Darstellung der BGH-Rechtsprechung zum Strafrecht ::     
 LINKWEG ::: inhalt / entscheidungen
 
BGH, Beschluss vom 7. März 2006 - 5 StR 547/05


Entscheidungstext  
 
BGH, Beschl. v. 7.3.2006 - 5 StR 547/05
Nachschlagewerk: ja
BGHSt : nein
Veröffentlichung : ja
StPO § 354 Abs. 1a
Eine Entscheidung eines Revisionsgerichts nach § 354 Abs. 1a Satz 2 StPO kann auch durch Beschluss erfolgen.
BGH, Beschluss vom 7.03.2006 LG Potsdam - 5 StR 547/05 -
5 StR 547/05 (alt: 5 StR 327/03)
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 7.3.2006
in der Strafsache
gegen 1. 2.
wegen fahrlässiger Tötung u. a.
- 2 -
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 7.03.2006 beschlossen: 1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 17. Mai 2005 gemäß § 349 Abs. 4 StPO a) im Schuldspruch dahin klargestellt, dass die Angeklagten der fahrlässigen Tötung in zwei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit zehn tateinheitlichen Fällen der fahrlässigen Körperverletzung verurteilt sind, b) in den Strafaussprüchen dahingehend geändert, dass die Freiheitsstrafen auf jeweils sechs Monate herabgesetzt werden. 2. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten werden gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen. 3. Die Beschwerdeführer haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen. Jedoch wird die Gebühr für das Revisionsverfahren um ein Sechstel ermäßigt; die den Angeklagten im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen werden zu einem Sechstel der Staatskasse auferlegt.
G r ü n d e
Das Landgericht hat - nach Aufhebung eines ersten freisprechenden Urteils durch den Senat (BGHSt 49, 1 ff.) - die Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung jeweils zu einer 1
- 3 -
Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Revisionen der Angeklagten führen auf Antrag des Generalbundesanwalts zu den im Beschlusstenor ersichtlichen Änderungen des Urteils. Im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. 1. Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift vom 19.01.2006 ausgeführt: 2 „Der Strafausspruch kann keinen Bestand haben. Das Landgericht geht in der Strafzumessung nicht darauf ein, dass zwischen der Tat im September 1998 und ihrer Aburteilung nahezu sieben Jahre verstrichen sind. (…) Der Zeitablauf ist hier aber von solchem Gewicht, dass über ihn nicht ohne ausdrückliche Erörterung hinweggegangen werden durfte (vgl. Senat in BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 2 und NStZ 1983, 167; BGH NStZ-RR 1999, 108; vgl. auch BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 13). 3 Der Senat kann den vom Landgericht nicht berücksichtigten Strafzumessungserwägungen durch Herabsetzung der verhängten Freiheitsstrafe auf sechs Monate selbst Rechnung tragen. Da es bereits zu einer von der Justiz zu verantwortenden Zeitverzögerung gekommen ist, kann hierdurch eine weitergehende Verfahrensverzögerung vermieden werden (vgl. Senat in wistra 2002, 464, 465; NStZ 2005, 115, 116 und NStZ 2006, 44, 45). Eine Strafhöhe von sechs Monaten erscheint auch im Hinblick auf mögliche disziplinar- und berufsrechtliche Konsequenzen für die Angeklagten angemessen. Die Verhängung lediglich einer Geldstrafe würde den gravierenden Tatfolgen hingegen nicht gerecht.“ 4 Dem schließt sich der Senat an. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 StPO. 5
- 4 -
2. Der Senat war berechtigt, die nach § 354 Abs. 1a Satz 2 StPO gebotene Entscheidung gemäß § 349 Abs. 4 StPO durch Beschluss zu treffen (ausdrücklich BGH, Beschluss vom 4. März 2005 - 2 StR 552/04; ebenso BGH, Beschluss vom 13.12.2005 - 4 StR 366/05; ebenso noch 3. Strafsenat, Beschlüsse vom 22. Dezember 2004 - 3 StR 403/04 und vom 20. April 2005 - 3 StR 95/05; Senge in FS Hans Dahs 2005 S. 475, 490; aA: 3. Strafsenat in BGHR StPO § 354 Abs. 1a Verfahren 2; Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl. § 354 Rdn. 29; Maier/Paul NStZ 2006, 82, 86; Eisenberg/Haeseler StraFo 2005, 221, 222). 