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BGH, Beschluss vom 7. Juni 2005 - 2 StR 122/05


Entscheidungstext  
 
BGH, Beschl. v. 7.6.2005 - 2 StR 122/05
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
StGB § 2 Abs. 3; § 78 Abs. 3 Nr. 3 und 4; § 179 F: 10. März 1987 und 1. Juli
1997
Bei der Prüfung des milderen Rechts ist die Frage der Verjährung jedenfalls
dann zu berücksichtigen, wenn ein Gesetz infolge der Umwandlung eines Qualifikationstatbestandes
in ein Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall
bei gleichem Strafrahmen den Eintritt der Verjährung zur Folge hat.
BGH, Beschluß vom 7.06.2005 - 2 StR 122/05 - LG Limburg (Lahn)
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 122/05
vom
7.06.2005
in der Strafsache
gegen
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wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes u. a.
- 3 -
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 7.06.2005 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Limburg (Lahn) vom 22. November 2004 wird
a) das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte im Fall 3
der Urteilsgründe wegen sexuellen Mißbrauchs Widerstandsunfähiger
verurteilt worden ist; insoweit werden die
Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des
Angeklagten der Staatskasse auferlegt,
b) das genannte Urteil im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe
von drei Jahren und sechs Monaten mit der Maßgabe
aufgehoben, daß eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung
über die Gesamtstrafe nach §§ 460, 462 StPO, auch
über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels, zu treffen
ist.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs von
Kindern in zwei Fällen und wegen sexuellen Mißbrauchs Widerstandsunfähiger
unter Einbeziehung der Strafen aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Limburg
vom 17. Juli 2000 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs
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Monaten und wegen sexuellen Mißbrauchs unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses
in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr
und neun Monaten verurteilt. Es hat ferner gegen den Angeklagten ein lebenslanges
Berufsverbot als Arzt und Psychotherapeut verhängt. Hiergegen richtet
sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen
Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlußformel ersichtlichen
Umfang Erfolg; im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349
Abs. 2 StPO.
1. Im Fall 3 der Urteilsgründe hat nach den Feststellungen der seinerzeit
als Arzt und Psychotherapeut tätige Angeklagte an einem nicht näher bestimmbaren
Zeitpunkt im Jahre 1995 mit einer Patientin S., welche zum Tatzeitpunkt
infolge einer schweren reaktiven Depression nicht in der Lage war,
gegenüber dem sexuellen Ansinnen des Angeklagten einen Widerstandswillen
zu bilden, den außerehelichen Beischlaf vollzogen. Das Landgericht hat der
Verurteilung den zur Tatzeit geltenden § 179 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StGB in der
Fassung vom 10. März 1987 zugrunde gelegt, weil spätere Gesetzesfassungen
nach einem Gesamtvergleich bezogen auf den konkreten Einzelfall nicht milder
seien (§ 2 Abs. 3 und Abs. 1 StGB). Zwar stelle der vom Angeklagten
vollzogene Beischlaf in der Fassung des § 179 StGB vom 1. Juli 1997 im
Gegensatz zum Tatzeitrecht keine echte Qualifikation mehr dar, sondern sei
lediglich noch als durch ein Regelbeispiel beschriebener besonders schwerer
Fall ausgestaltet (§ 179 Abs. 3, 4 i.V.m. § 177 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB). Der
Strafrahmen sei jedoch identisch, denn die indizielle Bedeutung des
Regelbeispiels werde im konkreten Fall auch unter Berücksichtigung der
erheblich eingeschränkten Steuerungsfähigkeit des Angeklagten nicht durch
andere Strafzumessungsfaktoren in der Art und Weise kompensiert, daß auf
den normalen Strafrahmen zurückzugreifen sei. Die Fassung vom 1. Juli 1997
stelle sich auch im Hinblick auf eine hieraus folgende etwaige Verjährung nicht
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auf eine hieraus folgende etwaige Verjährung nicht als milderes Gesetz im Sinne
des § 2 Abs. 3 StGB dar. Zwar wäre unter Zugrundelegung des § 179 StGB
in der Fassung vom 1. Juli 1997 gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 4, Abs. 4 StGB die Tat
zwischenzeitlich verjährt, da bei der Bestimmung der anzuwendenden Verjährungsfrist
nicht mehr die für besonders schwere Fälle geltende Strafdrohung
des § 179 Abs. 3 StGB zugrunde zu legen wäre, sondern diejenige des Grundtatbestandes
des Absatzes 1. Bei konkreter Betrachtung sei dieses Gesetz jedoch
nicht das mildere, weil bereits vor Eintritt der Verjährung unter Zugrundelegung
des § 179 StGB in der Fassung vom 1. Juli 1997 dieser durch das
6. Strafrechtsreformgesetz vom 26. Januar 1998 erneut geändert worden sei.
Nach der Fassung vom 26. Januar 1998 sei der Vollzug des Beischlafs wieder
ein Qualifikationstatbestand (§ 179 Abs. 4 Nr. 1 StGB), so daß nicht mehr die
fünfjährige Verjährungsfrist des § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB, sondern die zwanzigjährige
nach § 78 Abs. 3 Nr. 2 StGB anzuwenden wäre. Während der gesamten
Geltungsdauer des § 179 StGB in der Fassung vom 1. Juli 1997 wäre die
Tat niemals verjährt gewesen, so daß insoweit kein schutzwürdiges Vertrauen
des Angeklagten vorliege, welches zu seinen Gunsten zu berücksichtigen wäre.
