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BGH, Beschluss vom 13. Oktober 2005 - 5 StR 394/05


Entscheidungstext  
 
BGH, Beschl. v. 13.10.2005 - 5 StR 394/05
5 StR 394/05
(alt: 5 StR 239/04)
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom
13.10.2005
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u. a.
- 2 -
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13.10.2005
beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Potsdam vom 20.05.2005 wird nach § 349 Abs. 4
StPO im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen
aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als
unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels,
an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
Mit Beschluss vom 24. November 2004 (BGHR StGB § 24 Abs. 1
Satz 1 Rücktritt 10 - „russisches Roulette“) hatte der Senat die Verurteilung
des Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher
Körperverletzung und mit unerlaubtem Führen einer Schusswaffe zu sechs
Jahren Freiheitsstrafe und Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wegen
nicht tragfähiger Ablehnung eines Rücktritts vom Totschlagsversuch mit den
Feststellungen aufgehoben. Nunmehr hat das Landgericht dem Angeklagten
bei im wesentlichen gleichen Feststellungen zur Tat (vgl. BGHR aaO) einen
strafbefreienden Rücktritt vom Totschlagsversuch zugebilligt; es hat ihn wegen
gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung und
mit unerlaubtem Führen einer Schusswaffe zu einer Freiheitsstrafe von drei
Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie seine Unterbringung in einem
- 3 -
psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die mit der Sachrüge begründete
Revision des Angeklagten ist zum Schuld- und Strafausspruch unbegründet
im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Die von der Revision zutreffend beanstandete
unrichtige Bestimmung der Strafrahmenuntergrenze (drei Monate statt -
richtig - ein Monat) hat sich auf die Bemessung der Strafe ersichtlich nicht
ausgewirkt. Indes hat das Rechtsmittel hinsichtlich des Maßregelausspruchs
Erfolg.
Aufgrund des Gutachtens des psychiatrischen Sachverständigen hat
das Landgericht, für sich rechtsfehlerfrei, einen gesicherten Zustand erheblich
verminderter Steuerungsfähigkeit des bei der Begehung der Tat mit möglicherweise
bis zu 3,2 ‰ stark alkoholisierten Angeklagten festgestellt. Dem
psychiatrischen Sachverständigen folgend ist das Landgericht von einer
schweren seelischen Abartigkeit des Angeklagten aufgrund der Kombination
von Persönlichkeitsstörung und Alkoholabhängigkeit ausgegangen. Diagnostiziert
wurde unter Zitat von Diagnoseschlüsseln aus dem ICD-10 eine „ausgeprägte
emotionale instabile Persönlichkeitsstörung“, bei der die Kriterien
des „impulsiven Typs“ und des „Borderline-Typs“ gleichermaßen erfüllt seien;
gleichzeitig bestehe ein „depressives Syndrom“ und ein „Abhängigkeitssyndrom
von Alkohol“. Die Persönlichkeitsstörung sei schwer und ausgeprägt,
sei überdauernd, umfasse alle Lebensbereiche des Angeklagten und gestalte
diese. In ihr liege auch eine ganz erhebliche Ursache für die Alkoholabhängigkeit
des Angeklagten, die ihrerseits wiederum die Persönlichkeitsstörung
verstärke. Die Tat stehe mit der Persönlichkeitsstörung in engem Zusammenhang.
Infolge der Persönlichkeitsstörung genügten geringe Mengen Alkohol,
um die Impulskontrolle des Angeklagten stark herabzusetzen. Ähnlich
erhebliche Taten wie die hier abgeurteilte seien aufgrund seines Zustandes
jederzeit wieder möglich. Diese Begründung des Landgerichts reicht letztlich
zum Beleg der Voraussetzungen der schwerwiegenden Maßregel nach § 63
StGB gegen den bislang nicht besonders gravierend strafrechtlich vorbelasteten
Angeklagten nicht aus.
