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BGH, Beschluss vom 27. Juli 2004 - 3 StR 71/04


Entscheidungstext  
 
BGH, Beschl. v. 27.7.2004 - 3 StR 71/04
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 71/04
vom
27. Juli 2004
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen schwerer räuberischer Erpressung u. a.
- 2 -
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung der Beschwerdeführer
und des Generalbundesanwalts - zu 1. und 2. b) auf dessen Antrag - am
27. Juli 2004 gemäß § 346 Abs. 2, § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. a) Der Beschluß des Landgerichts Düsseldorf vom 11. November
2003 wird aufgehoben.
b) Die Revisionen der Angeklagten D. und M. gegen
das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 31. März
2003 werden verworfen.
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels
zu tragen.
2. a) Auf die Revision des Angeklagten E. wird das vorbezeichnete
Urteil, soweit es ihn betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen
- ausgenommen die Feststellungen zum äußeren
Tatgeschehen und zum Geschehen zum Nachteil G.
und Ma. (UA S. 17-19 = Abschnitt C. 1. der Urteilsgründe)
- aufgehoben.
Die Sache wird insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
b) Die weitergehende Revision wird verworfen.
- 3 -
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagten D. , M. und E. wegen
schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz
von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie mit gefährlicher Körperverletzung
zu Freiheitsstrafen verurteilt. Hiergegen richten sich alle Angeklagten
mit ihren auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten
Revisionen.
I. Revisionen der Angeklagten D. und M. :
1. Der Beschluß des Landgerichts vom 11. November 2003, mit dem es
die Revision des Angeklagten D. als unzulässig verworfen hatte, war aus
den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 5. April 2004 dargelegten
Gründen aufzuheben.
2. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigungen
der Angeklagten D. und M. hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil
der Angeklagten ergeben.
Ergänzend zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts bemerkt
der Senat:
a) Die Angeklagten hätten nicht nur wegen tateinheitlich begangenen
unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln sondern vielmehr wegen bewaffneten
Betäubungsmittelhandels nach § 30 a Abs. 2 BtMG verurteilt werden
müssen, weil sie diese nicht nur besessen, sondern sich im Sinne dieser Vorschrift
verschafft und dabei Gegenstände mit sich geführt haben, die zur Ver-
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letzung von Menschen geeignet und bestimmt waren. Durch diesen Rechtsfehler
sind sie jedoch nicht beschwert.
b) Eine Absenkung des der Vorschrift des § 250 StGB entnommenen
Strafrahmens im Wege einer analogen Anwendung des § 31 BtMG kam nicht in
Betracht, da diese Vorschrift nicht über ihren Geltungsbereich hinaus auszudehnen
ist (BGH, Urt. vom 7. August 1997 - 1 StR 319/97).
c) Auch das in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK garantierte Recht der Angeklagten
auf gerichtliche Entscheidung innerhalb angemessener Frist ist nicht verletzt
worden. Zwar enthalten die Strafzumessungserwägungen des Landgerichts
einen nicht näher erläuterten pauschalen Hinweis auf von den Angeklagten
nicht zu vertretende "Verfahrensverzögerungen". Der zugrunde liegende
Verfahrenssachverhalt bleibt im Unklaren. Die Feststellung einer Verfahrensverzögerung
im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK, für die es dann allerdings
an der erforderlichen Kompensation bei der Strafzumessung gefehlt hätte, ist
den Urteilsgründen jedenfalls nicht zu entnehmen. Es ist auch kein Erörterungsmangel
gegeben, da für die Möglichkeit einer Verfahrensverzögerung im
Sinne des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK angesichts der festgestellten Verfahrensumstände
keine ausreichenden Anhaltspunkte vorliegen. Eine Zeitspanne von
lediglich zweieinhalb Jahren zwischen Tat und erstinstanzlicher Aburteilung
erscheint bei dem hier in Rede stehenden Verfahren, das sich gegen drei Angeklagte
richtet und in dessen Verlauf zwei Hauptverhandlungen erforderlich
wurden, nicht unangemessen. Unter diesen Umständen sind sachlich-rechtlich
ins einzelne gehende Feststellungen zu Grund und Dauer der pauschal angedeuteten
Verfahrensverzögerungen nicht zu vermissen. Davon abgesehen
sieht der Senat - aufgrund des ihm mit den Verfahrensrügen der Angeklagten
mitgeteilten Verfahrenssachverhalts - Anlaß zu dem Hinweis, daß eine Verlän-
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gerung der Verfahrensdauer insoweit nicht vom Gericht zu vertreten ist, als
diese durch viele - offensichtlich unbegründete und haltlose - Befangenheitsgesuche
und andere ersichtlich nicht einer sachgerechten Verteidigung dienende
Anträge, insbesondere auch durch abwegige Aussetzungsanträge, verursacht
worden sind, die dem Gericht eine angemessene Verfahrenserledigung
erschweren, wenn nicht unmöglich machen sollten.
