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BGH, Beschluss vom 7. Juni 2005 - 2 StR 21/05


Entscheidungstext  
 
BGH, Beschl. v. 7.6.2005 - 2 StR 21/05
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
StPO § 338 Nr. 1; GVG §§ 45, 47, 77 Abs. 1
Wird eine Strafsache auf einen Tag zwischen zwei ordentlichen Sitzungstagen
terminiert, die zu diesem Zeitpunkt bereits mit Fortsetzungsverhandlungen in
anderen Sachen belegt waren, so handelt es sich nicht um eine ordentliche
Sitzung, bei der der Sitzungstag lediglich nach vorn oder nach hinten verlegt
worden ist, sondern um eine außerordentliche Sitzung, für die Hilfsschöffen
heranzuziehen sind.
BGH, Beschluß vom 7.06.2005 - 2 StR 21/05 - LG Wiesbaden
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 21/05
vom
7.06.2005
in der Strafsache
gegen
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wegen versuchter Anstiftung zum Mord u.a.
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 7.06.2005 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Wiesbaden vom 1. Juli 2004 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die
der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter Anstiftung zum
Mord in Tateinheit mit versuchter Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von vier
Jahren und sechs Monaten verurteilt. Dagegen wendet sich die Revision des
Angeklagten mit zwei Verfahrensrügen und der Sachrüge.
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
Soweit es die Verfahrensrüge II. der Revisionsschrift (Verstoß gegen
§ 244 Abs. 5 Satz 2 StPO) und die Sachrüge betrifft, ist es aus den Erwägungen
der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 8.02.2005 unbegründet
im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO, näherer Erörterung bedarf jedoch die
Verfahrensrüge I., mit der vorgetragen wird, daß die Kammer mit den mitwirkenden
Schöffen in der Hauptverhandlung nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen
sei.
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1. Dem liegt folgender Verfahrensgang zugrunde:
Die am 10. März 2004 begonnene Hauptverhandlung wurde an diesem Tage
ausgesetzt. Im Einverständnis aller Verfahrensbeteiligten und unter Verzicht
auf die Ladungsfristen wurde neuer Hauptverhandlungstermin auf Dienstag,
den 16. März 2004 bestimmt. Ordentliche Sitzungstage der Kammer in jener
Woche waren der 15. und 17. März 2004. An beiden Tagen fanden bereits vorher
terminierte Fortsetzungsverhandlungen statt. An der am 16. März 2004 beginnenden
Hauptverhandlung nahmen die Schöffen teil, die für Montag, den
15. März 2004 ausgelost waren. Der Angeklagte erhob zu Beginn der Sitzung
durch seinen Verteidiger die Besetzungsrüge mit der Begründung, es handele
sich um eine außerordentliche Sitzung, zu der die Hilfsschöffen aus der Hilfsschöffenliste
hätten herangezogen werden müssen. Die Kammer hat den Besetzungseinwand
durch Beschluß zurückgewiesen und ausgeführt, "es handelt
sich bei Montag, dem 15.03.04, um den ordentlichen Sitzungstag der Kammer.
Dieser wurde ins Auge gefaßt, nachdem die am 10.03.04 begonnene Hauptverhandlung
abgebrochen werden mußte. Allerdings konnte die Kammer …
nicht mit der Verhandlung beginnen, da ein anderes Schwurgerichtsverfahren
fortgesetzt wurde … und nicht abzusehen war, ob noch hinreichende Zeit für
die neu anzuberaumende Sache blieb. Im Interesse aller Verfahrensbeteiligten
und des in U-Haft befindlichen Angeklagten erschien es daher tunlich, mit der
Hauptverhandlung erst am heutigen Tag zu beginnen".
2. Die Kammer war mit den für den ordentlichen Sitzungstag des
15. März 2004 ausgelosten Schöffen nicht vorschriftsmäßig besetzt. Es handelte
sich bei der am 16. März 2004 beginnenden Hauptverhandlung um eine au-
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ßerordentliche Sitzung, für die die Schöffen der Hilfsschöffenliste heranzuziehen
waren.
