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BGH, Beschluss vom 3. August 2004 - 1 StR 293/04


Entscheidungstext  
 
BGH, Beschl. v. 3.8.2004 - 1 StR 293/04
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 293/04
 vom
3. August 2004
in der Strafsache
gegen



wegen versuchten Mor des u. a.
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 3. August 2004 beschlossen:

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Bayreuth vom 19. Februar 2004 wird verwor fen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die
der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwen-
digen Auslagen zu tragen.

 

 Gründe:

1. Für den Angeklagten war es jahrelang „selbstverständlich“, seine Le-
bensgefähr tin  W. zu ohrfeigen. Als er drohte, sie umzubringen, und
die gemeinsame Tochter mißhandelte, trennte sie sich von ihm. Als er sie
nicht umstimmen konnte, gab sich der Angeklagte „vordergründig“ einsichtig,
wollte sie aber töten, wenn er keine „ weitere Chance“ erhielte. Am 12. Ge-
bur tstag der Tochter traf man sich in einem Lokal, wobei er ver borgen eine
Waffe mit sich führte. Es kam alsbald zum Streit, die Tochter ging.  W.
wieder holte, sie ziehe einen „Schlußstrich“. Jetzt wollte er „verwirklichen, was
er sich ... vor genommen hatte, nämlich  W. zu töten“ . Er sagte, sie
könne gehen, bezahlte und verließ mit ihr das Lokal. Beim Ausgang „erbat er
einen letzten Kuß“, was sie ablehnte. Darauf schoß er die überraschte  
W. nieder. Als sie auf dem Boden lag, schlug er mit der Waffe auf sie ein
und setzte sie ihr dann an die Schläfe, um sein „Werk“ zu „ vollenden“. Wegen
eines Defekts löste sich jedoch kein Schuß mehr. Daran scheiterte auch sein
Versuch, den herbeigeeilten Küchenhelfer K.  niederzuschießen, um
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fliehen zu können.  W. ist seither im Wachkoma und vollständig ge-
lähmt.

2. Deshalb wurde der Angeklagte wegen (heimtückisch begangenen)
versuchten Mordes in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung z. N.  
W. und wegen versuchten Totschlags z. N. K. verurteilt. Nicht zuletzt
wegen der schweren Folgen hat die Strafkammer die Strafe für den Mordver-
such nicht gemäß §§ 23, 49 StGB gemilder t, jedoch bei beiden Taten wegen
erheblich verminderter Schuldfähigkeit gemäß §§ 21, 49 StGB.

3. Die Revision des Angeklagten ist unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO),
wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat.

4. Der Senat sieht Anlaß zu folgenden Hinweisen:

a) Es hätte nahe gelegen zu prüfen, ob der Angeklagte im Sinne des
§ 211 StGB niedrige Beweggr ünde hatte, sowohl bei dem sorgfältig vorgeplan-
ten Versuch,  W. zu töten, weil sie ihn ver lassen hat (vgl. Jähnke in LK
11. Aufl. § 211 Rdn. 28; Schneider in MüKom StGB § 211 Rdn. 91 jew.
m. w. N.), als auch bei dem Versuch, K.  zur Ermöglichung der Flucht
niederzuschießen (vgl. Jähnke aaO Rdn. 17, 25; Schneider aaO Rdn. 173 jew.
m. w. N.) .

b) Die Str afkammer führt aus, der Sachverständige hielte für „gut vor-
stellbar“, daß der Angeklagte wegen der Zurückweisungen im Hinblick auf sei-
ne narzißtische und histrionische Persönlichkeit so sehr gekränkt war, daß dies
in „Fr emdaggression“ umschlug. Dabei müsse auch der verweiger te Kuß be-
rücksichtigt wer den. Zwar sei die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten von alle-
dem nicht berührt, es sei aber nicht auszuschließen, daß seine Steuerungsfä-
higkeit erheblich im Sinne des § 21 StGB vermindert gewesen sei. Diese Aus-
 
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führungen erscheinen der Strafkammer „vertretbar“, weshalb sie zu Gunsten
des Angeklagten von einer erheblichen Beeinträchtigung der Steuerungsfähig-
keit (§ 21 StGB) wegen einer schwer en anderen seelischen Abar tigkeit (§ 20
StGB) ausgeht.

