BGH,
Beschl. v. 3.7.2002 - 2 StR 198/02
2 StR 198/02
BUNDESGERICHTSHOF 1
BESCHLUSS 2
vom 3
3. Juli 2002 4
in der Strafsache gegen 5
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in
nicht geringer Menge u.a. 6
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat nach Anhörung
des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 3. Juli
2002 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen: 7
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Koblenz vom 7. Februar 2002 mit den Feststellungen aufgehoben. 8
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen. 9
Gründe: 10
I. 11
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens
mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei
Fällen und wegen unerlaubten Besitzes von
Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei
Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie seine Unterbringung in einem
psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) angeordnet. Die
Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts
rügt, hat in vollem Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4
StPO). 12
Die von der Pflichtverteidigerin des Angeklagten nach Ablauf der
Revisionsbegründungsfrist vorgenommene Beschränkung
auf den Rechtsfolgenausspruch ist unwirksam, ohne daß es
darauf ankäme, ob die Verteidigerin zur Teilrücknahme
ausdrücklich ermächtigt war (§ 302 Abs. 2
StPO). Denn der Schuldspruch und der Rechtsfolgenausspruch sind hier so
miteinander verknüpft, daß eine getrennte
Überprüfung der Rechtsfolgenentscheidung nicht
möglich ist, ohne daß der nicht angefochtene
Schuldspruch mitberührt wird. Dies folgt im vorliegenden Fall
daraus, daß das Urteil keine rechtsfehlerfreie
Begründung für die Annahme einer erheblichen
Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten zu den
Tatzeiten enthält und es sich auf der Grundlage des
angefochtenen Urteils nicht völlig ausschließen
läßt, daß der Angeklagte zu den Tatzeiten
schuldunfähig war (vgl. BGHSt 46, 257, 259). 13
II. 14
Das Landgericht hat zum Zustand des Angeklagten, der Haschisch und
Marihuana teils zum Eigenkonsum, teils zum gewinnbringenden
Weiterverkauf erworben hat, unter anderem festgestellt: 15
"Bei dem Angeklagten lagen im Tatzeitraum sowohl eine polyvalente
Abhängigkeitserkrankung sowie eine schizophrene Psychose als
auch eine schizophrene Residualsymptomatik vor. Während die
Einsichtsfähigkeit des Angeklagten durch die psychotische
Symptomatik und die Stoff gebundene Abhängigkeitserkrankung
eingeschränkt, aber nicht erheblich eingeschränkt
gewesen ist, war jedoch seine Geistestätigkeit aufgrund der
schizophrenen Residualsymptomatik erheblich beeinträchtigt, so
daß hier auch eine deutlich erhebliche
Beeinträchtigung der Einsichtsfähigkeit vorgelegen
hat." 16
Das Landgericht geht davon aus, daß "der Angeklagte im
Tatzeitraum gemäß § 21 (StGB) erheblich in
der Fähigkeit, das Unrecht seiner Taten einzusehen,
vermindert" war. 17
Im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen des § 63
StGB stellt der Tatrichter auch darauf ab, daß "von dem
Angeklagten ... zukünftig suchtgetriggert neuerlich erhebliche
rechtswidrige Straftaten zu erwarten sind, die sich im Rahmen der
Grunddiagnose auch künftig wieder erheblich seiner
Einsichtsfähigkeit entziehen werden." 18
III. 19
Das angefochtene Urteil hat keinen Bestand. 20
Das Landgericht ist offenbar der Meinung, daß mit der
Feststellung, die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten sei
erheblich vermindert gewesen, die Voraussetzungen des § 21
StGB erfüllt und die Grundlage für die Anordnung der
