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BGH, Beschluss vom 14. April 2004 - 4 StR 32/04


Entscheidungstext  
 
BGH, Beschl. v. 14.4.2004 - 4 StR 32/04
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 32/04
vom
14.4.2004
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge u.a.
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 14.04.2004 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
Landgerichts Stralsund vom 14. Oktober 2003 mit den
Feststellungen, ausgenommen derjenigen zu den einzelnen
Verkäufen von Betäubungsmitteln, aufgehoben,
a) soweit er in den Fällen II 1 bis 207 der Urteilsgründe
verurteilt worden ist,
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe und die Maßregelanordnung.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens
mit Betäubungsmitteln in 206 Fällen, wegen unerlaubten Handeltreibens
mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen, wegen unerlaub-
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ten Erwerbs von Betäubungsmitteln und wegen gefährlicher Körperverletzung
in Tateinheit mit Nötigung und mit Diebstahl zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von
fünf Jahren und drei Monaten verurteilt; im übrigen hat es ihn freigesprochen.
Außerdem hat es eine Maßregel nach § 64 StGB verhängt und den Vorwegvollzug
von einem Dritten der erkannten Strafe angeordnet.
Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und
materiellen Rechts rügt, hat mit der Sachrüge in dem aus der Beschlußformel
ersichtlichen Umfang Erfolg; im übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349
Abs. 2 StPO.
1. Die Verfahrensrüge entspricht nicht der Form des § 344 Abs. 2 Satz 2
StPO und ist daher unzulässig.
2. Soweit der Angeklagte in den Fällen II 208 bis 213 der Urteilsgründe
verurteilt worden ist, hat die Nachprüfung aufgrund der Revisionsrechtfertigung
weder zu den Schuldsprüchen noch zu den verhängten Einzelstrafen Rechtsfehler
zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
3. Dagegen begegnet die Verurteilung im übrigen (Fälle II 1 bis 207 der
Urteilsgründe) durchgreifenden rechtlichen Bedenken, weil das Landgericht die
hier gebotene Prüfung von Bewertungseinheiten unterlassen hat.
a) Nach den Feststellungen veräußerte der Angeklagte in der Zeit von
Anfang Mai bis Ende Dezember 2002 in 207 Fällen Heroin an verschiedene
Abnehmer, um dadurch sein Einkommen aufzubessern und auch seinen eigenen
Drogenkonsum zu finanzieren. In 202 dieser Fälle verkaufte er Kleinmen-
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gen von 0,5 bis 2 Gramm Heroin an seine Abnehmer, in vier Fällen (II 202,
203, 205 und 206 der Urteilsgründe) Mengen zwischen drei und neun Gramm;
nur in einem Fall (II 207 der Urteilsgründe) waren es 20 Gramm Heroin und
damit eine nicht geringe Menge.
Das Heroin erwarb er im wesentlichen in Berlin, wohin er sich in der Zeit
von Mai bis Ende September 2002 regelmäßig von dem gesondert Verfolgten
E. mit dem Auto fahren ließ, teilweise fuhr er auch mit dem Zug dorthin oder
erwarb das Heroin bei einem Lieferanten in der Umgebung. Das erworbene
Rauschgift lagerte er in seiner Wohnung in Stralsund [UA 6]. Ab Ende November
2002 kaufte er bei neuen Lieferanten ein, und zwar bis Dezember 2002
dreimal jeweils 50 g Heroin (Fälle II 210 bis 212 der Urteilsgründe).
b) Diese Feststellungen tragen die Verurteilung wegen 207 Einzeltaten
nicht.
