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BGH, Beschluss vom 29. Januar 2003 - 2 StR 529/02


Entscheidungstext  
 
BGH, Beschl. v. 29.1.2003 - 2 StR 529/02
2 StR 529/02
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom
29. Januar 2003
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 29. Januar 2003 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 6. September 2002 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Anlaßtat war eine gefährliche Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB). Das mit der Sachrüge begründete Rechtsmittel hat Erfolg.
Die Maßregelanordnung hat keinen Bestand. Das sachverständig beratene Landgericht hat zwar ohne Rechtsfehler festgestellt, daß der Beschuldigte zur Tatzeit infolge einer paranoiden schizophrenen Störung schuldunfähig war. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht die Tat des Beschuldigten für rechtswidrig erachtet und eine Rechtfertigung durch Notwehr ausgeschlossen hat, sind jedoch lückenhaft.
1. Der mit zwei Messsern, einer Gaspistole und Pfefferspray ausgerüstete Beschuldigte begegnete gegen Mitternacht in der Innenstadt einer Gruppe von sechs teilweise alkoholisierten Jugendlichen, darunter auch das spätere Tatopfer C. . Er ging durch die Gruppe hindurch, obwohl er ohne weiteres um sie hätte herumgehen können. Mit einem der Jugendlichen stieß er an der Schulter zusammen. Es gibt keinen Hinweis darauf, daß dies von dem Beschuldigten oder dem Jugendlichen beabsichtigt war. Der Beschuldigte blieb stehen, drehte sich um, machte eine unfreundliche, ausländerfeindliche Bemerkung und sagte, er habe keine Angst. Der Jugendliche forderte den Beschuldigten auf, sich zu "verpissen". Der Beschuldigte dachte, er brauche sich "als deutscher Unteroffizier nicht nötigen zu lassen", wobei er auch Angst gehabt haben kann. Der Beschuldigte zog nun seine Gaspistole und gab ohne Vorwarnung einen Schuß auf den Jugendlichen ab, mit dem er zusammengestoßen war und der ihm am nächsten stand. Der Jugendliche wich zurück, und die Gruppe, die sich im Halbkreis um den Beschuldigten formierte, ging auf ihn zu. Der Beschuldigte gab weitere Schüsse auf die Gruppe ab, die sich vor- und zurückbewegte.
Ein Passant forderte nun die Jugendlichen auf, den Beschuldigten in Ruhe zu lassen. Danach konnte sich der Beschuldigte rückwärts entfernen. Die Jugendlichen folgten ihm wenige Meter. Der erheblich alkoholisierte C. , das Tatopfer, bewegte sich weiter auf den Beschuldigten zu. Nachdem der Beschuldigte einen Schuß auf C. abgegeben hatte, bewegte er sich einen Schritt auf C. zu. Dieser versuchte nun, dem Beschuldigten die Waffe abzunehmen und umfaßte ihn dabei. Der Beschuldigte zog jetzt das aufgeklappte Messer aus der Tasche, stach C. zweimal in den Brustkorb und flüchtete. Drei Jugendliche verfolgten den Beschuldigten, verloren ihn jedoch aus den Augen.
2. Das Landgericht hält die Tat des Beschuldigten nicht für gerechtfertigt (§ 32 StGB). Der Beschuldigte habe nicht in Notwehr gehandelt. Der Anstoß an der Schulter sei kein Angriff des Jugendlichen auf den Beschuldigten gewesen, der es hätte rechtfertigen können, mit der Gaspistole auf die Gruppe zu schießen. Letztlich habe er die Pistole gezogen, weil er geglaubt habe, er brauche sich dies nicht bieten zu lassen. Da der Beschuldigte auf die Jugendlichen geschossen habe, sei der Angriff des C. auf den Beschuldigten durch Notwehr gerechtfertigt gewesen. C. sei nach § 32 StGB berechtigt gewesen, dem Beschuldigten die Pistole abzunehmen. Hiergegen habe sich der Beschuldigte nicht mit einem Messer wehren dürfen.