Unterbringung nach § 63 StGB gegeben seien. Dies trifft nicht
zu. Bei der Feststellung einer nur erheblich verminderten
Einsichtsfähigkeit bleibt offen, ob diese im Einzelfall die
Einsicht tatsächlich ausgeschlossen hat oder nicht. Beides ist
bei der bloßen Verminderung der Fähigkeit
möglich. § 21 StGB will aber nur den Fall treffen,
daß die Minderung der Fähigkeit das Fehlen der
Einsicht auch bewirkt hat; denn die Schuld des Täters wird
nicht gemindert, wenn er trotz erheblich verminderter
Einsichtsfähigkeit das Unrecht tatsächlich eingesehen
hatte (vgl. nur BGHSt 21, 27, 28). Der Täter, der trotz
generell gegebener verminderter Einsichtsfähigkeit im
konkreten Fall die Einsicht gehabt hat, ist voll schuldfähig
(vgl. u.a. BGHR StGB § 21 Einsichtsfähigkeit 1-6
jeweils m.w.N.). Die Vorschrift des § 21 StGB kann in
Fällen verminderter Einsichtsfähigkeit nur dann
angewendet werden, wenn die Einsicht gefehlt hat, dies aber dem
Täter vorzuwerfen ist. Kann ihm die infolge verminderter
Einsichtsfähigkeit fehlende Unrechtseinsicht dagegen nicht zum
Vorwurf gemacht werden, so greift § 20 StGB ein mit der Folge,
daß eine Bestrafung ausscheidet (vgl. BGH a.a.O.). 21
Dem angefochtenen Urteil läßt sich nicht - auch
nicht dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe - eindeutig
entnehmen, daß der Angeklagte bei Begehung der Taten das
Unrecht tatsächlich eingesehen hatte, aber auch nicht,
daß er keine Einsichtsfähigkeit hatte und ob ihm das
vorzuwerfen ist. 22
Der Senat kann auf dieser Grundlage nicht mit letzter Sicherheit
ausschließen, daß die Voraussetzungen des
§ 20 StGB beim Angeklagten zu den Tatzeiten vorlagen, wenn
dies auch nicht naheliegt. 23
Dies führt zur Aufhebung des gesamten Urteils. 24
IV. 25
Der Senat weist für die neue Hauptverhandlung auf folgendes
hin: 26
Der Schuldspruch wegen (nur) unerlaubten Handeltreibens mit
Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge begegnet Bedenken,
wenn das Rauschgift - wie hier - teilweise zum Eigenkonsum erworben
wurde. Liegen beide Mengen über der nicht geringen Menge
stehen Besitz und Handeltreiben (jeweils in nicht geringer Menge) in
Tateinheit (vgl. hierzu Franke/Wienroeder, BtMG 2. Aufl. Rdn. 26 zu
§ 29 a). Dem Angeklagten darf dann nicht Handeltreiben mit der
gesamten Menge angelastet werden. 27
Der neue Tatrichter wird auch zu prüfen haben, ob für
die Fälle II 2 und 3 der Urteilsgründe von einer Tat
auszugehen ist, da im Falle II 3 vom Angeklagten in erster Linie die im
Falle II 2 bestellten, dort aber nicht gelieferten 50 g Haschisch
erworben wurden. 28
Der neue Tatrichter wird mit rechtsfehlerfreien Feststellungen zum
Zustand des Angeklagten bei Begehung der Taten die Grundlage zur
Prüfung der Voraussetzungen nicht nur der §§
20, 21 StGB, sondern auch des § 63 StGB zu treffen haben.
Sollte wiederum eine erhebliche Verminderung der
Einsichtsfähigkeit festgestellt werden, ist die Sicherung der
Allgemeinheit durch Unterbringung des Angeklagten in einem
psychiatrischen Krankenhaus nicht veranlaßt, wenn diese
Verminderung nicht das Fehlen der Einsicht ausgelöst und
dadurch zu Straftaten geführt hat (vgl. u.a. BGHR StGB
§ 63 Schuldunfähigkeit 3; BGHR StGB § 63
Zustand 29; BGHSt 34, 22, 26/27; BGHSt 21, 27 ff.). 29
Sollte die neue Hauptverhandlung zur Bejahung der Voraussetzungen
sowohl des § 63 als auch des § 64 StGB
führen, wird schon wegen des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (§
72 StGB) näher darzulegen sein, warum der Anordnung einer
Unterbringung nach § 64 StGB nicht der Vorzug gegeben werden
kann. 30
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