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BGH, Beschluss vom 22. Februar 2005 - KRB 28/04


Entscheidungstext  
 
BGH, Beschl. v. 22.2.2005 - KRB 28/04
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
KRB 28/04
vom
22.2.2005
in dem Kartellordnungswidrigkeitsverfahren
gegen
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
Einspruchsrücknahme
GWB § 38 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 2 a.F. (§ 81 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 2
n.F.); OWiG § 70 Abs. 2
a) Lehnt das Oberlandesgericht die von einem Betroffenen mit der Begründung
der Unwirksamkeit seiner Einspruchsrücknahme begehrte Fortsetzung des
Kartellbußgeldverfahrens ab, so ist dagegen analog § 70 Abs. 2 OWiG die
sofortige Beschwerde zum Bundesgerichtshof zulässig.
b) Die durch das Korruptionsbekämpfungsgesetz vom 13. August 1997 angeordnete
Verlängerung der Verjährung für Kartellordnungswidrigkeiten gilt
- ohne daß es einer entsprechenden Übergangsregelung bedurft hätte - auch
für Taten, die vor Inkrafttreten des Verlängerungsgesetzes begangen wurden,
soweit sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht verjährt waren.
BGH, Beschluß vom 22.02.2005 - KRB 28/04 - OLG Düsseldorf
wegen: Kartellordnungswidrigkeit
- 2 -
Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22.02.2005 ohne mündliche
Verhandlung durch den Präsidenten des Bundesgerichtshofs Prof. Dr.
Hirsch und die Richter Prof. Dr. Goette, Prof. Dr. Bornkamm, Dr. Raum und
Prof. Dr. Meier-Beck
beschlossen:
Die sofortigen Beschwerden der Betroffenen zu 1 und 2 sowie der
Nebenbetroffenen gegen den Beschluß des Kartellsenats des
Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 27. November 2003 werden
als unbegründet verworfen.
Die Beschwerdeführer haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen.
Gründe:
Das Bundeskartellamt hat mit Bescheid vom 31. August 1998 gegen den
Betroffenen zu 1 wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 38 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m.
§ 1 GWB a.F. ein Bußgeld in Höhe von 150.000 DM verhängt. Dem Betroffenen
lag zur Last, sich als Mitglied des Vorstands der Nebenbetroffenen, einem bundesweit
tätigen Mühlenkonzern, für diese an einem Quotenkartell beteiligt zu
haben, das zum Zwecke der Aufteilung des Kundenstamms der stillgelegten
O.mühle in B. im Jahr 1995 gebildet worden war. Bis Ende November
1995 wurde nach dem im Bußgeldbescheid enthaltenen Tatvorwurf dieses
Quotenkartell durch Zahlungen und Ausgleichslieferungen auch tatsächlich
praktiziert. Gegen die Nebenbetroffene hat das Bundeskartellamt wegen dieser
Tat ein Bußgeld in Höhe von 750.000 DM festgesetzt. Durch Beschluß vom
27. September 1999 hat das Bundeskartellamt den Betroffenen zu 2, der eben-
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falls dem Vorstand der Nebenbetroffenen angehörte, wegen desselben Tatvorwurfs
mit einem Bußgeld in Höhe von 50.000 DM belegt.
Gegen die Bußgeldbescheide haben die Betroffenen und die Nebenbetroffene
fristgerecht Einspruch eingelegt. Diese Einsprüche haben sie jeweils
mit Schriftsatz ihrer Verteidiger vom 26. Juni 2002 zurückgenommen. Nachdem
die Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht Düsseldorf die Einstellung des
Verfahrens gegen andere Mitglieder des Quotenkartells wegen zwischenzeitlich
eingetretener Verjährung angeregt hatte, haben auch die Betroffenen sowie die
Nebenbetroffene beantragt, das Verfahren gegen sie trotz Einspruchsrücknahme
einzustellen, weil zum Zeitpunkt der Rücknahme der Einsprüche bereits
Verjährung eingetreten sei. Durch gemeinsamen Beschluß vom 7. November
2003 hat das Oberlandesgericht zwar das Bußgeldverfahren gegen andere Mitglieder
des Kartells wegen Verjährung eingestellt, hinsichtlich der Betroffenen
und der Nebenbetroffenen hat es aber festgestellt, daß sich deren Einsprüche
durch die erklärten Rücknahmen erledigt haben. Die hiergegen von den Betroffenen
sowie der Nebenbetroffenen geführten Rechtsmittel bleiben ohne Erfolg.
