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BGH, Beschluss vom 27. April 2005 - GSSt 2/04


Entscheidungstext  
 
BGH, Beschl. v. 27.4.2005 - GSSt 2/04
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
GSSt 2/04
vom
27.4.2005
in den Strafsachen
gegen
wegen
zu 1. Betrugs u.a.
zu 2. schwerer räuberischer Erpressung
zu 3. unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge u.a.
- 2 -
Der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs hat durch den
Präsidenten des Bundesgerichtshofs Prof. Dr. Hirsch, den Vorsitzenden Richter
am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Tolksdorf, die Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Rissing-van Saan, den Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof
Nack sowie die Richter am Bundesgerichtshof Häger, Maatz, Basdorf,
Winkler, Dr. Bode, Prof. Dr. Kuckein und Schluckebier am 27.04.2005 beschlossen:
§ 69 StGB bezweckt den Schutz der Sicherheit des Straßenverkehrs.
Die strafgerichtliche Entziehung der Fahrerlaubnis
wegen charakterlicher Ungeeignetheit bei Taten im Zusammenhang
mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs (§ 69 Abs. 1
Satz 1 Variante 2 StGB) setzt daher voraus, daß die Anlaßtat
tragfähige Rückschlüsse darauf zuläßt, daß der Täter bereit
ist, die Sicherheit des Straßenverkehrs seinen eigenen kriminellen
Interessen unterzuordnen.
Gründe:
A.
I.
In drei beim Bundesgerichtshof anhängigen verbundenen Revisionsverfahren
ist den Angeklagten vom Landgericht neben der Verhängung von Freiheitsstrafen
jeweils die Fahrerlaubnis gemäß § 69 Abs. 1 StGB entzogen und
nach § 69 a StGB eine Sperrfrist für deren Wiedererteilung verhängt worden.
Den Urteilen liegen folgende Fallgestaltungen zugrunde:
- 3 -
1. Der vom Landgericht u.a. wegen (gemeinschaftlichen) Betrugs in
75 Fällen unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus einer rechtskräftigen Vorverurteilung
zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilte Angeklagte setzte ungültige
Kreditkarten zu betrügerischen Einkäufen ein. In der Mehrzahl der Fälle
fuhr er mit einem Kraftfahrzeug zu Tankstellen, bei denen sein Mittäter den Angestellten
gesperrte Kreditkarten zur Bezahlung getankten Benzins und anderer
gekaufter Waren vorlegte. Dies entsprach - teilweise mit umgekehrter Rollenverteilung
zwischen den Tätern - weitgehend der Vorgehensweise des Angeklagten
bei den Taten, die Gegenstand der einbezogenen Verurteilung sind.
In einem der bereits abgeurteilten Fälle sollte die vom Angeklagten vorgelegte
gesperrte Kreditkarte vom Tankstellenpersonal auf ihre Gültigkeit überprüft
werden. Daraufhin flüchtete der Angeklagte in den Pkw seines Mittäters, der
sodann "mit Vollgas" davonfuhr. Das Fluchtfahrzeug wurde nach Einleitung
einer Nahbereichsfahndung von der Polizei gestellt.
2. Der wegen schwerer räuberischer Erpressung verurteilte Angeklagte
begab sich gemeinsam mit einem Mittäter gegen 4 Uhr morgens mit seinem
Pkw zum Haus einer Tierärztin und zwang sie unter Vorhalt eines geladenen
Revolvers zur Herausgabe von Schmuck, Bargeld und mehreren wertvollen
afrikanischen Skulpturen. Nachdem er sein Opfer gefesselt und die Figuren in
einer Sporttasche verstaut hatte, transportierte er die Beute mit seinem Pkw zu
seiner Wohnung.
3. Der u.a. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in
nicht geringer Menge verurteilte Angeklagte erwarb in 16 Fällen insgesamt ca.
13 kg Haschisch zum Handeltreiben und Eigenverbrauch. Für die einzelnen
Beschaffungsfahrten benutzte er seinen Pkw. Nachdem der Angeklagte nach
Empfang der letzten Lieferung festgenommen worden war, wurde bei der an-
4 -
schließenden Durchsuchung seines Fahrzeugs Haschisch (975 g), das der Angeklagte
in einem auf dem Beifahrersitz liegenden Rucksack transportierte,
sichergestellt.
II.
