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BGH, Beschluss vom 14. Juli 2005 - 4 StR 135/05


Entscheidungstext  
 
BGH, Beschl. v. 14.7.2005 - 4 StR 135/05
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 135/05
vom
14.7.2005
in der Strafsache
gegen
wegen Unterbringung
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 14.07.2005 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
Landgerichts Arnsberg vom 20. Dezember 2004 mit den
Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung
des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus
angeordnet worden ist; jedoch bleiben die Feststellungen
zum Tatgeschehen bestehen.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des fahrlässigen
Vollrausches (§ 323 a StGB i.V.m. §§ 113, 223 StGB) wegen nicht auszuschließender
Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) freigesprochen und seine Unterbringung
in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die die Maßregelanordnung
betreffende Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge im
wesentlichen Erfolg.
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Der Angeklagte hat die ihm vorgeworfene Tat im August 2003 begangen,
wobei seine Steuerungsfähigkeit infolge eines hirnorganischen Psychosyndroms
sowie einer schizophrenen Psychose erheblich vermindert, möglicherweise
sogar aufgehoben war, ohne daß es insoweit auf den Grad seiner
alkoholischen Beeinflussung von 2,4 ‰ zur Tatzeit ankam [UA 8, 15].
Die Feststellungen zum Tatgeschehen weisen keinen Rechtsfehler auf.
Die Annahme erheblich verminderter, möglicherweise sogar ausgeschlossener
Schuldfähigkeit begegnet ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken. Ohne
Rechtsfehler ist das Landgericht ferner davon ausgegangen, daß die für die
Anordnung der Unterbringung nach § 63 StGB weitere Voraussetzung eines
fortdauernden Zustandes beim Angeklagten gegeben ist.
Gleichwohl hat der Maßregelausspruch keinen Bestand, weil die Strafkammer
die für eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus vorausgesetzte
Gefährlichkeitsprognose nicht ausreichend begründet hat.
Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist eine außerordentlich
beschwerende Maßnahme. Deshalb darf sie nur angeordnet werden,
wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, daß der Täter
infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten
begehen werde (vgl. BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 11 und 26). Diese
Voraussetzung hat das Landgericht, dem Sachverständigen folgend, für gegeben
angesehen. Zur Begründung hat es ausgeführt, daß infolge des fortdauernden
Zustandes des Angeklagten "massiv aggressive Entgleisungen zum
Nachteil von Unbeteiligten" [UA 16] - wie bei der vorliegenden Anlaßtat - wahrscheinlich
seien, da es eher durch Zufall zu erklären sei, daß bisher nicht mehr
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passiert sei. Für die Gefährlichkeit komme es nicht entscheidend darauf an,
daß der Angeklagte in der Vergangenheit trotz bestehender Erkrankung noch
keine schwerwiegenden Straftaten begangen habe. Im übrigen hätten auch die
bisher meist ohne Tätlichkeiten ausgetragenen Streitigkeiten zu einem Angriff
des Angeklagten führen können. Schließlich hat die Strafkammer ihre Prognose
auch darauf gestützt, daß der Angeklagte infolge seines Anfallsleidens mit
hoher Wahrscheinlichkeit künftig erneut als hilfslose Person in ein Krankenhaus
verbracht werden müsse und es wahrscheinlich sei, daß es dort zu massiven
Ausschreitungen kommen könnte, die keinesfalls immer so glimpflich wie
in der Vergangenheit enden müßten.
Abgesehen davon, daß die letztere Erwägung nur eine Vermutung darstellt,
belegt die Begründung des Landgerichts auch im übrigen lediglich die
bloße Möglichkeit, nicht jedoch die vom Gesetz vorausgesetzte bestimmte
Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer erheblicher rechtswidriger Taten.
Trotz seiner Erkrankung, die bereits bei seiner Übersiedlung nach Deutschland
im Jahre 1993 bestanden hat, hat der Angeklagte bisher keine erheblichen
rechtswidrigen Taten begangen; denn auch die Widerstandshandlungen im
Oktober 1998 und August 2002 erschöpften sich in der Bedrohung der eingesetzten
Polizeibeamten beziehungsweise darin, daß der Angeklagte auf die
Beamten zuging, obwohl sie ihn zum Stehenbleiben aufgefordert hatten.
Daß der Täter trotz bestehenden Defekts lange Zeit keine Straftaten begangen
hat, ist ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger
gefährlicher Straftaten (vgl. BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 27). Unter Umständen
kann allerdings schon die erste Straftat die Gefährlichkeit des Täters
für die Allgemeinheit belegen; jedoch bedarf die Gefährlichkeitsprognose dann
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besonderer Prüfung, wenn es sich - wie hier - um eine eher geringfügige Anlaßtat
handelt (vgl. Tröndle/Fischer StGB 52. Aufl. § 63 Rdn. 14 m.w.N.). Diesen
Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht; insbesondere
läßt es Ausführungen dazu vermissen, warum künftig erhebliche rechtswidrige
Taten zu erwarten seien. Das vom Angeklagten während der Unterbringung
gezeigte Verhalten kann, wie das Landgericht nicht verkannt hat, nur eingeschränkt
bei der Prognoseentscheidung berücksichtigt werden (vgl. BGHR
StGB § 63 Gefährlichkeit 26); es beschränkte sich auf Beschimpfungen der
behandelnden Ärztin und verbale Drohungen gegenüber einem Pfleger und
hatte seine Ursache in der durch die Unterbringung bestehenden besonderen,
die Kontakte zu Bezugspersonen erschwerenden Situation.
Die Frage der Unterbringung des Angeklagten bedarf daher umfassender
neuer Prüfung.
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