6 a) Bei der vom Senat vorgenommenen Herabsetzung der Strafen handelt es sich um einen von den Angeklagten mit ihren Rechtsmitteln erzielten Teilerfolg (vgl. Meyer-Goßner aaO § 473 Rdn. 25), der nach dem Wortlaut des § 349 Abs. 4 StPO die Anwendung dieser Norm eröffnet. Dem widerspricht der Wortlaut des durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz um Absatz 1a ergänzten § 354 StPO nicht. Die Norm des Absatz 1a Satz 2 trifft selbst keine Regelung, ob das Revisionsgericht in Anwendung des § 349 Abs. 4 StPO durch Beschluss oder gemäß § 349 Abs. 5 StPO durch Urteil zu entscheiden hat. 7 b) Für eine Anwendung des § 349 Abs. 4 StPO spricht, dass das Beschlussverfahren auch in diesem Fall den gebotenen Rechtsschutz unter Einhaltung der rechtsstaatlichen Garantien des Beschwerdeführers erfüllt (vgl. Knauer/Wolf NJW 2004, 2932, 2937; aA Eisenberg/Haeseler aaO S. 223). Nicht anders als bei einer Entscheidung durch Beschluss nach § 349 Abs. 2 StPO setzt eine solche nach § 349 Abs. 4 StPO voraus, dass der jeweilige Spruchkörper einhellig die Auffassung vertritt, dass die von der Revision aufgeworfenen Rechtsfragen zweifelsfrei zu beantworten sind und dass auch die Durchführung der Hauptverhandlung keine neueren Erkenntnisse tatsächlicher oder rechtlicher Art erwarten lässt, die das gefundene Ergebnis in Zweifel ziehen könnten (vgl. BGHR StPO § 349 Abs. 2 Verwerfung 6). Das Beschlussverfahren wird durch die Revision, den Antrag der Revisions-8
- 5 -
staatsanwaltschaft und die Stellungnahme des Angeklagten dazu ausreichend vorbereitet. Die angemessene Herabsetzung der Rechtsfolgen durch das Revisionsgericht kann allein auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Urteilsfeststellungen oder einer aus Art. 6 Abs. 1 MRK begründeten Verfahrensrüge (vgl. BGHSt 49, 342; 45, 321, 323) erfolgen. Eine Beweisaufnahme über etwaige neue, für die Strafzumessung bedeutsame Umstände ist vor dem Revisionsgericht nicht möglich (BGHR StPO § 354 Abs. 1a Verfahren 2). Eine Revisionshauptverhandlung könnte demnach keine weitergehenden Erkenntnisse im Vergleich zum Beschlussverfahren offenbaren. c) Darüber hinaus würde die Vorschrift des § 354 Abs. 1a Satz 2 StPO nur relativ selten angewandt werden, weil damit für das Revisionsgericht - und auch den Angeklagten - eine gegenüber dem Beschlussverfahren mit größerem Aufwand verbundene Hauptverhandlung notwendig würde (vgl. Meyer-Goßner aaO § 354 Rdn. 29). Solches würde aber dem Zweck der Norm widersprechen, der darauf gerichtet ist, die Ressourcen der Justiz insgesamt sinnvoll einzusetzen, das Verfahren zu beschleunigen (vgl. BT-Drucks. 15/3482 S. 21) und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu verwirklichen (vgl. Pfeiffer, StPO 5. Aufl. § 354 Rdn. 4a). 9 d) Die vom Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages geäußerte gegenteilige Auffassung (BT-Drucks. aaO S. 22) steht nicht entgegen. Zwar bilden die Regelungsabsicht des Gesetzgebers und die von ihm in Verfolgung dieser Absicht erkennbar getroffenen Wertentscheidungen für den das Gesetz auslegenden Richter eine verbindliche Richtschnur (Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft 6. Aufl. S. 328). Indes lässt die vom Rechtsausschuss geäußerte Begründung: „die Entscheidung ergeht durch Urteil (§ 349 Abs. 5 StPO)“ eine dahingehende Regelungsabsicht des Gesetzgebers nicht erkennen. Der Rechtsausschuss hat nämlich die Art der Revisionsentscheidung nicht festgelegt oder auch nur sachlich begründet, sondern § 349 StPO seinerseits dahingehend interpretiert, dass § 349 Abs. 5 StPO und nicht § 349 Abs. 4 StPO anzuwenden sei. Solches stellt aber hier 10
- 6 -
keine im Gesetzgebungsverfahren getroffene Wertentscheidung dar, weil eine zwingende Anwendung von § 349 Abs. 5 StPO in Widerspruch zur Grundabsicht des Gesetzgebers träte (vgl. Larenz aaO S. 329), die Effektivität des Verfahrens zu steigern (vgl. Knauer/Wolf aaO S. 2932). e) Die entgegenstehende Auffassung des 3. Strafsenats (BGHR StPO § 354 Abs. 1a Verfahren 2) nötigt nicht zu einer Anfrage gemäß § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG, weil der Rechtssatz in einem Urteil jenes Senats geäußert wurde und damit für das Beschlussverfahren nicht tragend werden konnte. 11
Harms Basdorf Gerhardt Brause Schaal



:: freigabestatus allgemein    
             © 2010 - 2017 Peter Wiete • E-Mail:  info@wiete-strafrecht.de