Mit ihren Revisionen haben die Angeklagten die Urteile umfassend zur
Überprüfung durch den Bundesgerichtshof gestellt. Der für die Entscheidung
zuständige 4. Strafsenat hat die Revisionen, soweit sie sich gegen den Schuldund
Strafausspruch richteten, jeweils durch Teilurteil verworfen. Die Entscheidung
über die in den Urteilen jeweils angeordnete Maßregel hat er einer abschließenden
Entscheidung vorbehalten (u.a. Urt. vom 6. Juli 2004 - 4 StR
85/03 - NJW 2004, 2686, zur Veröffentlichung in BGHSt 49, 209).
Entsprechend den vom Generalbundesanwalt gestellten Anträgen hält
der 4. Strafsenat die von den Angeklagten erhobenen Sachrügen zum Maßregelausspruch
für begründet, weil entgegen der Meinung der Landgerichte allein
die Benutzung eines Kraftfahrzeugs zur Begehung der abgeurteilten Straftaten
die charakterliche Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht
belege. Vielmehr müsse ein spezifischer Zusammenhang zwischen Tat und
Verkehrssicherheit bestehen. Dazu verhielten sich die angefochtenen Urteile
jedoch nicht; sie müßten daher im Maßregelausspruch aufgehoben und die
Sachen gegebenenfalls zum Zwecke ergänzender Feststellungen an den Tatrichter
zurückverwiesen werden. Daran sieht sich der 4. Strafsenat jedoch
durch bisherige Rechtsprechung der übrigen Strafsenate gehindert, die es jedenfalls
in Fällen schwerer oder wiederholter Straftaten für die Entziehung der
Fahrerlaubnis mehrfach haben ausreichen lassen, daß die Taten unter Verwendung
eines Kraftfahrzeugs begangen wurden (vgl. nur BGH NStZ 2004, 86,
87 m.w.N.).
- 5 -
- 6 -
III.
Auf die Anfrage des 4. Strafsenats vom 16. September 2003 (BGH aaO)
hat der 1. Strafsenat am 13. Mai 2004 - insbesondere unter Hinweis auf einen
nach seinem Verständnis über den Schutz der Verkehrssicherheit hinausgehenden
Schutzzweck der Maßregel im Sinne eines Schutzes der Allgemeinheit
vor Straftaten allgemeiner Art - an seiner bisherigen Rechtsprechung festgehalten
(Beschl. vom 13. Mai 2004 - 1 ARs 31/03). Der 3. Strafsenat (Beschl. vom
13. Januar 2004 - 3 ARs 30/03) und der 5. Strafsenat (Beschl. vom 28. Oktober
2003 - 5 ARs 67/03 - NStZ 2004, 148) haben dem Erfordernis eines "verkehrsspezifischen
Zusammenhangs" im Rahmen des § 69 Abs. 1 StGB unter Aufgabe
entgegenstehender eigener Rechtsprechung zugestimmt. Der 2. Strafsenat
(Beschl. vom 21. Januar 2004) hat auf seinen Beschluß vom 26. September
2003 - 2 StR 161/03 (BGHR StGB § 69 Abs. 1 Entziehung 14 = NStZ 2004, 144
= StV 2004, 132) verwiesen, in dem er der Rechtsmeinung des 4. Strafsenats
beigetreten ist, jedoch angeregt, die aufgeworfenen Rechtsfragen wegen deren
grundsätzlicher Bedeutung durch den Großen Senat für Strafsachen klären zu
lassen.
Daraufhin hat der 4. Strafsenat durch Beschluß vom 26. August 2004
(NJW 2004, 3497) dem Großen Senat für Strafsachen wegen Divergenz und
grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 und 4 GVG folgende Rechtsfrage
zur Entscheidung vorgelegt:
Ergibt sich die charakterliche Ungeeignetheit zum Führen von
Kraftfahrzeugen nur dann aus der Tat (§ 69 Abs. 1 Satz 1
StGB), wenn aus dieser konkrete Anhaltspunkte dafür zu erkennen
sind, daß der Täter bereit ist, die Sicherheit des Straßenverkehrs
seinen eigenen kriminellen Interessen unterzu-
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ordnen - ist somit ein spezifischer Zusammenhang zwischen
Anlaßtat und Verkehrssicherheit erforderlich?