2. Diese Rechtsauffassung trifft nicht zu.
Wird die Verjährungsfrist geändert, gilt das neue Recht mangels einer
besonderen Übergangsregelung auch für bereits begangene Taten (Jähnke in
LK 11. Aufl. vor § 78 Rdn. 11). Der Eintritt der Verjährung führt lediglich zu einem
Verfahrenshindernis, weil er nicht die Strafdrohung an sich, sondern lediglich
das "Ob" der Verfolgung berührt (vgl. auch BGHSt 46, 310, 317 für das
Strafantragserfordernis). Insoweit betreffen die Verjährungsregeln lediglich die
Verfolgbarkeit einer Tat; sie haben damit in erster Linie einen verfahrensrechtlichen
Bezug (vgl. BVerfG NStZ 2000, 251). Verjährungsrechtliche Fragen sind
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chen Bezug (vgl. BVerfG NStZ 2000, 251). Verjährungsrechtliche Fragen sind
daher grundsätzlich nach den allgemeinen verfahrensrechtlichen Grundsätzen
zu behandeln und deshalb anhand der gesetzlichen Regelungen zu beurteilen,
die im Zeitpunkt der Entscheidung gelten. Der Tatrichter hat stets das für ihn
am Gerichtsort aktuell geltende Verfahrensrecht anzuwenden. Bereits aufgehobene
oder abgeänderte Verfahrensregelungen finden grundsätzlich nur Anwendung,
wenn der Gesetzgeber dies ausdrücklich regelt (vgl. BGH, Beschluß
vom 22.02.2005 - KRB 28/04).
Anders sieht die Rechtslage jedoch aus, wenn eine Verlängerung der
Verjährungsfrist auf einer nachträglichen Verschärfung der bei der Berechnung
zugrundezulegenden Höchststrafen beruht (§ 78 Abs. 3 StGB). Eine Verschärfung
der Strafdrohung muß nach § 2 Abs. 3 StGB außer Betracht bleiben, entsprechend
bleibt es auch hinsichtlich der Verjährung bei der Anknüpfung an
die mildere Strafdrohung (vgl. BGHR StGB § 78 Abs. 3 Fristablauf 2 m.w.N.;
BGH GA 1954, 22; BGH bei Dallinger MDR 1954, 335; BGH, Beschluß vom 13.
November 2002 - 4 StR 438/02; Dreher NJW 1962, 2209, 2210; Jähnke in LK
11. Aufl. vor § 78 Rdn. 11; Gribbohm in LK 11. Aufl. § 2 Rdn. 8; Rudolphi in SKStGB
[Oktober 1998] § 78 Rdn. 6; Schönke/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben
StGB 26. Aufl. § 78 Rdn. 11; Tröndle/Fischer StGB 52. Aufl. § 2 Rdn. 7 und
§ 78 Rdn. 5 a; vgl. auch BGHR StGB § 78 b Abs. 4 Strafdrohung 2; StGB § 129
a Verjährung 1; OLG Saarbrücken NJW 1974, 1009, 1010; anders RGSt 75,
52, 54; Jagusch in LK 8. Aufl. § 67 Anm. 3; Herlan GA 1955, 255). Die Verjährung
richtet sich nach dem günstigeren Recht der Tatzeit, wenn bei Zugrundelegung
des zur Tatzeit geltenden sachlichen Rechts die Strafverfolgung auch
nach den zur Zeit der Aburteilung geltenden Verjährungsregeln verjährt ist.
Dies gilt entsprechend auch dann, wenn die Strafdrohung nur durch ein Zwischengesetz
gemildert worden ist (BGHSt 39, 353, 370).
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Die Verjährung knüpft an den Strafrahmen des Grundtatbestandes an,
Strafdrohungen für besonders schwere oder minder schwere Fälle bleiben außer
Betracht (§ 78 Abs. 4 StGB). Wird - wie hier § 179 StGB in der Fassung
vom 1. Juli 1997 - ein Qualifikationstatbestand zu einem Regelbeispiel umgewandelt,
kann dies daher trotz möglicherweise gleichbleibenden Strafrahmens
für einen Regelfall eine Verkürzung der Verjährungsfrist zur Folge haben. Wird
die Strafdrohung anschließend, vor Eintritt der Verjährung, wieder verschärft,
indem erneut ein Qualifikationstatbestand geschaffen wird, ist nach den
Grundsätzen des § 2 Abs. 3 StGB die Strafe dem mildesten Gesetz zu entnehmen,
welches auch für die Frage der Verjährung maßgeblich ist. Die Geltung
einer kürzeren Verjährungsfrist folgt in diesen Fällen nicht schon aus Art.
