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BGH, Beschluss vom 13. November 2007 - 3 StR 341/07


Entscheidungstext  
 
BGH, Beschl. v. 13.11.2007 - 3 StR 341/07
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 341/07
vom
13.11.2007
in der Strafsache
gegen
wegen sexueller Nötigung u. a.
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. a), 4. auf dessen Antrag - am 13.11.2007 gemäß §§ 44, 46, 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Der Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Anbringung von Verfahrensrügen wird zurückgewiesen.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stade vom 18. Januar 2007
a) in der Entscheidungsformel zur Tat B I. der Urteilsgründe dahin geändert, dass der Angeklagte wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit Körperverletzung und Freiheitsberaubung nach Auflösung der durch Beschluss des Amtsgerichts Lüneburg vom 7. September 2005 gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe unter Einbeziehung der Strafen aus den Urteilen des Landgerichts Lüneburg vom 14. Februar 2005, des Amtsgerichts Hamburg-Harburg vom 6. September 2004 und des Amtsgerichts Frankenthal vom 24. September 2004 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt wird;
b) im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-
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tels und die den Nebenklägerinnen hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
4. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung (Tat B I. der Urteilsgründe) "unter Einbeziehung des Beschlusses des Amtsgerichts Lüneburg vom 07. September 2005, Az.: 15 Cs 1103 Js 18334/04 nach Auflösung der dort gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe" zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und gegen ihn wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (Tat B II. der Urteilsgründe) eine weitere Freiheitsstrafe von drei Jahren verhängt. Außerdem hat es die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Die gegen dieses Urteil gerichtete Revision des Angeklagten hat einer seiner beiden Verteidiger, Rechtsanwalt W. , innerhalb der Frist des § 345 Abs. 1 StPO mit der Sachrüge begründet. Nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist hat der Angeklagte durch Rechtsanwalt W. und seinen weiteren Verteidiger, Rechtsanwalt M. , die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung von Verfahrensrügen beantragt, weil er insoweit die Frist unverschuldet versäumt habe.
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1. Die Wiedereinsetzungsgesuche sind unzulässig, da die Revision des Angeklagten infolge der rechtzeitig erhobenen Sachrüge frist- und formgerecht
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begründet worden ist (BGHSt 1, 44; BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 3, 7). In solchen Fällen kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung von Verfahrensrügen nur ausnahmsweise bei besonderen Verfahrenslagen in Betracht, in denen dies zur Wahrung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) unerlässlich erscheint (vgl. BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 8; BGH, Beschl. vom 15. März 2001 - 3 StR 57/01; Beschl. vom 25. September 2007 - 1 StR 432/07). Eine solche Ausnahmesituation liegt nicht vor. Hieran ändert es auch nichts, dass der Angeklagte von zwei Rechtsanwälten verteidigt wird, von denen einer rechtzeitig die Sachrüge erhoben und der andere die Revisionsbegründungsfrist für die Anbringung der Verfahrensrügen versäumt hat. Denn bei der Revision des Angeklagten handelt es sich unabhängig von der Anzahl der Verteidiger um ein einheitliches Rechtsmittel mit einer einheitlichen Begründungsfrist (§ 37 Abs. 2 StPO; vgl. BGHR StPO § 345 Abs. 1 Fristbeginn 4).
2. Der Schuldspruch zur Tat B I. der Urteilsgründe hält sachlichrechtlicher Prüfung nicht in vollem Umfang stand. Hierzu hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführt:
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"Nach den Feststellungen umfasste der Angeklagte den Hals der Geschädigten mit beiden Händen und drückte zu. Die Zeugin empfand hierbei Todesangst, da sie keine Luft mehr bekam, allerdings lockerte der Angeklagte nach kurzer Zeit den Griff um den Hals (zu allem UA S. 10). Mit diesen Feststellungen sind die Voraussetzungen des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB nicht dargetan. Zwar kann festes Würgen am Hals geeignet sein, eine Lebensgefährdung herbei zu führen, doch reicht insoweit nicht jeder Griff aus, ebenso wenig bloße Atemnot (BGH StV 1993, 26; NJW 2002, 3264 f.). Von maßgeblicher Bedeutung sind demnach Dauer und Stärke der Einwirkung, die abstrakt geeignet sein
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muss, das Leben des Opfers zu gefährden. Solche Umstände, wie etwa das Abschnüren der Halsschlagader, der Bruch des Kehlkopfknorpels oder massive Würgemerkmale (BGHR StGB § 223 a Abs. 1 a.F. Lebensgefährdung 7, 8) weisen die Feststellungen nicht auf. Solche wären auch in einer neuen Hauptverhandlung nicht zu erwarten, so dass der Schuldspruch insoweit auf Körperverletzung nach § 223 StGB abzuändern ist."