Der Generalbundesanwalt hält zwar mit dem anfragenden Senat eine
bessere Strukturierung der bisherigen Rechtsprechung für wünschenswert,
vertritt aber die Auffassung, daß es hierfür des "ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals"
eines spezifischen Zusammenhangs zwischen Tat und
Verkehrssicherheit nicht bedürfe. Vielmehr könne dieses Ziel auch unter
Beibehaltung der bisherigen Rechtsprechung dadurch erreicht werden, daß auf
eine Begründung der Maßregelanordnung nach § 69 Abs. 1 Satz 1 StGB
hingewirkt werde, die den Sinn und Zweck der Maßregel - Schutz der
Verkehrssicherheit - achte und dem Revisionsgericht die umfassende
Überprüfung ermögliche.
Der Generalbundesanwalt hat beantragt zu beschließen:
Die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen im Sinne
des § 69 Abs. 1 Satz 1 StGB kann sich bei einer Straftat im
Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs auch
dann aus der Tat ergeben, wenn das Fehlverhalten des Täters
kein verkehrsspezifisches ist.
B.
I.
Die Vorlage ist schon nach § 132 Abs. 2 GVG zulässig. Der 4. Strafsenat
kann nicht so wie beabsichtigt entscheiden, ohne von der Rechtsprechung
des 1. Strafsenats abzuweichen.
- 8 -
II.
Der Große Senat für Strafsachen beantwortet die vorgelegte Rechtsfrage,
wie aus der Entscheidungsformel ersichtlich.
1. Nach ständiger Rechtsprechung ist dem Täter die Fahrerlaubnis nach
§ 69 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 StGB wegen in der Tat zutage getretener mangelnder
Eignung auch dann zu entziehen, wenn kein typisches Verkehrsdelikt vorliegt,
sondern wenn die im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs
begangene Straftat der allgemeinen Kriminalität zuzurechnen ist - sog. Zusammenhangstat
- (vgl. BGHR StGB § 69 Abs. 1 Entziehung 8, 13). Dabei wird
der Begriff des Zusammenhangs weit gefaßt. Es kommt nicht darauf an, ob die
Fahrt vor, während oder nach der Tat unternommen wird. Wesentlich ist vielmehr,
daß das Führen des Kraftfahrzeugs dem Täter für die Vorbereitung oder
Durchführung der Straftat oder anschließend für ihre Ausnutzung oder Verdekkung
dienlich sein soll (BGHSt 22, 328, 329; Geppert in LK 11. Aufl. § 69
Rdn. 33).
Soweit es das Merkmal der Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen
anbelangt, ist unstreitig, daß diese nicht nur auf Einschränkungen körperlicher
oder geistiger Art, sondern auch auf fehlender charakterlicher Zuverlässigkeit
beruhen kann (st. Rspr.; vgl. nur BGHR StGB § 69 Abs. 1 Entziehung
3, 6, 10, 11, 13). Welche Umstände grundsätzlich geeignet sind, auf die charakterliche
Ungeeignetheit eines Straftäters zum Führen von Kraftfahrzeugen
zu schließen und welchen Begründungsaufwandes es für den Tatrichter bedarf,
um die charakterliche Ungeeignetheit im konkreten Fall im Urteil darzulegen,
ist von der höchstrichterlichen Rechtsprechung dagegen bislang uneinheitlich
beantwortet worden. Während in einer Vielzahl von Entscheidungen eine umfassende
Gesamtwürdigung von Tat und Täterpersönlichkeit auch oder gerade
- 9 -
in Bezug auf künftiges Verkehrsverhalten verlangt worden ist (vgl. nur BGHR
StGB § 69 Abs. 1 Entziehung 2, 4 - 7, 10, 13), soll dies nach anderen Judikaten
bei schwerwiegenden oder wiederholten Straftaten unter Benutzung eines
Kraftfahrzeugs - insbesondere im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität -
nicht oder nur im Ausnahmefall erforderlich sein (vgl. nur BGHR StGB § 69
Abs. 1 Entziehung 3; BGH NStZ 1992, 586; 2000, 26).
Die weite Auslegung des Begriffs "Zusammenhang" und die uneinheitlichen
Anforderungen an die Begründung der in § 69 StGB geforderten Ungeeignetheit
haben zu einer nicht immer kohärenten Rechtsprechung geführt, die in
der Literatur zunehmend auf Kritik gestoßen ist (vgl. Burmann in Janiszewski/
Jagow/Burmann, Straßenverkehrsrecht 17. Aufl. § 69 StGB Rdn. 6;
Geppert in LK 11. Aufl. § 69 Rdn. 34; Hentschel, Straßenverkehrsrecht 38.
