BGH,
Beschl. v. 23.5.2000 - 4 StR 157/00
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 157/00
vom
23. Mai 2000
in der Strafsache gegen
wegen Totschlags u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 23. Mai 2000
gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Neubrandenburg vom 21. Juli 1999, soweit es ihn betrifft, mit den
Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine als Schwurgericht
zuständige Strafkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher
Körperverletzung und wegen Totschlags (durch Unterlassen) zu
einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Gegen dieses
Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die
Verletzung formellen und sachlichen Rechts rügt.
Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg; eines Eingehens
auf die Verfahrensrügen bedarf es daher nicht.
1. Nach den Feststellungen beteiligte sich der "schwer alkoholisierte"
Angeklagte am Abend des 2. November 1998 in der Wohnung des
Mitangeklagten W. an einer gegen den später getöteten
Andreas T. gerichteten tätlichen Auseinandersetzung. Gemeinsam
mit anderen schlug er mit Fäusten auf T. ein. Als danach
weiter gestritten wurde, beteiligte sich der Angeklagte daran nicht,
sondern schlief ein; er konnte nur noch "Teile des Geschehens passiv
mitverfolgen, war jedoch körperlich nicht mehr in der Lage,
einzugreifen" (UA 23). In dieser Zeit wurde T. "über Stunden
hinweg" (UA 38) gequält und mißhandelt. Der
Angeklagte, "der die Geschehnisse nicht billigte, war aufgrund seines
desolaten körperlichen Zustands nicht in der Lage,
einzugreifen oder aber sich zu entfernen und Hilfe zu holen" (UA 26).
Gegen 24.00 Uhr "bemerkten einige der Anwesenden, daß T.
keine Lebenszeichen mehr zeigte". W. sagte daraufhin, "daß T.
aus der Wohnung entfernt werden müsse". Zu diesem Zeitpunkt
war der Angeklagte erwacht und "konnte wieder aktiv am Geschehen
teilnehmen". Als T. aus der Wohnung geschleift und in der Nähe
von Garagen "abgelegt" wurde, stand der Angeklagte "beobachtend" dabei.
Er ging davon aus, "daß der Geschädigte noch nicht
verstorben war" (UA 28). Nachdem er an einer Tankstelle Bier gekauft
und dieses zusammen mit Teilnehmern des Geschehens getrunken hatte,
ging er nach Hause. Andreas T. verstarb noch in derselben Nacht an den
ihm von den übrigen Beteiligten (UA 38/39, 40)
zugefügten Verletzungen.
2. Die Jugendkammer hat den Angeklagten wegen der "Schläge
gemeinsam mit anderen" der gefährlichen
Körperverletzung schuldig gesprochen. Aufgrund "seines
Zustandes" sei ihm zwar das weitere Tatgeschehen nicht mehr
zuzurechnen; er habe sich jedoch des Totschlags durch Unterlassen
schuldig gemacht, weil er "am Beginn der Handlungen aktiv mitgewirkt"
habe, er, als der Geschädigte aus der Wohnung verbracht worden
sei, zutreffend davon ausgegangen sei, daß T. noch lebte, ihm
bewußt gewesen sei, daß Lebensgefahr bestanden habe
und er es gleichwohl unterlassen habe, Hilfe herbeizuholen. Damit habe
er akzeptiert, "daß diese als möglich vorgestellte
Folge [nämlich der Tod des Andreas T. ] auch (eintrete).
Hätte er Hilfe geholt, (so) hätten nach Aussagen des
Sachverständigen We. durchaus
Überlebenschancen bestanden" (UA 41).
3. Diese Wertung hält rechtlicher Nachprüfung nicht
stand:
a) Zum einen begegnet die vom Landgericht "aus Ingerenz" hergeleitete
Garantenstellung des Angeklagten Bedenken; denn pflichtwidriges
Vorverhalten begründet nur dann eine Garantenstellung, wenn es
die nahe Gefahr des Eintritts des konkreten
tatbestandsmäßigen Erfolges verursacht (vgl. BGH
NStZ 1998, 83, 84; NJW 1999, 69, 71 f. m.w.N.). War dem Angeklagten -
wovon das Landgericht ausgeht (UA 40) - der Erfolg der Exzesshandlungen
anderer nicht zuzurechnen, so kann aus diesen nicht seine
Garantenstellung für die Nichtabwendung des späteren
Todeseintritts abgeleitet werden (s. BGH a.a.O.).
Allerdings hat das Landgericht nicht - wie es erforderlich gewesen
wäre -geprüft und erörtert, ob die
Schläge des Angeklagten oder sein sonstiges der
Tötung vorausgegangenes Verhalten eine Gefahrerhöhung
für das Opfer dadurch bewirkten, daß die anderen in
ihrem zum Tod führenden Vorgehen bestärkt wurden, und
hierdurch eine Garantenstellung des Angeklagten begründet
wurde (vgl. BGH NStZ 1992, 31 f.; StV 1998, 127, 128;
Tröndle/Fischer StGB 49. Aufl. § 13 Rdn. 11).
b) Die Verurteilung wegen Totschlags durch Unterlassen kann auch
deswegen keinen Bestand haben, weil nicht belegt ist, daß
durch ein Eingreifen des Angeklagten der Tod des Andreas T. mit an
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert worden
wäre; denn nur dann könnte das Unterlassen
für den Erfolgseintritt ursächlich geworden sein
(vgl. BGHSt 6, 1, 2; 43, 381, 397; BGH bei Dallinger MDR 1971, 361;
NStZ 1992, 31; BGHR StGB § 13 Abs. 1 Brandstiftung 1). Allein,
daß - im Urteil nicht näher begründete -
"Überlebenschancen" für das Tatopfer bestanden
hätten, reicht hierfür nicht aus (vgl.
Tröndle/Fischer a.a.O. § 13 Rdn. 14).
4. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Wegen des
engen sachlichen Zusammenhangs zwischen dem festgestellten aktiven Tun
(gefährliche Körperverletzung) und der vorgeworfenen
Unterlassungstat hebt der Senat das Urteil, soweit es den Angeklagten
betrifft, insgesamt auf, um dem nunmehr erkennenden Tatrichter die
Möglichkeit zu geben, eine Entscheidung ohne Bindung an
rechtskräftige Feststellungen zu treffen. Bei der neuen
Rechtsfolgenentscheidung wird zu prüfen sein, ob bei dem
Angeklagten, der in dem angefochtenen Urteil als "pathologischer
Alkoholiker" (UA 21) bezeichnet wird, die Voraussetzungen für
eine Unterbringung nach § 64 StGB vorliegen.
5. Da sich das weitere Verfahren nur noch gegen einen Erwachsenen
richtet, verweist der Senat die Sache an eine als Schwurgericht
zuständige Strafkammer des Landgerichts zurück (vgl.
BGHSt 35, 267).
Maatz Kuckein Athing
Solin-Stojanovic Ernemann |