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BGH, Beschluss vom 20. Januar 2010 - 2 StR 403/09


Entscheidungstext  
 
BGH, Beschl. v. 20.1.2010 - 2 StR 403/09
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 403/09
vom
20. Januar 2010
Nachschlagewerk: ja BGHSt: ja Veröffentlichung: ja
StGB §§ 51, 54, 55, 57 a, 57 b
Bei der Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe ist ein Härteausgleich für erledigte, an sich gesamtstrafenfähige Vorstrafen im Wege der Vollstreckungslösung zu gewähren.
BGH, Beschluss vom 20. Januar 2010 - 2 StR 403/09 - LG Kassel
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 20. Januar 2010 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 30. März 2009 aufgehoben, soweit eine Entscheidung über einen wegen nicht mehr möglicher Gesamtstrafenbildung durchzuführenden Härteausgleich unterblieben ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Dagegen richtet sich die Revision des Angeklagten mit Verfahrensrügen und mit der Sachrüge.
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1. Nach den Urteilsfeststellungen tötete der Angeklagte am 4. Juni 1982 die damals 33jährige G. , um eine sexuelle Nötigung zu verdecken. Der Angeklagte befand sich zu dieser Zeit aufgrund eines Urteils vom 29. August 1980, durch das er wegen sexueller Nötigung unter Einbeziehung einer weiteren Strafe wegen sexueller Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt worden war, als Freigänger im Strafvollzug. Am 20. Februar 1987 wurde er vom Landgericht Marburg wegen anderweitig begangener Straf-
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taten, nämlich wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Entführung gegen den Willen der Entführten, wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit versuchter Vergewaltigung und wegen versuchter Vergewaltigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner wurde gegen ihn die Sicherungsverwahrung angeordnet. Der Angeklagte verbüßte die Gesamtfreiheitsstrafe bis zum 17. August 1994 und verblieb danach bis zum 13. Dezember 1996 in der Sicherungsverwahrung. Die Führungsaufsicht und die Sicherungsverwahrung sind seit dem 12. Januar 2001 erledigt.
Zur besonderen Schwere der Schuld führen die Gründe des jetzt angefochtenen Urteils abschließend aus: "Hieran gemessen, ist zugunsten des Angeklagten als ein gegen die Feststellung einer (auch heute noch) besonderen Schwere der Schuld sprechender Umstand in die Abwägung deshalb auch einzustellen, dass die abgeurteilte Tat von dem Angeklagten am 04.06.1982 begangen wurde und daher nunmehr fast 27 Jahre zurück liegt. Zugunsten des Angeklagten war dabei des weiteren in die Abwägung auch einzustellen, dass die vorliegend abgeurteilte Straftat fiktiv gesamtstrafenfähig zu den mit Urteil des Landgerichts Marburg vom 20.02.1987 abgeurteilten und nach der hier abgeurteilten Tat begangenen Straftaten aus dem Jahre 1984 gewesen wäre; würde gegen den Angeklagten vorliegend eine zeitige Freiheitsstrafe zu verhängen sein, so kämen ihm, da die gesamtstrafenfähige Verurteilung aus dem Jahre 1987 mittlerweile vollständig vollstreckt und daher nicht mehr für die Bildung einer zeitigen Gesamtstrafe berücksichtigt werden kann, jedenfalls die als sogenannter Härteausgleich anerkannten Rechtsgrundsätze zugute. Dies spricht noch zusätzlich dafür, eine besondere Schwere der Schuld unter Würdigung der für das Rechtsinstitut des Härteausgleichs maßgeblichen, billigkeitsbezogenen Zumessungserwägungen zu verneinen, wie sie im Bereich der Zumessung einer zeitigen Freiheitsstrafe anerkannt sind."