Aufl. § 69 StGB Rdn. 1a ff.; Tröndle/Fischer StGB 52. Aufl. § 69 Rdn. 2, 43 f.
jeweils m.w.N.; Hartung JZ 1954, 137, 139). Insbesondere ist beanstandet worden,
daß die Grenze zwischen Maßregel und Strafe weitgehend verwischt worden
sei und von den Tatgerichten häufig nicht mehr hinreichend beachtet werde
(vgl. Athing in MünchKomm StGB § 69 Rdn. 58 sowie Rdn. 2 f., 36 ff.; Burmann
in Janiszewski/Jagow/Burmann Straßenverkehrsrecht 18. Aufl. § 69
StGB Rdn. 12; Cramer NJW 1968, 1764; ders. MDR 1972, 558, 559; Geppert
NStZ 2003, 288; Halecker Blutalkohol 2005, 93; Hentschel NStZ 2004, 57 =
Blutalkohol 2004, 143; Herzog in NK-StGB, 10. Lfg., § 69 Rdn. 4 f.; ders. StV
2004, 151, 153; Horn in SK-StGB § 69 Rdn. 2; Kuhlemeier NZV 1993, 212, 214
f.; Sowada Blutalkohol 2004, 151, 152; Stange StV 2002, 262, 263).
2. Während kein Anlaß besteht, den Begriff der Zusammenhangstat in
§ 69 Abs. 1 StGB enger als bisher und abweichend von demselben für das
Fahrverbot maßgeblichen Begriff (§ 44 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 StGB) zu bestim-
10 -
men, kann nach Auffassung des Großen Senats für Strafsachen die in einem
zweiten Prüfungsschritt zu beurteilende charakterliche Ungeeignetheit des Täters
zum Führen eines Kraftfahrzeugs im Rahmen des § 69 StGB nur dann
„aus der Tat“ (sog. Anlaßtat) hergeleitet werden, wenn dabei konkrete Anhaltspunkte
auf eine mögliche Gefährdung des Straßenverkehrs durch den Straftäter
hinweisen. Diese Auslegung orientiert sich maßgeblich am Schutzzweck
von § 69 StGB.
a) Die strafgerichtliche Entziehung der Fahrerlaubnis stellt eine Maßregel
der Besserung und Sicherung dar (§ 61 Nr. 5 StGB), die ihre Rechtfertigung
aus dem Sicherungsbedürfnis der Verkehrsgemeinschaft bezieht. Dieses
ist bedingt durch die hohen Risiken, die der Straßenverkehr infolge seiner Dynamik
für Leben, Gesundheit und Eigentum der Verkehrsteilnehmer mit sich
bringt (vgl. BVerwGE 99, 249, 250). Diese Risiken werden durch körperlich,
geistig, ebenso aber auch durch charakterlich ungeeignete Kraftfahrer verstärkt;
dem soll durch den (zumindest zeitigen) Ausschluß des Betreffenden
von der Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr entgegengewirkt werden.
Anders als seit der Entscheidung BGHSt 5, 179 in Teilen der Rechtsprechung
bis in die jüngste Zeit (vgl. BGH NStZ 2003, 658, 660 mit Anm. Kühl JR
2004, 125) vertreten worden ist, ist der Große Senat für Strafsachen der Auffassung,
daß § 69 StGB nicht auch der allgemeinen Kriminalitätsbekämpfung
dient, mithin nicht dem Zweck, den Mißbrauch der Fahrerlaubnis auch dann zu
verhindern, wenn sich dieser - ohne Verkehrssicherheitsbelange in irgendeiner
Weise zu berühren - ausschließlich auf andere Rechtsgüter nachteilig auswirkt.
Allgemeiner Rechtsgüterschutz kann ein wünschenswerter Nebeneffekt, ein
"Schutzreflex" (vgl. Empfehlungen des 42. Deutschen Verkehrsgerichtstags
2004, NZV 2004, 122, 124; Sowada Blutalkohol 2004, 151, 152) sein, ist je-
11 -
doch nicht Ziel von § 69 StGB. Schutzzweck dieser Maßregel ist vielmehr allein
die Sicherheit des Straßenverkehrs.
