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BGH, Beschluss vom 26. August 2005 - 3 StR 259/05


Entscheidungstext  
 
BGH, Beschl. v. 26.8.2005 - 3 StR 259/05
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 259/05
vom
26.08.2005
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u. a.
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 26.08.2005 gemäß § 349
Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Hannover vom 8.04.2005 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in
Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei
Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision,
mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel
hat mit der Sachrüge Erfolg, so dass es auf die Verfahrensrügen nicht ankommt.
Das Urteil hat keinen Bestand, weil die Feststellung des Landgerichts,
der Angeklagte habe mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt, nicht frei von
Rechtsfehlern ist.
1. Nach den Feststellungen war der Angeklagte in den frühen Morgenstunden
in einem Lokal in eine tätliche Auseinandersetzung verwickelt, ging
sodann in seine nahe gelegene Wohnung, um seine blutenden Kopfverletzungen
zu versorgen, und kehrte, nachdem es mehrfach in seiner Wohnung geklingelt
hatte, mit je einem scharfen Küchenmesser in jeder Hand bewaffnet auf
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die Straße zurück in der Vermutung, seine Kontrahenten stünden vor der Haustüre.
Als er dort niemand antraf, ging er in Richtung des Lokals. Die Personen,
mit denen er die Auseinandersetzung gehabt hatte, entfernten sich gerade von
dem Lokal in die dem Angeklagten entgegengesetzte Richtung. Der erheblich
alkoholisierte Angeklagte (maximale BAK von 2,3 %o) lief ihnen nach und erreichte
als ersten der Gruppe den Zeugen K. , der bei der vorangegangenen
Auseinandersetzung zu schlichten versucht hatte. Als er unmittelbar vor
dem Zeugen stand, führte der Angeklagte mit der rechten Hand, in der er ein
Messer hielt, in Bauchhöhe des Zeugen K. eine weit ausholende, langgezogene
Bewegung aus. Er traf den Zeugen K. mit dem Messer im Oberbauch.
"Bei seinem Vorgehen nahm der Angeklagte den Tod des Zeugen K.
zumindest billigend in Kauf" (UA S. 8). Einem weiteren Stich konnte der
Zeuge ausweichen, ehe andere Personen dazwischentraten und den Angeklagten
an weiteren Angriffen hinderten. Der Zeuge erlitt im linken Mittelbauchbereich
eine oberflächliche Schnittverletzung mit einer Länge von 11 cm und
einer Tiefe von 3 cm, die im Krankenhaus mit mehreren Stichen genäht wurde.
Zu einer Eröffnung der Bauchhöhle war es nicht gekommen.
Seine Überzeugung vom zumindest bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten
begründet das Landgericht wie folgt: Der Angeklagte habe von der
Schärfe der Küchenmesser gewusst; die Art der Messerführung lasse nur den
Schluss zu, der Angeklagte habe eine Bauchverletzung in Kauf genommen;
wer in der konkreten Situation (Ein großer, kräftiger Angeklagter führt ein
scharfes Messer) eine Bauchverletzung für möglich halte, rechne auch damit,
dass diese möglicherweise tödlich verlaufen könne. Das Wissen um die Gefährlichkeit
seines Vorgehens habe der Angeklagte in der Hauptverhandlung
ausdrücklich eingeräumt (UA S. 13).
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2. Mit dieser Begründung wird der bedingte Tötungsvorsatz nicht ausreichend
belegt.
Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt
des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fern liegend erkennt,
ferner, dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung
abfindet; bewusste Fahrlässigkeit liegt hingegen dann
vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung
nicht einverstanden ist und ernsthaft - nicht nur vage - darauf vertraut, der tatbestandliche
Erfolg werde nicht eintreten. Da diese beiden Schuldformen im
Grenzbereich eng beieinander liegen, müssen bei der Annahme bedingten
Vorsatzes beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissenselement
als auch das Willenselement, in jedem Einzelfall besonders geprüft und
durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (BGHSt 36, 1, 9 f.; BGHR
StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 24, 33; BGH NStZ 2003, 603).
Zu dem voluntativen Element des bedingten Vorsatzes verhält sich das
angefochtene Urteil nicht. Dass der Angeklagte sich mit dem Tod des Zeugen
K. abgefunden hat, liegt angesichts der hohen Hemmschwelle gegenüber
einer Tötung, der Alkoholisierung des Angeklagten und des Tatvorgeschehens
nicht so nahe, dass eine Erörterung entbehrlich hätte sein können.
3. Die Sache muss daher neu verhandelt und entschieden werden.
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von Lienen Hubert



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