Das Landgericht hat bei der rechtlichen Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses
zwischen den einzelnen Verkaufsgeschäften nicht erkennbar bedacht,
daß nach ständiger Rechtsprechung sämtliche Betätigungen, die sich
auf den Vertrieb derselben, in einem Akt erworbenen Betäubungsmittelmenge
beziehen, als eine Tat des unerlaubten Handeltreibens anzusehen sind, weil
bereits der Erwerb und der Besitz von Betäubungsmitteln, die zum Zweck gewinnbringender
Weiterveräußerung bereitgehalten werden, den Tatbestand
des Handeltreibens in bezug auf die Gesamtmenge erfüllen. Zu dieser Tat gehören
als unselbständige Teilakte im Sinne einer Bewertungseinheit auch die
späteren Veräußerungsgeschäfte, soweit sie dasselbe Rauschgift betreffen
(vgl. BGHSt 30, 28, 31; 31, 163, 165).
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Zwar ist es nicht geboten, festgestellte Einzelverkäufe zu einer Bewertungseinheit
zusammenzufassen, nur weil die nicht näher konkretisierte Möglichkeit
besteht, daß sie ganz oder teilweise aus einem Vekaufsvorrat stammen
(vgl. BGHR BtMG § 29 Bewertungseinheit 11, 13 m.w.N.). Hier ergeben sich
jedoch konkrete Anhaltspunkte dafür, daß die zahlreichen Einzelverkäufe mehreren
größeren Erwerbsmengen entstammen: Der Angeklagte hat eine Vielzahl
von kleinen Betäubungsmittelmengen verkauft, wobei sich die einzelnen Verkäufe
an unterschiedliche Abnehmer zeitlich überschnitten; bei den mit Aufwand
verbundenen Beschaffungsfahrten nach Berlin konnte der Angeklagte
nur dann sein Ziel, sich aus dem Betäubungsmittelhandel eine fortlaufende
Einnahmequelle zu erschließen, erreichen, wenn er jeweils eine größere Menge
Heroin kaufte; nach dem Wechsel der Lieferanten erwarb er innerhalb weniger
Wochen dreimal jeweils 50 Gramm Heroin, das überwiegend zum gewinnbringenden
Weiterverkauf bestimmt war.
Die Strafkammer hätte sich deshalb um Feststellungen zu Zahl und Frequenz
der Einkäufe sowie die Zuordnung der einzelnen Verkäufe zu ihnen bemühen
müssen. Vor allem hätte sie aufklären müssen, ob - was nicht fern
liegt - die ab Ende November 2002 erfolgten Verkäufe ganz oder teilweise aus
den von den neuen Lieferanten erworbenen Heroinmengen erfolgten. Dies wird
der neu entscheidende Tatrichter nachzuholen haben. Für den Fall, daß sich
solche Feststellungen bei angemessenem Aufklärungsaufwand nicht treffen
lassen, wird er eine an den Umständen des Falles orientierte Schätzung vorzunehmen
haben (vgl. BGH NStZ 2002, 438, 439).
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Die Feststellungen zu den Einzelverkäufen sind rechtsfehlerfrei getroffen
worden; sie bleiben daher aufrechterhalten.
4. Die Aufhebung der Verurteilung in den Fällen II 1 bis 207 führt zum
Wegfall der insoweit verhängten Einzelstrafen. Dies entzieht auch dem Gesamtstrafenausspruch
die Grundlage.
Der Senat hebt auch die Maßregelanordnung auf, um mögliche Widersprüche
zu den neu zu treffenden Feststellungen auszuschließen. Sollte der
neue Tatrichter wiederum eine Unterbringung nach § 64 StGB anordnen, wird
er zu bedenken haben, daß eine Abweichung von der gesetzlich regelmäßig
vorgesehenen Vollstreckungsreihenfolge nach § 67 Abs. 1 StGB besonderer
Begründung bedarf (vgl. BGHR StGB § 67 Abs. 2 Vorwegvollzug, teilweiser 16;
vgl. auch Tröndle/Fischer StGB 51. Aufl. § 67 Rdn. 4 bis 8 m.w.N.).
Maatz Kuckein Athing
Solin-Stojanovi Sost-Scheible


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