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BGH, Beschluss vom 20. Juni 2001 - 3 StR 135/01


Entscheidungstext  
 
BGH, Beschl. v. 20.6.2001 - 3 StR 135/01
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 135/01
vom
20. Juni 2001
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Vergewaltigung u.a.
- 2 -
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwaltes
und der Beschwerdeführer am 20. Juni 2001 gemäß § 260 Abs. 3,
§ 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Hannover vom 6. Oktober 2000 mit den Feststellungen
aufgehoben.
Das Verfahren gegen den Angeklagten K. wird eingestellt,
soweit dieser wegen des Geschehens am 1. Mai 2000
auf dem Parkplatz in H. (Geschlechtsverkehr
der Nebenklägerin mit dem Türken "A. " in dessen Fahrzeug)
verurteilt worden ist. Insoweit fallen die Kosten des Verfahrens
und die notwendigen Auslagen dieses Angeklagten der
Staatskasse zur Last.
Im übrigen Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer
Verhandlung und Entscheidung, auch über die weiteren Kosten
der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten K. wegen schweren Menschenhandels
in Tateinheit mit Vergewaltigung in fünf Fällen zu einer Freiheitsstrafe
von sieben Jahren und den Angeklagten D. wegen Beihilfe
zum schweren Menschenhandel in Tateinheit mit Vergewaltigung in drei Fällen
zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit ihren
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hiergegen gerichteten Revisionen rügen die Angeklagten jeweils die Verletzung
formellen und materiellen Rechts. Beide Rechtsmittel haben mit der Sachrüge
Erfolg, so daß es eines Eingehens auf die Verfahrensrügen nicht bedarf.
1. Nach den Feststellungen fragte der Angeklagte D. am Nachmittag
oder Abend des 29. April 2000 den Angeklagten K. , ob dieser ihm
Kontakt zu einer Frau vermitteln könne, die zu sexuellem Verkehr mit ihm bereit
sei. Der Angeklagte K. rief die Nebenklägerin an, die ihm ihre Wohnung
einige Wochen lang als Unterkunft überlassen hatte, und vereinbarte mit ihr
noch für denselben Abend ein Treffen, bei welchem die Nebenklägerin die
Wohnungsschlüssel zurückerhalten solle. Nachdem die Angeklagten die Nebenklägerin
getroffen hatten, fuhren sie im Pkw des Angeklagten D. zu
der Arbeitsstelle des Angeklagten K. , wo sich die Wohnungsschlüssel
angeblich befanden. Spätestens während dieser Fahrt faßte der Angeklagte
K. den Entschluß, die Nebenklägerin "sexuell zu mißbrauchen und auszubeuten",
indem er sie auf seine Rechnung als Prostituierte arbeiten ließ.
Durch die Drohung, er werde sie und ihre Familie fertig machen und umbringen,
wenn sie sich widersetze, im weiteren Verlauf aber auch durch Tätlichkeiten
brachte der Angeklagte K. die Nebenklägerin dazu, in der Wohnung
des Zeugen M. mit ihm und dem Angeklagten D. den Geschlechtsverkehr
zu vollziehen sowie mit dem Zeugen M. andere sexuelle
Handlungen vorzunehmen. Daß für diese sexuellen Handlungen ein Entgelt
gezahlt wurde oder werden sollte, ist nicht festgestellt. Der Angeklagte
K. ließ sich allerdings von der Vorstellung leiten, daß die Nebenklägerin
künftig keinen Widerstand mehr leisten werde, sei sie erst einmal mehrfach
und in kurzer Zeit zu sexuellen Handlungen gezwungen worden. Dem Angeklagten
D. war bereits durch das Verhalten des Angeklagten K.
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während der Autofahrt zu der auf seinen Vorschlag aufgesuchten Wohnung
des Zeugen M. bewußt geworden, daß der Angeklagte K. sich die
Nebenklägerin gegebenenfalls auch unter Einsatz körperlicher Gewalt sexuell
gefügig machen und sie ausbeuten wolle. Er billigte dies, weil er unbedingt mit
der Nebenklägerin den Geschlechtsverkehr vollziehen wollte, und entschloß
sich daher, den Angeklagten K. zu unterstützen.