I.
Die als Rechtsbeschwerde bezeichneten Rechtsmittel sind als sofortige
Beschwerden nach § 70 Abs. 2 OWiG analog statthaft und auch im übrigen zulässig
erhoben.
1. Allerdings liegt entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer kein
Fall einer statthaften Rechtsbeschwerde vor. Nach § 84 GWB ist die Rechtsbeschwerde
zum Bundesgerichtshof nur unter den Voraussetzungen des § 79
OWiG zulässig. Einer der dort enumerativ aufgeführten Fälle liegt hier jedoch
nicht vor. Gegenstand der Überprüfung ist nämlich keine Entscheidung des Be-
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schwerdegerichts, durch die ein Bußgeld gegen die Betroffenen oder die
Nebenbetroffene festgesetzt wird. Dies ist für die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde
nach der allein in Betracht kommenden Vorschrift des § 79 Abs. 1
Nr. 1 OWiG aber notwendig. Die Beschwerdeführer erstreben dagegen die
Überprüfung der Wirksamkeit ihrer Einspruchsrücknahmen im Hinblick auf den
von ihnen behaupteten Eintritt der Verjährung. Dies betrifft eine vorgelagerte
und nicht von den Tatbestandsvoraussetzungen des § 79 Abs. 1 Nr. 1 OWiG
erfaßte Fallgestaltung. Dabei kommt es im übrigen nicht darauf an, ob das Beschwerdegericht
im schriftlichen Verfahren nach § 72 OWiG entschieden hat.
Auch bei einer Beschlußentscheidung nach § 72 Abs. 3 OWiG müssen die Zulässigkeitserfordernisse
für eine Rechtsbeschwerde nach § 79 Abs. 1 Nr. 1
OWiG vorliegen. Dieses Erfordernis ist hier nicht erfüllt, weil auch insoweit das
Beschwerdegericht nicht im Sinne des § 72 Abs. 3 Satz 1 OWiG über eine Einstellung
des Verfahrens entschieden hat, sondern über die Frage, ob nach Einspruchsrücknahme
im Blick auf die Rechtskraft des Bußgeldbescheids für das
Beschwerdegericht überhaupt noch eine Entscheidungszuständigkeit eröffnet
ist.
2. Die Rechtsbeschwerden sind jedoch als sofortige Beschwerden in
entsprechender Anwendung des § 70 Abs. 2 OWiG statthaft.
a) Zwar ist nach § 304 Abs. 4 Satz 2 StPO eine Beschwerde gegen Beschlüsse
des Oberlandesgerichts im erstinstanzlichen Verfahren außer in den
dort ausdrücklich genannten Fällen nicht eröffnet. Für das Bußgeldverfahren,
das nach § 46 Abs. 1 OWiG eine sinngemäße Anwendung der Vorschriften der
Strafprozeßordnung vorsieht, ist jedoch eine Modifikation geboten, weil - anders
als bei erstinstanzlichen Strafverfahren - bereits eine Entscheidung der Verwaltungsbehörde
vorliegt. Erst durch den zulässigen Einspruch des Betroffenen
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wird das Bußgeldverfahren erstinstanzlich vor dem Oberlandesgericht anhängig.
