BGH,
Beschl. v. 25.10.2000 - 5 StR 408/00
StPO §§ 142 Abs. 1 Sätze 2 und 3, 336
Einem zeitgerecht vorgetragenen Wunsch des Beschuldigten auf Beiordnung
eines von ihm benannten Rechtsanwalts ist grundsätzlich auch
dann zu entsprechen, wenn zuvor nach Unterlassen der gebotenen
Anhörung ein anderer Pflichtverteidiger bestellt worden war.
BGH, Beschl. v. 25. Oktober 2000 - 5 StR 408/00
LG Hamburg -
5 StR 408/00
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 25. Oktober 2000
in der Strafsache gegen
wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. Oktober 2000
beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten Z wird das Urteil des Landgerichts
Hamburg vom 30. März 2000, soweit es diesen Angeklagten
betrifft, nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen
aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter schwerer
räuberischer Erpressung in Tateinheit mit
gefährlicher Körperverletzung zu einer
Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die Revision des
Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg. Die Ablehnung
der Pflichtverteidigerbestellung des vom Angeklagten bezeichneten
Verteidigers seines Vertrauens verletzte dessen Recht auf ein faires
Verfahren (Art. 6 Abs. 1 und Abs. 3 lit. c MRK, § 336 Satz 1
StPO).
I.
Wenige Tage nach seiner Verhaftung, am 29. November 1999, beantragte
der Beschwerdeführer im Blick auf einen zuvor gestellten
Haftprüfungsantrag, ihm "baldmöglichst" einen
Pflichtverteidiger zu bestellen; einen bestimmten Verteidiger, dessen
Beiordnung er wünschte, bezeichnete der
Beschwerdeführer bei dieser Gelegenheit nicht. Die
Haftprüfung wurde am 10. Dezember 1999, noch ohne Verteidiger,
durchgeführt. Erst anschließend
übermittelte die Staatsanwaltschaft die Akten zur
Pflichtverteidigerbestellung (§ 140 Abs. 1 Nr. 1, §
141 Abs. 3 StPO) an den im Ermittlungsverfahren zuständigen
Strafkammervorsitzenden (§ 141 Abs. 4 StPO), der am 22.
Dezember 1999 - unmittelbar, nachdem die Akten bei ihm eingegangen
waren und ohne daß er dem Beschwerdeführer zuvor
Gelegenheit gegeben hätte, einen Rechtsanwalt zu bezeichnen -
Rechtsanwalt J zum Pflichtverteidiger bestellte. Der Beschluß
wurde am 27. Dezember 1999 an den Beschwerdeführer
übersandt. Ebenfalls am 27. Dezember 1999 hatte dieser
Rechtsanwalt R als Verteidiger bevollmächtigt; dessen
Meldeschriftsatz gelangte am 29. Dezember 1999 zu den Akten.
Anlaß für eine Aufhebung der
Pflichtverteidigerbestellung von Rechtsanwalt J
wurde nicht gesehen (vgl. § 143 StPO); dieser erhielt
zunächst Akteneinsicht, danach auch Rechtsanwalt R .
Im Januar 2000 beantragte der Beschwerdeführer in zwei
Schreiben unter Hinweis auf zeitliche Überschneidungen bei der
Verteidigerbestellung, anstelle von Rechtsanwalt J Rechtsanwalt R zum
Pflichtverteidiger zu bestellen, der ihn schon früher
verteidigt und den er über die vorliegende Sache informiert
habe, bevor er von der Beiordnung des Rechtsanwalts J erfahren habe.
Nach der zwischenzeitlich erfolgten Anklageerhebung lehnte der nunmehr
zuständige Strafkammervorsitzende diesen Antrag am 8. Februar
2000 ab, nachdem er geklärt hatte, daß Rechtsanwalt
R - den der Beschwerdeführer selbst nicht honorieren konnte -
die Verteidigung nicht als Wahlverteidiger durchführen werde;
ein wichtiger Grund, anstelle des Rechtsanwalts J Rechtsanwalt R zum
Pflichtverteidiger zu bestellen, sei "weder vorgetragen noch
ersichtlich". Bereits am 10. Februar 2000 erhob der
Beschwerdeführer, dem Rechtsanwalt R inzwischen mitgeteilt
hatte, er könne ihn zu seinem Bedauern "aufgrund der
vorrangigen Bestellung eines anderen Verteidigers als
Pflichtverteidiger" nicht verteidigen, Gegenvorstellung, die aus den
genannten Gründen abgelehnt wurde.
In der am 27. März 2000 begonnenen Hauptverhandlung wurde der
Beschwerdeführer von Rechtsanwalt J verteidigt. Am
Schluß des ersten Verhandlungstages teilte der
Beschwerdeführer dem Strafkammervorsitzenden nochmals mit, er
wolle nicht weiter von Rechtsanwalt J
verteidigt werden; er bat um Unterbrechung der Verhandlung, bis er
einen Rechtsanwalt P erreicht habe. Der Vorsitzende lehnte
außerhalb der Hauptverhandlung eine Entpflichtung von
Rechtsanwalt J erneut ab. Die Hauptverhandlung wurde am 30.
März 2000 unter Mitwirkung dieses Verteidigers bis zur
Verkündung des angefochtenen Urteils abgeschlossen.
II.
Diese Verfahrensweise beanstandet die Revision mit Recht.