II. Revision des Angeklagten E. :
Die Revision des Angeklagten E. hat Erfolg und führt auf die Sachrüge
zur Aufhebung des Urteils, weil die Verurteilung wegen mittäterschaftlich
begangener Verbrechen der schweren räuberischen Erpressung und des Besitzes
von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nicht ausreichend belegt
ist.
1. Das Landgericht hat als wahr unterstellt, daß die drei Angeklagten
beschlossen, zwei Drogendealer, die der Schwester des wegen Drogendelikten
einschlägig vorbestraften Angeklagten D. in der Schule Drogen zum
Kauf angeboten und sie in diesem Zusammenhang bedroht hatten, zu verprügeln
und ihnen die Drogen abzunehmen, um sie auf diese Weise künftig von
der Schule fernzuhalten. Festgestellt hat es, daß dabei die Angeklagten D.
und M. die erbeuteten Drogen entweder selbst konsumieren oder an
Dritte - entgeltlich oder unentgeltlich - abgeben wollten. Dagegen konnte beim
Angeklagten E. nicht ausgeschlossen werden, daß er über diese Verwendungsabsicht
nicht im Bilde war und es ihm allein darum ging, den Dealern eine
Lektion zu erteilen. Die Angeklagten bewaffneten sich mit Schlagwerkzeugen,
machten den Aufenthaltsort der beiden Dealer ausfindig und stürmten auf
sie mit der Forderung nach Herausgabe der Drogen ein. Sie hatten auf Grund
der Umstände erkannt, daß soeben die Übergabe einer größeren Menge erfol-
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gen sollte. Unter dem Eindruck dieses Angriffs und der Schläge übergab eines
der Opfer dem Angeklagten D. eine Lederjacke, in der sich 1,3 kg Haschisch
mit einem Wirkstoffgehalt von ca. 130 g THC befanden. Danach entfernten
sich die Angeklagten mit ihrem Pkw, konnten jedoch von der alarmierten
Polizei nur wenige hundert Meter vom Tatort entfernt gestellt werden.
Das Landgericht hat die rechtliche Würdigung für alle drei Angeklagten
pauschal zusammengefaßt vorgenommen, ohne auf die abweichenden Vorstellungen
des Angeklagten E. über die weitere Verwendung der erbeuteten
Drogen einzugehen. Es hat dabei auch für diesen angenommen, er habe
- ebenso wie die beiden anderen Angeklagten - die Absicht gehabt, sich zu
Unrecht zu bereichern und er sei auch (Mit-)Besitzer des Haschischs gewesen.
2. Diese rechtliche Wertung wird von den Feststellungen nicht getragen.
a) Für die Verurteilung wegen mittäterschaftlich begangener räuberischer
Erpressung nach §§ 253, 255 StGB fehlt es an der Feststellung der Absicht,
sich (oder einen Dritten) rechtswidrig zu bereichern. In den Urteilsgründen
wird hierzu lediglich mitgeteilt, daß der Angeklagte E. davon ausgegangen
sei, den Dealern sollte zur Abschreckung eine Lektion erteilt und ihnen
sollten die Drogen weggenommen werden, wobei er nicht ausschließbar die
Verwendungsabsicht seiner Mitbeteiligten nicht gekannt habe. Das Landgericht
hätte bei dieser Sachlage feststellen müssen, welche Vorstellungen er über
den weiteren Verbleib der Drogen hatte. Wenn dies nicht geklärt werden konnte,
hätte es in seine Überlegungen die nach dem festgestellten Zweck des Unternehmens
(Verhinderung eines weiteren Verkaufes auf dem Schulhof) naheliegende
Möglichkeit einbeziehen müssen, daß die Drogen unmittelbar nach
der Wegnahme vernichtet werden sollten. Dann würde es aber an der Absicht,
sich selbst oder einen Dritten zu bereichern, fehlen (BGH NStZ 1989, 22; BGH
- 7 -
wistra 1999, 378; Herdegen in LK 11. Aufl. § 253 Rdn. 20 mit zahlr. Nachweisen).
