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BGH, Beschluss vom 13. Juli 2004 - 4 StR 548/03


Entscheidungstext  
 
BGH, Beschl. v. 13.7.2004 - 4 StR 548/03
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 548/03
vom
13. Juli 2004
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 13. Juli 2004 gemäß §§ 44 ff., 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Dem Angeklagten wird nach Versäumung der Frist zur
Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts
Paderborn vom 22. Juli 2003 Wiedereinsetzung in
den vorigen Stand gewährt.
Die Kosten der Wiedereinsetzung trägt der Angeklagte.
Der Beschluß des Landgerichts Paderborn vom
29. September 2003, durch den die Revision des Angeklagten
als unzulässig verworfen wurde, ist damit gegenstandslos.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete
Urteil im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen
Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige
Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weiter gehende Revision wird verworfen.
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Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in
Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von acht
Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner
auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision.
Die Nachprüfung des Urteils hat zum Schuldspruch keinen den Angeklagten
beschwerenden Rechtsfehler aufgedeckt. Die Revision führt jedoch zur
Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs.
1. Nach den Feststellungen versetzte der Angeklagte der Zeugin T. ,
die mit ihm einige Monate zusammengelebt, sich wegen wiederholter Mißhandlungen
aber von ihm getrennt hatte, mehrere Messerstiche, um sie zu töten. An
der Vollendung der Tat wurde er durch das Eingreifen Dritter gehindert.
Bei der Strafzumessung hat die Strafkammer strafschärfend berücksichtigt,
daß der Angeklagte nach ihrer Überzeugung ohne das selbstlose und beherzte
Eingreifen der Zeugen K. und A. so lange auf die Zeugin
T. weiter eingestochen hätte, bis diese an ihren Verletzungen verstorben
wäre [UA 20]. Damit hat sie zu Lasten des Angeklagten gewertet, daß er nicht
freiwillig vom Totschlagsversuch zurückgetreten ist. Diese Erwägung verstößt
gegen § 46 Abs. 3 StGB, weil der Angeklagte bei einem freiwilligen Rücktritt
nicht wegen versuchten Totschlags hätte bestraft werden können (vgl. BGH
NStZ 1983, 217 f.; BGH bei Detter NStZ 1990, 176; BGH, Beschluß vom
30. August 1996 - 3 StR 229/96). Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des
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Strafausspruchs, da der Senat nicht ausschließen kann, daß sich der Fehler
auf die Bemessung der erkannten Strafe, die nahezu an der Obergrenze des
konkret eröffneten Strafrahmens liegt, ausgewirkt hat.
2. Die Maßregelanordnung hat ebenfalls keinen Bestand, weil die zur
Schuldfähigkeit des Angeklagten getroffenen Feststellungen nicht geeignet
sind, die Unterbringungsanordnung zu rechtfertigen. Diese setzt die positive
Feststellung eines länger andauernden, nicht nur vorübergehenden Defekts
voraus, der zumindest eine erhebliche Einschränkung der Schuldfähigkeit im
Sinne des § 21 StGB sicher begründet (st. Rspr.; BGHSt 34, 22, 26 f.; 42,
385 f.).
Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht. Zur Frage
der Schuldfähigkeit hat das sachverständig beratene Landgericht ausgeführt,
bei dem Angeklagten liege eine ausgeprägte Störung der Persönlichkeit vor.
Es fänden sich bei ihm deutliche Züge des sogenannten Borderline-Typus, der
sich in einer Widersprüchlichkeit im Aufbau und in der Aufrechterhaltung zwischenmenschlicher
Beziehungen manifestiere [UA 15]; außerdem bestehe eine
massive Störung der Impulskontrolle, aufgrund derer er nicht in der Lage sei,
plötzlich aufkommende Gefühle von Wut oder Ärger zu kontrollieren. Diese
Störung sei durch vorangegangenen Alkoholkonsum, der zu einer Blutalkoholkonzentration
von 1,57 ‰ zur Tatzeit geführt habe, noch begünstigt worden.
Damit ist das Vorliegen eines dauerhaften, nach den §§ 20, 21 StGB
erheblichen Defektzustands beim Angeklagten nicht belegt. Bei der Bewertung
der vom Landgericht beschriebenen Persönlichkeitsstörung besteht die Gefahr,
daß Eigenschaften und Verhaltensweisen, die sich innerhalb der Bandbreite
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des Verhaltens voll schuldfähiger Menschen bewegen, zu Unrecht als
Symptom einer die Schuldfähigkeit erheblich beeinträchtigenden schweren
seelischen Abartigkeit bewertet werden. Dies gilt besonders dann, wenn es
sich um die Beurteilung kaum meßbarer, objektiv schwer darstellbarer Befunde
und Ergebnisse wie bei einer Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typus
handelt. Die Ausführungen der Strafkammer sind so knapp und allgemein
gehalten, daß sich nicht zuverlässig beurteilen läßt, ob die Störung den für die
sichere Annahme des § 21 StGB erforderlichen Schweregrad erreicht.
Die Frage der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen
Krankenhaus bedarf deshalb neuer Prüfung und Entscheidung. Dabei wird der
neue Tatrichter zu berücksichtigen haben, daß nach ständiger Rechtsprechung
nicht pathologisch bedingte Störungen nur dann Anlaß für eine Unterbringung
nach § 63 StGB sein können, wenn sie in ihrem Gewicht den krankhaften seelischen
Störungen entsprechen (vgl. BGHSt 34, 22, 28; 37, 397, 401).
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