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BGH, Beschluss vom 19. Juni 2003 - 5 StR 160/03


Entscheidungstext  
 
BGH, Beschl. v. 19.6.2003 - 5 StR 160/03
Nachschlagewerk: ja
BGHSt : nein
Veröffentlichung : ja
AO § 370a aF
AO § 373
StGB § 22
1. Der gewerbs- und bandenmäßige Schmuggel nach
§ 373 AO stellt gegenüber § 370a AO aF die speziellere
Norm dar.
2. Soll bei Einfuhrdelikten die beabsichtigte Steuerverkürzung
durch Abgabe inhaltlich falscher Anmeldungen
bei der zollamtlichen Abfertigung bewirkt werden, so
beginnt der Versuch erst mit der Vorlage der wahrheitswidrigen
- weil unvollständigen - Zollanmeldung.
BGH, Beschluß vom 19. Juni 2003 - 5 StR 160/03
LG Hamburg -
5 StR 160/03
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 19. Juni 2003
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen gewerbsmäßigen Schmuggels u.a.
- 2 -
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. Juni 2003
beschlossen:
I. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil
des Landgerichts Hamburg vom 29. November 2002
nach § 349 Abs. 4 StPO
1. hinsichtlich des Angeklagten D
a) aufgehoben, soweit er in zwei Fällen wegen
Verabredung zur Begehung eines Verbrechens
der gewerbs- und bandenmäßigen Steuerhinterziehung
verurteilt worden ist (Fälle II. 7 und 8
der Urteilsgründe); in diesem Umfang wird der
Angeklagte D freigesprochen; die ausscheidbaren
Kosten des Verfahrens und notwendigen
Auslagen des Angeklagten werden
der Staatskasse auferlegt;
b) im Schuldspruch dahingehend geändert, daß er
wegen gewerbsmäßigen Schmuggels in sechs
Fällen sowie wegen versuchten gewerbsmäßigen
Schmuggels verurteilt ist,
c) im Gesamtstrafenausspruch aufgehoben.
2. hinsichtlich des Angeklagten M aufgehoben,
a) soweit er wegen Verabredung zur Begehung
eines Verbrechens der gewerbs- und bandenmäßigen
Steuerhinterziehung verurteilt worden
- 3 -
ist (Fall II. 8 der Urteilsgründe); in diesem Umfang
wird der Angeklagte freigesprochen; die
ausscheidbaren Kosten des Verfahrens und
notwendigen Auslagen des Angeklagten werden
der Staatskasse auferlegt;
b) im Gesamtstrafenausspruch.
II. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten werden
nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
III. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer
Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden
Kosten der Rechtsmittel, an eine andere
Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
Das Landgericht hat den Angeklagten D wegen gewerbsmäßigen
Schmuggels in sechs Fällen, versuchter gewerbs- und bandenmäßiger
Steuerhinterziehung sowie in zwei Fällen wegen Verabredung zur Begehung
eines Verbrechens der gewerbs- und bandenmäßigen Steuerhinterziehung
zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und den Angeklagten M
wegen gewerbsmäßigen Schmuggels in drei Fällen, Beihilfe zur Steuerhinterziehung
sowie wegen Verabredung zur Begehung eines Verbrechens der
gewerbs- und bandenmäßigen Steuerhinterziehung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe
von fünf Jahren verurteilt; im übrigen hat es die Angeklagten freigesprochen.
Diese wenden sich jeweils mit der Sachrüge gegen ihre Verurteilung.
Der Angeklagte M erhebt darüber hinaus Verfahrensrügen.
- 4 -
Die Rechtsmittel haben in dem aus der Urteilsformel ersichtlichen
Umfang Erfolg. Im übrigen sind sie unbegründet.
I.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte D schmuggelte zwischen September 2000 und
Dezember 2001 in sechs Fällen große Mengen Zigaretten chinesischen Ursprungs
in Containern hinter Tarnladung verborgen über die deutschen Häfen
Hamburg und Bremerhaven nach Deutschland ein; er verkürzte dadurch
Eingangsabgaben in Höhe von mindestens 4,2 Mio. Euro. Dabei ließ er bei
der Abfertigung durch die deutschen Zollbehörden jeweils (unauffällige) Handelswaren
- wie Kleidung und Haushaltsartikel - anmelden, die im Versandverfahren
nach Polen und Rußland geliefert werden sollten.