309 Abs. 3 EGStGB, wonach die Verjährungsfristen des bisherigen Rechts für
Altfälle dann fortgelten, wenn sie kürzer sind. Aus dieser Regelung läßt sich
nicht ableiten, daß in jedem Fall die dem Täter günstigste Verjährungsregelung
eingreift. Diese Vorschrift, die ersichtlich im Zuge der damaligen Reform der
Verjährungsregelungen mögliche Unsicherheiten zugunsten der Täter lösen
wollte, ist nicht verallgemeinerungsfähig.
Das mildeste Gesetz im Sinne des § 2 Abs. 3 StGB ist dasjenige, das
bei einem Gesamtvergleich im konkreten Einzelfall nach dessen besonderen
Umständen die dem Täter günstigste Beurteilung zuläßt. Für den Vergleich
kommt nur materielles Recht in Betracht; das vom Gesetzgeber jederzeit änderbare
Verfahrensrecht wie etwa ein Strafantragserfordernis bleibt außen vor,
jedenfalls soweit sich die Auswirkungen nicht aus der zu berücksichtigenden
materiellen Strafdrohung ergeben. Auch wenn der Tatrichter im konkreten Fall
die Indizwirkung eines Regelbeispiels nicht für widerlegt ansieht, stellt sich ein
Vergehenstatbestand dann als milderes Gesetz gegenüber einem Qualifikationstatbestand
mit derselben Strafdrohung dar, wenn er eine kürzere Verjäh-
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rung zur Folge hat. In der Rechtsprechung ist anerkannt, daß als mildestes
Gesetz dasjenige anzusehen ist, das den Wegfall der Strafdrohung zur Folge
hat (BGH NStZ 1992, 535, 536). Günstiger als bei einer noch so milden Bestrafung
stellt sich der Täter aber auch, wenn die Tat wegen Verjährung nicht mehr
verfolgbar ist. Daß ein Gesetz, welches den Eintritt der Verjährung zur Folge
hat, für den Täter günstiger und damit milder im Sinne des § 2 Abs. 3 StGB ist,
hat der Bundesgerichtshof auch in seiner Rechtsprechung zur Verjährung von
DDR-Alttaten zugrundegelegt. Der Bundesgerichtshof hat in diesen Fällen den
Umstand, daß die Taten nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland verjährt
waren, nur deshalb nicht bei der Bestimmung des milderen Gesetzes berücksichtigt,
weil Art. 315 a Satz 1 EGStGB für die Frage der Verfolgungsverjährung
die Regelung des Art. 315 Abs. 1 EGStGB verdrängt, wonach auf
DDR-Alttaten grundsätzlich das mildere Recht anzuwenden ist (BGHSt 39, 353,
358; 40, 113, 115). Art. 315 a Satz 1 EGStGB enthält zur Verjährungsfrage eine
spezielle Regelung, wonach sich die Verjährung allein danach richtet, ob sie
nach dem Recht der DDR bis zum Wirksamwerden des Beitritts eingetreten
war. Bei der Prüfung, welches Recht das mildere sei, hat der Bundesgerichtshof
deshalb die Verjährungsfrage ausgeklammert (BGHSt 40, 48, 56).
3. Die Tat 3 der Urteilsgründe ist deshalb entgegen der Auffassung des
Landgerichts verjährt. Das mildeste Gesetz ist im vorliegenden Fall § 179 StGB
in der Fassung vom 1. Juli 1997. Nach § 78 Abs. 2 Nr. 4 StGB folgt aus der
Strafdrohung dieses Tatbestandes eine nur fünfjährige Verjährungsfrist, welche
bei Einleitung des Strafverfahrens Anfang 2003 abgelaufen war. Dies hat die
Einstellung des Verfahrens in diesem Fall zur Folge. Der Senat schließt aus,
daß eine neue Hauptverhandlung zu Feststellungen führen könnte, die eine
Verurteilung wegen Vergewaltigung tragen würden. Die Verfahrenseinstellung
im Fall 3 der Urteilsgründe führt zur Aufhebung der ersten Gesamtfreiheitsstra-
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fe. Der Senat schließt weiterhin aus, daß die übrigen Einzelstrafen und die
zweite Gesamtfreiheitsstrafe sowie die Maßregel von dem Rechtsfehler beeinflußt
worden sind. Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, nach § 354
Abs. 1 b Satz 1 StPO zu entscheiden. Die nachträgliche Gesamtstrafenbildung
aus den nunmehr rechtskräftigen Einzelstrafen und den Einzelstrafen aus dem
Strafbefehl des Amtsgerichts Limburg vom 17. Juli 2000 obliegt danach dem
nach § 462 a Abs. 3 StPO zuständigen Gericht. Da nicht ausgeschlossen werden
kann, daß im Nachverfahren nach §§ 460, 462 StPO eine Herabsetzung
der Gesamtfreiheitsstrafe erfolgt, hat die Entscheidung über die Kosten des
Rechtsmittels das für das Nachverfahren zuständige Gericht zusammen mit der
abschließenden Sachentscheidung zu treffen (BGH wistra 2005, 187).
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