BGH,
Beschl. v. 24.1.2006 - 4 StR 416/05
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 416/05
vom 24.1.2006
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 24.01.2006
gemäß §§ 44 ff., 349 Abs. 2 und 4
StPO beschlossen:
1. Dem Angeklagten wird auf seinen Antrag nach Versäumung der
Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des
Landgerichts Halle vom 5. April 2005 Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand gewährt. Die Kosten der Wiedereinsetzung hat der
Angeklagte zu tragen. 2. Auf die Revision des Angeklagten wird das
vorbezeichnete Urteil mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der
Angeklagte verurteilt worden ist. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die
Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die
Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts
zurückgewiesen. Gründe: Das Landgericht hat den
Angeklagten wegen Vergewaltigung (Tatopfer: Corinna D. ) zu einer
Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Von dem
Vorwurf einer weiteren Vergewaltigung (Tatopfer: Kerstin M. ) hat es
ihn freigesprochen, da es erhebliche Zweifel an der Glaubwür-1
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digkeit der Zeugin M. hatte. Mit seiner auf die Sachrüge
gestützten Revision wendet sich der Angeklagte gegen die
Verurteilung. Wegen Versäumung der Frist zur
Begründung der Revision hat er ferner um Wiedereinsetzung in
den vorigen Stand nachgesucht. 1. Dem Angeklagten ist nach
Versäumung der Revisionsbegründungsfrist
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, da ihn, wie
seine Verteidigerin glaubhaft vorgetragen hat, an der
Fristversäumung kein (Mit-)Verschulden trifft (§ 44
Satz 1 StPO). 2 2. Das Rechtsmittel hat in der Sache Erfolg, da die
Beweiswürdigung des Landgerichts einen durchgreifenden
Rechtsfehler aufweist. 3 a) Das Landgericht hat die Verurteilung des
die Tat bestreitenden Angeklagten im Wesentlichen auf die Angaben der
Geschädigten Corinna D. gestützt. Zur Beurteilung der
Aussagetüchtigkeit und Glaubwürdigkeit der Zeugin hat
es sich der Beratung durch einen Sachverständigen bedient.
Dieser hat unter anderem ausgeführt, bei den
durchgeführten Untersuchungen seien die Schilderungen der
intellektuell unterdurchschnittlich begabten Zeugin unstrukturiert und
mit Fabulationen durchsetzt gewesen. In Suggestibilitätstests
habe sie nachhaltig beeinflussbar gewirkt. Bei Vorhalten sei sie stets
bemüht gewesen, einmal vorgetragene Schilderungen zu
bestätigen oder mit weiteren Fabulationen zu
erläutern. 4 b) Das Landgericht ist diesen Darlegungen des
Sachverständigen bei der Bewertung der
Aussagetüchtigkeit der Zeugin gefolgt. Es hat trotz der vom
Sachverständigen aufgezeigten Besonderheiten im
Aussageverhalten der Zeugin deren Glaubwürdigkeit in Bezug auf
das dem Angeklagten zur Last gelegte 5
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Vergewaltigungsgeschehen bejaht und dies im Wesentlichen mit der
Konstanz der Aussagen der Zeugin zum Kerngeschehen begründet.
Soweit der Sachverständige demgegenüber die
Auffassung vertreten habe, die von der Zeugin D. im
Ermittlungsverfahren vorgelegte schriftliche Zeugenaussage vom 14. Juli
2004 sei - mit Blick auf übereinstimmende Formulierungen in
der Aussage der Zeugin M. - von Kerstin M.
„überarbeitet“ worden, könne dem
nicht gefolgt werden. In der Hauptverhandlung habe sich nicht der
Nachweis führen lassen, dass eine solche
Überarbeitung tatsächlich erfolgt sei. Die Zeugin D.
habe dies bestritten und angegeben, Kerstin M. lediglich ihre
Stichpunkte, nicht aber die endgültigen Versionen gezeigt zu
haben. Auch die Zeugin M. habe nichts dergleichen bekundet. c) Diese
Ausführungen lassen befürchten, dass das Landgericht
in Bezug auf die Entstehung der schriftlichen Aussage vom 14. Juli 2004
den Zweifelssatz nicht - wie geboten - zu Gunsten des Angeklagten
angewendet hat. Der Zweifelssatz gilt auch für entlastende
Indizien, und zwar unabhängig davon, ob sie einen zwingenden
oder nur einen möglichen Schluss auf die Haupttatsache
zulassen (vgl. BGHR StPO § 261 in dubio pro reo 6; Schoreit in
KK 5. Aufl. § 261 Rdn. 65 jeweils m.w.N.). Das Landgericht
hätte daher, wenn es - wovon nach den Urteilsgründen
auszugehen ist - nach einer Gesamtwürdigung des Beweisstoffes
zu einem „non liquet“ in Bezug auf die Frage einer
„Überarbeitung“ der Zeugenaussage durch
Kerstin M. gelangt ist, diese Tatsache im Rahmen der Beurteilung der
Glaubwürdigkeit der Zeugin D. zu Gunsten des Angeklagten
werten müssen. 6 c) Der Senat vermag nicht
auszuschließen, dass die Verurteilung des Angeklagten auf den
aufgezeigten Rechtsfehler beruht. Dies gilt namentlich vor dem
Hintergrund der festgestellten hohen Beeinflussbarkeit der Zeugin D. , 7
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die es möglich erscheinen lässt, dass die damals mit
der Zeugin befreundete Kerstin M. , die ihrerseits den Angeklagten
ebenfalls der Vergewaltigung bezichtigt hatte, nicht nur auf die
schriftliche Zeugenaussage vom 14. Juli 2004, sondern auch auf die
weiteren Aussagen der Zeugin im Ermittlungsverfahren Einfluss genommen
hat, auf deren Inhalt das Landgericht die Bewertung der
Glaubwürdigkeit der Zeugin wesentlich gestützt hat.
Tepperwien Maatz Athing Ernemann Sost-Scheible |