In fünf Fällen wurden die im Container verborgenen, nicht angemeldeten
Zigaretten anschließend in Lagerhallen bei Hamburg umgeladen und
verkauft (Fälle II. 1 bis 5 der Urteilsgründe). Die übrigen angemeldeten und
abgefertigten Waren wurden bestimmungsgemäß weiterbefördert; die jeweiligen
Zollverfahren wurden entsprechend abgeschlossen. Der Angeklagte
M war in den Fällen II. 1 bis 3 Mittäter, im Fall II. 4 leistete er dem Angeklagten
D Beihilfe.
In einem weiteren Fall, der vom Landgericht als versuchte gewerbsund
bandenmäßige Steuerhinterziehung ausgeurteilt worden ist (Fall II. 6 der
Urteilsgründe), beschlagnahmten die Zollbehörden am 18. Januar 2002 einen
Container, nachdem der mit der Abholung beauftragte Fahrer die vom
Angeklagten D vorbereiteten und inhaltlich unrichtigen Abfertigungspapiere
beim Zollamt Hamburg Hafen eingereicht hatte. In dem - zuvor bereits
von den Zollbehörden im Freihafen überwachten - Container, waren
9.587.200 Zigaretten enthalten.
- 5 -
Den als „Verabredung zum Verbrechen der gewerbs- und bandenmäßigen
Steuerhinterziehung“ ausgeurteilten Fällen lag folgendes Geschehen
zugrunde:
Der Angeklagte D traf zu einem nicht näher festgestellten Zeitpunkt
vor dem 25. Januar 2002 mit zwei anderweitig verfolgten Mittätern
die Absprache, erneut einen weiteren Container mit Tarnladung und
9,2 Mio. Zigaretten, der im Januar 2002 im Freihafen Hamburg eingetroffen
war, in das Gemeinschaftsgebiet zu verbringen. Unmittelbar bevor der Fahrer
die von D vorbereiteten unrichtigen Abfertigungsdokumente beim Zoll
einreichen und den Container übernehmen konnte, erfuhr der Angeklagte
D auf telefonische Nachfrage, daß der Container von den Zollbehörden
„gesperrt“ worden war. Er forderte deshalb seinen Mittäter J auf,
den Container nicht abholen zu lassen, da er davon ausging, daß die Zollbehörden
Verdacht geschöpft hatten und die Tat nicht mehr durchführbar war.
Der Container wurde in der Folgezeit von den Zollbehörden beschlagnahmt
(Fall II. 7 der Urteilsgründe).
Ferner verabredete der Angeklagte D mit dem Angeklagten
M und dem anderweitig verfolgten Mo zu einem nicht näher festgestellten
Zeitpunkt vor dem 2. April 2002, zwei weitere Container mit Tarnladung
sowie 8.460.000 und 9.280.000 Zigaretten, welche bereits seit Ende
März 2002 im Freihafen Hamburg lagerten, in das Gemeinschaftsgebiet einzuführen.
Bei den Reedereien erfuhr der Angeklagte D , daß
ein Container freigestellt worden war, der andere jedoch auf Anweisung des
Zollamtes in der Container-Röntgenanlage überprüft werden sollte. Er erkannte,
daß die Zollbehörden hinsichtlich des zweiten Containers Verdacht
geschöpft hatten, und er befürchtete, daß bei der Überprüfung die Zigaretten
vom Zoll entdeckt werden würden. Er beschloß daher, diesen Container aufzugeben.
In Absprache mit dem Angeklagten M beabsichtigte er, am
12. April 2002 nur noch den zuvor bereits freigegebenen Container aus dem
Freihafen zu verbringen. Hierzu kam es jedoch nicht mehr, da D und
- 6 -
M am 10. April 2002 festgenommen wurden (Fall II. 8 der Urteilsgründe).
II.
Die Verurteilungen des Angeklagten D wegen gewerbsmäßigen
Schmuggels (§ 373 AO) in sechs Fällen und des Angeklagten M
wegen gewerbsmäßigen Schmuggels (§ 373 AO) in drei Fällen sowie wegen
Beihilfe zur Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO, § 27 StGB) halten
rechtlicher Nachprüfung stand. Die vom Angeklagten M erhobenen
Verfahrensrügen sind aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts
vom 27. März 2003 unzulässig im Sinne von § 344 Abs. 2
Satz 2 StPO. Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Sachrügen hat insoweit
keine Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben.