Außerdem mußte die Nebenklägerin in dieser Nacht noch mit dem Zeugen
G. , dem der Angeklagte K. Geld schuldete, zweimal den Geschlechtsverkehr
ausüben. Die Angeklagten verbrachten die Nebenklägerin
schließlich in deren Wohnung, wo jeder mit ihr nochmals den Geschlechtsverkehr
vollzog, und ließen sie dort sodann allein zurück. Sie holten sie, wie vom
Angeklagten K. bereits am Vortag angekündigt, in den Nachmittagsstunden
des 30. April 2000 wieder ab und fuhren sie im Pkw des Angeklagten
D. zu dem Zeugen Ka. , mit dem der Angeklagte K. vereinbart
hatte, er werde ihm die Nebenklägerin zur Ausübung des Geschlechtsverkehrs
gegen Entgelt zuführen. Der Angeklagte D. "vermutete entsprechende
Zusammenhänge zumindest, nahm sie billigend in Kauf und leistete die
erforderlichen Fahrdienste, weil er sich dadurch die Möglichkeit zu weiterem
Geschlechtsverkehr erhoffte". Die Nebenklägerin vollzog mit Ka. den
Geschlechtsverkehr und wurde sodann zu ihrer Wohnung zurückgebracht. Der
Angeklagte K. erhielt von Ka. als Gegenleistung mindestens
60 DM.
Am Abend des 1. Mai 2000 holte der Angeklagte K. in Begleitung
eines unbekannten Türken die Nebenklägerin wiederum in deren Wohnung ab.
Man fuhr in dem Pkw des Türken zu einem Parkplatz bei der "P. ", wo
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der Angeklagte K. das Fahrzeug verließ. Der unbekannte Türke wollte
nunmehr mit der Nebenklägerin in seinem Pkw den Geschlechtsverkehr ausüben,
argwöhnte aufgrund deren Verhaltens jedoch, sie sei hierzu nicht aus
freiem Willen bereit. Er stieg aus und führte mit dem Angeklagten K. ein
streitiges Gespräch, worauf dieser zu der Nebenklägerin in das Fahrzeug stieg,
sie an den Haaren zog und auf sie einschlug. Hierdurch wollte er erreichen,
daß die Nebenklägerin nicht durch eine entsprechende Körpersprache ihrem
Unwillen an der Ausübung der sexuellen Handlung Ausdruck verlieh. Die Nebenklägerin
hielt daraufhin Gegenwehr für zwecklos und vollzog mit dem unbekannten
Türken den Geschlechtsverkehr. Zur Höhe des dem Angeklagten
K. gezahlten Entgelts konnten keine Feststellungen getroffen werden.
Der unbekannte Türke fuhr den Angeklagten K. und die Nebenklägerin
sodann zu einem Parkplatz in H. , wo nach einem
Telefonat mit dem Angeklagten K. ein Türke namens "A. " erschien
und in seinem Fahrzeug mit der Nebenklägerin, die wiederum auf jegliche Gegenwehr
verzichtete, den Geschlechtsverkehr vollzog. Zur Höhe des Entgelts
für den Angeklagten K. konnten keine Feststellungen getroffen werden.
Schließlich verbrachte der Angeklagte die Nebenklägerin mit einem
weiteren unbekannten Türken zu deren Wohnung und erklärte ihr sinngemäß,
sie wisse schon, was sie zu tun habe. Die Nebenklägerin nahm den Unbekannten
aus Angst vor Zuwiderhandlungen gegen die Anweisungen des Angeklagten
K. mit in ihre Wohnung und übte mit jenem dort den Geschlechtsverkehr
aus. Der unbekannte Türke hatte dem Angeklagten während
der Fahrt oder später vor der Wohnung der Nebenklägerin 150 DM übergeben.
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Am 2. Mai 2000 verbrachten beide Angeklagten die Nebenklägerin im
Fahrzeug des Angeklagten K. , der seine Fahrdienste aus denselben
Gründen wie am 30. April 2000 leistete, erneut zu dem Zeugen Ka. . Dieser
vollzog im Schlafzimmer seiner Wohnung den Geschlechtsverkehr mit der
Nebenklägerin, die dies über sich ergehen ließ, weil sie sich wegen der früheren
Einschüchterungsmaßnahmen des Angeklagten K. nicht traute, dessen
Willen zuwiderzuhandeln. Als die Nebenklägerin danach wieder im Wohnzimmer
erschien, war der Angeklagte K. aufgebracht, weil er fand, die
Nebenklägerin sei nicht lange genug bei Ka. geblieben. Um ihre Angst
zu vertiefen, zog er sie an den Haaren und schlug ihr mit der Hand ins Gesicht.
