BGH,
Beschl. v. 9.6.2009 - 4 StR 164/09
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 164/09
vom
9. Juni 2009
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Körperverletzung mit Todesfolge
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung der
Beschwerdeführer und des Generalbundesanwalts - zu 3. auf
dessen Antrag - am 9. Juni 2009 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten R. und J. wird das Urteil des
Landgerichts Magdeburg vom 24. November 2008 mit den
zugehörigen Feststellungen aufgehoben
a) hinsichtlich des Angeklagten J. in vollem Umfang,
b) hinsichtlich des Angeklagten R. , soweit von der Unterbringung des
Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen wurde.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine
andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des
Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision des Angeklagten R. wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen gemeinschaftlicher
Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt, den Angeklagten R.
zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten und den
Angeklagten J. zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und
sechs Monaten. Die auf die Verletzung
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formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des
Angeklagten J. hat mit der Sachrüge Erfolg, so dass es der
Erörterung der von ihm erhobenen Verfahrensrügen
nicht bedarf. Das Rechtsmittel des Angeklagten R. hat den aus der
Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg, im Übrigen ist es
unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
I. 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts hielten sich beide
Angeklagte in den Abendstunden des 13. Mai 2008 in der Wohnung der
Marianne H. in Wernigerode auf und genossen, wie schon am Nachmittag
zuvor, im Einzelnen nicht näher feststellbare Mengen Alkohol.
In den frühen Morgenstunden des 14. Mai 2008 unternahm der
erheblich unter Alkoholeinfluss stehende Marco Pi. , der ebenfalls in
der Wohnung anwesend war, Annäherungsversuche
gegenüber Marianne H. und berührte sie an
verschiedenen Körperteilen. Auf den Versuch des Angeklagten J.
, Marco Pi. von weiteren Übergriffen abzuhalten und ihn zu
diesem Zweck von Marianne H. zu trennen, reagierte Pi. mit einer
abwehrenden Armbewegung, wobei er den Angeklagten J. mit der Hand am
Hals berührte. Über dieses Verhalten ärgerte
sich der Angeklagte R. und beschloss, Marco Pi. dafür mit
körperlicher Züchtigung zu bestrafen. Er versetzte
diesem drei bis vier Faustschläge auf die linke
Gesichtshälfte, woraufhin der Angeklagte J. , der ebenso
verärgert war, nun seinerseits beschloss, sich der Bestrafung
des Marco Pi. anzuschließen und bei den
Körperverletzungshandlungen mitzuwirken. Er schlug mehrfach
gegen den Körper des Marco Pi. und trat auch mindestens einmal
gegen ihn. In der Zwischenzeit beteiligte sich auch der Angeklagte R.
weiter an den mit heftigen Schlägen geführten
körperlichen Misshandlungen des mittlerweile von der Couch
gerutschten Geschädigten. Beide Angeklagte hätten
dabei auf Grund ihrer persönlichen Kenntnisse und Erfahrungen
trotz erheblichen Alkoholgenusses erkennen können, dass der
auf Grund erheblicher Alko-
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holisierung (BAK: 4,0 Promille) nahezu wehrlose Geschädigte
bei einer derartigen Behandlung ums Leben kommen könne und
dass dieser Erfolg durch ein Unterlassen der Gewalthandlungen
hätte vermieden werden können. Der
Geschädigte erlitt unter Anderem eine
Schädel-Hirn-Verletzung mit Brückenvenenabriss. Die
dadurch verursachten Blutungen führten noch am selben Tag zum
Tode.
2. Das sachverständig beratene Landgericht ist davon
ausgegangen, dass die massive Einblutung in das Hirn des
Geschädigten infolge des Abrisses mehrerer
Brückenvenen todesursächlich war. Hierfür
komme eine stumpfe Gewalteinwirkung gegen den frei beweglichen Kopf des
Geschädigten in Betracht; bei Anwendung entsprechender Kraft
könne dafür schon ein Schlag ausreichend sein. Ob
schon allein die vor dem Eingreifen des Angeklagten J. von R.
begangenen Gewalthandlungen für den Eintritt des
Brückenvenenabrisses ursächlich waren, hat das
Landgericht jedoch, auch insoweit dem Sachverständigen
folgend, nicht festzustellen vermocht; auch das Zusammenwirken mehrerer
Verletzungshandlungen für den Eintritt des Erfolges hat es
nicht feststellen können. Mit der Erwägung, es
könne dahinstehen, wer von den beiden Angeklagten die
Handlungen ausgeführt habe, die die tödliche
Verletzung hervorrief, hat es beide Angeklagte wegen gemeinschaftlicher
Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt; beide Angeklagte
müssten sich auf Grund der mittäterschaftlichen
Begehungsweise die Tatbeiträge des jeweils Anderen zurechnen
lassen.
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II. Verurteilung des Angeklagten R.