III.
Dagegen hält die Verurteilung des Angeklagten D im Fall II. 6
der Urteilsgründe wegen versuchter gewerbs- und bandenmäßiger Steuerhinterziehung
nach § 370a AO einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Insoweit ist der Schuldspruch dahin zu ändern, daß der Angeklagte D
des versuchten gewerbsmäßigen und bandenmäßigen Schmuggels nach
§ 373 AO, §§ 22, 23 StGB schuldig ist. Das Landgericht hat nicht bedacht,
daß sich die Vorschrift des § 370a AO zwischen dem Zeitpunkt der Tatbegehung
und der Aburteilung geändert hat.
1. Nach § 2 Abs. 3 StGB ist das mildeste Gesetz anzuwenden, wenn
das bei Beendigung der Tat geltende Gesetz vor der Entscheidung geändert
worden ist. Bei der Ermittlung des milderen Rechts im Sinne des § 2
Abs. 3 StGB kommt es dabei maßgebend darauf an, welche Regelung in
dem zu entscheidenden Einzelfall nach dessen besonderen Umständen die
den Täter schonendere Beurteilung gestattet (vgl. BGHSt 20, 74, 75; BGHR
- 7 -
StGB § 2 Abs. 3 Gesetzesänderung 6; vgl. auch Schmitz in Münch. Komm.
StGB 2003 § 2 Rdn. 20 m. w. N.).
a) Der Verbrechenstatbestand der gewerbsmäßigen und bandenmäßigen
Steuerhinterziehung wurde durch Art. 2 des Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetzes
vom 19. Dezember 2001 (BGBl I 2001, 3922) neu geschaffen
und mit Wirkung vom 28. Dezember 2001 als § 370a in die Strafvorschriften
der Abgabenordnung eingefügt. Die Vorschrift hatte zu diesem
Zeitpunkt den folgenden Wortlaut:
„Gewerbsmäßige oder bandenmäßige Steuerhinterziehung
Mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren wird bestraft,
wer gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten
Begehung solcher Taten verbunden hat, Steuern verkürzt oder
für sich oder für einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt.“
Aufgrund massiver Kritik und erheblicher Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit
der getroffenen Regelung (vgl. nur Joecks in Franzen/Gast/
Joecks, Steuerstrafrecht 5. Aufl. Nachtrag § 370a AO Rdn. 4 m. w. N.) wurde
durch das Fünfte Gesetz zur Änderung des Steuerbeamten-Ausbildungsgesetzes
und zur Änderung von Steuergesetzen vom 23. Juli 2002
(BGBl I 2002, 2715) mit Wirkung vom 27. Juli 2002 die Vorschrift dahin geändert,
daß nun erst eine Steuerverkürzung „in großem Ausmaß“ zur Qualifikation
als Verbrechen führen soll; ferner wurde ein minder schwerer Fall eingeführt,
der insbesondere unter den Voraussetzungen einer Selbstanzeige
nach § 371 AO gegeben sein soll.
Die nunmehr geltende Fassung des Gesetzes lautet:
„Gewerbsmäßige oder bandenmäßige Steuerhinterziehung
- 8 -
Mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren wird bestraft,
wer in den Fällen des § 370
1. gewerbsmäßig oder
2. als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher
Taten verbunden hat,
in großem Ausmaß Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen
nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt. In minder schweren Fällen
ist die Strafe Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren. Ein
minder schwerer Fall liegt insbesondere vor, wenn die Voraussetzungen
des § 371 erfüllt sind.“
b) Das Landgericht hat ohne weitere rechtliche Erörterung die zum
Zeitpunkt der Entscheidung geltende Neufassung des § 370a AO der Verurteilung
des Angeklagten D zugrunde gelegt und dabei das Tatbestandsmerkmal
der Steuerhinterziehung „in großem Ausmaß“ ausdrücklich
bejaht. Dies würde im Verhältnis der beiden Fassungen des § 370a AO zueinander
- für sich betrachtet und jeweils ihre Verfassungsmäßigkeit unterstellt
- keinen rechtlichen Bedenken begegnen. Denn insoweit stellt sich die
Neufassung, die einerseits die Schwelle zum Verbrechenstatbestand durch
schärfere Eingangsvoraussetzungen erhöht und andererseits einen minder
schweren Fall eingeführt hat, als das mildere Gesetz im Sinne von § 2
Abs. 3 StGB dar. Indessen ist zur Ermittlung des mildesten Gesetzes im Sinne
von § 2 Abs. 3 StGB der gesamte Rechtszustand im Bereich des
materiellen Rechts heranzuziehen (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 51. Aufl. § 2
Rdn. 8 ff.), so daß es bei dem vorzunehmenden Gesamtvergleich vorliegend
auch auf das rechtliche Verhältnis des neuen Verbrechenstatbestandes gemäß
§ 370a AO zum unverändert fortgeltenden Vergehenstatbestand des
§ 373 AO ankommt, der den gewerbsmäßigen, gewaltsamen und bandenmäßigen
Schmuggel unter Strafe stellt.