Anschließend verlangte er, daß sie nochmals mit Ka. den Geschlechtsverkehr
ausübe, was die Nebenklägerin, die sich nicht zu widersetzen wagte,
erneut tat. Der Angeklagte K. erhielt von Ka. für die "Überlassung"
der Nebenklägerin 60 DM.
Am 3. Mai 2000 erschienen beide Angeklagten in der Wohnung der Nebenklägerin.
Auf Aufforderung des Angeklagten D. vollzog die Nebenklägerin
mit diesem den Geschlechtsverkehr. Die Nebenklägerin gab sich ihm
"aus denselben Gründen wie in den Fällen zuvor" hin. Der Angeklagte D.
nutzte bewußt die Tatsache aus, "daß sich die Nebenklägerin der Einwirkung
des Angeklagten K. schutzlos ausgeliefert sah, weil jener sich in
der Wohnung befand und sie die Anwendung von Gewalt gegen sich fürchtete".
Am nächsten Tag erstattete die Nebenklägerin bei der Polizei Anzeige
gegen die Angeklagten.
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2. Das Landgericht ist der Ansicht, der Angeklagte K. habe sich
auf der Grundlage des festgestellten Sachverhalts einer einzigen Tat des
schweren Menschenhandels in Tateinheit mit Vergewaltigung in fünf Fällen
schuldig gemacht. Es sieht die fünf Vergewaltigungen darin, daß die Nebenklägerin
gegen ihren Willen am 29. April 2000 je zweimal zum Geschlechtsverkehr
mit beiden Angeklagten und am 1. Mai 2000 auf dem Parkplatz in
H. zum Geschlechtsverkehr mit dem Türken "A. " gezwungen
worden sei. Die Vergewaltigungen stünden in Tateinheit mit dem
schweren Menschenhandel, da die Einzelakte der "Menschenhandelstat" sich
mit den Vergewaltigungen deckten und sie daher zu einem tateinheitlichen
Geschehen klammerten. Dies hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
Die Verurteilung des Angeklagten K. wegen schweren Menschenhandels
(§ 181 Abs. 1 Nr. 1 StGB) kann schon deshalb keinen Bestand haben,
weil sich den Feststellungen nicht mit der gebotenen Sicherheit entnehmen
läßt, ob und gegebenenfalls ab welchem Zeitpunkt die Nebenklägerin aufgrund
von Nötigungshandlungen dieses Angeklagten die Prostitution aufgenommen
hat oder durch derartige Handlungen zur Fortsetzung der Prostitution gebracht
wurde. Darüber hinaus sind nicht für alle als Vergewaltigung abgeurteilten Taten
die Voraussetzungen des § 177 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB belegt.
Des weiteren hat das Landgericht das Konkurrenzverhältnis der abgeurteilten
Taten unzutreffend beurteilt. Für eine Aburteilung der Geschehnisse
vom 1. Mai 2000 auf dem Parkplatz in H. (Geschlechtsverkehr
der Nebenklägerin mit dem Türken "A. ") fehlt es schon an der Verfahrensvoraussetzung
einer zugelassenen Anklage.