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Der Schuldspruch wegen Körperverletzung mit Todesfolge ist aus
Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Nach den Feststellungen
beschloss der
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Angeklagte J. , sich der von dem Angeklagten R. begonnenen "Bestrafung"
des Geschädigten anzuschließen und setzte diesen
Entschluss sodann in die Tat um. Die Gewaltanwendung in diesem zweiten
Tatabschnitt erfolgte somit im gegenseitigen Einverständnis
und Zusammenwirken beider Angeklagter. Daher muss sich der Angeklagte
R. auch die Schläge und den Fußtritt des in diesem
Handlungsabschnitt hinzugetretenen Angeklagten J. gegen das Tatopfer
zurechnen lassen. Dass R. die todesursächliche
Verletzungshandlung - möglicherweise - nicht selbst
vorgenommen hat, steht einer Strafbarkeit gemäß
§ 227 StGB nicht entgegen. Wegen gemeinschaftlicher
Körperverletzung kann für deren Todesfolge, die ein
anderer unmittelbar herbeigeführt hat, auch derjenige bestraft
werden, der die Verletzung nicht mit eigener Hand ausführt,
jedoch aufgrund eines gemeinschaftlichen Tatentschlusses mit dem Willen
zur Tatherrschaft zum Verletzungserfolg beiträgt, sofern die
Handlung des anderen im Rahmen des beiderseitigen
ausdrücklichen oder stillschweigenden
Einverständnisses lag und dem Täter hinsichtlich des
Erfolges Fahrlässigkeit zur Last fällt (Senatsurteil
NStZ 1994, 339 m.w.N.). So liegt es hier.
III. Verurteilung des Angeklagten J.
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1. Im Hinblick auf den Angeklagten J. begegnet der Schuldspruch wegen
Körperverletzung mit Todesfolge jedoch durchgreifenden
rechtlichen Bedenken. Entgegen der Auffassung des Landgerichts
führt der Umstand, dass J. die von ihm beobachtete
vorangegangene Gewaltanwendung durch den Angeklagten R. billigte und
sich zur Teilnahme an dessen weiterer Gewaltanwendung entschloss, nicht
dazu, dass die ihm bereits vor seinem Tatentschluss durch R. allein
verwirklichten Tatumstände zuzurechnen wären. Kann
der Hinzutretende die weitere Tatausführung nicht mehr
fördern, weil für
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die Herbeiführung des tatbestandsmäßigen
Erfolges schon alles getan ist und bleibt deshalb sein eigenes Handeln
ohne Einfluss auf den späteren Tod des Geschädigten,
kommt eine Zurechnung nach den Grundsätzen der (sukzessiven)
Mittäterschaft und eine Mitwirkung an einem Verbrechen des
§ 227 StGB trotz Kenntnis, Billigung und Ausnutzung der durch
einen Anderen geschaffenen Lage nicht in Betracht (BGH NStZ 1984, 548,
549; Senatsurteil NStZ 1994, 339).
2. Da das Landgericht rechtsfehlerfrei nicht feststellen konnte, welche
der von beiden Angeklagten ausgeübten Gewalteinwirkungen
für den todesursächlichen Brückenvenenabriss
in der Hirnkammer des Geschädigten ursächlich war,
war in Anwendung des Zweifelssatzes davon auszugehen, dass dem
Geschädigten die zum Tode führende Verletzung schon
im ersten Teil des Geschehens und damit vor dem Zeitpunkt
zugefügt worden war, als der Angeklagte J. beschloss, sich der
durch den Mitangeklagten R. begonnenen Bestrafung des Tatopfers
anzuschließen und bei den
Körperverletzungshandlungen mitzuwirken. Sollte die zur neuen
Verhandlung und Entscheidung berufene Strafkammer insoweit zu keinen
weiteren Feststellungen gelangen können, kommt hinsichtlich
des Angeklagten J. lediglich eine Verurteilung wegen
gefährlicher Körperverletzung in Betracht.
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IV. Rechtlichen Bedenken begegnet weiter, dass das Landgericht von der
Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen hat
(§ 64 StGB).
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1. Das sachverständig beratene Landgericht hat bei beiden
Angeklagten zwar einen Hang im Sinne von § 64 StGB bejaht,
jedoch gemeint, es fehle an einem symptomatischen Zusammenhang mit der
Straftat. Bei beiden Angeklag-
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ten sei es vielmehr schon im Vorfeld der Suchtentwicklung
sozialisationsbedingt zu einer verschobenen Norm- und Wertevorstellung
gekommen, aus der heraus "Gewaltanwendungen auch in der Perspektive
einer Alkoholabstinenz seitens der Angeklagten als probates Mittel
betrachtet (worden seien), um Konflikte zu lösen". Es gebe
daher einen symptomatischen Zusammenhang zwischen der
körperverletzenden Verhaltensweise und den verschobenen Norm-
und Wertvorstellungen, nicht aber einen solchen mit der bestehenden
Alkoholabhängigkeit.