- 9 -
aa) Den Materialien zum Gesetzgebungsverfahren sind weder im Zusammenhang
mit dem zunächst erlassenen Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz
noch mit dem nachfolgenden Steuerbeamten-Ausbildungsgesetz
Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, wie der Gesetzgeber die Konkurrenzen
zwischen den genannten, sich weitgehend überschneidenden gesetzlichen
Vorschriften regeln wollte, wie sich der Verbrechenstatbestand des
§ 370a AO in das System des Steuerstrafrechts einfügen sollte, und ob die
Kollisionen überhaupt erkannt wurden (verneinend: Hellmann in Hübschmann/
Hepp/Spitaler, AO § 370a Rdn. 38).
bb) Infolgedessen ist auf die allgemeinen Grundsätze in Fällen der
Gesetzeseinheit zurückzugreifen. Gesetzeseinheit liegt nach der Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs (BGHSt 31, 380 m. w. N.) dann vor, wenn der
Unrechtsgehalt einer Handlung durch einen von mehreren dem Wortlaut
nach anwendbaren Straftatbeständen erschöpfend erfaßt wird. Maßgebend
für die Beurteilung sind die Rechtsgüter, gegen die sich der Angriff des Täters
richtet, und die Tatbestände, die das Gesetz zu ihrem Schutz aufstellt.
Die Verletzung des durch den einen Straftatbestand geschützten Rechtsguts
muß eine - wenn nicht notwendige, so doch regelmäßige - Erscheinungsform
der Verwirklichung des anderen Tatbestandes sein.
Diese Voraussetzungen sind jedenfalls im Verhältnis zwischen
§ 370a AO aF und § 373 AO gegeben, der bei gleichem allgemeinen
Schutzgut - der Sicherung des vollständigen Steueraufkommens - und bei
identischem Anwendungsbereich hinsichtlich der gewerbsmäßigen und bandenmäßigen
Strukturen und Begehungsweisen als lex specialis vorgeht.
Denn der ausdrückliche Schutz von Eingangsabgaben bzw. Ein- und Ausfuhrabgaben
(geänderte Fassung durch das Steueränderungsgesetz 2001
vom 20. Dezember 2001, BGBl I 2001, 3794) läßt den Tatbestand des
Schmuggels als die speziellere und damit vorrangige Norm erscheinen (so
auch: Bender, Das Zoll- und Verbrauchsteuerstrafrecht mit Verfahrensrecht
TZ 67 Rdn. 2; ders. ZfZ 2002, 146, 148 f.; Burger wistra 2002, 1, 3; vgl. auch:
- 10 -
Joecks in Franzen/Gast/Joecks aaO Rdn. 55; Kohlmann, Steuerstrafrecht
30. Lfg. § 370a AO Rdn. 30). Dabei kommt es nicht darauf an, daß dieses
zusätzliche Merkmal zu einer Privilegierung, d. h. zum Vorrang des Vergehenstatbestandes
gegenüber dem (neueren) Verbrechenstatbestand des
§ 370a AO aF führt (vgl. Rissing-van Saan in LK 11. Aufl. Vor § 52 ff.
Rdn. 73).
cc) Es kann im vorliegenden Fall offen bleiben, ob der Vorrang des
§ 373 AO auch im Verhältnis zum neugefaßten § 370a AO gilt oder ob durch
das zusätzliche Tatbestandsmerkmal des „großen Ausmaßes“ nunmehr diese
Norm zum spezielleren Tatbestand wird, weil das Merkmal der Einfuhrabgaben
dadurch enger gefaßt wird (so Joecks aaO). Denn zum hier maßgeblichen
Zeitpunkt der Tatbegehung im Januar 2002 war jedenfalls der Tatbestand
des Schmuggels nach § 373 AO die speziellere Strafnorm, der der
Vorrang gebührte. Damit stellt sich bei einem Gesamtvergleich die Rechtslage
zur Tatzeit als die im Sinne von § 2 Abs. 3 StGB dem Angeklagten günstigere
dar.