b) Der Große Senat für Strafsachen stützt sich für seine Auffassung
nicht auf eine gesetzeshistorische Auslegung zu § 69 StGB und dessen Vorgängervorschrift
(§ 42 m StGB), denn die Gesetzesmaterialien sind insoweit
letztlich unergiebig. Zwar sprechen - wie der 4. Strafsenat in seinem Vorlagebeschluß
(NJW 2004, 3497) näher dargelegt hat - die gesetzgeberischen
Überlegungen zur Einführung dieser Maßregel durch das (erste) Gesetz zur
Sicherung des Straßenverkehrs vom 19. Dezember 1952 (BGBl I 832) und die
Begründung zum Zweiten Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs vom
26. November 1964 (BGBl I 921) für die Sicherheit des Straßenverkehrs als
Schutzzweck (vgl. BTDrucks. IV/651 S. 9, 16). Andererseits lassen sich die Materialien
namentlich zur Änderung des § 69 b StGB (betreffend ausländische
Fahrerlaubnisse) durch das 32. Strafrechtsänderungsgesetz vom 1. Juni 1995
(BGBl I 747) auch dahin deuten, daß sich „im Interesse einer wirksamen Kriminalitätsbekämpfung“
eine die Entziehung der Fahrerlaubnis rechtfertigende
Ungeeignetheit im Sinne des § 69 Abs. 1 StGB schon aus der Begehung
schwerwiegender Zusammenhangstaten als solcher ergeben können soll (vgl.
BTDrucks. 13/198 S. 3, 4, 5).
c) Der Große Senat für Strafsachen folgert die von ihm bejahte Beschränkung
des Schutzzwecks dieser Vorschrift auf Verkehrssicherheitsbelange
maßgebend aus dem Verhältnis des § 69 StGB zu den Bestimmungen des
§ 2 Abs. 4 Satz 1, § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 11 Abs. 1 Satz 3, § 46 Abs. 1
Satz 2 FeV über die verwaltungsrechtliche Entziehung der Fahrerlaubnis. Sowohl
die strafgerichtliche als auch die verwaltungsbehördliche Entziehung der
Fahrerlaubnis knüpfen die Anordnung der Maßnahme an die Feststellung der
- 12 -
fehlenden Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen. Der in § 69 Abs. 1 StGB
verwendete Begriff der Ungeeignetheit stimmt inhaltlich mit demselben, in den
genannten Vorschriften des Straßenverkehrs- und Fahrerlaubnisrechts verwendeten
Begriff überein. Dies folgt schon daraus, daß - wie die Materialien
zum (ersten) Straßenverkehrssicherungsgesetz 1952 belegen (vgl. BTDrucks.
[1. WP] Nr. 2674 S. 8, 12) - mit der Übertragung der zuvor ausschließlich den
Verwaltungsbehörden zugewiesenen Aufgabe der Entziehung der Fahrerlaubnis
„auch“ auf den Strafrichter letzterer bei Anwendung des § 69 StGB der Sache
nach die Ordnungsaufgabe der Fahrerlaubnisbehörde wahrnimmt (BVerwG
NJW 1989, 116, 117). Deshalb ist für die Auslegung des Begriffs der Ungeeignetheit
in § 69 StGB der Zweck der Vorschrift des § 3 Abs. 1 StVG über die
Entziehung der Fahrerlaubnis beachtlich. Dieser besteht - auch in Übereinstimmung
mit neuerer verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung - darin, die
Allgemeinheit vor Kraftfahrzeugführern zu schützen, die für andere Verkehrsteilnehmer
eine Gefahr bilden. Maßstab für die Entscheidung über die
Entziehung der Fahrerlaubnis ist demgemäß die in die Zukunft gerichtete Beurteilung
der Gefährlichkeit des Kraftfahrers für den öffentlichen Straßenverkehr
(BVerwG aaO; im gleichen Sinne zur Zuverlässigkeit i.S. von § 29 d LuftVG:
BVerwG, Urt. v. 15. Juli 2004 - 3 C 33/03 - DÖV 2005, 118; vgl. auch OVG
Koblenz NJW 1994, 2436, 2437; NJW 2000, 2442, 2443; Halecker aaO S. 96
m.N.; Hentschel, Straßenverkehrsrecht 38. Aufl. § 2 StVG Rdn. 15 m.w.N.).
Dementsprechend hat auch das Bundesverfassungsgericht eine - verwaltungsrechtliche
- Entziehung der Fahrerlaubnis aufgrund charakterlich-sittlicher Mängel
an die Prognose geknüpft, daß der Betroffene bereit ist, das Interesse der
Allgemeinheit an sicherer und verkehrsgerechter Fahrweise den jeweiligen eigenen
Interessen unterzuordnen und hieraus resultierende Gefährdungen oder
- 13 -
Beeinträchtigungen des Verkehrs in Kauf zu nehmen (BVerfG, Kammer,
Beschl. vom 20. Juni 2002 - 1 BvR 2062/96 - NJW 2002, 2378, 2380).
d) Für die vom Großen Senat für Strafsachen vertretene Auffassung
spricht zudem der Vergleich der Bestimmung des § 69 Abs. 1 StGB mit den
Vorschriften der §§ 63, 64 und 66 StGB. Diese freiheitsentziehenden Maßregeln
dienen (auch) dem Schutz der Allgemeinheit vor gefährlichen Straftätern.