a) Die Anberaumung einer außerordentlichen Sitzung kommt in Betracht,
wenn eine sachgemäße Durchführung der zu terminierenden Hauptverhandlung
an den ordentlichen Sitzungstagen nicht möglich ist. Da bei einer außerordentlichen
Sitzung nicht mit den für bestimmte Sitzungstage ausgelosten
Schöffen, sondern mit Hilfsschöffen zu verhandeln ist, berührt die im pflichtgemäßen
Ermessen des Vorsitzenden stehende Terminierung einer außerordentlichen
Sitzung den gesetzlichen Richter. Bei der Ausübung seines Ermessens
hat sich der Vorsitzende an dem Sinn der gesetzlichen Regelung zu orientieren,
nach dem mit der Anberaumung außerordentlicher Sitzungen dem aus der
Geschäftsbelastung oder anderen verfahrensrechtlichen Notwendigkeiten folgenden
Bedarf an zusätzlichen Verhandlungstagen genügt werden soll. Außerordentliche
Sitzungen dürfen deshalb nicht an die Stelle von ordentlichen
Sitzungstagen treten und sie ersetzen (BGHSt 41, 175, 176, 177; 37, 324,
325, 326 jeweils m.w.N.). Daraus folgt allerdings nicht, daß eine
außerordentliche Sitzung bereits dann vorliegt, weil die Hauptverhandlung
nicht an einem ordentlichen Sitzungstag stattfindet. Denn nach ständiger
Rechtsprechung ist die Verlegung eines ordentlichen Sitzungstags möglich. Sie
ist grundsätzlich auch geboten, weil allgemein der Mitwirkung der nach § 45
GVG im voraus bestimmten Schöffen der Vorrang gebührt (BGHSt 41, 175,
177; 11, 54, 56)Nach den insow.e it entwickelten Kriterien liegt keine außerordentliche Sitzung,
sondern eine bloße Verlegung des Sitzungstags vor, wenn zum Zeitpunkt der
Terminierung ein unmittelbar vorangehender oder unmittelbar zeitlich nachfolgender
freier ordentlicher Sitzungstag zur Verfügung steht, der ordentliche Sitzungstag
also ungenutzt bleibt (BGHSt 41, 175, 177 = JR 1996, 165, 167 mit
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Anmerkung Katholnigg). Dabei liegt nach der Rechtsprechung ein freier ordentlicher
Sitzungstag auch dann vor, wenn dieser bewußt deshalb nicht genutzt
wird, weil er in der noch nicht näher konkretisierten Erwartung einer anzuberaumenden
eiligen Strafsache freigehalten werden soll. Denn andernfalls bestünde
die Gefahr, daß durch die Verlegung des Sitzungsbeginns auf außerordentliche
Sitzungstage nicht genehme Schöffen von der Teilnahme ausgeschlossen
werden (BGHSt 37, 324, 327, 328).
b) Ob ein Sitzungstag in diesem Sinne dann als "frei" anzusehen ist,
wenn er lediglich - wie im vorliegenden Fall - für eine Fortsetzungsverhandlung
genutzt wird, ist - soweit ersichtlich - bisher nicht vom Bundesgerichtshof entschieden.
Der vom Generalbundesanwalt angeführte unveröffentlichte
Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 31. Januar 1979 - 4 StR 653/78 - betrifft
lediglich den Fall einer zum Zeitpunkt der Terminierung nicht vorgesehenen
Nutzung des freien Sitzungstags durch eine Fortsetzungsverhandlung, nachdem
aufgrund eines Terminsverlegungsantrags des Angeklagten in der terminierten
Sache nicht verhandelt werden konnte. Daß es für die Frage, ob ein
freier ordentlicher Sitzungstag gegeben ist, auf den Zeitpunkt der Terminierung
ankommt, ist bereits in jener Entscheidung ausgeführt worden und in Rechtsprechung
(BGHSt 43, 270, 272 f.; 41, 175, 177 f.) und Literatur (Katholnigg,
Strafgerichtsverfassungsrecht 3. Aufl. § 47 Rdn. 2) unstreitig. Die weiter angeführte
Entscheidung BGHSt 41, 175 betrifft die Frage, welche Schöffen bei
Terminierungen durch die Hilfsstrafkammer heranzuziehen sind, wenn der ordentliche
Sitzungstag durch eine Fortsetzungsverhandlung der ordentlichen
Strafkammer belegt ist, und damit ebenfalls - wie noch auszuführen ist - eine
andere Fallgestaltung.
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c) Der Senat hält die Auslegung der Kammer, nach der ein freier ordentlicher
Sitzungstag auch dann anzunehmen ist, wenn er zum Zeitpunkt der Terminierung
lediglich durch Fortsetzungstermine belegt ist, nicht für zutreffend.