2. Der Senat kann im Fall II. 6 der Urteilsgründe den Schuldspruch
entsprechend ändern, da weitergehende Feststellungen nicht zu erwarten
sind. § 265 Abs. 1 StPO steht dem nicht entgegen; es kann ausgeschlossen
werden, daß der Angeklagte sich gegen den geänderten Schuldvorwurf wirksamer
als geschehen hätte verteidigen können.
Der Strafausspruch bleibt von der Änderung des Schuldspruchs unberührt.
Das Landgericht hat angesichts des Umfangs der angestrebten Steuerverkürzung
in Höhe von mehr als 1 Mio. Euro eine sehr maßvolle Einzelfreiheitsstrafe
von einem Jahr und sechs Monaten festgesetzt. Der Senat
schließt aus, daß diese Einzelstrafe bei der nun gefundenen rechtlichen Einordnung
der Tat geringer ausgefallen wäre.
- 11 -
IV.
Soweit die Angeklagten wegen Verabredung zur Begehung eines
Verbrechens der gewerbs- und bandenmäßigen Steuerhinterziehung gemäß
§ 370a AO nF, § 30 Abs. 2 StGB verurteilt worden sind (Fälle II. 7 und 8 betreffend
den Angeklagten D und Fall II. 8 betreffend den Angeklagten
M ), hält das Urteil der rechtlichen Nachprüfung nicht stand; die Angeklagten
sind in diesen Fällen aus Rechtsgründen freizusprechen.
1. Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils wurden die
beiden letzten Container mit Schmuggelgut im Januar 2002 unter Mitwirkung
des Angeklagten D (Fall II. 7) sowie im März 2002 unter Mitwirkung
beider Beschwerdeführer (Fall II. 8) jeweils mit falschen Schiffsladepapieren
in den Hamburger Freihafen verbracht, ohne daß die Angeklagten in der Folgezeit
bis zu ihrer Verhaftung am 10. April 2002 noch eine Einfuhr in das
Gemeinschaftsgebiet bewirken konnten. Für diesen Zeitraum, in dem
§ 370a AO aF noch in Kraft war, gelten dieselben Grundsätze zu den Konkurrenzverhältnissen
wie im Fall II. 6, so daß die Angeklagten sich allenfalls
nach der vorrangigen Vorschrift des § 373 AO wegen (versuchten) Schmuggels
strafbar gemacht haben könnten. Indessen haben die Angeklagten
- anders als im Fall II. 6 - zur Begehung solcher Taten noch nicht unmittelbar
angesetzt im Sinne von § 22 StGB.
a) Nach den allgemeinen Grundsätzen zur Abgrenzung strafloser Vorbereitungshandlungen
vom strafbaren Versuch liegt ein unmittelbares Ansetzen
bei solchen Gefährdungshandlungen vor, die nach der Tätervorstellung
in ungestörtem Fortgang unmittelbar zur Tatbestandserfüllung führen oder
mit ihr in einem unmittelbar räumlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen
(BGH NStZ 1989, 473). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der
Täter subjektiv die Schwelle zum „jetzt geht es los“ überschreitet, es eines
weiteren Willensimpulses nicht mehr bedarf und er objektiv zur tatbestandsmäßigen
Angriffshandlung ansetzt, so daß sein Tun ohne Zwischenakte in
- 12 -
die Erfüllung des Tatbestandes übergeht (st. Rspr., vgl. BGHSt 48, 34, 35 f.
m. w. N.). Dabei ist im Einzelfall bei der Abgrenzung in wertender Betrachtung
auf die strukturellen Besonderheiten der jeweiligen Tatbestände Bedacht
zu nehmen (vgl. Tröndle/Fischer aaO § 22 Rdn. 11, 13).
b) Danach gilt für Einfuhrdelikte, bei denen die beabsichtigte Steuerverkürzung
durch Abgabe inhaltlich falscher Anmeldungen bei der zollamtlichen
Abfertigung bewirkt werden soll, daß erst mit der Vorlage der wahrheitswidrigen
- weil unvollständigen - Zollanmeldung der Versuch beginnt.