Hiergegen bestehen in mehrfacher Hinsicht r echtliche Bedenken:

(1) Unbeschadet der Frage, ob hier für den Angeklagten mit der Ableh-
nung des Kusses zu rechnen war, wollte er ihn, als er sich endgültig
zur Tötung entschlossen hatte. Schon deshalb liegt fern, daß sich
hieraus für ihn günstige Folgen ergeben könnten. Demgegenüber hät-
te die Erörterung nahegelegen, ob diese „Bitte“ nicht ebenso wie sei-
ne Äußer ung zu  W. , sie könne gehen und das gemeinsame
Verlassen des Lokals sie nur in Sicherheit wiegen sollte.

(2) Die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung sagt nichts darüber aus,
ob sie im Sinne der §§ 20, 21 StGB „schwer“ ist. Hierfür ist maßge-
bend, ob es im Alltag außerhalb des angeklagten Delikts zu Ein-
schränkungen des beruflichen und sozialen Handlungsvermögens
gekommen ist (vgl. hierzu im einzelnen Senatsurteil vom 21. Januar
2004 - 1 StR 346/03 = NStZ 2004, 437, 438; zur Veröffentlichung in
BGHSt bestimmt). Dafür sind hier keine Anhaltspunkte ersichtlich. Der
zur Tatzeit 53 Jahr e alte Angeklagte lebte in geordneten Verhältnis-
sen und war nahezu dur chgängig, teils als Karosseriebaumeister, teils
in der Gastronomie, berufstätig. In den Tagen vor der Tat wirkte er
„positiv verändert“ und „gestärkt“, nachdem er sich erfolgr eich um ei-
ne neue Wohnung bemüht hatte. Auch seine Vorstrafen, jeweils zu
Geldstrafe wegen eines Verkehrsunfalls, Ver leumdung eines Rechts-
 
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anwalts in einem Zivilpr ozeß und Betrugs z. N. des Arbeitsamts deu-
ten nicht auf eine schwere Persönlichkeitsstörung hin.

(3) Schuldfähigkeit bezieht sich auf den konkreten Rechtsverstoß (BGH
Beschluß vom 27. Juni 2000 - 1 StR 242/00; Jähnke in LK 11. Aufl.
§ 20 Rdn. 72), ist also für jede Tat gesondert zu prüfen. Selbst wenn
man wegen der Enttäuschung des Angeklagten über  W. von
seiner erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit bei dem Versuch,
sie zu töten, ausgeht, wäre zu erörtern gewesen, ob sich dies auch
bei der anders motivierten Tat z. N. K.  ausgewirkt hat.

(4) Von alledem abgesehen ist die Frage, ob eine Beeinträchtigung im
Sinne des § 21 StGB „erheblich“ ist, eine Rechtsfrage. Sie ist daher
nicht dem Zweifelssatz zugänglich (vgl. BGHR StGB § 21 in dubio
pro reo 1 m. w. N.). Sie ist vom Richter ohne Bindung von Äußerun-
gen des Sachverständigen in eigener Verantwortung zu entscheiden
(st. Rspr., vgl. BGH aaO m. w. N.) . Der Sachverständige hat den
Richter nur zur Beurteilung der Vorfr age nach den medizinisch-
psychiatrischen Anknüpfungstatsachen zu beraten, sofern der Rich-
ter hier über nicht auf Grund seines Allgemeinwissens selbst befin-
den kann (BGHSt 43, 66, 77; BGH StV 1999, 309, 310; jew.
m. w. N.). Bei der Beurteilung der Erheblichkeit fließen normative
Gesichtspunkte ein. Entscheidend sind die Anforderungen, die die
Rechtsordnung an jeder mann stellt. Diese sind um so höher, je
schwerwiegender das in Rede stehend Delikt ist (vgl. BGH aaO
m. w. N.), bei (versuchten) vorsätzlichen Tötungsdelikten also hoch.
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All dies gefähr det den Bestand des Urteils nicht. Weder die unterbliebe-
ne Prüfung niedriger Beweggründe noch die Annahme erheblich verminderter
Schuld haben sich zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt.

Wahl       Boetticher    Schluckebier
    Elf       Hubert

 



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