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BGH, Beschluss vom 16. Juli 2008 - 2 StR 161/08


Entscheidungstext  
 
BGH, Beschl. v. 16.7.2008 - 2 StR 161/08
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 161/08
vom
16. Juli 2008
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter Nötigung u. a.
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 16. Juli 2008 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 18. Dezember 2007 aufgehoben, soweit die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden ist; die Maßregel entfällt.
2. Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.
3. Die Entscheidung über die Entschädigung des Angeklagten wegen der teilweise zu Unrecht erlittenen Untersuchungshaft bzw. einstweiligen Unterbringung bleibt dem Landgericht vorbehalten.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter Nötigung sowie wegen Sachbeschädigung in drei Fällen zu einer zu vollstreckenden Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Revision des Angeklagten, die sich ausweislich der Begründungsschrift allein gegen die Anordnung der Maß-regel richtet, hat mit der Sachrüge Erfolg.
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I.
Nach den Feststellungen leidet der 65-jährige Angeklagte an einer frontotemporalen Demenz verbunden mit einer frontotemporalen Hirnvolumenminderung, die bei ihm mit einer fortschreitenden Wesensänderung einhergeht, mitbedingt durch seinen langjährigen Alkoholkonsum Bei dem Krankheitsbild handelt es sich um ein chronisch progredientes Geschehen. Die Steuerungsfähigkeit ist deshalb dauerhaft eingeschränkt i.S.d. § 21 StGB.
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Der ehemals als selbständiger Unternehmer erfolgreiche Angeklagte zieht seit Juni 2006 als Obdachloser mit dem Rucksack durch die Schweiz, Italien und Deutschland, wobei er in Scheunen, auf Bauernhöfen bzw. bei Freunden übernachtet. Seit 1979 ist er geschieden und hat eine in Mailand lebende erwachsene Tochter. Seit mehreren Jahren schreibt der Angeklagte, der mit der Ehescheidung nicht zurecht kam, beleidigende Briefe an seine geschiedene Ehefrau sowie seine Tochter und belästigt diese mit Besuchen. So wollte er am 27. November 2006 seine Tochter in Italien besuchen, die dem offensichtlich alkoholisierten und ungepflegten Angeklagten nicht öffnete. Darüber erbost versuchte er vergeblich, mit einer Eisenstange die Wohnungseingangstür aufzubrechen und warf schließlich einen Ziegelstein gegen die Tür. Eine Woche später schrieb er seiner Tochter einen Brief, titulierte diese als "böse Hexe" und forderte sie erfolglos auf, binnen 20 Tagen eine Schuld von 50.000 Euro wegen von ihm geleisteten Kindesunterhalts anzuerkennen, anderenfalls er die "fünf Gerechten" zum Eintreiben der Forderung schriftlich ermächtigen werde. Am 30. Januar 2007 warf er schließlich einen Stein in ein Fenster seines väterlichen Elternhauses, das aus seiner Sicht in falsche Hände, nämlich in diejenigen seiner ehemaligen Schwägerin, geraten war. Anschließend beschädigte er aus Verärgerung mit einer Holzlatte einen vor dem Anwesen abgestellten PKW, bis
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ihn eine Nachbarin darauf aufmerksam machte, dass es sich nicht um das Auto seiner ehemaligen Schwägerin handelte.
Seit seiner vorläufigen Festnahme am 5. Mai 2007 befindet sich der Angeklagte zunächst in Untersuchungshaft, später in der einstweiligen Unterbringung.
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II.
Die Feststellungen zum Tatgeschehen weisen keinen Rechtsfehler auf. Die Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit begegnet ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken. Ohne Rechtsfehler ist das Landgericht ferner davon ausgegangen, dass die für die Anordnung der Unterbringung nach § 63 StGB weitere Voraussetzung eines fortdauernden Zustandes beim Angeklagten gegeben ist.
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Gleichwohl hat der Maßregelausspruch keinen Bestand, weil die für eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus vorausgesetzte Gefährlichkeitsprognose nicht zu stellen ist.
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Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist eine außerordentlich beschwerende Maßnahme. Deshalb darf sie nur angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen (BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 11 und 26). Nur schwere Störungen des Rechtsfriedens, die zumindest in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinragen, rechtfertigen eine Unterbringung nach § 63 StGB (BGH NStZ-RR 2005, 303).
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Zutreffend geht das Landgericht zwar in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen davon aus, dass von dem Angeklagten auf Grund seiner
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fortschreitenden Erkrankung auch in Zukunft in Konfliktsituationen vergleichbare "Handlungsverfehlungen" mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind. Allerdings handelt es sich bei den bislang verwirklichten Anlasstaten und den zu erwartenden vergleichbaren Verfehlungen nicht um erhebliche rechtswidrige, für die Allgemeinheit gefährliche Taten. Der bislang nur wegen Bagatelldelikten vorbestrafte 65-jährige Angeklagte hat auch bei den jetzt angeklagten Vorfällen Gewalt nur gegen Sachen verübt und eine wenig ernst zu nehmende Drohung - "die Beauftragung der fünf Gerechten" - ausgesprochen. Trotz der seit vielen Jahren schwelenden Familienstreitigkeiten ist es in der Vergangenheit niemals zu aggressiven Übergriffen gegen Personen gekommen. Anhaltspunkte für eine zu erwartende Verhaltensänderung werden vom Landgericht weder aufgezeigt noch sind solche ersichtlich. Soweit die Kammer eine tätliche Auseinandersetzung mit einem Mitpatienten in der Klinik für Forensische Psychiatrie in Haina erwähnt, versäumt sie es, diesen Vorfall in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Weise in den Urteilsgründen darzustellen; zudem sind Verhaltensweisen innerhalb einer sozial-therapeutischen Einrichtung nicht ohne Weiteres solchen Handlungen gleichzusetzen, die ein Täter außerhalb einer Betreuungseinrichtung begeht (BGH DAR 1999, 196 m.w.N.).
Da weitere Feststellungen, die für die Beurteilung der Gefährlichkeitsprognose bedeutsam werden könnten, nicht zu erwarten sind, entscheidet der Senat in der Sache selbst; er bestimmt, dass der Maßregelausspruch entfällt.
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Mit dem Maßregelausspruch ist auch die Grundlage für die einstweilige Unterbringung (§ 126 a StPO) entfallen. Die gegen den Angeklagten verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten ist bereits durch die Anrechnung der seit dem 5. Mai 2007 andauernden Vollstreckung von Untersuchungshaft oder einstweiliger Unterbringung verbüßt. Der Senat hat deshalb mit gesondertem
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Beschluss vom heutigen Tage den Unterbringungsbefehl gemäß § 126 a Abs. 2 Satz 1, § 126 Abs. 3 StPO i.V.m. § 120 Abs. 1 StPO aufgehoben.
III.
Die gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 2 StrEG nach Billigkeitsgesichtspunkten zu treffende Entscheidung über eine Entschädigung des Angeklagten wegen zu Unrecht erlittener Untersuchungshaft bzw. einstweiliger Unterbringung bleibt dem Landgericht vorbehalten. Dieses wird nach einer Strafzeitberechnung und nach Anhörung der Beteiligten darüber zu befinden haben, ob und in welchem Umfang eine Entschädigung zu gewähren ist.
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Rissing-van Saan Rothfuß Roggenbuck
Appl Schmitt



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