Deshalb ist § 304 Abs. 4 Satz 2 StPO, der sich auf erstinstanzlich vor dem
Oberlandesgericht stattfindende Strafprozesse (§ 120 Abs. 1 und 2 GVG) bezieht,
auf solche Fallkonstellationen, die das dort nicht vorgesehene Einspruchsverfahren
betreffen, nicht ohne weiteres anwendbar. Dementsprechend
hat der Bundesgerichtshof entschieden, daß die Vorschrift des § 70 Abs. 2
OWiG für das Kartellbußgeldverfahren grundsätzlich anwendbar ist, wenn das
Oberlandesgericht den Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid durch Beschluß
als unzulässig verwirft (BGH, Beschl. v. 27.5.1986 - KRB 3/86, NJW
1987, 451 = WuW/E 2296). Der Bundesgerichtshof hat dies damit begründet,
daß anderenfalls Wertungswidersprüche zu solchen Sachverhaltskonstellationen
bestünden, in denen der Einspruch erst durch Urteil in der Hauptverhandlung
als unzulässig verworfen werde. Da in solchen Fällen nach § 79 Abs. 1
Nr. 4 OWiG die Rechtsbeschwerde gegeben sei, müsse - obwohl das Gesetz
gegen Wettbewerbsbeschränkungen jenseits von § 84 GWB i.V.m. § 79 OWiG
keinen Rechtsbehelf ausdrücklich vorsehe - auch für diese Fälle eine Beschwerdemöglichkeit
eröffnet werden.
Dieser Gesichtspunkt muß ebenso Beachtung finden, wenn nicht die
Zulässigkeit des Einspruchs, sondern die Wirksamkeit seiner Rücknahme in
Frage steht. Insoweit beziehen sich beide Fallgestaltungen auf dieselbe Problemstellung,
nämlich ob ein wirksamer Rechtsbehelf vorliegt, der dem Gericht
erst eine Sachentscheidung über den Rechtsbehelf ermöglicht. Demnach wird
auch in der strafprozessualen Praxis im Hinblick auf die Überprüfbarkeit durch
das Rechtsmittelgericht die Wirksamkeit der Rücknahme einer Berufung in gleicher
Weise wie die Zulässigkeit der Berufungseinlegung behandelt und die
Feststellung der Wirksamkeit der Berufungsrücknahme in analoger Anwendung
des § 322 Abs. 2 StPO einer Kontrolle durch das Rechtsmittelgericht zugänglich
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gemacht (OLG Frankfurt NStZ 1988, 328 f.; KG JR 1981, 480; Gössel in Löwe/
Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 322 Rdn. 7; Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl.,
§ 302 Rdn. 11a).
Die Zubilligung einer Anfechtbarkeit stellt im übrigen hinsichtlich der
Rechtsmittelbefugnis die Waffengleichheit mit der Staatsanwaltschaft sicher.
Wäre nämlich das Oberlandesgericht der Auffassung der Beschwerdeführer
gefolgt und hätte das Verfahren im Hinblick auf die unwirksame Einspruchsrücknahme
wegen Verjährung eingestellt, wäre für die Staatsanwaltschaft eine
Rechtsbeschwerdemöglichkeit nach § 79 Abs. 1 Nr. 3 OWiG eröffnet gewesen.
Auch dieser Gesichtspunkt spricht dafür, den Betroffenen und der Nebenbetroffenen
jedenfalls in analoger Anwendung von § 70 Abs. 2 OWiG die Möglichkeit
einer sofortigen Beschwerde einzuräumen.
b) Die formellen Voraussetzungen der sofortigen Beschwerde sind hier
gewahrt. Der Beschluß des Oberlandesgerichts Düsseldorf ist den Verteidigern
der beiden Betroffenen und der Nebenbetroffenen jeweils am 8. Dezember
2003 zugestellt worden. Die als Rechtsbeschwerde bezeichneten Beschwerdeschriften
sind am 12. Dezember 2003, mithin innerhalb der Frist nach § 46
Abs. 1 OWiG i.V.m. § 311 Abs. 2 StPO, eingegangen.
II.
