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BGH, Beschluss vom 29. Juni 2000 - 1 StR 123/00


Entscheidungstext  
 
BGH, Beschl. v. 29.6.2000 - 1 StR 123/00
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 123/00
vom
29. Juni 2000
in der Strafsache gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. Juni 2000 beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Ulm vom 26. November 1999, soweit es ihn betrifft, im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten ist unbegründet, soweit sie sich gegen den Schuldspruch richtet (§ 349 Abs. 2 StPO). Zum Strafausspruch hat sie Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
Der Angeklagte, der zur Tatzeit 20 Jahre und 7 Monate alt war, beanstandet mit der Verfahrensrüge zu Recht, daß die Jugendgerichtshilfe nicht entsprechend §§ 107, 38, 109 Abs. 1, 50 Abs. 3 JGG vom Hauptverhandlungstermin unterrichtet worden ist.
Versehentlich war entgegen einer entsprechenden Verfügung des Vorsitzenden nicht die Jugendgerichtshilfe, sondern die von der Staatsanwaltschaft hinsichtlich des Angeklagten ebenso wie hinsichtlich der erwachsenen Mitangeklagten bereits im Ermittlungsverfahren eingeschaltete Gerichtshilfe vom Hauptverhandlungstermin unterrichtet worden. Dieser Mangel wurde auch im Laufe der sich über sieben Hauptverhandlungstage mehr als einen Monat hinziehenden Hauptverhandlung nicht behoben.
Der Beitrag der Jugendgerichtshilfe soll es ermöglichen, ein möglichst vollständiges Bild von der Persönlichkeit, der Entwicklung und der Umwelt des Täters zu erlangen, § 38 Abs. 2 JGG. Dies hat nicht nur für die Frage Bedeutung, ob gegen den Angeklagten Jugend- oder - was hier aus den von der Jugendkammer genannten Gründen (u.a. war der Angeklagte zur Tatzeit schon verheiratet und betrieb selbständig eine Gaststätte) näher liegt - Erwachsenenstrafrecht anzuwenden ist. Der Vertreter der Jugendgerichtshilfe ist darüber hinaus dazu berufen, u.a. bei der Aufklärung im persönlichen Umfeld des Angeklagten gewonnene Tatsachen vorzutragen, die auch bei der Anwendung von Erwachsenenstrafrecht für die Strafzumessung von Bedeutung sind. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, daß bei Beteiligung der Jugendgerichtshilfe Gesichtspunkte zutage getreten wären, die sich bei der Bemessung der Strafe zu Gunsten des Angeklagten ausgewirkt hätten (vgl. BGHSt 27, 250, 251; BGH StV 1982, 336, 337; BGHR JGG § 50 Abs. 3 Heranziehung 1). Dabei ist zu beachten, daß die Strafzumessungserwägungen um so umfassender sein müssen, wenn die Freiheitsstrafe - wie hier - lediglich knapp über zwei Jahre beträgt und daher eine Strafaussetzung zur Bewährung nicht mehr in Betracht kommt (BGH StV 1992, 462, 463; G. Schäfer, Praxis der Strafzumessung 2. Aufl. Rdn. 618a).
Die (versehentlich) erfolgte Benachrichtigung der Gerichtshilfe führt zu keiner anderen Beurteilung, da sie eine andere Aufgabe hat als die Jugendgerichtshilfe. Die (hier der Staatsanwaltschaft angeschlossene) Gerichtshilfe (vgl. §§ 160 Abs. 3 Satz 2, 463d StPO) unterscheidet sich von der den Jugendämtern übertragenen (§ 38 Abs. 1 JGG) Jugendgerichtshilfe dadurch, daß sie primär Rechtshilfe und erst sekundär Sozialhilfe ist (Pfeiffer und Wache in KK-StPO 4. Aufl. Einleitung Rdn. 82 und § 160 Rdn. 32).
Ein Ausnahmefall, bei dem ein Beruhen des Urteils auf diesem Verfahrensverstoß ausgeschlossen werden kann (vgl. BGH, Beschluß vom 15. Juni 1999 - 1 StR 271/99), liegt hier nicht vor. In dem Fall, welcher der Entscheidung des Senats vom 15. Juni 1999 zugrunde lag, hatte ein im Zeitpunkt der Hauptverhandlung bereits 28 Jahre alter Angeklagte im Alter von über 20 Jahren einige Diebstähle und zwei Jahre später ein "gründlich vorgeplantes" Sprengstoffverbrechen begangen und sich in der Folge für sechs Jahre ins Ausland abgesetzt. Derartige oder damit vergleichbare Besonderheiten fehlen hier.
Ob die Nichtanhörung der Jugendgerichtshilfe vorliegend darüber hinaus auch einen Verstoß gegen die Aufklärungspflicht gemäß § 244 Abs. 2 StPO darstellt (vgl. BGHSt 27, 250, 252), kann dahingestellt bleiben.
Schäfer Nack Wahl
Herr RiBGH Schluckebier hat Urlaub und ist deshalb
an der Unterschrift verhindert.
Schäfer Kolz



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