Dem schließt sich der Senat an und ändert den Schuldspruch entsprechend ab.
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Im Übrigen lassen weder Schuld- noch Strafausspruch einen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erkennen. Insbesondere hat auch die Einzelstrafe für die Tat B I. der Urteilsgründe Bestand; denn der Senat kann ausschließen, dass das Landgericht auf eine niedrigere Strafe aus dem Strafrahmen des § 177 Abs. 1 StGB erkannt hätte, wenn es das tateinheitlich zu der sexuellen Nötigung und der Freiheitsberaubung hinzu tretende Körperverletzungsdelikt rechtlich zutreffend nur als solches nach § 223 Abs. 1 StGB gewertet hätte. Er hat jedoch den Ausspruch über die mit dieser Einzelstrafe nachträglich zu bildende Gesamtstrafe neu gefasst.
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3. Aufzuheben ist indessen die auf § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB gestützte Anordnung der Sicherungsverwahrung. Die Ausführungen des Landgerichts belegen nicht, dass der Angeklagte infolge eines Hangs zu erheblichen Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich ist (§ 66 Abs. 3 Satz 2, Abs. 1 Nr. 3 StGB).
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a) "Hang" im Sinne dieser Bestimmung ist ein eingeschliffener innerer Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Hangtäter ist danach derjenige, der dauernd zu Straftaten entschlossen ist oder der aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung immer wieder straffällig wird, wenn
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sich die Gelegenheit dazu bietet (st. Rspr.; vgl. u. a. BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 1, 11). Das Vorliegen eines solchen Hanges hat der Tatrichter unter sorgfältiger Gesamtwürdigung aller für die Beurteilung der Persönlichkeit des Täters und seiner Taten maßgebenden Umstände darzulegen (BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 8). Die von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB darüber hinaus vorausgesetzte ungünstige Prognose erfordert die bestimmte Wahrscheinlichkeit, dass von dem Täter wegen seines Hangs weitere erhebliche rechtswidrige Taten ernsthaft zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Diese Beurteilung ist keine allein empirische (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl. § 66 Rdn. 22). Notwendig ist vielmehr eine rechtliche Gesamtbewertung der Persönlichkeit des Angeklagten, der Symptom- und Anlasstaten unter Einbeziehung aller objektiven und subjektiven Umstände, aus welchen sich Anhaltspunkte für die Beurteilung der Gefährlichkeit ergeben (vgl. BGH NStZ-RR 2005, 232, 233 f.).
b) Diesen Anforderungen genügt die angefochtene Entscheidung nicht.
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Die Strafkammer hat ausgeführt, der Sachverständige habe sein Gutachten unter Anwendung des sog. SVR 20 erstattet, bei dem es sich um ein spezifisches Instrument zur Einschätzung des Risikos sexueller Gewalt handele. Von den insgesamt 20 Items des Prognoseinstruments könnten bei dem Angeklagten neun beurteilt werden. Von diesen lägen acht vor. Diese sprächen für ein signifikant erhöhtes Rückfallrisiko hinsichtlich der Begehung neuerlicher sexuell motivierter Gewalttaten. Der Sachverständige sei deshalb zu dem Ergebnis gekommen, der Angeklagte sei auf dieser Grundlage als gefährlich einzustufen, wobei es sich allerdings nur um ein rein statisches Risiko handele. Nach seinen Darlegungen sei zur individuellen Bewertung der Rückfallgefahr des Angeklagten allerdings die Beurteilung der Gesamtpersönlichkeit erforderlich.
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Hiervon ausgehend hat das Landgericht festgestellt, dass der Angeklagte den Hang habe, erhebliche Straftaten zu begehen, und aus diesem Grund für die Allgemeinheit gefährlich sei. Dabei hat die Strafkammer die acht statischen Risikofaktoren als ausreichend angesehen, um sich vom Vorliegen eines Hangs zu überzeugen. Auch ohne nähere Feststellungen zu den nicht statischen Faktoren, die insbesondere die Persönlichkeit des Angeklagten ausmachten, ergebe das Gesamtbild einen gefährlichen, zur Selbstkontrolle unfähigen Angeklagten.
