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BGH, Beschluss vom 4. Januar 2005 - 4 StR 529/04


Entscheidungstext  
 
BGH, Beschl. v. 4.1.2005 - 4 StR 529/04
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 529/04
vom
4.01.2005
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 4.01.2005 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
Landgerichts Magdeburg vom 30. Juli 2004 im Ausspruch
über die Unterbringung in einem psychiatrischen
Krankenhaus mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in
Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, gefährlicher Körperverletzung in
einem weiteren Fall und vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr in zwei Fällen zu
einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Ferner hat es die Unterbringung
des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus sowie Maßregeln
nach §§ 69, 69 a StGB angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich der
Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die
Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat zum Ausspruch über
die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus Erfolg;
im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
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1. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat
zum Schuldspruch, zum Strafausspruch und zum Ausspruch über die Maßregeln
nach §§ 69, 69 a StGB keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil
des Angeklagten ergeben. Insoweit verweist der Senat auf die zutreffenden
Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom
24. November 2004, die durch das weitere Vorbringen im Schriftssatz der Verteidigung
vom 13. Dezember 2004 nicht entkräftet werden. Lediglich ergänzend
bemerkt der Senat, daß die Rüge der Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes
jedenfalls unbegründet ist. Der in öffentlicher Verhandlung erteilte Hinweis
auf die Fortsetzung der Hauptverhandlung im Krankenzimmer der Lungenklinik
und der entsprechende Aushang am Sitzungssaal genügten, um jedem Interessierten
die notwendige Kenntnis über Ort und Zeit der weiteren Verhandlung
zu vermitteln (vgl. Meyer-Goßner StPO 47. Aufl. GVG § 169 Rdn. 6 m.w.N.).
Eines Aushangs am Eingang zur Lungenklinik bedurfte es nicht.
2. Dagegen hält die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in
einem psychiatrischen Krankenhaus rechtlicher Prüfung nicht stand. Die Anordnung
dieser Maßregel nach § 63 StGB kommt nur bei solchen Personen in
Betracht, deren Schuldunfähigkeit oder erheblich verminderte Schuldfähigkeit
durch einen positiv festgestellten, länger andauernden und nicht nur vorübergehenden
Zustand im Sinne der §§ 20, 21 StGB hervorgerufen ist (st. Rspr.;
BGHSt 34, 22, 27). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat das Landgericht
nicht rechtsfehlerfrei dargelegt.
a) Der Angeklagte ist allerdings nicht dadurch beschwert, daß das Landgericht
- darin dem psychiatrischen Sachverständigen folgend - angenommen
hat, daß der Angeklagte die vor dem Hintergrund einer tiefgreifenden Bezie-
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hungskrise begangenen Taten zum Nachteil seiner Ehefrau und deren Lebensgefährten
sowie die zweite Trunkenheitsfahrt im Zustand erheblich verminderter
Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) begangen hat und daß es dies bei der
Strafrahmenwahl und Strafzumessung im engeren Sinne berücksichtigt hat.
Der Senat stellt auch die dem zugrundeliegende Diagnose des psychiatrischen
Sachverständigen, "bei dem durchschnittlich intelligenten Angeklagten (liege)
eine paranoide Persönlichkeitsstörung mit narzißtischen Zügen und daneben
ein schädlicher Gebrauch von Alkohol vor" (UA 18), als solche nicht in Frage
(vgl. zur Inhaltskontrolle psychiatrischer Gutachten durch das Revisionsgericht
BGH NJW 1998, 3654 f.; Maatz in Marneros/Rössner/Haring/Brieger (Hrsg.),
Psychiatrie und Justiz, 2000, S. 20 ff.).
Die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung ist aber nicht gleichbedeutend
mit derjenigen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne
der §§ 20, 21 StGB, sondern kann immer auch als Spielart menschlichen Wesens
einzuordnen sein. Schon deshalb läßt die Diagnose "Persönlichkeitsstörung"
für sich genommen eine Aussage über die Frage der Schuldfähigkeit des
Täters nicht zu (vgl. BGHSt 42, 385, 388). Für die Diagnose einer "kombinierten