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2. Während das angefochtene Urteil zum Schuldspruch keine Rechtsfehler aufweist und die Verfahrensrügen aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 21. September 2009 dargelegten Gründen keinen Erfolg haben, hält der Strafausspruch insoweit der rechtlichen Nachprüfung nicht stand, als eine Entscheidung über einen im Wege der Vollstreckungslösung durchzuführenden Härteausgleich unterblieben ist. Nach der Entscheidung des Großen Senats vom 17. Januar 2008 zur Kompensation rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung im Vollstreckungsmodell (GSSt 1/07, BGHSt 52, 124) ist nunmehr in Abkehr von früherer Rechtsprechung (BGH NStZ 1999, 579, 580 f.; BGH Urteil vom 14. März 1990 - 3 StR 109/89 -) auch bei der Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe ein Härteausgleich für erledigte, an sich gesamtstrafenfähige Vorstrafen im Vollstreckungsmodell zu gewähren (so auch BGH Beschluss vom 8. Dezember 2009 - 5 StR 433/09 -, zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
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a) Grundgedanke des § 55 StGB ist, dass Taten, die bei gemeinsamer Aburteilung nach §§ 53, 54 StGB behandelt worden wären, auch bei getrennter Aburteilung dieselbe Behandlung erfahren sollen, so dass der Täter im Endergebnis weder besser noch schlechter gestellt ist, als wenn alle Taten in dem zuerst durchgeführten Verfahren abgeurteilt worden wären (BGHSt 7, 180, 181; 15, 66, 69; 17, 173, 174 f.; 32, 190, 193). Scheitert eine nach § 55 StGB an sich mögliche nachträgliche Gesamtstrafenbildung daran, dass die zunächst erkannte Strafe bereits vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, so ist die darin liegende Härte nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei der Bemessung der nunmehr zu verhängenden Strafe auszugleichen (BGHSt 31, 102, 103; 33, 131, 132). Die Gerichte sind allerdings an die Gesetze gebunden (Art. 20 Abs. 3 GG); sie haben auch beim Härteausgleich die durch das StGB vorgegebenen Grenzen der Strafenfindung zu beachten. Da das Gesetz für Mord, sofern keine gesetzlichen Milderungsgründe vorliegen, nur die lebenslan-
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ge Freiheitsstrafe vorsieht, konnte ein Härteausgleich in diesen Fällen nicht gewährt werden (vgl. zur Kompensation wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung BGHSt 52, 124, 134 Rdn. 29; BGH NJW 2006, 1529, 1535).
b) Nunmehr gestattet das vom Großen Senat für Strafsachen vorgegebene Vollstreckungsmodell (BGHSt 52, 124, 135 f. Rdn. 31; vgl. dazu auch EGMR StV 2009, 561, 563 m. Anm. Krehl) in den Fällen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung den gebotenen Ausgleich ohne systemwidrige Eingriffe in die Strafbemessung bei der lebenslangen Freiheitsstrafe durchzuführen. Im Falle einer lebenslangen Freiheitsstrafe kann die Kompensation durch Anrechnung des als vollstreckt geltenden Teils der Strafe auf die Mindestverbüßungsdauer im Sinne des § 57 a Abs. 1 Nr. 1 StGB erfolgen. Die Frage, ob das Vollstreckungsmodell auch auf andere Fallgestaltungen zu übertragen ist, wird unter den Senaten des Bundesgerichtshofs nicht einhellig beantwortet. Der 5. Strafsenat hat die Kompensation eines Verstoßes gegen Art. 36 Abs. 1 lit. B Satz 3 WÜK (BGHSt 52, 48, 56 f.) im Wege des Vollstreckungsmodells bejaht. Dem ist der 3. Strafsenat ausdrücklich entgegengetreten (Urteil vom 20. Dezember 2007 - 3 StR 318/07 -, BGHSt 52, 110, 118 Rdn. 25 f.). Er hält eine Kompensation von Verfahrensfehlern im Vollstreckungswege generell für unzulässig. Der erkennende Senat teilt diese Auffassung.