Ihr steht nicht nur der allgemeine Sprachgebrauch entgegen, nach dem ein
Sitzungstag, an dem die Kammer tatsächlich verhandelt hat, nicht als frei oder
ungenutzt bezeichnet wird. Insbesondere ist eine solche Auslegung aus verfassungsrechtlichen
Gründen bedenklich. Zwar kommen bei der Verhandlung
einer Fortsetzungssache am ordentlichen Sitzungstag die für den ordentlichen
Sitzungstag ausgelosten Schöffen, die in der Regel mit den Schöffen der Fortsetzungsverhandlung
nicht identisch sein werden, nicht zum Einsatz. Dies liegt
aber nicht daran, daß sie - aus welchen Gründen auch immer - bewußt übergangen
wurden, sondern daran, daß eine Verhandlung mit ihnen an diesem
Tag nicht möglich war. Anders als bei der bewußten Freihaltung eines Sitzungstags
besteht nicht die Gefahr der Manipulation der Schöffenbank, da zum
Zeitpunkt der Terminierung der Hauptverhandlung der neuen Sache die Fortsetzungsverhandlungen
an den in Betracht kommenden ordentlichen Sitzungstagen
bereits angesetzt waren. Zöge man in einem solchen Fall unter der Prämisse
eines bloß verlegten ordentlichen Sitzungstags die insoweit ausgelosten
Schöffen heran, könnte dies zu erheblichen Unklarheiten führen, etwa bei der
Terminierung nicht nur einer, sondern mehrerer weiterer Hauptverhandlungen
an verschiedenen Tagen zwischen zwei ordentlichen mit - wie hier - Fortsetzungsverhandlungen
belegten Sitzungstagen. Auch der Fall, daß die Schöffen
der Fortsetzungsverhandlung zufällig auch für den dafür in Anspruch genommenen
weiteren ordentlichen Sitzungstag ausgelost sind, ist denkbar und
machte unter Umständen weitere Ausnahmen erforderlich. Gerade im Hinblick
darauf, daß mit der Einordnung als ordentliche oder außerordentliche Sitzung
der gesetzliche Richter bestimmt wird, bedarf es klarer, übersichtlicher und
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praktikabler Kriterien, an denen sich die Einordnung orientieren kann. Dem
wird nur eine Auslegung gerecht, nach der ein mit einer oder mehreren Fortsetzungsterminen
belegter Sitzungstag nicht zugleich als verlegter Sitzungstag
für eine andere später terminierte Hauptverhandlung gelten kann, die unmittelbar
vor oder nach dem durch die Fortsetzungsverhandlung in Anspruch genommenen
Sitzungstag anberaumt worden ist.
Die Entscheidung BGHSt 41, 175 steht nicht entgegen. Sie betrifft das Nebeneinander
von Hauptstrafkammer und Hilfsstrafkammer. Dabei hat die Hilfsstrafkammer
- die nach § 45 GVG weder über eigene Schöffen noch eigene Sitzungstage
in diesem Sinne verfügt - mit den für die Hauptstrafkammer ausgelosten
Schöffen zu verhandeln, wenn die Sitzung am ordentlichen Sitzungstag
durchgeführt wird und die Hauptstrafkammer diese nicht benötigt, sei es, daß
sie am ordentlichen Sitzungstag eine Fortsetzungssache verhandelt, sei es,
daß dieser Sitzungstag von der Hauptstrafkammer freigehalten wurde. Dann
entspricht es aber allgemeinen Grundsätzen, daß dieser Sitzungstag, an dem
die Hilfsstrafkammer grundsätzlich hätte verhandeln können, als lediglich verlegt
anzusehen ist, wenn die Verhandlung unmittelbar vor oder nach diesem
ordentlichen Sitzungstag anberaumt wird.
3. Gemessen an diesen Grundsätzen handelte es sich bei der Hauptverhandlung
am 16. März 2004, die zwischen zwei mit
Fortsetzungsverhandlungen belegten ordentlichen Sitzungstagen anberaumt
war, um eine außerordentliche Sitzung, für die Hilfsschöffen hätten
herangezogen werden müssen. Dies haben der Vorsitzende und die Kammer
mit der Behandlung dieser Sitzung als bloß verlegte ordentliche Sitzung
verkannt .
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4. Dennoch kann nicht von einem klar zutage liegenden Gesetzesverstoß
oder einem willkürlichen Eingriff in die Besetzung des Gerichts die Rede
sein. Die Kammer hat ersichtlich dem Grundsatz Rechnung tragen wollen, nach
dem die nach § 45 GVG ausgelosten Schöffen zunächst heranzuziehen sind.
Angesichts der Tatsache, daß diese Fallkonstellation bisher nicht vom Bundesgerichtshof
entschieden ist, erscheint die Heranziehung der Schöffen, die
für den dem Hauptverhandlungstermin vorangehenden Sitzungstag ausgelost
waren, zwar fehlerhaft, jedoch nicht als willkürliche, unter keinem rechtlichen
Gesichtspunkt vertretbare Entziehung des gesetzlichen Richters (zu diesem
Erfordernis vgl. BGHSt 25, 66, 72; 239, 241; 27, 105, 107; 34, 121, 123;
Classen in v. Mangoldt/Klein/Starck, Bonner GG 4. Aufl. Art. 101 Abs. 1
Rdn. 31; Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl. § 338 Rdn. 6 - jew. m.w.N.). Die Rüge
greift daher im Ergebnis nicht durch.
Bode Otten Rothfuß
Roggenbuck Appl



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