 StGB bejahen, um dann in die Prüfung einzutreten,
ob dieser Strafrahmen gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB zu mildern ist oder,
ob mit der Folge des § 50 StGB von einem besonders schweren Fall unter
"Verbrauch" eines vertypten Milderungsgrundes abzusehen ist. Er hätte vielmehr
bedenken müssen, daß bereits die paranoide Persönlichkeitsstörung des
Angeklagten hier der Bejahung des § 212 Abs. 2 StGB entgegenstand und daß
er dann an einer weiteren Milderung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB nicht gehindert
war (vgl. auch Horstkotte, Festschrift für Eduard Dreher 1977 S. 265, 278).
Aus der vom Tatrichter angeführten Entscheidung (BGH NStZ 1981,
258) ergibt sich nichts anderes. Der Bundesgerichtshof hat dort betont, daß die
Nähe des objektiven Sachverhalts zum Mord dann kaum zur Anwendung des
§ 212 Abs. 2 StGB führen kann, wenn die zur Aburteilung stehende Tötung
gerade in einer besonderen die Mordqualifikation ausschließenden Persönlichkeitsstruktur
ihre charakteristische Prägung findet, ohne daß in dem Sachverhalt
gravierende sonstige Besonderheiten gegeben sind, die eine lebenslange
Freiheitsstrafe nahelegen. Abgesehen davon, daß diese Entscheidung keinen
Fall betrifft, in dem - wie hier - das Vorliegen der Voraussetzungen des § 21
StGB bejaht wurde, macht sie jedoch gerade deutlich, daß die Umstände, die
zur Verneinung von Mordmerkmalen geführt haben, auch die Verneinung der
Nähe zu Mordmerkmalen - damit auch des § 212 Abs. 2 StGB - nahe legen.
Ansonsten käme man unter Verstoß gegen das Schuldprinzip auf dem Umweg
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über die Bejahung der Voraussetzungen des § 212 Abs. 2 StGB zu einem dem
Mörder zugedachten Strafrahmen.
Dies zeigt gerade auch der vorliegende Fall. Würde die Auffassung des
Tatrichters zutreffen, hätte sich der Angeklagte bei Annahme von Mord besser
gestellt; denn der gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderte Strafrahmen des
§ 211 StGB beträgt drei bis fünfzehn Jahre Freiheitsstrafe und liegt damit unter
dem vom Landgericht angewandten Regelstrafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB
(fünf bis fünfzehn Jahre Freiheitsstrafe). Es ist deshalb auch nicht ohne weiteres
verständlich, daß das Landgericht - ausgehend von seinem unzutreffenden
Ausgangspunkt - ohne nähere Begründung die dem Angeklagten gegenüber
dem Regelstrafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB günstigere Möglichkeit einer
Milderung des Strafrahmens des § 212 Abs. 2 StGB gemäß §§ 21, 49 Abs. 1
StGB (vgl. hierzu auch BGH, Urt. vom 25. Juli 1978 - 5 StR 331/78) abgelehnt
hat. Hierauf kommt es aber letztlich nicht entscheidend an, da bereits die Verneinung
eines besonders schweren Falles (§ 212 Abs. 2 StGB) unter
"Verbrauch" des vertypten Milderungsgrundes (§ 21 StGB) bei der gegebenen
Sachlage rechtsfehlerhaft war.
Der Senat kann nicht ausschließen, daß die für den Totschlag verhängte
Freiheitsstrafe von elf Jahren und sechs Monaten auf diesem Rechtsfehler beruht.
Die Aufhebung der Einzelstrafe zieht die Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe
nach sich.
Die jeweils zugrundeliegenden Feststellungen sind von dem Rechtsfehler
nicht berührt und können daher bestehen bleiben.
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Der Senat schließt aus, daß sich der Rechtsfehler auf die weitere Einzelstrafe
von einem Jahr und sechs Monaten und auf die Anordnung der Unterbringung
in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) ausgewirkt hat.
Durch die Teilaufhebung des Urteils und entsprechende Zurückverweisung
der Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung ist die ebenfalls eingelegte
Kostenbeschwerde gegenstandslos geworden.
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der Unterschrift gehindert
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