Persönlichkeitsstörung mit paranoiden und narzißtischen Zügen" gilt nichts
anderes (Senatsbeschluß vom 2. Dezember 2004 - 4 StR 452/04). Für einen so
schwerwiegenden Eingriff, wie ihn die Anordnung der zeitlich nicht befristeten
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus darstellt, kann die Diagnose
einer "Persönlichkeitsstörung" stets nur unter engen Voraussetzungen
und nur dann genügen, wenn feststeht, daß der Täter aufgrund dieser Störung
aus einem mehr oder weniger unwiderstehlichen Zwang heraus gehandelt hat
(BGHSt aaO). Für eine solche Annahme bedarf es einer Gesamtschau, ob die
Störungen beim Täter in ihrer Gesamtheit sein Leben vergleichbar schwer und
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mit ähnlichen Folgen belasten oder einengen wie krankhafte seelische Störungen
(vgl. BGHR StGB § 21, seelische Abartigkeit 35). Für die Bewertung der
Schwere der Persönlichkeitsstörung und der Erheblichkeit der darauf beruhenden
Verminderung der Schuldfähigkeit ist deshalb maßgebend, ob es auch im
Alltag außerhalb der Straftaten zu Einschränkungen des beruflichen oder sozialen
Handlungsvermögens gekommen ist. Erst wenn das Muster des Denkens,
Fühlens und Verhaltens sich im Zeitverlauf als stabil erwiesen hat, können
die psychiatrischen Voraussetzungen vorliegen, die rechtlich als schwere
andere seelische Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB angesehen werden
(BGHR StGB § 21, seelische Abartigkeit 39, zum Abdruck in BGHSt 49, 45 bestimmt).
Diesen an die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Angeklagten
und dessen Entwicklung zu stellenden Anforderungen wird das angefochtene
Urteil nicht gerecht.
b) Das Landgericht hätte sich insbesondere nicht darauf beschränken
dürfen, die Schwere der Persönlichkeitsstörung allein mit Auffälligkeiten des
Angeklagten zu begründen, die "nach außen zutage" traten (UA 19), als der
Angeklagte intime Kontakte zu einer Arbeitskollegin aufnahm und dies zu
Spannungen in der Ehe und schließlich zur Trennung der Ehefrau führte. Daß
der Angeklagte den Bruch der häuslichen Gemeinschaft und die Trennung von
seiner Ehefrau nicht ertragen und er den Verlust der Beziehung zu seinen Kindern
"in Verkennung der Realität" (UA 19) seiner Ehefrau angelastet hat, belegt
jedenfalls den für die Maßregelanordnung nach § 63 StGB vorausgesetzten
Schweregrad der Persönlichkeitsstörung nicht. Vielmehr kann es sich dabei
auch um normal-psychologisch erklärbare Reaktionen des Angeklagten auf die
von ihm erlebte Belastungssituation handeln, die sich noch innerhalb der
Bandbreite "normalen" strafbaren Verhaltens bewegen, ohne daß hierdurch die
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Schuldfähigkeit positiv feststellbar "erheblich" im Sinne des § 21 StGB berührt
wird.
c) Die Feststellungen ergeben darüber hinaus auch den für eine Unterbringung
in einem psychiatrischen Krankenhaus erforderlichen länger andauernden
Zustand der zumindest verminderten Schuldfähigkeit nicht. Daß der
Angeklagte - wie die Schwurgerichtskammer, auch darin dem Sachverständigen
folgend, meint - "seit Jahren" eine deutliche krankhaft bezogene Entwicklung
seiner Persönlichkeit durchgemacht habe, die erst durch die als "Ausnahmesituation"
beschriebene Aufnahme der Beziehung des Angeklagten zu seiner
Kollegin "nach außen zutage getreten sei" (UA 19), ist nicht durch Tatsachen
belegt. Gleiches gilt, soweit im Urteil von einer "ständig zunehmenden
Verzerrung der Realität" (UA 19) bei dem Angeklagten die Rede ist. Ebenso
fehlt es auch an jeglicher näherer Begründung für die Annahme einer mit der
"tief verwurzelte(n) Persönlichkeitsstörung" einhergehenden "hirnorganischen
Leistungsminderung" (UA 26), die im Urteil erstmals im Zusammenhang mit der
Prüfung der Gefährlichkeitsprognose nach § 63 StGB erwähnt wird. Zudem ist
die Annahme einer "hirnorganischen Leistungsminderung" nicht ohne weiteres
vereinbar mit der im Rahmen der Schuldfähigkeitsbeurteilung getroffenen Einschätzung,
der Angeklagte sei "durchschnittlich intelligent" (UA 18).
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3. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen
Krankenhaus bedarf deshalb insgesamt neuer Prüfung und Entscheidung.
Dabei kann es sich empfehlen, einen weiteren Sachverständigen hinzuzuziehen.
Tepperwien Maatz Athing
Ernemann Sost-Scheible



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