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Diese Ausführungen vermögen die materiellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 3 Satz 2, Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht hinreichend zu belegen. Dabei kann offen bleiben, ob der methodische Ansatz des Landgerichts, aus einer Gefährlichkeitsprognose auf den Hang des Täters zu schließen, überhaupt mit den gesetzlichen Vorgaben des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB vereinbar ist (s. näher Tröndle/Fischer aaO § 66 Rdn. 186 ff. m. w. N.).
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aa) Schon die Gefährlichkeitsprognose des Landgerichts ist nicht nachvollziehbar. Obwohl der gehörte Sachverständige unter Anwendung des sog. SVR 20 nur eine auf rein statischen Merkmalen beruhende Prognose abgegeben und sich insoweit nicht zu einer individuellen Beurteilung des Angeklagten in der Lage gesehen hat, hat das Landgericht dessen Gefährlichkeit bejaht und hierdurch auch den Hang des Angeklagten zu erheblichen Straftaten bestätigt gesehen. Die Ausführungen des Landgerichts lassen indes nicht erkennen, dass es seine Würdigung auf empirischer Ebene auf Anknüpfungstatsachen gestützt hat, die der Sachverständige unberücksichtigt gelassen hat, oder dass es über hinreichende eigene Sachkunde verfügt, um auf identischer Tatsachenbasis weitergehende Schlüsse ziehen zu können. Die Strafkammer hätte jedoch im Einzelnen darlegen müssen, aus welchen Gründen sie gemeint hat,
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im Gegensatz zu dem Sachverständigen eine fundierte Prognose unter Einbeziehung der wesentlichen individuellen Merkmale in der Person des Angeklagten treffen zu können; dies gilt insbesondere deswegen, weil sie selbst ausgeführt hat, dass gerade die nicht statischen Faktoren, zu deren Beurteilung sich der Sachverständige außerstande gesehen hat, die Persönlichkeit des Angeklagten ausmachen.
bb) Die auf die Ausführungen des Sachverständigen aufbauenden Erwägungen des Landgerichts zu den statischen Risikofaktoren unterliegen aber auch schon für sich rechtlichen Bedenken.
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Denn zum einen werden diese Faktoren teilweise auf Sachverhaltsannahmen gestützt, die von den getroffenen Feststellungen nicht oder jedenfalls nicht in vollem Umfang gedeckt sind. So hat der Sachverständige bei dem Angeklagten eine "nicht sexuelle gewalttätige Vordelinquenz" festgestellt, obwohl die Vorstrafen ganz überwiegend Diebstahls- oder Betrugstaten betreffen und die mitgeteilten Sachverhalte keine Gewalthandlungen des Angeklagten erkennen lassen. Soweit der Sachverständige daneben "gewaltfreie Vordelikte" als weiteren, für die Prognose ungünstigen Faktor angenommen hat, wird nicht deutlich, ob er angemessen berücksichtigt hat, dass die Vordelinquenz des Angeklagten keine Sexualstraftaten betrifft. Die Wertung des Sachverständigen, es liege eine "hohe Frequenz" an Straftaten vor, ist im Hinblick darauf, dass der Angeklagte lediglich wegen zweier einschlägiger Delikte verurteilt worden ist, die zudem noch im Abstand von mehr als einem Jahr begangen wurden, jedenfalls nicht ohne weiteres nachvollziehbar. Ein "früheres Bewährungsversagen" lässt sich lediglich für die zweite hier abgeurteilte Tat nachvollziehen, die während der durch Beschluss des Amtsgerichts Lüneburg vom 7. September 2005 festgesetzten Bewährungsfrist begangen wurde.
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Zum anderen hat das Landgericht in unzulässiger Weise ein prozessual zulässiges Verteidigungsverhalten des Angeklagten bei der Prognoseentscheidung gemäß § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB zu seinem Nachteil gewertet. Es hat seine Beurteilung zwar nicht darauf gestützt, dass der Angeklagte die zweite Tat insgesamt geleugnet hat; jedoch hat es als achten Risikofaktor berücksichtigt, dass der Angeklagte die erste Tat nicht in vollem Umfang eingeräumt, sie vielmehr "bagatellisiert" hat. Ein solches teilweises Bestreiten des Anklagevorwurfs ist jedoch prozessual ebenso erlaubt wie das vollständige Leugnen der dem Angeklagten zur Last gelegten Tat. Aus ihm darf deshalb im Rahmen des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB kein Schluss zu Lasten des Angeklagten gezogen werden (vgl. BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 4; Tröndle/Fischer aaO § 66 Rdn. 27).
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Die Anordnung der Maßregel bedarf mithin neuer Prüfung und Entscheidung.
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