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BGH, Beschluss vom 24. Juli 2001 - 4 StR 256/01


Entscheidungstext  
 
BGH, Beschl. v. 24.7.2001 - 4 StR 256/01
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 256/01
vom
24. Juli 2001
in der Strafsache gegen
wegen Körperverletzung mit Todesfolge
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 24. Juli 2001 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Neubrandenburg vom 12. Dezember 2000 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts Stralsund zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt und das Tatmesser eingezogen.
Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt und das Verfahren beanstandet, hat Erfolg.
1. Die Verfahrensrüge ist nicht ausgeführt und daher unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
2. Der Nachprüfung aufgrund der Sachrüge hält das Urteil nicht stand.
a) Nach den Feststellungen tötete der Angeklagte den Geschädigten ohne Tötungsvorsatz mit einem Messerstich in den Brustbereich. Mit dem Stich wollte sich der Angeklagte gegen einen von ihm nicht provozierten Angriff des Geschädigten verteidigen. Dieser war unmittelbar zuvor gewaltsam in die Wohnung eingedrungen, in der sich die Tat ereignete. Er war - wie von Sinnen wirkend - auf den Angeklagten "losgegangen", hatte mehrfach gerufen: "Ich bringe Dich um", hatte ihm einen Faustschlag auf die Wange versetzt und hielt ihn am Kragen fest, als der Angeklagte, der seine rechte Hand infolge einer unfallbedingten Lähmung von drei Fingern nur eingeschränkt zu seiner Verteidigung einsetzen konnte und dem es deswegen "nicht gelang, sich effektiv ... zur Wehr zu setzen", in seiner Angst mit der linken Hand ein Klappmesser aus seiner Jackentasche zog und dem Geschädigten den tödlichen Stich beibrachte.
b) Nach Auffassung der Strafkammer war die Tat mangels Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung nicht durch Notwehr gerechtfertigt. Sie führt dazu aus: Ein Messerstich in die Brust eines unbewaffneten Angreifers sei "kein relativ mildestes Mittel mehr, um einen Angriff von sich abzuwehren. ... Unter Berücksichtigung der ... Kampfeslage hätte der Angeklagte hier mit dem Messer maximal in eine ungefährlichere Körperregion stechen dürfen".
c) Mit diesen Erwägungen hat sich das Landgericht mit der Frage der Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung und den Vorstellungen des Angeklagten hierzu nur unzureichend auseinandergesetzt.
Ob eine Verteidigungshandlung im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB erforderlich ist, hängt im wesentlichen von Art und Maß des Angriffs ab. Grundsätzlich darf der Angegriffene das Abwehrmittel wählen, das eine sofortige und endgültige Beseitigung der Gefahr erwarten läßt (vgl. BGHSt 25, 229, 230; BGH NStZ 1996, 29 jeweils mit Nachweisen). Er muß sich nicht mit der Anwendung weniger gefährlicher Verteidigungsmittel begnügen, wenn deren Abwehrwirkung zweifelhaft ist. Wann eine weniger gefährliche Abwehr geeignet ist, die Gefahr zweifelsfrei zu beseitigen, hängt von der jeweiligen "Kampflage" ab (BGHR StGB § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 5). Demgemäß ist auch der Einsatz eines Messers oder einer Schußwaffe nicht von vornherein unzulässig. Er kann aber nur das letzte Mittel der Verteidigung sein. In der Regel ist der Angegriffene gehalten, den Gebrauch des Messers oder der Waffe zunächst anzudrohen oder, sofern dies nicht ausreicht, wenn möglich, vor dem tödlichen einen weniger gefährlichen Einsatz zu versuchen (BGHSt 26, 256, 258; BGHR StGB § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 1, Verteidigung 1; BGH NStZ 1996, 29).
Den sich aus diesen Grundsätzen ergebenden Darlegungsanforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
Die von der Strafkammer angestellten Erwägungen sind im wesentlichen genereller Natur und lassen die gebotene Auseinandersetzung mit den konkreten Umständen der zu würdigenden Notwehrsituation vermissen. Ihre Auffassung, ein Messerstich in die Brust eines unbewaffneten Angreifers könne nicht das mildeste Mittel sein, trifft in dieser Allgemeinheit nicht zu. Soweit das Landgericht den Angeklagten darauf verweist, daß er nur "in eine ungefährlichere Körperregion hätte stechen dürfen", hätte es der Darlegung bedurft, daß ihm ein solcher Stich (etwa in die Arme oder in die Beine des Geschädigten) in der gegebenen Lage möglich gewesen wäre und Gewähr für eine sofortige, Weiterungen ausschließende Beendigung des Angriffs geboten hätte. Zu solchen Darlegungen bestand um so mehr Anlaß, als der Geschädigte "äußerst aufgeregt" war, "wie von Sinnen wirkte", mehrfach gedroht hatte, den Angeklagten zu töten, und diesem ausweislich des Geschehensablaufs - nicht nur wegen der Behinderung des Angeklagten an der Hand - an Körperkräften überlegen war; auch hierzu hätte es näherer Angaben bedurft.
3. Über die Sache ist daher neu zu verhandeln und zu entscheiden. Der Senat hat von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 2. Alt. StPO Gebrauch gemacht.
Meyer-Goßner Maatz Tolksdorf
Athing Ernemann
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