BGH,
Beschl. v. 30.1.2001 - 4 StR 581/00
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 581/00
vom
30. Januar 2001
in der Strafsache gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 30. Januar
2001 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Frankenthal (Pfalz) vom 11. Oktober 2000 mit den Feststellungen
aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten "wegen unerlaubten Handeltreibens
mit Betäubungsmitteln in 100 Fällen unter
Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil des Landgerichts
Frankenthal (Pfalz) vom 2. Februar 2000 und Auflösung der dort
gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe" zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von
fünf Jahren und neun Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich
der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung
sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts verkaufte der Angeklagte
"in der Zeit zwischen Anfang 1997 und Ende 1998 - genauere Tatzeiten
konnten in der Hauptverhandlung nicht festgestellt werden - ... nahezu
wöchentlich in insgesamt 100 Fällen jeweils mit
Gewinn ... an Willi R. Haschisch" in Stangenform. Die Stangen wiesen
ein Gewicht zwischen 3 und 4 g auf. In 80 der Fälle kaufte
Willi R. eine Haschischstange, in weiteren 20 Fällen zwischen
2 und 4 Haschischstangen.
2. Auf der Grundlage dieser Feststellungen hat das Landgericht ohne
weitere Erörterung 100 selbständige Taten des -
gewerbsmäßig begangenen - unerlaubten Handeltreibens
mit Betäubungsmitteln (§ 29 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz
2 Nr. 1 BtMG) angenommen. Zwar hat es insoweit allein auf die
Verkaufsakte abgestellt, ohne dabei die in der Rechtsprechung zur
Bewertungseinheit beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln
entwickelten Grundsätze (BGHSt 30, 28; 31, 163) in
Erwägung zu ziehen. Doch begründet dies insoweit hier
keinen durchgreifenden Rechtsfehler. Denn dem Urteil sind konkrete
Anhaltspunkte dafür, daß der - zur Sache schweigende
- Angeklagte die Verkäufe an Willi R. oder jedenfalls mehrere
dieser Veräußerungsgeschäfte aus einer
größeren Vorratsmenge getätigt hat (vgl.
BGHR BtMG § 29 Bewertungseinheit 4, 5, 11, 13; BGH,
Beschlüsse vom 28. Oktober 1999 - 4 StR 479/99 - und vom 15.
März 2000 - 2 StR 614/99), nicht zu entnehmen.
3. Das Urteil kann aber keinen Bestand haben, weil jedenfalls
für die im Tatzeitraum zwischen Ende Januar 1998 und September
1998 begangenen Taten das Verfahrenshindernis des Strafklageverbrauchs
durch das Urteil des Landgerichts Frankenthal vom 2. Februar 2000 in
Betracht kommt, dessen Einzelstrafen das Landgericht in das
angefochtene Urteil einbezogen hat. In jenem Verfahren wurde der
Angeklagte wegen "unerlaubten gewerbsmäßigen
Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 93 Fällen und
wegen unerlaubter gewerbsmäßiger Abgabe von
Betäubungsmitteln an Minderjährige in fünf
Fällen" zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und
sechs Monaten verurteilt. Dem lagen die Feststellungen zugrunde,
daß der Angeklagte, der "als ´der
Haschischverkäufer´ in Neustadt an der
Weinstraße im Jahr 1998 bezeichnet wurde" in der Zeit von
"etwa Ende Januar 1998 bis in den September 1998 hinein ... im Bereich
Neustadt an der Weinstraße einen schwunghaften Handel mit
Haschisch" betrieb und dabei bis in den Juni 1998 hinein an W. "fast
täglich, insgesamt jedoch mindestens in 90
Einzelfällen" jeweils mindestens 1 g Haschisch, im Zeitraum
August/September 1998 in drei Fällen jeweils 5 g an S. und
zwischen März und September 1998 in fünf
Fällen jeweils 1 bzw. 2 g Haschisch an den Jugendlichen D.
