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BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2003 - 2 StR 331/03


Entscheidungstext  
 
BGH, Beschl. v. 17.12.2003 - 2 StR 331/03
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 331/03
vom
17.12.2003
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts am 17.12.2003 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Bonn vom 7. März 2003 mit den zugehörigen Feststellungen
aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte im Fall 4 der Urteilsgründe wegen
versuchten Mordes verurteilt wurde;
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels,
an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes, versuchten
Totschlags, Erwerbs einer vollautomatischen Selbstladewaffe, gefährlicher
Körperverletzung und wegen Ausübens der tatsächlichen Gewalt über
eine Schußwaffe in einer Gaststätte in zwei Fällen, davon einmal in Tateinheit
mit gefährlicher Körperverletzung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn
Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt sowie
die Einziehung von Waffen und Munition angeordnet. Seine Revision hat mit
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der Sachrüge in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg;
im übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Verurteilung wegen versuchten Mordes im Fall 4 der Urteilsgründe
hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand, da die Annahme eines zumindest
bedingten Tötungsvorsatzes von den Feststellungen nicht getragen wird.
Nach den Feststellungen des Landgerichts gab der Angeklagte in diesem
Fall gegen 1.10 Uhr nachts aus Verärgerung über ein ihm erteiltes Lokalverbot
aus einer Maschinenpistole von der Straße aus neun Schüsse auf die
verschlossene Tür einer Gastwirtschaft ab. Dabei erkannte er, daß in dem Lokal
noch Licht brannte, und rechnete aufgrund früherer Besuche damit, daß
sich trotz Versperrens der Außentür um diese Zeit noch Personen in dem Lokal
befanden. Zu den - dem Angeklagten bekannten - räumlichen Gegebenheiten
ist festgestellt, daß sich etwa 1 Meter hinter der Außentür eine Sichtschutzwand
befand; links davon war eine Dartscheibe aufgehängt. Zum Zeitpunkt
der Schußabgabe standen zwei Gäste des Lokals links neben der Sichtschutzwand.
Die Schüsse wurden mit schräg nach unten abfallender Schußrichtung
auf den linken Türbereich abgegeben. Fünf Projektile durchschlugen
die Außentür und trafen die dahinter stehende Sichtschutzwand; von einem
Querschläger oder Holzsplitter wurde ein Gast am Fuß, ein anderer an der
Wange getroffen; beide erlitten leichte Verletzungen. Alsbald nach Schußabgabe
entfernte sich der Angeklagte unerkannt.
Die Annahme eines Tötungsvorsatzes hat das Landgericht darauf gestützt,
der Angeklagte habe gewußt, daß sich hinter der Eingangstür Personen
aufhalten konnten und daß die Dartscheibe neben der Tür aufgestellt war. Es
seien keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß er die Todesgefahr nicht er-
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kannt habe; er habe nicht darauf vertrauen können, daß Personen nicht tödlich
verletzt würden (UA S. 47 f.).
Diese Erwägungen tragen die Annahme eines zumindest bedingten Tötungsvorsatzes
nicht. Die zitierten Formulierungen des Urteils legen eher die
Feststellung eines Gefährdungsvorsatzes oder von grober Fahrlässigkeit nahe
als die Annahme, der Angeklagte habe in hinreichend konkretisierter Form die
tödliche Verletzung einer oder mehrerer Personen für möglich gehalten und
gebilligt. Zwar kann sich bei Einsatz eines äußerst gefährlichen Tatmittels, wie
es eine vollautomatische Schußwaffe zweifellos ist, die Annahme bedingten
Tötungsvorsatzes insbesondere bei unkontrollierbarem Einsatz im Einzelfall
aufdrängen. Dies lag hier jedoch - anders als im Fall 5/6 der Urteilsgründe -
nicht so nahe, daß allein aus der objektiven Gefährlichkeit der Tathandlung auf
den Tötungsvorsatz geschlossen werden konnte. Das Landgericht hat Anhaltspunkte,
die gegen die Annahme eines Tötungsvorsatzes sprechen konnten, bei
der Beweiswürdigung nicht - erkennbar - berücksichtigt. Hierzu zählt der Umstand,
daß die Schüsse mit nach unten gerichteter Zielrichtung abgegeben
wurden. Nicht erörtert ist auch der Umstand, daß dem Angeklagten bewußt
war, daß sich einen Meter hinter der Tür die Sichtschutzwand befand, über deren
Beschaffenheit Feststellungen nicht getroffen sind, daß tödliche Treffer
daher unter Umständen nur dann möglich waren, wenn Projektile von dieser
Wand in den Gastraum abprallten oder sie durchschlugen oder wenn sich Personen
in dem schmalen Raum zwischen Eingangstür und Sichtschutzwand
aufhielten. Beides liegt nicht so nahe, daß entsprechende Vorstellungen des
- aufgrund Alkoholisierung in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigten
- Angeklagten sich von selbst verstehen. Zu berücksichtigen war überdies,
daß der Angeklagte auch im Fall 2 - aus ersichtlich demonstrativen Zwekken
- von außen auf eine bereits geschlossene und leere Gaststätte geschos-
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sen hatte und daß er bereits in der Nacht vor den Schüssen auf die Tür des
Lokals "N." 15 Schüsse auf die - in diesem Fall dunklen - Fenster des
Lokals abgegeben hatte (eingestellter Fall 3 der Urteilsgründe). Wenn er im
Fall 4, nachdem er Licht in den Räumlichkeiten gesehen hatte, nicht (erneut)
auf die Fenster, sondern auf die Außentür schoß, so kann dies gegen das Vorliegen
eines Tötungsvorsatzes sprechen. Der neue Tatrichter wird schließlich
auch zu berücksichtigen haben, daß der Angeklagte in den Fällen, in denen er
unmittelbar mit Personen konfrontiert war (Fall 1, Fall 5/6), vorherige Ankündigungen
des Erschießens gerade nicht verwirklichte.
2. Im übrigen hat die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung
Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht ergeben. Im
Fall 8 der Urteilsgründe ist die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes mit
einer vom Revisionsgericht hinzunehmenden Beweiswürdigung noch hinreichend
begründet.
3. Der neue Tatrichter wird bei der erforderlichen neuen Gesamtstrafenbildung
den Verurteilungen durch das Amtsgericht Königswinter vom 6. Juli
2000 und durch das Amtsgericht Bonn vom 11. September 2001 im Hinblick auf
eine mögliche Zäsurwirkung höhere Aufmerksamkeit zuzuwenden haben.
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Die Zäsurwirkung der Vorverurteilungen würde bei Anwendung des § 53 Abs. 2
Satz 2 StGB nicht entfallen (BGHSt 44, 179, 184; BGH NStZ-RR 2001, 103 f.;
Senatsbeschl. v. 12.11.2003 - 2 StR 294/03).
Bode Otten Rothfuß
Fischer Roggenbuck



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