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a) Des schweren Menschenhandels gemäß § 181 Abs. 1 Nr. 1 StGB
macht sich unter anderem schuldig, wer eine andere Person durch Gewalt oder
Drohung mit einem empfindlichen Übel zur Aufnahme oder Fortsetzung der
Prostitution bestimmt. Die Prostitution übt aus, wer auf gewisse, nicht unbedingt
längere Dauer wiederholt mit wechselnden Partnern sexuelle Handlungen
gegen Entgelt vornimmt (BGH NStZ 2000, 86; 2000, 368, 369), wobei es ohne
Belang ist, wo und wie die Partner geworben werden und wer das Entgelt kassiert
(vgl. jew. m.w.Nachw. Lenckner/Perron in Schönke/Schröder, StGB
26. Aufl. § 180 a Rdn. 5; Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl. § 180 a Rdn. 2). Aufgenommen
wird die Prostitutionsausübung mit der ersten Handlung des Tatopfers,
die unmittelbar auf eine derartige entgeltliche sexuelle Handlung abzielt
(BGH NStZ 2000, 86, 87; NStZ-RR 1997, 294; BGHR StGB § 181 a Abs. 1
Nr. 1 Konkurrenzen 3). Wird das Tatopfer durch eine der in § 181 Abs. 1 Nr. 1
StGB genannten Nötigungsmittel zur Aufnahme der Prostitution bestimmt, ist
bereits mit der ersten derartigen Handlung das Verbrechen des schweren
Menschenhandels vollendet und abgeschlossen; denn bei § 181 Abs. 1 Nr. 1
StGB handelt es sich nicht um ein Dauerdelikt, das sich über den gesamten
Zeitraum der erzwungenen Prostitutionsausübung erstreckt und bei dem wiederholte
Nötigungshandlungen gegen das Tatopfer als unselbständige Einzelakte
einer einheitlichen Tat gewertet werden könnten. Setzt der Täter daher
zur Erzwingung weiterer sexueller Handlungen des Tatopfers wiederum Gewalt
oder Drohungen ein, macht er sich erneut nach § 181 Abs. 1 Nr. 1 StGB in der
Tatvariante des Bestimmens zur Fortsetzung der Prostitution strafbar, wenn die
Weigerung des Opfers zur Vornahme der sexuellen Handlungen darauf beruht,
daß es die Prostitutionsausübung aufgeben will (vgl. BGHR StGB § 181 a
Abs. 1 Nr. 1 Konkurrenzen 3).
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b) Die Feststellungen des Landgerichts belegen nicht, ob und durch
welche Handlungen konkret die Nebenklägerin aufgrund des nötigenden Verhaltens
des Angeklagten K. die Prostitution aufgenommen oder - nach
Aufnahme der Prostitution und dem Entschluß, diese wieder aufzugeben - fortgesetzt
hat. Das Landgericht hat sich den Blick auf eine zutreffende rechtliche
Bewertung des Tatgeschehens von vornherein dadurch verstellt, daß es den
schweren Menschenhandel nach § 181 Abs. 1 Nr. 1 StGB fälschlich als Dauerdelikt
angesehen und auf dieser Grundlage eine über den gesamten Tatzeitraum
andauernde einheitliche Straftat nach § 181 Abs. 1 Nr. 1 StGB angenommen
hat, die alle aus seiner Sicht während dieses Zeitraums gegen die
Nebenklägerin begangenen weiteren Taten nach § 177 StGB zu Tateinheit
verklammert. Abgesehen davon, daß es bereits äußerst zweifelhaft erscheint,
ob das mit einer geringeren Strafandrohung versehene Verbrechen nach § 181
Abs. 1 Nr. 1 StGB für sich selbständige Taten nach § 177 StGB überhaupt zu
Tateinheit verklammern kann, hat das Landgericht nicht differenziert, durch
welches individuelle Nötigungsmittel der Angeklagte K. der Nebenklägerin
je welche konkrete Handlung abgezwungen hat, und es daher unterlassen,
auf dieser Grundlage die einzelnen Handlungen des Angeklagten unter die
jeweils zutreffenden Strafnorm(en) zu subsumieren. Im einzelnen:
Soweit der Angeklagte K. die Nebenklägerin am Abend des
29. April 2000 zunächst durch Drohungen und später auch durch Tätlichkeiten
zum mehrmaligen Geschlechtsverkehr mit ihm, dem Angeklagten D. und
dem Zeugen G. sowie zu sonstigen sexuellen Handlungen mit dem Zeugen
M. veranlaßte, belegen die Feststellungen zwar hinreichend eine Strafbarkeit
des Angeklagten K. nach § 177 Abs. 1 StGB und, soweit er selbst mit
ihr den Geschlechtsverkehr ausübte, auch nach § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB.
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Jedoch beinhaltet dieses Tatgeschehen schon deshalb keine Aufnahme der
Prostitution durch die Nebenklägerin, weil die sexuellen Handlungen nicht gegen
Entgelt vorgenommen wurden oder vorgenommen werden sollten. Allein der
Umstand, daß der Angeklagte K. die sexuellen Handlungen auch deswegen
erzwang, um die Nebenklägerin für eine künftige Prostitutionsausübung
gefügig zu machen, genügt zur Verwirklichung des Tatbestandes des § 181
Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht.