3. Diese Begründung für den Ausschluß einer Notwehrlage begegnet durchgreifenden Bedenken.
a) Nach den bisherigen Feststellungen ist nicht auszuschließen, daß sich der Beschuldigte bei den Messerstichen in einer Notwehrsituation befand. Notwehr setzt einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff voraus. Einen solchen Angriff nimmt das Landgericht auf Seiten des Beschuldigten an, weil er auf die Jugendlichen und zuletzt auf C. geschossen habe. Welcher Angriff und welche Reaktion hierauf rechtswidrig oder durch Notwehr gerechtfertigt waren, läßt sich aber nur bei einer durchgängigen Bewertung der gesamten Auseinandersetzung in objektiver und subjektiver Hinsicht beurteilen, weil die Rolle des Angreifers und des Angegriffenen im Verlauf der Auseinandersetzung wechseln können. Das kann hier der Fall gewesen sein. Selbst wenn man davon ausgeht, daß der Beschuldigte die Auseinandersetzung mit den Jugendlichen durch sein provozierendes Verhalten und den ersten Schuß als Angreifer begonnen hat, konnte er sich doch nach der Aufforderung des Passanten K. an die Jugendlichen, den Beschuldigten in Ruhe zu lassen, nach rückwärts entfernen. Das Landgericht hat nicht erörtert, ob dies objektiv und aus der Sicht der Beteiligten dahin zu verstehen war, daß der Beschuldigte nunmehr die Auseinandersetzung für beendet ansah und die Anwesenheit des Passanten nutzen wollte, um zu fliehen und sich in Sicherheit zu bringen. Hierfür spricht, daß sich der Beschuldigte wegen der Überzahl seiner Gegner in einer ungünstigen "Kampflage" befand und das Landgericht nicht ausschließen konnte, daß er Angst hatte. Unter diesen Umständen liegt es auch aus der Sicht der Jugendlichen fern, daß von dem Beschuldigten in dieser Phase des Geschehens noch ein Angriff ausging. Das Landgericht hätte daher erwägen müssen, ob die Verfolgung durch die Gruppe der Jugendlichen mit C. für den Beschuldigten als Androhung von Gewalttätigkeiten aufgefaßt werden konnte, gegen die er sich mit den beiden Schüssen aus der Gaspistole zur Wehr setzen durfte. Dann wäre C. , abweichend von der Beurteilung des Landgerichts, nicht aufgrund einer Notwehrlage befugt gewesen, dem Beschuldigten die Gaspistole wegzunehmen. Es genügte daher nicht, bei der Prüfung einer möglichen Notwehrlage auf den Beginn und das Ende der Auseinandersetzung abzustellen und die subjektive Seite des Geschehens außer Betracht zu lassen. Für eine abschließende Beurteilung bilden die bisherigen Feststellungen aber keine ausreichende Grundlage. Dem angefochtenen Urteil läßt sich schon nicht entnehmen, ob der Beschuldigte und C. in den verschiedenen Phasen der Auseinandersetzung zumindest auch mit Verteidigungswillen gehandelt haben.
b) Sollte der neue Tatrichter zu dem Ergebnis gelangen, daß sich der Beschuldigte objektiv und subjektiv in einer Notwehrlage befand, wird auch zu berücksichtigen sein, daß das Notwehrrecht eingeschränkt war, wenn der Beschuldigte die Notwehrlage durch sein vorangegangenes Verhalten selbst schuldhaft herbeigeführt hatte (vgl. BGH NStZ 2002, 425, 426 m.w.N.). Allein aus dem Umstand, daß der Beschuldigte seine Lage (mit)verschuldet hat, läßt sich allerdings noch keine allgemeine Aussage ableiten, in welchem Maße er sich im Vergleich zu einem schuldlos in eine Notwehrsituation Geratenen bei der Abwehr des Angriffs zurückhalten mußte. Dies hängt vielmehr von den Umständen des Einzelfalls ab. Je schwerer einerseits die rechtswidrige und vorwerfbare Verursachung der Notwehrlage durch den Angegriffenen wiegt, um so mehr Zurückhaltung ist ihm bei der Abwehr zuzumuten. Andererseits sind die Beschränkungen des Notwehrrechts um so geringer, je schwerer das durch den Angriff drohende Übel einzustufen ist (vgl. BGHSt 42, 97, 101; 39, 374, 379; BGH NStZ 2002, 425, 426 m.w.N.). Die Notwehreinschränkung hängt ferner davon ab, ob der Beschuldigte dem Angriff ausweichen konnte oder ob er über ein Ausweichen zum Einsatz eines weniger gefährlichen Verteidigungsmittels gelangen konnte. War das nicht möglich, so war selbst bei verschuldeter Angriffsprovokation die Ausübung des Notwehrrechts in dem auch sonst üblichen Rahmen grundsätzlich gestattet (vgl. BGHR StGB § 32 Abs. 2 Verteidigung 11 m.w.N.), d. h. soweit sie zur Verteidigung des Beschuldigten erforderlich war (§ 32 Abs. 2 StGB). Dabei wird von Bedeutung sein, ob es erforderlich war, C. das Messer zweimal in die Brust zu stoßen. Sollte der Beschuldigte die Grenzen der Notwehr überschritten haben (intensiver Notwehrexzeß), wird auch zu prüfen sein, ob er nach § 33 StGB entschuldigt ist (vgl. zur Maßregelanordnung in diesen Fällen BGHSt 31, 132; BGH NStZ 1996, 433, 434; Lackner/Kühl, StGB 24. Aufl. § 63 Rdn. 2; Tröndle/Fischer, StGB 51. Aufl. § 63 Rdn. 2 a; Stree in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 63 Rdn. 8).
c) Soweit ein Irrtum des Beschuldigten in Betracht kommt, ist dieser nur dann nicht zu seinen Gunsten zu berücksichtigen, wenn er infolge seines Zustands Tatsachen verkennt, die ein geistig Gesunder richtig erkannt hätte
(BGHR StGB § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 8; BGHSt 10, 355, 357; 3, 287, 289; BGH bei Holtz MDR 1983, 90; Tröndle/Fischer a.a.O.; Stree a.a.O. Rdn. 7 jeweils m.w.N.).
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