Dem trägt das Gesetz Rechnung, indem es die Anordnung dieser Maßregeln
an eine „unspezifische“ negative Legalprognose („erhebliche rechtswidrige Taten“
bzw. Hang zu „erheblichen Straftaten“) knüpft. Im Unterschied hierzu ist
§ 69 StGB schon nach seinem Wortlaut „verkehrsbezogen“ ausgestaltet, indem
die Vorschrift die Entziehung der Fahrerlaubnis nicht etwa von einer allgemeinen
Unzuverlässigkeit abhängig macht, sondern die Feststellung der Ungeeignetheit
gerade „zum Führen von Kraftfahrzeugen“ voraussetzt.
e) Grundlage für die Beurteilung der Eignungsfrage nach § 69 StGB bildet
für den Strafrichter die Anlaßtat. Zwar mögen Straftaten, die auf eine niedrige
Frustrationstoleranz oder ein erhöhtes Aggressionspotential des Täters
hindeuten, unabhängig von der Schwere der Rechtsgutverletzung geeignet
sein, die Zuverlässigkeit des Täters in Bezug auf Verkehrssicherheitsbelange
in Zweifel zu ziehen. Soweit dies in der Anlaßtat aber keinen hinreichenden
Ausdruck gefunden hat, ist für eine strafgerichtliche Entziehung der Fahrerlaubnis
nach dem Wortlaut des § 69 Abs. 1 Satz 1 StGB („wenn sich aus der
Tat ergibt“) kein Raum.
Die - wie ausgeführt - dem Strafrichter vom Gesetzgeber übertragene
Befugnis, in beschränktem Umfang die zuvor den Verwaltungsbehörden vorbehaltene
Entziehung der Fahrerlaubnis auszusprechen, dient dazu, eine Vereinfachung
des Verfahrens herbeizuführen. Die Feststellungen über die Persön-
14 -
lichkeit des Beschuldigten und die Umstände der Tat, die der Strafrichter für
den Schuld- und Strafausspruch ohnehin treffen muß, sollen auch für die Entziehung
der Fahrerlaubnis nutzbar gemacht werden (vgl. BTDrucks. [1. WP]
2674 S. 8). Die Verknüpfung des strafgerichtlichen Fahrerlaubnisentzugs mit
dem Einsatz eines Kraftfahrzeugs verlöre aber ihre innere Berechtigung, wenn
die Feststellung der charakterlichen Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen
losgelöst von der Benutzung des Fahrzeugs allein auf eine in der Tat
zum Ausdruck gekommene allgemeine Aggressionsbereitschaft oder Rücksichtslosigkeit
des Täters gestützt werden könnte (vgl. BGH StV 2004, 132,
133 f.; Sowada Blutalkohol 2004, 151, 153).
Lassen sich deshalb im Strafverfahren aus einer Straftat zwar Hinweise
dafür entnehmen, daß der Täter zu Aggression, Rücksichtslosigkeit oder allgemein
zur Mißachtung gesetzlicher Vorschriften neigt, ohne daß dies für den
Strafrichter schon die sichere Beurteilung der Fahreignung zuläßt, und unterbleibt
deshalb die Anordnung der Maßregel nach §§ 69, 69 a StGB, so ist es
Aufgabe der Verwaltungsbehörde zu prüfen, ob Anlaß besteht, dem Täter die
Fahrerlaubnis zu entziehen. Dabei ist die Fahrerlaubnisbehörde zwar an die
eine bestimmte Tat oder bestimmte Taten betreffende strafgerichtliche Beurteilung
der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen gebunden (§ 3 Abs. 4
Satz 1 StVG). Sie hat aber - anders als der Strafrichter - die Eignung zum
Führen von Kraftfahrzeugen mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln umfassend
(vgl. BVerfGE 20, 365, 369, 371; BVerwGE 77, 40, 42; 80, 43, 46) -
regelmäßig durch Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens -
zu prüfen (vgl. § 11 Abs. 3, § 46 Abs. 3 FeV; Burmann, 42. VGT 2004, S. 154,
155 = Blutalkohol 2004, 136, 137; Hentschel, Straßenverkehrsrecht 38. Aufl.