Zwar wurden in den hier zu beurteilenden Fällen die verbrauchsteuerpflichtigen
Waren schon bei der Verladung der Container in China nicht in die
Frachtpapiere aufgenommen, die insoweit nur die jeweilige Tarnladung enthielten.
Indes beginnt bei Erklärungsdelikten der vorliegenden Art der konkrete
Angriff auf das geschützte Rechtsgut - das öffentliche Interesse am
vollständigen Aufkommen der einzelnen Steuern - erst mit Erreichen der
Zollgrenzstelle. Denn erst zu diesem Zeitpunkt haben die Zollbehörden zum
Schutz der inländischen und gemeinschaftsrechtlichen Fiskalinteressen Kontroll-
und Zugriffsrechte, denen andererseits zollrechtlich ausdrücklich geregelte
Erklärungspflichten des Steuerpflichtigen entsprechen, die bis zum Erreichen
der Zollgrenze nicht bestehen (vgl. Kohlmann aaO Abschnitt B
Rdn. 76.4).
Auch die Tatsache, daß die Container im Freihafen Hamburg abgestellt
waren und von dort aus in irgendeiner Weise - naheliegend wie zuvor
in einem Zollverfahren auf dem Landweg - weiterbefördert werden mußten,
führt nicht zu einer abweichenden rechtlichen Beurteilung im Hinblick auf die
Abgrenzung zwischen Vorbereitungshandlung und Versuch des Schmuggels.
Zwar ist der Freihafen als Freizone nach Art. 166 Zollkodex (ZK) Teil des
Zollgebiets der Europäischen Gemeinschaft und kein (zoll-)rechtsfreier
Raum. Die dort befindlichen Waren werden aber als nicht im Gemeinschaftsgebiet
befindlich angesehen (Art. 166 lit. a ZK) mit der Folge, daß sie grundsätzlich
weder den Zollbehörden zu gestellen sind noch eine Zollanmeldung
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für diese Waren abzugeben ist (Art. 170 Abs. 1 ZK). Daß im vorliegenden
Fall aufgrund abweichender Regelungen zu besonderen Zollverfahren eine
Ausnahme gelten könnte, ist den Feststellungen des angefochtenen Urteils
nicht zu entnehmen.
Aus diesen Erwägungen ergibt sich, daß bei steuerlichen Einfuhrdelikten
- anders als bei Betäubungsmitteldelikten (vgl. BGHSt 31, 252,
253 f.) - die Verbringung von zoll- und verbrauchsteuerpflichtigen Waren in
den Freihafen selbst dann noch nicht als versuchte oder sogar vollendete
Hinterziehung von Einfuhrabgaben zu werten ist, wenn der Täter plant, die
Waren zu einem späteren Zeitpunkt mit falschen Zollanmeldungen in das
Gemeinschaftsgebiet weiterzubefördern.
2. In den Fällen II. 7 und 8 der Urteilsgründe wurden von den Angeklagten
entsprechende Erklärungen gegenüber den Zollbehörden nicht abgegeben.
Vielmehr veranlaßte der Angeklagte D im Fall II. 7, daß der
Container nicht aus dem Freihafen abgeholt wurde, nachdem ihm mitgeteilt
worden war, der Container sei „gesperrt“ worden. Im Fall II. 8 gaben
D und M ihren Plan, die Zigaretten aus dem Freihafen zu
verbringen, im Hinblick auf den Container auf, der mit Hilfe der Containerprüfanlage
kontrolliert werden sollte. Bezüglich des zweiten, freigestellten
Containers kam es aufgrund des Zugriffs der Zollbehörden und der Verhaftung
der Angeklagten nicht mehr zu einer zollamtlichen Abfertigung, so daß
die geplanten Taten jeweils in der Phase der Vorbereitungshandlung verblieben.
- 14 -
3. Die Aufhebung der in diesen beiden Fällen erfolgten Schuldsprüche
läßt die jeweils verhängten Einzelstrafen entfallen. Dies zieht die Aufhebung
der gegen die beiden Beschwerdeführer getroffenen Aussprüche über die
Gesamtstrafen nach sich.
Harms Häger Gerhardt
RiBGH Dr. Brause Schaal
ist durch Urlaubsabweisenheit
an
der Unterschrift
gehindert.
Harms



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