Die Rechtsmittel bleiben jedoch in der Sache ohne Erfolg, weil die beiden
Betroffenen und die Nebenbetroffene ihre Einsprüche gegen die Bußgeldbescheide
wirksam zurückgenommen haben.
1. Die Einspruchsrücknahme - an deren Ordnungsmäßigkeit hier keine
Zweifel bestehen - ist eine Prozeßhandlung. Sie führt die Bestandskraft des
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Bußgeldbescheids herbei, ohne daß es darauf ankäme, ob der Einspruch zum
Zeitpunkt seiner Rücknahme Erfolg gehabt hätte. Deshalb ist die Erfolgsaussicht
eines Rechtsbehelfs auch kein Entscheidungskriterium für die Wirksamkeit
der Einspruchsrücknahme als Prozeßhandlung. Mit der wirksamen Einspruchsrücknahme
entfällt zugleich die Befugnis des Gerichts, den Einspruch in der
Sache zu prüfen. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn zu diesem Zeitpunkt
bereits ein Verfahrenshindernis eingetreten ist. Jedenfalls das durch den Eintritt
der Verjährung begründete Verfahrenshindernis erledigt das anhängige Verfahren
nicht von selbst (Ruß in KK, 5. Aufl., § 302 Rdn. 5; Hanack in Löwe/
Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 302 Rdn. 12; Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl.,
§ 302 Rdn. 6; a.A. BayObLG JR 1975, 120 mit abl. Anm. Teyssen). Ob im Hinblick
auf den besonderen Normzweck bei anderen Verfahrenshindernissen
(etwa bei einer Amnestie) gleiches gilt, kann hier dahinstehen (vgl. Hanack
aaO). Die Feststellung des Eintritts der Verjährung bedarf einer konstitutiven
richterlichen Entscheidung, durch die das Verfahren entweder außerhalb der
Hauptverhandlung durch Beschluß (§ 206a Abs. 1 StPO) oder nach einer
Hauptverhandlung durch Urteil (§ 260 Abs. 3 StPO) eingestellt wird. Für eine
solche - im übrigen im Einzelfall schwierige und aufwendige - Entscheidung ist
aber dann kein Raum mehr, wenn das Verfahren bereits vorher durch Einspruchsrücknahme
seine Beendigung gefunden hat. Mit der Einspruchsrücknahme
entzieht der Rechtsmittelführer nämlich dem Gericht die Kompetenz,
noch über das Vorliegen eines Prozeßhindernisses oder gar über die Sache
selbst befinden zu dürfen.
Der Senat kann dabei dahinstehen lassen, ob - wie die Rechtsmittelführer
meinen - dieser Auffassung die vom 4. Strafsenat in seiner Entscheidung
vom 9. November 1960 (BGHSt 15, 203) geäußerte Rechtsauffassung entgegensteht.
Der 4. Strafsenat hat dort ausgeführt, daß ein Verfahrenshindernis
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auch dann im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachten sei, wenn nur
eine nicht begründete (und damit nach § 345 Abs. 1, § 346 Abs. 1 StPO unzulässige)
Revision eingelegt wurde. Die vom 4. Strafsenat entschiedene Rechtsfrage
betraf insoweit eine andere Fallkonstellation, als der Rechtsmittelrichter
dort noch über die Zulässigkeit des Rechtsmittels hätte entscheiden müssen,
während die Rechtsmittel- oder Einspruchsrücknahme unmittelbar das Verfahren
beendet und lediglich noch einen Kostenausspruch notwendig macht. Einer
Vorlage an den Großen Senat für Strafsachen nach § 132 Abs. 2 GVG bedarf
es jedenfalls deshalb nicht, weil im vorliegenden Fall die Taten nicht verjährt
waren (wie nachfolgend unter 2. ausgeführt wird) und somit wegen des Fehlens
eines Verfahrenshindernisses hier eine Abweichung von der Rechtsauffassung
des 4. Strafsenats für die Entscheidung nicht tragend wäre.
