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BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2009 - 3 StR 384/09


Entscheidungstext  
 
BGH, Beschl. v. 6.10.2009 - 3 StR 384/09
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 384/09
vom
6. Oktober 2009
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u. a.
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung der Beschwerdeführerin am 6. Oktober 2009 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 22. Juni 2009 mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich die Angeklagte mit ihrer Revision, die sie auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts stützt. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg.
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Hierzu hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführt:
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"Soweit das Landgericht auf Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen einen strafbefreienden Rücktritt vom versuchten Totschlag
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verneint hat, da der Versuch beendet gewesen sei (UA S. 37 f.), hält dies rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es für die Abgrenzung des unbeendeten vom beendeten Versuch und damit für die Voraussetzungen strafbefreienden Rücktritts darauf an, ob der Täter nach der letzten von ihm konkret vorgenommenen Ausführungshandlung den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs für möglich hält (Senat, Beschluss vom 21.03.2001 - 3 StR 535/00; BGHSt 39, 221, 227 m.w.N.). Darüber hinaus ist anerkannt, dass ein beendeter Versuch auch dann vorliegt, wenn der Täter sich nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung keine Gedanken darüber macht, ob sein bisheriges Verhalten ausreicht, um den Erfolg herbeizuführen (BGHSt 40, 304, 306; vgl. Lilie/Albrecht in LK 12. Aufl. § 24 Rdn. 175 m.w.N.).
Die Strafkammer hat hierzu jedoch keine eindeutigen Feststellungen getroffen. Während sie zunächst festgestellt hat, die Angeklagte habe sich 'nach der Tat zunächst gar keine Gedanken über den Gesundheitszustand' des Opfers gemacht (UA S. 14), heißt es an anderer Stelle, dass die Angeklagte aufgrund der fortbestehenden Handlungsfähigkeit des Opfers 'unmittelbar im Anschluss an die Messerstiche noch nicht mit einem tödlichen Ausgang ihrer Messerattacke' rechnete (UA S. 37). Das Landgericht hat weiter festgestellt, dass die Angeklagte spätestens als die Zeugin S. die Wohnung etwa 15 Minuten nach den Messerstichen verließ, erkannte, dass die Verletzungen zum Tode des Zeugen W. führen könnten (UA S. 14).
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Im Ansatz zutreffend geht die Strafkammer zwar davon aus, dass auch wenn der Täter zunächst nicht mit einem tödlichen Ausgang rechnet, eine sogenannte umgekehrte Korrektur des Rücktrittshorizontes möglich ist, wenn er unmittelbar darauf erkennt, dass er sich insoweit geirrt hat (UA S. 37 f.). In diesem Fall liegt ein beendeter Versuch vor. Dies gilt jedoch nur dann, wenn die Korrektur der Vorstellung des Täters bei fortbestehender Handlungsmöglichkeit sogleich nach der letzten Tathandlung in engstem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dieser erfolgt (BGHSt 36, 224, 226; BGH StraFo 2008, 212; vgl. Lilie/Albrecht aaO Rdn. 179, 181).
Einen solchen engen Zusammenhang hat das Landgericht gerade nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt. Die letzte Ausführungshandlung war gegen 19:20 Uhr der vierte Messerstich, nach dem die Beschwerdeführerin noch nicht mit einem tödlichen Ausgang rechnete. Im Anschluss kam es zunächst aufgrund der Gegenwehr des Opfers zu einem heftigen Gerangel, welches sich aus dem Wohnungs- in den Hausflur verlagerte (UA S. 13). Der Zeuge W. konnte sich der Angeklagten schließlich entziehen, kehrte in die Wohnung zurück und setzte sich dort auf einen Sessel im Wohnzimmer. Die Angeklagte folgte dem Zeugen, baute sich drohend vor ihm auf, ließ aber von ihm ab und begab sich in das Badezimmer, um sich zu reinigen. Der Zeuge folgte ihr dorthin, kehrte aber in das Wohnzimmer zurück, wo er sich erneut hinsetzte. Auf Nachfrage der Zeugin S. lehnte der Zeuge W. es ab, dass ein Rettungswagen gerufen werde. Um 19:35 Uhr verließ die Zeugin S. die Wohnung, um Hilfe zu holen. Spätestens in diesem Zeitpunkt - etwa 15 Minuten nach der letzten Ausführungshandlung - realisierte die Angeklagte die Möglichkeit des Er-
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folgseintritts, da der Zeuge W. immer schwächer wurde (UA S. 14). Angesichts des zeitlichen Ablaufs, der wiederholten räumlichen Verlagerung sowie der Handlungsfähigkeit des Opfers liegt es aufgrund der bisherigen Feststellungen nahe, dass der ursprüngliche Tötungsversuch abgeschlossen und der Rücktritt durch bloßes Nichtweiterhandeln bereits vollzogen war, als die Angeklagte die Möglichkeit eines tödlichen Ausgangs erkannte (vgl. für den Fall einer zehnminütigen Zäsur BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, unbeendeter 15).
Da die Feststellungen zum äußeren Geschehensablauf durch die fehlerhafte rechtliche Wertung nicht berührt werden, können sie bestehen bleiben. Der neue Tatrichter wird weitere Feststellungen zum Vorstellungsbild der Angeklagten im unmittelbaren Anschluss an die letzte Tathandlung und angesichts der Gegenwehr des Opfers auch zu den fortbestehenden Handlungsmöglichkeiten der Angeklagten - insoweit in Ergänzung zu den aufrechterhaltenen Feststellungen zum äußeren Ablauf - treffen müssen. Soweit auf dieser Grundlage ein freiwilliger Rücktritt bejaht wird, wird ein versuchter Totschlag durch Unterlassen zu prüfen sein, da die Angeklagte das von ihr verletzte Opfer seinem Schicksal überließ, obwohl sie die Möglichkeit eines tödlichen Ausgangs spätestens in diesem Zeitpunkt erkannt hatte."
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Dem schließt sich der Senat an. Im Übrigen hat die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
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Becker von Lienen Sost-Scheible
Schäfer Mayer



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