- 4 -
Der Bundesgerichtshof hat die Verhängung dieser Maßregel in Fällen
ähnlicher Persönlichkeitsbefunde, gerade auch in Verbindung mit Alkoholmissbrauch
und -abhängigkeit, wiederholt beanstandet (vgl. nur BGHR StGB
§ 63 Zustand 18, 24, 30, 34; BGH NStZ 2004, 197; BGH, Beschlüsse vom
20. Mai 2003 - 4 StR 174/03, 9. Juni 2004 - 5 StR 203/04, 13. Juli 2004
- 4 StR 548/03 und 2. Dezember 2004 - 4 StR 452/04). Dies lag vorwiegend
an der vielfach mehr oder weniger vagen Diagnose einer Persönlichkeitsstörung;
in diesem Bereich besteht die Gefahr, dass Eigenschaften und Verhaltensweisen,
die sich noch innerhalb der Bandbreite des Verhaltens uneingeschränkt
schuldfähiger Menschen bewegen, zu Unrecht als Symptome einer
die Schuldfähigkeit - zudem gesichert - erheblich beeinträchtigenden seelischen
Abartigkeit bewertet werden.
Allerdings liegt hier angesichts des besonders auffälligen Tatverhaltens
des Angeklagten und der vom Landgericht festgestellten Besonderheiten
in seinem Lebenslauf die Annahme eines Befundes nicht ganz fern, auf
Grund dessen nach den Grundsätzen von BGHSt 44, 338 (vgl. auch BGHR
StGB § 63 Zustand 12, 35 und 36; BGH NStZ 1998, 191) die Unterbringung
in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB tragfähig zu begründen
wäre. Indes sieht sich der Senat letztlich zu einem dahingehenden Verständnis
des Gesamtzusammenhangs der Urteilsgründe nicht in der Lage.
Der Angeklagte lebte nicht nur zu Zeiten seines früheren auffälligen Verhaltens
in seiner Heimat sondern auch nach seiner Einreise als Asylbewerber
und auch zur Tatzeit jeweils unter besonders bedrückenden Lebensumständen,
die aggressive und insbesondere auch selbstzerstörerische Verhaltensweisen
wie auch Suchtverhalten erklärlich machen; daher lassen sich
aus solchem Verhalten bei ihm nicht ohne weiteres gesteigerte Indizien für
erhebliche psychische Defekte ableiten. Zudem lässt die schon für sich eher
knappe Begründung der Maßregel eine Auseinandersetzung mit der Frage
vermissen, aus welchem Grunde nach der Begutachtung des Angeklagten
durch denselben psychiatrischen Sachverständigen eine Anordnung nach
§ 63 StGB im ersten Urteil unterblieben war. Allein die - für sich rechtsfehler-
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freie, von einem neuen Tatgericht indes neu zu beurteilende - mangelnde
Aussicht des Erfolgs einer Suchtbehandlung nach § 64 StGB macht eine
derartig unterschiedliche Beurteilung allein nicht ohne weiteres erklärlich.
Über den Maßregelausspruch ist daher erneut zu befinden. Dabei wird
es unter Beachtung der genannten Grundsätze der Prüfung bedürfen, ob die
erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Tatbegehung
gesichert auf einen schweren und dauerhaften psychischen Defekt
des Angeklagten zurückzuführen ist und nicht etwa maßgeblich nur auf Alkoholmissbrauch
beruhen kann. Dass die gebotene erneute Prüfung zur Annahme
der Voraussetzungen des § 20 StGB führen könnte, ist angesichts
der bisherigen überzeugenden Begründung, die auf ein trotz aller Ungewöhnlichkeit
verhältnismäßig differenziertes Tatvorgehen abstellt, sicher auszuschließen.
Die neue Sachentscheidung obliegt nunmehr, da kein Schuldspruch
wegen eines Kapitalverbrechens (§ 74 Abs. 2 GVG) erfolgt ist, einer
allgemeinen Strafkammer. Nach der erheblichen Dauer der bisherigen Untersuchungshaft,
die eine besonders beschleunigte Förderung des weiteren
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Verfahrens gebietet, sind für den Fall einer erneuten Anordnung der Maßregel
Erwägungen zu § 67 Abs. 2 StGB obsolet geworden.
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