In diesem Falle wäre er aber - aus den gleichen Gründen - auch nicht von
einer solchen Absicht bei den Mitangeklagten ausgegangen, weshalb dann
auch die Annahme eines Gehilfenvorsatzes nicht in Betracht käme.
b) Für die Verurteilung wegen mittäterschaftlichen Besitzes von Betäubungsmitteln
in nicht geringer Menge gilt entsprechendes. Besitz im Sinne des
Betäubungsmittelstrafrechts setzt ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis und
den Besitzwillen voraus, der darauf gerichtet ist, sich die Möglichkeit ungehinderter
Einwirkung auf die Sache zu erhalten (BGHSt 26, 117; BGHR BtMG § 29
Abs. 1 Nr. 3 Besitz 2). Wohl hat der Angeklagte E. durch die gemeinsame
Wegnahme ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis über die Drogen begründet.
An einem Besitzwillen würde es jedoch dann fehlen, wenn er davon ausgegangen
war, diese würden umgehend vernichtet werden (vgl. BGH StV 1981, 127;
OLG Hamm NStZ 2000, 600; OLG Stuttgart MDR 1978, 595).
3. Dieser Rechtsfehler führt zur Aufhebung des gesamten Schuldspruchs
gegen den Angeklagten E. , da die an sich rechtsfehlerfrei festgestellte
Beteiligung an der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit zum Vorwurf
der schweren räuberischen Erpressung und des Besitzes von Betäubungsmitteln
in nicht geringer Menge steht. Der Senat hat jedoch die rechtsfehlerfrei
getroffenen Feststellungen zum äußeren Tathergang und zum Vorgehen
gegen die Zeugen G. und Ma. aufrechterhalten. Dagegen müssen
die Feststellungen zur inneren Tatseite des Angeklagten, insbesondere zu
seinen Vorstellungen und seinem Motiv, sowie zur Person und Straffrage neu
getroffen werden. Dies schließt auch neue Feststellungen zu dem Motiv der
beiden Mitangeklagten ein, das bislang einer nicht unbedenklichen Wahrunterstellung
entnommen worden war.
- 8 -
Hierzu weist der Senat darauf hin, daß es dem Tatgericht nicht gestattet
ist, eine dem Angeklagten günstige Fallgestaltung als unwiderlegbar seiner
Entscheidung zugrunde zu legen, wenn begründete Aussicht besteht, daß sie
durch eine Beweisaufnahme widerlegt werden kann. Nur wenn es keine Möglichkeit
sieht, sie durch Beweiserhebung oder nach ergebnisloser Beweiserhebung
argumentativ zu widerlegen, kann es durch Wahrunterstellung seiner
Vorauswürdigung Rechnung tragen (vgl. zum prozeßordnungsgemäßen Bereich
der Wahrunterstellung Herdegen in KK 5. Aufl. § 244 Rdn. 91, 97). Da die
behaupteten Drohungen der Dealer gegenüber Schülern der Gesamtschule
nicht konkretisiert worden sind und die bereits in sich unwahrscheinliche Darstellung
auch mit Blick auf die Vorstrafen des Angeklagten D. und das
Vorgehen gegen die Zeugen G. und Ma. als fernliegend erscheint,
hätte das Landgericht sie seinen Feststellungen nicht zugrunde legen
müssen. Jedenfalls hätte es dies nicht tun dürfen, ohne den Versuch einer Klärung
durch Erhebung weiterer Beweise, hier etwa durch Vernehmung der
Schwester des Angeklagten D. und gegebenenfalls weiterer Mitschüler,
zu unternehmen. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß ein
Tatrichter nicht verpflichtet ist, entlastende Angaben eines Angeklagten schon
deshalb als unwiderlegt hinzunehmen, weil es für das Gegenteil keine unmittelbaren
Beweise gibt. Vielmehr hat er seine Überzeugung von der Richtigkeit
oder Unrichtigkeit der Einlassung auf Grund einer Gesamtwürdigung des Ergebnisses
der Beweisaufnahme zu bilden (st. Rspr.; vgl. BGHSt 34, 29, 34;
BGHR StPO § 261 Einlassung 6).
Tolksdorf Miebach Winkler
Pfister Becker



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