2. Da zum Zeitpunkt der Einspruchsrücknahmen hier keine Verjährung
eingetreten war, lag zu diesem Zeitpunkt auch kein Verfahrenshindernis vor.
Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts (ebenso KG NStZ 2002, 211)
erfaßt im Streitfall die Verlängerung der Verjährungsfrist auch die Taten, die vor
Inkrafttreten des die Verlängerung anordnenden Gesetzes begangen wurden
und zu diesem Zeitpunkt noch nicht verjährt waren.
a) Durch das Korruptionsbekämpfungsgesetz vom 13. August 1997
(BGBl. I S. 2038) ist die Verjährungsfrist für Ordnungswidrigkeiten nach § 38
Abs. 1 Nr. 1 und 8 GWB (in der damaligen Fassung) von drei Jahren auf fünf
Jahre verlängert worden (Art. 8 Nr. 1 des Gesetzes). Dieses Gesetz ist am
20. August 1997 in Kraft getreten. Es enthält keine Übergangsregelung oder
eine ausdrückliche Erstreckung auf Altfälle. Eine solche Klarstellung durch den
Gesetzgeber war allerdings hier auch nicht erforderlich.
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Wird die Verjährungsfrist geändert, gilt das neue Recht mangels einer
besonderen Übergangsregelung auch für bereits begangene Taten (Jähnke in
LK, 11. Aufl., vor § 78 Rdn. 11). Der Eintritt der Verjährung führt lediglich zu
einem Verfahrenshindernis, weil er nicht die Strafdrohung an sich, sondern
lediglich das "Ob" der Verfolgung berührt (BGHSt 46, 310, 317). Insoweit betreffen
die Verjährungsregeln lediglich die Verfolgbarkeit einer Tat; sie haben damit
in erster Linie einen verfahrensrechtlichen Bezug. Jedenfalls soweit eine Verlängerung
der Verjährungsfrist nicht auf einer nachträglichen Verschärfung der
bei der Berechnung zugrundezulegenden Höchststrafen beruht (§ 78 Abs. 3
StGB, § 31 Abs. 2 OWiG), die nach § 2 Abs. 3 StGB, § 4 Abs. 3 OWiG außer
Betracht bleiben muß (vgl. BGH, Beschl. v. 20.5.1999 - 4 StR 718/98, BGHR
StGB § 78 Abs. 3 Fristablauf 2, m.w.N.), betrifft sie Verfahrensrecht.
Verjährungsrechtliche Fragen sind - soweit die Rückkoppelung zum
materiellen Recht fehlt - nach den allgemeinen verfahrensrechtlichen Grundsätzen
zu behandeln und deshalb anhand der gesetzlichen Regelungen zu beurteilen,
die im Zeitpunkt der Entscheidung gelten. Insoweit unterscheidet sich die
Rechtslage nicht von derjenigen bei anderen verfahrensrechtlichen Fallgestaltungen,
die grundsätzlich ebenfalls nicht an das zum Tatzeitpunkt oder am Tatort
geltende Verfahrensrecht anknüpfen. Der Tatrichter hat stets das für ihn am
Gerichtsort aktuell geltende Verfahrensrecht anzuwenden (BGHSt 2, 300, 308;
vgl. auch BGHSt 4, 379, 384 f.; 21, 367, 369). Bereits aufgehobene oder abgeänderte
Verfahrensregelungen finden grundsätzlich nur Anwendung, wenn der
Gesetzgeber dies ausdrücklich regelt. Insoweit besteht für den Gesetzgeber
Anlaß zu Übergangsregelungen, soweit er abgeänderte Verfahrensregelungen
für Altfälle oder nicht abgeschlossene Fälle fortgelten lassen will. Dementsprechend
hat der Bundesgerichtshof auch die durch Gesetz vom 27. Dezember
2003 (BGBl. I S. 3007) geänderte Ruhensvorschrift nach § 78b Abs. 1 Nr. 1
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StGB, die gleichfalls keine Übergangsregelung enthält und faktisch zu einer
Verlängerung der Verjährungsfrist führt, grundsätzlich auch auf davor begangene
Taten angewandt (BGH, Beschl. v. 24.06.2004 - 4 StR 165/04, BGHR StGB
§ 78b Abs. 1 Ruhen 12). In dem dort entschiedenen Fall schied eine Berücksichtigung
der Ruhensfristen nur deshalb aus, weil der Tatvorwurf zum Zeitpunkt
des Inkrafttretens der Ruhensbestimmung bereits verjährt war.