§ 11 FeV Rdn. 4, 12 ff.). Deshalb darf und muß sie auch eine abgeurteilte
Straftat, die für sich allein dem Strafrichter nicht ausgereicht hat, die Ungeei-
15 -
gnetheit festzustellen, zur Unterstützung außerhalb des abgeurteilten Sachverhalts
liegender Entziehungsgründe mit heranziehen.
f) „Aus der Tat“ kann sich die charakterliche Ungeeignetheit des Täters
zum Führen von Kraftfahrzeugen für den Strafrichter daher nur dann ergeben,
wenn die Anlaßtat selbst tragfähige Rückschlüsse darauf zuläßt, daß der Täter
bereit ist, die Sicherheit des Straßenverkehrs seinen eigenen kriminellen Zielen
unterzuordnen. Hierfür bedarf es keines - bereits von § 69 Abs. 1 Satz 1
Var. 1 u. 3 StGB erfaßten - Verstoßes gegen die Pflichten eines Kraftfahrzeugführers,
wie er regelmäßig bei „Verkehrsstraftaten“ gegeben sein wird, auch
soweit sie nicht vom Katalog des § 69 Abs. 2 StGB erfaßt werden. Hierzu zählen
etwa die unter Benutzung des Kraftfahrzeugs begangenen Fälle der Nötigung
und des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr (§§ 240, 315 b
StGB), unter Umständen aber auch Fälle des räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer
gemäß § 316 a StGB (vgl. dazu BGHSt 49, 8), wenn der Angriff von dem
Fahrer während der Fahrt gegen das mitfahrende Opfer verübt wird. Während
in diesen Fällen des Pflichtenverstoßes im Sinne des § 69 Abs. 1 Satz 1 Var. 3
StGB die Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit regelmäßig offen zutage tritt,
bedarf dies bei den Zusammenhangstaten besonderer, die Umstände des Einzelfalls
berücksichtigender Begründung. Denn der Tatrichter muß sich die
Überzeugung verschaffen, daß der Täter bereit ist, sich zur Erreichung seiner
kriminellen Ziele über die im Verkehr gebotene Sorgfalt und Rücksichtnahme
hinwegzusetzen. Dies ist anhand konkreter Umstände festzustellen, die sich
aus der Tat unter Berücksichtigung der Täterpersönlichkeit ergeben. Dabei
sind auch Umstände aus dem Vorleben des Täters oder seiner Tatvorbereitung
in die Beurteilung einzubeziehen, sofern sich daraus tragfähige Schlüsse auf
eine mögliche Gefährdung der Verkehrssicherheit im Zusammenhang mit der
Anlaßtat ziehen lassen. Dafür kann es genügen, daß der Täter im Zusammen-
16 -
hang mit der Tat naheliegend mit einer Situation gerechnet hat oder rechnen
mußte, in der es zu einer Gefährdung oder Beeinträchtigung des Verkehrs
kommen konnte. Eine Prognose, daß der Täter mit Wahrscheinlichkeit auch
künftig Zusammenhangstaten begehen und dabei tatsächlich die Sicherheit
des Straßenverkehrs beeinträchtigen werde, ist nicht zu verlangen.
Die Voraussetzungen der Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB
können bei "Zusammenhangstaten" danach beispielsweise erfüllt sein, wenn
sich der Täter bei einer vergleichbaren früheren Straftat, etwa auf der Flucht,
verkehrsgefährdend verhalten hat. Bei Banküberfällen dürfte die Anordnung
nach §§ 69, 69 a StGB regelmäßig in Betracht kommen, wenn aufgrund objektiver
Umstände bei der Tat mit alsbaldiger Verfolgung und Flucht zu rechnen
war und der Täter daher eine verkehrsgefährdende Verwendung des fluchtbereit
tatortnah abgestellten Kraftfahrzeugs ersichtlich geplant hat oder mit einer
solchen naheliegend rechnen mußte. Ebenso dürfte jedenfalls in den Fällen
gewaltsamer Entführung des Opfers im Kraftfahrzeug des Täters die Verkehrssicherheit
regelmäßig gefährdet sein.