1. Schon der Vorlauf der Bestellung eines anderen Pflichtverteidigers
war verfahrensrechtlich bedenklich. Dabei ist nämlich die
Verfahrensvorschrift des § 142 Abs. 1 Satz 2 StPO unbeachtet
geblieben, welche das im fairen Verfahren zu beachtende Interesse des
Beschuldigten konkretisiert, von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens
verteidigt zu werden (vgl. dazu Laufhütte in KK 4. Aufl.
§ 142 Rdn. 8 m.w.N.). Es lag kein begründeter
Anlaß vor, von der vorgesehenen Anfrage beim Beschuldigten
ausnahmsweise abzusehen: Eine besondere Eilbedürftigkeit ist
dem erst nach über drei Wochen beschiedenen Antrag des
inhaftierten Beschwerdeführers, dessen zugleich erstrebte
Haftprüfung noch ohne Verteidiger durchgeführt worden
war, ersichtlich gerade nicht zuerkannt worden. Der Umstand,
daß der Beschwerdeführer in dem Antrag von sich aus
keinen Rechtsanwalt als gewünschten Pflichtverteidiger benannt
hatte, machte seine Anhörung nicht grundsätzlich
entbehrlich; es war nicht ohne weiteres davon auszugehen, der
Beschwerdeführer hätte sein Vorschlagsrecht gekannt,
aber darauf verzichten wollen (vgl. OLG Frankfurt NStZ-RR 1996, 271).
2. Allein die Nichtbeachtung des § 142 Abs. 1 Satz 2 StPO
begründet allerdings noch nicht die Revision (vgl. BGHR StPO
§ 142 Abs. 1 - Auswahl 3). Der Beschwerdeführer sieht
aber unter Berücksichtigung des anschließenden
Verfahrensablaufs zutreffend einen durchgreifenden Ermessensfehler in
der Ablehnung seines Begehrens, ihm in Abänderung der
getroffenen Beiordnungsentscheidung den Verteidiger seiner Wahl zum
Pflichtverteidiger zu bestellen. Mit der ablehnenden Entscheidung hat
der Strafkammervorsitzende die Bedeutung des Rechts des
Beschwerdeführers auf ein faires Verfahren verkannt.
Danach ist bei der Auswahl des Pflichtverteidigers dem Interesse des
Beschuldigten, von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigt zu
werden, ausreichend Rechnung zu tragen; grundsätzlich soll der
Beschuldigte mit der Beiordnung des Verteidigers seines Vertrauens
demjenigen gleichgestellt werden, der sich auf eigene Kosten einen
Verteidiger gewählt hat (vgl. BVerfGE 9, 36, 38; BGHSt 43,
153, 154 f.). Das bedeutet, daß einem zeitgerecht
vorgetragenen Wunsch des Beschuldigten auf Beiordnung eines von ihm
benannten Rechtsanwalts grundsätzlich zu entsprechen ist, es
sei denn, wichtige Gründe stehen dem entgegen.
Die geschützte Interessenlage des Beschwerdeführers
war hier schon durch die unterbliebene Anhörung nach
§ 142 Abs. 1 Satz 2 StPO vor der Pflichtverteidigerbestellung
nicht in gebotener Weise beachtet worden. Nachdem
anschließend gleichwohl der Wunsch des
Beschwerdeführers, von einem anderen Rechtsanwalt verteidigt
zu werden, alsbald - noch bevor der bestellte Verteidiger
maßgeblichen Arbeitsaufwand investiert hatte - aktenkundig
geworden und anschließend vom Beschwerdeführer noch
mit sachlichen Argumenten besonders begründet worden war, lag
hier ein - vom Strafkammervorsitzenden zu Unrecht vermißter -
wichtiger Grund für die begehrte Änderung der
Pflichtverteidigerbestellung ersichtlich vor. Deren Ablehnung verletzte
folglich das Recht des Beschwerdeführers auf ein faires
Verfahren.
3. Daß der Beschwerdeführer sein Begehren nicht
unmittelbar zu Beginn der Hauptverhandlung nochmals vorgebracht hat,
stellt seine Rügebefugnis hier nicht in Frage. Nach dem
Verfahrensvorlauf war ihm als Laien eine Wiederholung seines bereits
mehrfach abgelehnten Wunsches, den er aus seiner Sicht für
wenig aussichtsreich erachten mußte, nicht zuzumuten; die
Hilfe seines amtierenden Verteidigers konnte er für sein
Begehren nicht in Anspruch nehmen.
Der Beschwerdeführer hat auch nicht etwa über einen
wesentlichen Zeitraum die Verteidigung durch Rechtsanwalt J
widerspruchslos hingenommen, so daß seinem Verhalten auch
nicht etwa eine nachträgliche Zustimmung zur
Pflichtverteidigerbestellung, die dann im Revisionsverfahren nicht
widerrufen werden könnte, zu entnehmen ist. Daß er
in seinem nach Beginn der Hauptverhandlung gestellten Antrag auf
Ablösung des Pflichtverteidigers nunmehr - nachdem eine
Beiordnung von Rechtsanwalt R
stets abgelehnt worden war - noch einen anderen Rechtsanwalt benannt
hat, stellt die Revisibilität des gerügten
Verfahrensfehlers ebenfalls nicht in Frage.
Ein Beruhen des Schuldspruchs auf dem gerügten
Verfahrensverstoß läßt sich nicht
ausschließen. Dies wäre bei der gegebenen Sachlage
nur dann in Betracht zu ziehen, wenn der Beschwerdeführer von
Anfang an umfassend geständig gewesen wäre. Dies ist
indes nicht der Fall.
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