2. Mit dieser Begründung begegnet die Verneinung eines
symptomatischen Zusammenhangs zwischen der Tatbegehung und einem als
möglich angesehenen Hang im Sinne des § 64 StGB
durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Landgericht hat die Anordnung
der Maßregel von zu engen Voraussetzungen abhängig
gemacht.
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a) § 64 Abs. 1 StGB setzt einen symptomatischen Zusammenhang
zwischen dem festgestellten Hang zum
übermäßigen Alkohol- bzw. Drogengenuss und
der zukünftigen Gefährlichkeit des Täters
voraus (vgl. nur BGHR StGB § 64 Zusammenhang, symptomatischer
1). Ein solcher Zusammenhang zwischen den begangenen und den
künftig zu befürchtenden Straftaten einerseits und
dem Hang zum übermäßigen Alkoholgenuss
andererseits ist auch dann zu bejahen, wenn der Hang zum Alkoholgenuss
- neben anderen Umständen - mit dazu beigetragen hat, dass der
Täter erhebliche rechtswidrige Taten begangen hat und dies bei
unverändertem Suchtverhalten auch für die Zukunft zu
besorgen ist (BGH NStZ-RR 1997, 231; BGH NStZ 2000, 25). Der
Zusammenhang kann grundsätzlich nicht allein deswegen verneint
werden, weil außer der Sucht noch weitere
Persönlichkeitsmängel eine Disposition für
die Begehung von Straftaten begründen (BGHR aaO).
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b) Die Strafkammer hat insoweit festgestellt, dass beide Angeklagte
seit ihrem sechzehnten Lebensjahr regelmäßig
Alkoholmissbrauch betreiben, teilweise bis zum Eintritt des
Kontrollverlustes, und daneben in erheblichem Umfang Drogen
konsumieren. Der Angeklagte R. hat bereits zweimal eine kurzzeitige
Therapiemaßnahme absolviert. Lebensinhalt beider Angeklagter
ist seit Jahren der regelmäßige Konsum von Alkohol
und Rauschmitteln im Freundeskreis, lediglich unterbrochen durch die
Verbüßung von Freiheitsstrafen aus zahlreichen
Vorverurteilungen wegen Körperverletzungs- und
Eigentumsdelikten. Die Angeklagten verfügen über
keine abgeschlossene Berufsausbildung und gehen keiner geregelten
Beschäftigung nach. Die hier abgeurteilte Tat steht in
unmittelbarem Zusammenhang mit dem zuvor über den wesentlichen
Teil des Tattages hinweg betriebenen Alkoholkonsum. Dass die erhebliche
Alkoholisierung die gewalttätige Reaktion der Angeklagten auf
eine vergleichsweise geringfügige sexuelle
Belästigung einer dritten Person mit beeinflusst hat, liegt
danach auf der Hand. Damit ist der erforderliche symptomatische
Zusammenhang in dem Sinne dargetan, dass die Alkoholsucht die Begehung
der Tat mit ausgelöst hat, mag sie ihre Ursache auch in der
von dem medizinischen Sachverständigen bei den Angeklagten
festgestellten, bereits zuvor sozialisationsbedingt eingetretenen
Verschiebung der allgemeinen Norm- und Wertevorstellungen haben. Kann
die kriminalitätsfördernde Wirkung der Sucht in einem
solchen Fall durch eine erfolgreiche Behandlung beseitigt werden, ist
auch die Tätergefährlichkeit im Sinne des §
64 Abs. 1 StGB vermindert. Den Urteilsgründen kann nicht
entnommen werden, dass bei beiden Angeklagten die hinreichend konkrete
Aussicht eines solchen Behandlungserfolges nicht besteht.
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c) Dass nur die Angeklagten Revision eingelegt haben, hindert die
Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2
Satz 2 StPO; BGHSt 37, 5, 7; BGH NStZ-RR 2008, 107). Sie haben die
Nichtanwendung des § 64
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StGB auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. BGHSt 38, 362
f.). Der Strafausspruch bei dem Angeklagten R. kann bestehen bleiben.
Der Senat kann angesichts des Tatbildes ausschließen, dass
der Tatrichter bei Anordnung der Unterbringung auf eine niedrigere
Strafe erkannt hätte.
3. Es wird nunmehr mit sachverständiger Hilfe (§ 246
a StPO) die hinreichend konkrete Erfolgsaussicht im Sinne des
§ 64 Satz 2 StGB sowie - im Hinblick auf § 67 Abs. 2
Satz 2 StGB i.d.F. des am 20. Juli 2007 in Kraft getretenen Gesetzes
zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
und in einer Entziehungsanstalt (BGBl I 1327) - die zur Therapie
erforderliche Dauer der Unterbringung zu klären sein (vgl.
Senatsbeschluss StV 2007, 634).
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Tepperwien Athing Solin-Stojanović
Ernemann Franke |