Eine dem Täter günstige Übergangsregelung hat der Gesetzgeber
allerdings in Art. 309 Abs. 3 EGStGB, Art. 155 Abs. 2 EGOWiG im Zuge einer
grundlegenden Umgestaltung der jeweiligen Rechtsmaterien getroffen. In diesen
Übergangsregelungen ist bestimmt, daß die Verjährungsfristen des bisherigen
Rechts für Altfälle dann fortgelten, wenn sie kürzer sind. Die genannten
Vorschriften der Einführungsgesetze, die ersichtlich im Zuge der damaligen Reformen
mögliche Unsicherheiten zugunsten der Täter lösen wollten, sind in
ihrem Regelungsgehalt jedoch nicht verallgemeinerungsfähig, zumal es in der
Vergangenheit ebenso gesetzliche Regelungen gegeben hat, die ausdrücklich
Altfälle einbeziehen (etwa Art. 2 des Gesetzes vom 16. Juli 1979 <BGBl. I
S. 1046> oder Art. 2 des Gesetzes vom 23. Juni 1994 <BGBl. I S. 1310>). Da
das Korruptionsbekämpfungsgesetz keine am Tatzeitrecht orientierte Übergangsregelung
enthält, verbleibt es bei dem allgemeinen Grundsatz, wonach
bei der Entscheidung über das Vorliegen eines Verfahrenshindernisses die zu
diesem Zeitpunkt geltenden Verjährungsregeln anzuwenden sind.
Aus den Gesetzesmaterialien läßt sich gleichfalls nicht entnehmen, daß
der Wille des Gesetzgebers bestanden hätte, die Verlängerung der Verjährung
auf solche Ordnungswidrigkeiten zu beschränken, die nach Inkrafttreten des
Gesetzes begangen wurden. Zwar waren die - relativ spät in das Gesetzgebungsverfahren
eingebrachten - Änderungen des Gesetzes gegen Wettbe-
11 -
werbsbeschränkungen und des Ordnungswidrigkeitengesetzes als flankierende
gesetzliche Maßnahme im Zuge der Einführung des Straftatbestandes der
wettbewerbsbeschränkenden Absprachen bei Ausschreibungen (§ 298 StGB)
für notwendig erachtet worden (BT-Drucks. 13/8079, S. 16). Dies läßt jedoch
nicht den Schluß zu, der Gesetzgeber habe auch die verlängerte Verjährungsfrist
auf solche Ordnungswidrigkeiten beschränken wollen, die erst nach Inkrafttreten
des mit dem Korruptionsbekämpfungsgesetz geschaffenen Straftatbestands
des § 298 StGB begangen wurden. Vielmehr ergibt sich aus der Begründung,
daß bereits im Hinblick auf häufig erforderliche zeitraubende Ermittlungen
wegen des Verdachts des Betruges (§ 263 StGB) die bisherige dreijährige
Verjährungsfrist als unangemessen kurz empfunden wurde (BT-Drucks.
aaO).
Die Materialien deuten damit eher auf die Absicht des Gesetzgebers
hin, generell für Ordnungswidrigkeiten nach § 38 Abs. 1 Nr. 1 und 8 GWB a.F.,
bei denen wegen ihres gravierenden wettbewerbsbeschränkenden Charakters
häufig auch Straftaten nach § 263 StGB in Betracht kommen werden, die Verjährungsfrist
zu verlängern. Daß die Begründung dabei die Formulierung gebraucht,
"um künftig für die Verfolgung solcher Taten einen ausreichenden Zeitraum
zur Verfügung zu haben", spricht nicht gegen die vorgenommene Auslegung.