Zwar hat der Zeuge Ka. für die Ausübung des Geschlechtsverkehrs
mit der Nebenklägerin am 30. April 2000 an den Angeklagten K.
60 DM gezahlt. Damit ist jedoch noch nicht belegt, daß die Nebenklägerin
durch den sexuellen Kontakt zu dem Zeugen die Prostitution aufnahm. Denn es
ist weder festgestellt, daß die Nebenklägerin Kenntnis von der Zahlung des
Zeugen erlangte, noch, daß sie davon ausging, in der Folge werde es zumindest
für eine gewisse Dauer zu gleichen oder anderen entgeltlichen sexuellen
Handlungen mit anderen Personen kommen. Ähnliches gilt bezüglich der weiteren
sexuellen Handlungen der Nebenklägerin am 1. und 2. Mai 2000.
Die Ausübung des Geschlechtsverkehrs durch den Angeklagten D.
mit der Nebenklägerin in deren Wohnung am 3. Mai 2000 war wiederum
unentgeltlich und kann daher schon aus diesem Grunde wiederum nicht als
Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitutionsausübung bewertet werden.
Nach den bisherigen Feststellungen des Landgerichts bleibt damit offen,
durch welche Handlung konkret die Nebenklägerin die Prostitutionsausübung
aufgenommen haben soll bzw. erkannt hat, daß sie für eine gewisse Dauer
wiederholt und mit wechselnden Partnern sexuelle Handlungen gegen Entgelt
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vornehmen sollte. Hinzu kommt folgendes: Wenn die Nebenklägerin - etwa
durch den Geschlechtsverkehr mit dem Zeugen Ka. am 30. April 2000 -
die Prostitution aufgenommen haben sollte, wäre nach den oben dargelegten
Grundsätzen damit das Verbrechen des schweren Menschenhandels vollendet.
Allein dadurch, daß er der Nebenklägerin danach weitere Freier zuführte, hätte
der Angeklagte K. sich nicht erneut nach § 181 Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbar
gemacht (vgl. BGH NStZ-RR 2001, 170, 171). Dies käme vielmehr nur
dann in Betracht, wenn die Nebenklägerin zwischenzeitlich den Entschluß gefaßt
hätte, die Prostitution aufzugeben, und der Angeklagte K. sie durch
eines der in § 181 Abs. 1 Nr. 1 StGB genannten Tatmittel zu einer erneuten
entgeltlichen sexuellen Handlung mit einem Dritten und damit gleichzeitig zur
Fortsetzung der Prostitution bestimmte. Hierin läge dann aber grundsätzlich
eine selbständige Tat, die zu dem ersten - in der Tatbestandsalternative des
Bestimmens zur Prostitutionsaufnahme begangenen - Verbrechen des schweren
Menschenhandels in Tatmehrheit (§ 53 Abs. 1 StGB) stünde (Lenckner/
Perron aaO § 181 Rdn. 18 a. E.) und wegen Erzwingens der sexuellen Handlung
tateinheitlich mit einer sexuellen Nötigung nach § 177 Abs. 1 StGB zusammentreffen
könnte.
Die Verurteilung des Angeklagten K. wegen schweren Menschenhandels
kann daher keinen Bestand haben. Schon dies führt zur Aufhebung
auch des Schuldspruchs wegen der vom Landgericht tateinheitlich hierzu abgeurteilten
Vergewaltigung in fünf Fällen (vgl. BGHR StPO § 353 Aufhebung 1;
Kuckein in KK 4. Aufl. § 353 Rdn. 12 m.w.Nachw.). Im übrigen hat das Landgericht
verkannt, daß eine Verurteilung des Angeklagten K. wegen Vergewaltigung
(§ 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB) nur in den Fällen in Betracht
kommt, in denen er selbst mit der Nebenklägerin den Geschlechtsverkehr voll-
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zog (BGH NStZ 1999, 452 f.). Soweit er die Nebenklägerin zum Geschlechtsverkehr
mit einem anderen nötigte, ist der Angeklagte daher auch dann nur der
sexuellen Nötigung gemäß § 177 Abs. 1 StGB schuldig zu sprechen, wenn er
und der Dritte mittäterschaftlich handelten und deswegen das Regelbeispiel
des § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 StGB erfüllt ist.
c) Soweit der Angeklagte K. wegen der Geschehnisse am 1. Mai
2000 auf dem Parkplatz in H. (wegen Vergewaltigung in Tateinheit
mit schwerem Menschenraub) verurteilt wurde, ist das Verfahren gemäß
§ 260 Abs. 3 StPO einzustellen; denn es fehlt insoweit an der Verfahrensvoraussetzung
einer zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage.