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Der Senat hält es jedoch für angezeigt, auf der Grundlage einer doppelt analogen Anwendung des § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB die Kompensation im Vollstreckungswege auf den Härteausgleich wegen nicht mehr möglicher Gesamtstrafenbildung zu übertragen (erwogen bereits in den Beschlüssen des 5. Strafsenats vom 23. Juli 2008 - 5 StR 293/08 - [BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 15] und vom 28. Mai 2009 - 5 StR 184/09 -). Diese Verfahrensweise bietet die Möglichkeit, ein Übermaß von Strafe aufgrund zufällig getrennter Aburteilung ohne systemwidrige Eingriffe in die Strafbemessung zu beseitigen und
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damit dem Anliegen der Rechtsprechung zum Härteausgleich auch im Sonderfall der lebenslangen Freiheitsstrafe Rechnung zu tragen. Auf diese Weise wird auch eine Ungleichbehandlung gegenüber denjenigen Fällen vermieden, in denen das Tatgericht die besondere Schwere der Schuld festgestellt hat. In diesen Fällen hat es der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofes für zulässig angesehen, den Umstand, dass Freiheitsstrafe aus einer an sich gesamtstrafenfähigen Vorverurteilung vor Erlass des auf lebenslange Freiheitsstrafe lautenden Urteils verbüßt worden war, bei der Festsetzung der Verlängerungsdauer der Mindestverbüßungszeit nach § 57 a Abs. 1 Nr. 2 StGB zu berücksichtigen (Beschluss vom 9. Dezember 2008 - 4 StR 358/08 -, NStZ-RR 2009, 104; vgl. auch BVerfG Beschluss vom 29. Januar 2007 - 2 BvR 2025/06 -). Durch die Anwendung des Vollstreckungsmodells wird vermieden, dass Täter in den "Normalfällen" schlechter dastehen als bei Verwirklichung besonderer Schuldschweregründe. Darüber hinaus wird damit auch in den Fällen mit besonderer Schuldschwere die Bemessung der Höhe der Kompensation, die dem Bereich der tatrichterlichen Strafzumessung unterfällt, wieder dem hierfür zuständigen Tatgericht übertragen (vgl. dazu BVerfG Beschluss vom 29. Januar 2007 - 2 BvR 2025/06 -).
3. Anders als bei den Entscheidungen des 5. Strafsenats vom 23. Juli 2008 (BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 15 - 5 StR 293/08 -) und vom 28. Mai 2009 (- 5 StR 184/09 -) kann der Senat im vorliegenden Fall nicht mit letzter Sicherheit ausschließen, dass das Landgericht eine zusätzliche Kompensation für die voll verbüßte langjährige Freiheitsstrafe ausgesprochen hätte, wenn ihm diese Möglichkeit bewusst gewesen wäre. Das Landgericht hat die Verneinung der besonderen Schwere der Schuld, die es für das zum Tatzeitpunkt verwirklichte Unrecht an sich zutreffend bejaht hat, vorrangig auf den seitherigen Zeitablauf gestützt. Den bei Verhängung einer zeitigen Freiheitsstrafe möglichen Härteausgleich für die vollstreckte Vorverurteilung hat es demge-
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genüber nur als zusätzliches Argument für die Verneinung einer besonderen Schwere der Schuld erwähnt. Angesichts der Dauer der verbüßten Strafe, die mehr als die Hälfte der Mindestverbüßungsdauer nach § 57 a Abs. 1 Nr. 1 StGB beträgt, erscheint es möglich, dass das Landgericht in der (zusätzlichen) Verneinung der besonderen Schuldschwere zwar keinen ausreichenden Härteausgleich gesehen hat, sich aber an einer weitergehenden Kompensation aus Rechtsgründen für gehindert hielt.
4. Sofern der neue Tatrichter nicht zu der Überzeugung gelangt, dass die Verneinung der besonderen Schuldschwere einen genügenden Härteausgleich für die verbüßte langjährige Freiheitsstrafe darstellt, wird er die Härte angemessen zu kompensieren haben. Dabei ist grundsätzlich keine vollständige Anrechnung der verbüßten Haftzeiten geboten. Dem steht die Entscheidung des 5. Strafsenats vom 8. Dezember 2009 - 5 StR 433/09 - nicht entgegen. Der 5. Strafsenat hat diese Frage - sogar die Notwendigkeit eines Härteausgleichs überhaupt - in seinem Beschluss bei Sachverhalten wie dem vorliegenden, in dem die Aufklärung der Tat über lange Zeit wegen noch nicht vorhanden gewesener technischer Mittel nicht möglich gewesen ist, ausdrücklich offen gelassen (Rdn. 13). Gerade in Fällen wie dem vorliegenden, in dem bei zeitnaher Aburteilung und Bildung einer Gesamtstrafe die besondere Schuldschwere auf der
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Hand gelegen hätte, ist es Sache des Tatrichters, den angemessenen Härteausgleich im Rahmen der Strafzumessung zu bestimmen, zumal hier auch bei einer tatzeitnah zu bildenden lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe die Sicherungsverwahrung verhängt worden wäre.
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Schmitt RiBGH Prof. Dr. Krehl ist
erkrankt und deshalb an
der Unterschrift gehindert.
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