Die Begründung bezieht sich insoweit mit dem Begriff "künftig" auf die
Verfolgbarkeit der Taten und schließt damit auch bereits begangene Ordnungswidrigkeiten
ein. Dabei mag die Begründung - wie sich aus der Formulierung
"insbesondere wenn ein Strafverfahren wegen wettbewerbsbeschränkender
Absprachen bei Ausschreibungen (§ 298 StGB) vorher geführt und eingestellt
wurde" ergibt - bei diesem neu geschaffenen Straftatbestand eine besondere
praktische Notwendigkeit für die Regelung gesehen haben. Eine Beschränkung
der Verlängerung der Verjährungsfrist auf solche Taten, die erst
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nach Inkrafttreten des neugeschaffenen Straftatbestands des § 298 StGB begangen
wurden, kann hieraus jedoch nicht entnommen werden. Damit findet
auch die durch das Korruptionsbekämpfungsgesetz seit dem 20. August 1997
angeordnete Verlängerung der Verjährungsfrist auf fünf Jahre Anwendung
(Kleinmann/Berg, BB 1998, 277, 281).
b) Die Verlängerung der Verjährungsfrist verstößt nicht gegen das aus
dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) folgende Rückwirkungsverbot (vgl.
hierzu BVerfGE 72, 200, 240 f.). Wie der Senat bereits in seiner Entscheidung
vom 4. November 2003 ausgeführt hat, begegnet eine Verlängerung der Verjährungsfrist
jedenfalls dann keinen Bedenken, wenn im Zeitpunkt der Verlängerung
der Verjährungsfrist die Ordnungswidrigkeit nach dem bis dahin geltenden
Recht noch nicht verjährt war (BGH, Beschl. v. 4.11.2003 - KRB 20/03,
NJW 2004, 1539, 1541 - Frankfurter Kabelkartell). Im vorliegenden Fall waren
zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der gesetzlichen Verlängerung der Verjährung
die Ordnungswidrigkeiten noch nicht verjährt. Nach den Feststellungen der
Bußgeldbescheide sind die Taten der unter § 38 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 1 GWB
a.F. fallenden Quotenabsprache, die durch entsprechende Ausgleichslieferungen
auch umgesetzt wurde, zwischen August und November 1995 begangen
worden. Die ursprünglich dreijährige Verjährungsfrist war am 20. August 1997,
dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der durch die Korruptionsbekämpfung angeordneten
Verlängerung der Verjährungsfrist auf fünf Jahre, noch nicht verstrichen.
War aber die Verjährungsfrist noch nicht abgelaufen, ist auch kein
schutzwürdiges Vertrauen der Betroffenen und der Nebenbetroffenen erkennbar.
Sie konnten nicht darauf vertrauen, daß die bei Begehung der Ordnungswidrigkeit
geltende dreijährige Verjährungsfrist unverändert bleiben würde.
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c) Auch im weiteren Verlauf des Verfahrens ist unter Beachtung der
nunmehr geltenden fünfjährigen Verjährungsfrist keine Verjährung eingetreten.
Die Verjährung war durch den Erlaß der Bußgeldbescheide (31. August 1998
und 27. September 1999) nach § 33 Abs. 1 Nr. 9 OWiG sowie letztmals durch
die Vorlage der Akten an das Oberlandesgericht (29. Juni 2000) gemäß § 33
Abs. 1 Nr. 10 OWiG unterbrochen. Die absolute Verjährungsfrist von zehn Jahren
(§ 33 Abs. 3 Satz 2 OWiG) war zum Zeitpunkt der Rücknahme der Einsprüche
nicht erreicht.
Hirsch Goette Bornkamm
Raum Meier-Beck



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