Die Vorgänge auf dem Parkplatz in H. sind nicht Gegenstand
der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Hannover vom 13. Juli
2000. Nachtragsanklage wurde nicht erhoben. Dies wäre indessen erforderlich
gewesen. Wenn sich der Angeklagte K. dadurch, daß er die Nebenklägerin
zur Ausübung des Geschlechtsverkehrs mit dem Türken "A. " auf dem
genannten Parkplatz veranlaßte, tatsächlich nach § 177 StGB und gegebenenfalls
auch nach § 181 Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbar gemacht haben sollte, läge
hierin nämlich (im Gegensatz zu dem einheitlichen Geschehen in der Wohnung
des Zeugen Ka. am 2. Mai 2000, zu dem das Landgericht von der
zugelassenen Anklage abweichende Feststellungen lediglich über den Sexualpartner
der Nebenklägerin beim zweiten Geschlechtsverkehr trifft) eine gesonderte
Tat im prozessualen Sinne des § 264 Abs. 1 StGB; denn § 181 Abs. 1
Nr. 1 StGB ist kein Dauerdelikt und bei den genannten Geschehnissen handelt
es sich um einen selbständigen Lebenssachverhalt, der sich nach Tatort, Tatzeit
und Sexualpartner der Nebenklägerin von den anderen in der Anklage-
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schrift dargestellten Vorgängen unterscheidet, sich insbesondere deutlich von
den vorangegangenen Geschehnissen auf dem Parkplatz bei der
"P. "und den nachfolgenden Ereignissen auf der Fahrt zu und anschließend
vor und in der Wohnung der Nebenklägerin abhebt.
Daß der Angeklagte K. durch eine einheitliche, über den gesamten
Tatzeitraum fortwirkende Nötigungshandlung im Sinne des § 177 Abs. 1
StGB sämtliche festgestellten sexuellen Handlungen der Nebenklägerin mit
ihm, dem Mitangeklagten D. oder Dritten erzwungen (vgl. Lenckner/
Perron aaO § 177 Rdn. 28 m.w.Nachw.) und auf diese Weise ein einheitliches
Verbrechen gemäß § 177 StGB begangen hätte, ist ebenfalls nicht festgestellt.
Vielmehr liegen zwischen den der Nebenklägerin abverlangten sexuellen
Handlungen teilweise deutliche Zäsuren, insbesondere die Nächte zwischen
den Tattagen, die die Nebenklägerin von den Angeklagten unbehelligt allein in
ihrer Wohnung verbrachte. Allerdings ist es nach den Feststellungen auch
nicht ausgeschlossen, daß einige der festgestellten sexuellen Handlungen,
insbesondere solche des ersten Tattages, zu Tateinheit zusammenzufassen
sind.
3. Die Verurteilung des Angeklagten D. wegen Beihilfe zum
schweren Menschenraub in Tateinheit mit Vergewaltigung in drei Fällen, kann
schon deswegen keinen Bestand haben, weil eine vollendete Haupttat des Angeklagten
K. nach § 181 Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht rechtsfehlerfrei festgestellt
wurde und die daher gebotene Aufhebung des Schuldspruchs gegen den
Angeklagten D. nach § 181 Abs. 1 Nr. 1, § 27 StGB auch auf die tateinheitlich
mitabgeurteilten drei Fälle der Vergewaltigung zu erstrecken ist
(s. oben).
