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BGH, Beschluss vom 21. August 2002 - 5 StR 326/02


Entscheidungstext  
 
BGH, Beschl. v. 21.8.2002 - 5 StR 326/02
5 StR 326/02
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 21. August 2002
in der Strafsache gegen
wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat am 21. August 2002 beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Cottbus vom 29. Januar 2002 nach § 349 Abs. 4 StPO im gesamten Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. In die Gesamtstrafe einbezogen wurden acht Einzelstrafen aus einer rechtskräftigen Verurteilung des Landgerichts Cottbus vom 18. Juni 1997 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Außerdem hat das Landgericht die Sicherungsverwahrung angeordnet und die 1997 erkannte Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus entfallen lassen. Die erkennbar lediglich gegen den Rechtsfolgenausspruch gerichtete Revision des geständigen Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
1. Die Aussprüche hinsichtlich der Einzelstrafen haben keinen Bestand. Die Begründung für die Bemessung der beiden Freiheitsstrafen von jeweils vier Jahren erweist sich als unzulänglich (vgl. BGHSt 24, 268). Das Landgericht hat sie verhängt, weil der Angeklagte Ende Januar 1995 in Gubin (Polen) an zwei aufeinanderfolgenden Tagen mit einem zehnjährigen Mädchen unter Aufsicht zweier älterer Jungen gegen Zahlung von 10 DM den Schenkelverkehr bis zum Samenerguß ausübte. Dieses Tatbild belegt aber weder die im Rahmen der Strafzumessung gewürdigte (besondere) Intensität der Übergriffe (UA S. 28) noch eine zielgerichtete Ausnutzung der sexuellen Unerfahrenheit des Tatopfers (UA S. 29) und begründet die Besorgnis, daß ein dem Angeklagten weiter angelastetes Handeln aus eigensüchtigen Motiven zur rücksichtslosen Durchsetzung seiner Zwecke (UA S. 29) auf einer von Tatsachen nicht mehr gedeckten Negativwertung beruht.
2. Die Aufhebung der Einzelstrafen zieht auch die Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe und die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach sich. Damit entfällt auch die vom Landgericht wahrgenommene Möglichkeit, von der Aufrechterhaltung der vom Landgericht Cottbus im Urteil vom 18. Juni 1997 erkannten Unterbringung in ein psychiatrisches Krankenhaus wegen Fehlens der Voraussetzungen für deren weiteren Vollzug abzusehen (vgl. BGHSt 42, 306, 310 ff.). Ein Fall der Maßregelkonkurrenz, der zur Festlegung des nach § 72 Abs. 1 StGB erforderlichen und gebotenen Maßregelausspruchs durch den Gesamtstrafenrichter führt, liegt nach Aufhebung der Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht vor (vgl. BGH aaO; Lackner/Kühl StGB 24. Aufl. § 55 Rdn. 18).
3. Für die neu durchzuführende Hauptverhandlung weist der Senat auf folgendes hin:
a) Der von der Revision zutreffend vorgetragene Verfahrensgang zwischen Fertigung der Anklage am 11. Mai 2000 und dem Erlaß des Eröffnungsbeschlusses am 28. Juni 2001 wird trotz der unverzüglichen - vergeblichen - Bemühung des Gerichts, eine Zustimmung der Staatsanwaltschaft zu einer Verfahrenseinstellung nach § 154 Abs. 2 StPO zu erreichen, unter dem Gesichtspunkt einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK zu würdigen sein (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 13 m. w. N.). Zwar führt eine gewisse Untätigkeit während eines bestimmten Verfahrensabschnitts nicht ohne weiteres zu einem Verstoß gegen diese Vorschrift, sofern die angemessene Frist insgesamt nicht überschritten wird (BGHR MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung 9; BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 15; BGH, Urt. vom 19. Juni 2002 - 2 StR 43/02). Dazu wird aber hier die erhebliche Dauer des gesamten Verfahrens seit der einwöchigen Untersuchungshaft des Angeklagten 1995 in Polen (UA S. 17) in die Betrachtung einzubeziehen und die Frage zu prüfen sein, ob deutsche Behörden eine Verantwortung für die späte Übernahme der Strafverfolgung trifft (vgl. Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 24. Aufl. Art. 6 MRK Rdn. 78).
b) Einer Gesamtstrafenbildung mit den Strafen aus dem Urteil des Landgerichts Cottbus vom 18. Juni 1997 könnte eine - an das Urteil des Amtsgerichtes Cottbus vom 1. September 1995 anknüpfende - Zäsurwirkung des Gesamtstrafenbeschlusses des Amtsgerichtes Guben vom 18. Oktober 1996 über 170 Tagessätze entgegenstehen (vgl. BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Zäsurwirkung 9), falls diese Geldstrafe nicht durch Zahlung oder Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafe erledigt ist im Sinne des § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB (vgl. BGHR aaO und Zäsurwirkung 7). Ob dies vorliegt, läßt sich auch dem Zusammenhang der Gründe des angefochtenen Urteils nicht entnehmen.
c) Eine Anordnung von Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 StGB scheidet aus. Der Angeklagte kann im vorliegenden Verfahren nicht zu einer nach Art. 1a Nr. 1 lit. a EGStGB notwendigen Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt werden wegen einer Tat, die er nach dem 1. August 1995 begangen hat. Einer hier fernliegenden Anordnung von Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 StGB würde zwar Art. 1a Nr. 1 lit. b EGStGB im Hinblick auf die im Urteil des Landgerichts Cottbus vom 18. Juni 1997 mit einem Jahr und einem Jahr drei Monaten Freiheitsstrafe sanktionierten Taten vom Juni 1996 nicht entgegenstehen. Erforderlich wäre aber - nach etwa erneuter Bejahung eines Hanges im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB mit sachverständiger Hilfe im Gegensatz zur Bewertung im Urteil aus dem Jahre 1997 - die Darlegung der Gründe, warum der Tatrichter von seiner Entscheidungsbefugnis in einer bestimmten Weise Gebrauch gemacht hat (vgl. BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 2 bis 4) und die Anordnung dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht (vgl. BGH StV 2000, 254 m. w. N.).
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