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BGH, Beschluss vom 19. Januar 2000 - 2 StR 609/99


Entscheidungstext  
 
BGH, Beschl. v. 19.1.2000 - 2 StR 609/99
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 609/99
vom
19. Januar 2000
in der Strafsache gegen
wegen sexueller Nötigung u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 19. Januar 2000 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 27. August 1999
a) im Schuldspruch dahin geändert, daß der Angeklagte der sexuellen Nötigung, der versuchten sexuellen Nötigung in Tateinheit mit versuchtem Raub und der Beleidigung schuldig ist,
b) im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten der "sexuellen Nötigung in drei Fällen, davon in zwei Fällen des Versuchs, sowie der Beleidigung und des versuchten Raubes" schuldig gesprochen und zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt.
Die Revision des Beschwerdeführers führt zur Änderung des Schuldspruchs in dem im Beschlußtenor genannten Umfang und zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs; im übrigen ist sie i.S.v. § 349 Abs. 2 StPO unbegründet.
I.
1. Die Tat vom 28. November 1998 hat das Landgericht rechtsfehlerfrei als sexuelle Nötigung gewertet.
2. Der Vorfall vom 3. Dezember 1998 ist lediglich als Beleidigung zu beurteilen:
Der Angeklagte versuchte zwar die Zeugin an der Schulter festzuhalten, um sie unsittlich zu berühren, als diese aber rief "Geh weg, laß mich in Ruhe", entfernte sich der Angeklagte und bezeichnete die Frau als "Votze" und "Schlampe". Hiernach ist der Angeklagte vom Versuch der sexuellen Nötigung mit strafbefreiender Wirkung freiwillig zurückgetreten. Denn dafür, daß der Angeklagte nicht in der Lage gewesen wäre, sie trotz ihrer Rufe unsittlich zu berühren, sind keine Anhaltspunkte vorhanden.
Die Tat ist deshalb lediglich als Beleidigung zu werten: Ein Freispruch vom Vorwurf der versuchten sexuellen Nötigung kommt nicht in Betracht, da sich das gesamte Geschehen - entgegen der Ansicht des Landgerichts - als eine einheitliche Tat darstellt.
3. Auch das Geschehen vom 23. Dezember 1998 kann entgegen der Beurteilung durch das Landgericht nur als eine Tat bewertet werden.
Die Zeugin Z. schlug den Angeklagten, der sich ihr mit geöffneter Hose und heraushängendem Geschlechtsteil näherte und sie aufforderte, seinen "Schwanz" anzufassen, mit ihrem Schlüsselbund ins Gesicht und biß ihn in die Hand. Daraufhin "änderte er seinen Tatentschluß" und versuchte ihr die Handtasche zu entreißen, wobei er sie zweimal mit der Hand ins Gesicht schlug. Die Zeugin konnte dann fliehen.
Hier scheiterte das Vorhaben des Angeklagten, die Zeugin sexuell zu berühren offensichtlich an deren Widerstand, so daß ein strafbefreiender Rücktritt vom Versuch ausscheidet. Das gleiche gilt für den Versuch, der Zeugin die Handtasche zu rauben. Die gewaltsamen Handlungen, die zunächst mit dem Ziel der sexuellen Nötigung und dann in der Absicht begangen wurden, sich der Handtasche zu bemächtigen, stehen aber - ohne äußere Zäsur - in einem derart engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhang, daß die Annahme zweier selbständiger Taten dem Geschehen nicht gerecht wird.
II.
Der Rechtsfolgenausspruch ist insgesamt aufzuheben.
1. Das Landgericht hat erheblich verminderte Schuldfähigkeit i.S.v. § 21 StGB infolge einer Alkoholisierung des Angeklagten nicht ausschließen können. Die Annahme minder schwerer Fälle und eine Strafrahmenverschiebung nach § 49 Abs. 1 StGB wegen der alkoholbedingten erheblichen Verminderung des Hemmungsvermögens hat die Strafkammer indessen - mit rechtsfehlerhafter Begründung - abgelehnt. Sie meint, "angesichts der Praxis der Angeklagten ... regelmäßig Alkoholgenuß zu behaupten", komme es darauf an, wie sich der Täter bei der Tat verhalten habe.
Zeige er deutliches Leistungsvermögen, sei er ersichtlich alkoholgewöhnt oder -tolerant, wisse er, was eigentlich jeder Mensch wisse, daß ihn Alkohol enthemmt, dann könne der behauptete Alkoholgenuß ... allenfalls bei der Strafzumessung wiegen.
Diese Ausführungen können die Versagung einer Strafrahmenmilderung nicht rechtfertigen. Die "Praxis der Angeklagten regelmäßig Alkoholgenuß zu behaupten" ist für die Frage, ob einem Angeklagten, bei dem der Tatrichter alkoholbedingte erhebliche Verminderung des Hemmungsvermögens nicht auszuschließen vermag, eine Strafrahmenmilderung gewährt werden soll, ohne jede Bedeutung. Liegt erheblich verminderte Schuldfähigkeit - nicht ausschließbar - vor, dann kommt es auch auf Alkoholgewöhnung des Täters und sein Leistungsverhalten nicht mehr an.
Daß er die enthemmende Wirkung des Alkohols kennt, rechtfertigt die Versagung einer Strafrahmenmilderung allein nicht.
Eine solche wäre nur gerechtfertigt, wenn der Angeklagte die Neigung hatte, nach Alkoholgenuß vergleichbare Straftaten zu begehen und ihm diese Neigung bewußt war oder doch hätte sein können, er aber dennoch vor der Tat in erheblichem Umfang Alkohol konsumierte (BGHR StGB § 21
- Strafrahmenverschiebung 14, 19; BGH, Beschl. v. 7. Dezember 1993 - 1 StR 775/93 = MDR 1994, 432) und ihm dies zum Vorwurf zu machen ist.
Ausreichende Feststellungen hierzu hat das Landgericht nicht getroffen. Die ungewöhnlich kurzen Ausführungen zu den Vorstrafen des Angeklagten bieten jedenfalls keine Grundlage für die Annahme eines derartigen Vorverschuldens.
Das Landgericht wird auch die Frage einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB eingehend prüfen müssen. Die Ablehnung einer derartigen Maßregel mit der kurzen Begründung, wegen der "nötigen intellektuellen Kapazität" werde die Behandlung keinen Erfolg haben, ist unzureichend.
Jähnke Theune Detter Bode Rothfuß



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