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Der Schuldspruch wegen Beihilfe zum schweren Menschenhandel hätte
jedoch unabhängig hiervon rechtlicher Prüfung aufgrund der Sachrüge nicht
standgehalten; denn die diesbezügliche Beweiswürdigung des Landgerichts ist
rechtsfehlerhaft. Seine Überzeugung, der Angeklagte D. habe erkannt,
daß der Angeklagte K. die Nebenklägerin durch Gewalt bzw. Drohungen
zur Aufnahme (oder später gegebenenfalls zur Fortsetzung) der Prostitution
bestimmen wollte, findet in den Feststellungen keine hinreichende Stütze. Es
handelt sich insoweit lediglich um eine Vermutung ohne hinreichende tatsächliche
Grundlage. Allein die Tatsache, daß der Angeklagte D. die Nötigungshandlungen
des Angeklagten K. gegen die Nebenklägerin wahrnahm
und sich an den sexuellen Übergriffen gegen diese beteiligte, belegt für
sich nicht, daß er auch die vom Angeklagten K. mit der Nötigung verbundene
Absicht erkannte, über das unmittelbare Ziel der Erzwingung sexueller
Handlungen hinaus die Nebenklägerin der Prostitution zuzuführen und hierfür
gefügig zu machen. Das Landgericht legt dementsprechend auch nicht dar, auf
welche durch die Beweisaufnahme nachgewiesenen Tatsachen es seine Überzeugung
stützt, der Angeklagte D. habe bereits während der ersten
Pkw-Fahrt am 29. April 2000 erkannt, daß der Angeklagte K. die Nebenklägerin
habe sexuell gefügig und (gemeint wohl: finanziell) ausbeuten wollen
(UA S. 6), bzw. der Angeklagte D. habe am 30. April 2000 auf der
Fahrt zu dem Zeugen Ka. , dem der Angeklagte K. die Nebenklägerin
zur Ausübung des Geschlechtsverkehrs gegen Entgelt zuführte, "entsprechende
Zusammenhänge zumindest" vermutet (UA S. 12). Diesem Punkt wird
in der neuen Hauptverhandlung größere Aufmerksamkeit zuzuwenden sein.
4. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat noch auf folgendes
hin:
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Die Staatsanwaltschaft hatte dem Angeklagten K. jeden der in
der Anklageschrift aufgeführten Sexualkontakte der Nebenklägerin mit einem
der Angeklagten oder Dritten als Straftat nach § 177 StGB angelastet und ihm
schweren Menschenhandel in Tateinheit mit vierzehn rechtlich zusammentreffenden
Fällen der sexuellen Nötigung bzw. Vergewaltigung vorgeworfen.
Obwohl die vom Landgericht zu den sexuellen Handlungen der Nebenklägerin
getroffenen Feststellungen weitgehend mit der Tatschilderung des Anklagesatzes
übereinstimmen, hat das Landgericht diesen Angeklagten allein wegen
des zweifachen Geschlechtsverkehrs der Nebenklägerin mit jedem der beiden
Angeklagten am 29. April 2000 und wegen des Geschlechtsverkehrs der Nebenklägerin
mit dem Türken "A. " am 1. Mai 2000 jeweils der Vergewaltigung
schuldig gesprochen. Warum es in den übrigen Fällen, in denen die
Nebenklägerin unter der Einwirkung des Angeklagten K. sexuelle
Handlungen mit anderen vornahm, eine Strafbarkeit dieses Angeklagten unter
diesem Gesichtspunkt verneint hat, teilt das Urteil nicht mit, obwohl es vor allem
im Hinblick auf die festgestellten Tätlichkeiten des Angeklagten K.
am 1. Mai 2000 (Geschehnisse auf dem Parkplatz bei der "P. ") und
2. Mai 2000 (Vorfälle in der Wohnung des Zeugen Ka. ) nahelag, daß
der Angeklagte K. die Nebenklägerin zumindest in diesen Fällen durch
Gewalt zu sexuellen Handlungen mit einem Dritten nötigte.
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Um der gerichtlichen Kognitionspflicht (§ 264 Abs. 1 StPO) zu genügen
und die Anklage zu erschöpfen, wird demgemäß in der neuen Hauptverhandlung
hinsichtlich jeden Sexualkontakts, den die Nebenklägerin unter dem Einfluß
des Angeklagten K. einging, zu prüfen sein, ob und gegebenenfalls
durch welches der in § 177 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 StGB genannten Nötigungsmittel
er der Nebenklägerin von diesem Angeklagten abgezwungen wurde.
Rissing-van Saan Miebach RiBGH Winkler ist urlaubsbedingt
ortsabwesend und
deshalb an der Unterschrift
gehindert.
Rissing-van Saan
von Lienen Becker



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