Andererseits versteht es sich nicht von selbst, daß ein Täter, der durch
die Begehung schwerwiegender oder wiederholter Straftaten zweifellos charakterliche
Mängel offenbart hat, zugleich eine Gefahr für die Verkehrssicherheit
darstellt. So liegt dies etwa bei der bloßen Nutzung eines Kraftfahrzeugs zur
Suche nach Tatobjekten oder Tatopfern nicht nahe. Auch in den Kurierfällen, in
denen der Täter im Fahrzeug Rauschgift transportiert, sind Belange der Verkehrssicherheit
nicht ohne weiteres berührt. Ein allgemeiner Erfahrungssatz,
daß Transporteure von Rauschgift im Fall von Verkehrskontrollen zu besonders
riskanter Fahrweise entschlossen sind, besteht nicht (vgl. BGH NStZ
2003, 311; BGHR StGB § 69 Abs. 1 Entziehung 14). Dies gilt jedenfalls dann,
- 17 -
wenn besondere Vorkehrungen gegen eine Entdeckung des Rauschgifts, etwa
durch Benutzung besonders präparierter Verstecke, getroffen worden sind. Für
den Transport von Diebes- oder Schmuggelgut gilt nichts anderes.
Die Frage, ob in solchen Fällen des Mißbrauchs eines Kraftfahrzeugs
zur Durchführung einer Straftat die Voraussetzungen der Entziehung der Fahrerlaubnis
vorliegen, weil der Täter mit seinem Vorgehen auch die Pflichten eines
Kraftfahrzeugführers verletzt hat (§ 69 Abs. 1 Satz 1 Var. 3 StGB), bleibt
dahingestellt.
g) Die Beurteilung der Eignungsfrage im Sinne des § 69 Abs. 1 StGB
liegt in erster Linie in der Verantwortung des Tatrichters, der diese Aufgabe
aufgrund einer Gesamtwürdigung aller dafür „aus der Tat“ erkennbar gewordenen
rechtserheblichen Anknüpfungstatsachen vorzunehmen hat (st. Rspr.; vgl.
BGHR StGB § 69 Abs. 1 Entziehung 2, 4, 5). Indem das Gesetz den Tatrichter
bei der Prüfung, ob verkehrssicherheitsrelevante charakterliche Mängel des
Täters zutage getreten sind, auf die ohnehin von ihm zur Schuld- und Straffrage
aufzuklärenden und zu bewertenden Umstände „aus der Tat“ verweist, weist
es ihm für die Fahreignungsbeurteilung grundsätzlich auch die eigene Sachkunde
(§ 244 Abs. 4 Satz 1 StPO) zu. Deshalb können etwaige Beweisanträge
auf sachverständige Begutachtung zur charakterlichen Fahreignung regelmäßig
von vornherein schon mit dieser Begründung zurückgewiesen werden.
h) In den schriftlichen Urteilsgründen (§ 267 Abs. 6 StPO) ist das Ergebnis
der Fahreignungsbeurteilung in einer Weise niederzulegen, die es dem Revisionsgericht
ermöglicht zu prüfen, ob die Entscheidung in den festgestellten
tat- und täterbezogenen Umständen eine tragfähige Grundlage findet. Ordnet
der Tatrichter bei Zusammenhangstaten Maßregeln nach §§ 69, 69 a StGB an,
so muß sich aus den Urteilsgründen seine Überzeugung ergeben, daß die fest-
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gestellten Umstände den konkreten Anhalt begründen, der Täter stelle eine
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Gefahr für die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs dar. Welche Anforderungen
an die Begründung sich insoweit für den Tatrichter ergeben, bestimmt
sich nach den Umständen des Einzelfalls. Jedenfalls wird an Begründungsaufwand
nicht mehr verlangt als bei jeder anderen Rechtsfolgenentscheidung,
der prognostische Elemente innewohnen.
Hirsch Tolksdorf Rissing-van Saan
Nack Häger Maatz Basdorf
Winkler Bode Kuckein Schluckebier
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
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StGB § 69 Abs. 1
§ 69 StGB bezweckt den Schutz der Sicherheit des Straßenverkehrs. Die strafgerichtliche
Entziehung der Fahrerlaubnis wegen charakterlicher Ungeeignetheit
bei Taten im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs (§ 69
Abs. 1 Satz 1 Variante 2 StGB) setzt daher voraus, daß die Anlaßtat tragfähige
Rückschlüsse darauf zuläßt, daß der Täter bereit ist, die Sicherheit des Straßenverkehrs
seinen eigenen kriminellen Interessen unterzuordnen.
BGH, Beschluß vom 27.04.2005 - GSSt 2/04 - LG Essen
LG Detmold



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