gewinnbringend veräußerte (UA 4/5). Nunmehr hat das
Landgericht zu den allgemeinen Umständen des von dem
Angeklagten "im Bereich des Bahnhofs Neustadt an der
Weinstraße" betriebenen Haschischhandels festgestellt,
daß er "regelmäßig mehrmals
wöchentlich" zur selben Zeit mit dem Zug aus Richtung Mannheim
in Neustadt an der Weinstraße eintraf, "seine Kunden" im
Bahnhofsbereich bei einem Cafe auf ihn warteten, "die er lediglich
knapp ´wie viel´ fragte, um dann die
gewünschte Haschischmenge, in der Regel kleinere Portionen ...
auszuhändigen. Reichte sein ... mitgeführter
Haschischvorrat nicht aus, entfernte er sich kurz, um dann nach einigen
Minuten mit weiterem ´Stoff´
zurückzukommen" (UA 8). Bei dieser Sachlage liegt es nahe,
kann jedenfalls aber nicht ausgeschlossen werden, daß die
Verkäufe an den Abnehmer Willi R. im Zeitraum Ende Januar bis
September 1998 sich ganz oder teilweise mit den rechtskräftig
abgeurteilten Veräußerungsgeschäften
überschneiden. Das drängt sich schon deshalb auf,
weil nach Angaben des Willi R. der Angeklagte "damals der einzige ihm
bekannte Verkäufer in Neustadt an der Weinstraße"
war, von dem er "ebenso wie etwa zehn weitere ihm aus dem Neustadter
Bahnhofsmilieu bekannte Haschischkonsumenten" gekauft hätten
(UA 9). Die vom Angeklagten am selben Tag in Neustadt an der
Weinstraße getätigten Haschischverkäufe
erfolgten nach den Feststellungen aus einer Vorratsmenge. Deshalb
bildet die von dem Angeklagten zumindest am selben Tag entfaltete
Handelstätigkeit unabhängig von der Anzahl der
Abnehmer jeweils eine rechtliche Bewertungseinheit und damit nur eine
Tat im Rechtssinne. Soweit dies der Fall ist, ist die Strafklage
verbraucht. Über die Frage, ob die tatsächlichen
Voraussetzungen dieses Verfahrenshindernisses vorliegen, ist nach dem
Grundsatz "in dubio pro reo" zu entscheiden. Gründe der
Grenzen der gerichtlichen Kognitionspflicht bei Bekanntwerden der
Voraussetzungen einer Bewertungseinheit im späteren Verfahren
(vgl. dazu BGHSt 43, 252, 257) stehen hier einem Strafklageverbrauch
schon deshalb nicht entgegen, weil - wie das Urteil ausweist - alle
Umstände bekannt waren, die einen Zusammenhang der hier und im
früheren Verfahren abgeurteilten Fällen des
Handeltreibens ergeben.
4. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden und das
Verfahren teilweise einstellen. Denn die Frage, ob und gegebenenfalls
in welchem Umfang Strafklageverbrauch eingetreten ist, bedarf weiter
gehender tatsächlicher Feststellungen, die zu treffen hier
Aufgabe des Tatrichters ist, an den der Senat die Sache deshalb
zurückverweist. Unter den hier gegebenen Umständen,
zumal angesichts der nicht genau feststellbaren Tatzeiten und der nur
aufgrund einer Annahme "zu Gunsten des Angeklagten" festgestellten
Anzahl der Verkaufsfälle (UA 11), hält es der Senat
auch nicht für tunlich, das Urteil insoweit
aufrechtzuerhalten, als es einen über den Tatzeitraum des
früheren Urteils hinausgehenden Tatzeitraum betrifft. Vielmehr
hebt der Senat das Urteil insgesamt auf, um dem neuen Tatrichter die
Gelegenheit zu widerspruchsfreien Feststellungen zu geben.
Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich darauf
hin, daß dem Handeltreiben mit Kleinstmengen von Haschisch
ungeachtet des Vorliegens der Voraussetzungen der
Gewerbsmäßigkeit im Sinne des § 29 Abs. 3
Satz 2 Nr. 1 BtMG die Annahme eines besonders schweren Falles mit Blick
auf die angedrohte Mindeststrafe von einem Jahr besonders eingehender
Prüfung bedarf.
Maatz Kuckein Athing
Solin-Stojanovic Ernemann |