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BGH, Beschluss vom 9. Mai 2000 - 4 StR 59/00


Entscheidungstext  
 
BGH, Beschl. v. 9.5.2000 - 4 StR 59/00
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 59/00
vom
9. Mai 2000
in der Strafsache gegen
wegen Betruges u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 9. Mai 2000 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der Jugendkammer des Landgerichts Münster beim Amtsgericht Bocholt vom 7. Oktober 1999 im Rechtsfolgenausspruch mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleibt die Anordnung einer Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis aufrechterhalten.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in 49 Fällen, Fahrens ohne Fahrerlaubnis in vier Fällen und Vortäuschens einer Straftat zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt, seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und eine Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis verhängt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat zum Rechtsfolgenausspruch im wesentlichen Erfolg; im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Der Strafausspruch kann nicht bestehen bleiben. Wird aus Anlaß der Straftat eines Jugendlichen oder eines nach Jugendstrafrecht zu beurteilenden Heranwachsenden dessen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet, so wird gemäß § 5 Abs. 3 JGG von Jugendstrafe abgesehen, wenn die Maßregelanordnung die Ahndung durch Jugendstrafe entbehrlich macht. Eine entsprechende Prüfung und Entscheidung ist dem angefochtenen Urteil - auch dessen Gesamtzusammenhang - nicht zu entnehmen. Dies ist rechtsfehlerhaft und führt zur Aufhebung des Ausspruchs über die Jugendstrafe (BGHR JGG § 5 Abs. 3 Absehen 1 und 2). Im übrigen kann sich zum Nachteil des Angeklagten auch ausgewirkt haben, daß das Landgericht ihn für den gesamten Tatzeitraum als Heranwachsenden angesehen hat (UA 38), wohingegen er in den Fällen II 1 bis 3 noch Jugendlicher war.
2. Der Senat hebt auch die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus auf. Dazu nötigt hier schon, daß der unmittelbar die Verhängung der Jugendstrafe betreffende Rechtsfehler eng mit dem Verhältnis zwischen Jugendstrafe und Unterbringung zusammenhängt, die Unterbringung eines jugendlichen oder eines nach Jugendrecht beurteilten heranwachsenden Täters in einem psychiatrischen Krankenhaus nur in Ausnahmefällen in Betracht kommt (vgl. BGHSt 37, 373, 374) und deshalb ohnehin neue Erwägungen über die angemessenen Rechtsfolgen geboten sind (vgl. BGH NStZ 1998, 86, 87; BGHR JGG § 5 Abs. 3 Absehen 1).
Überdies begegnet dieser Maßregelausspruch auch für sich selbst genommen rechtlichen Bedenken, weil dem Urteil nicht ausreichend zu entnehmen ist, ob die Kammer von zutreffenden Voraussetzungen für die Anordnung einer Unterbringung nach § 63 StGB ausgegangen ist:
Nach den im Urteil dargelegten Ausführungen der psychiatrischen Sachverständigen "leidet der Angeklagte an einer narzißtischen Persönlichkeitsstörung mit daraus resultierenden eigenen Wert- und Normenvorstellungen, die zu einer erheblichen Einschränkung seiner Fähigkeit zu Eigensteuerung, sowie zu Realitätsprüfung führen". Das Landgericht hat sich der Bewertung der Sachverständigen angeschlossen, die in der "relativen Bedenkenlosigkeit, mit der der Angeklagte vorging," den "Ausdruck einer Persönlichkeitsstörung in Form einer sogenannten schweren anderen seelischen Abartigkeit" sieht (UA 39). Das begegnet schon deshalb Bedenken, weil es eine nicht vom Gutachter, sondern - auf der Grundlage der Anknüpfungs- und Befundtatsachen - vom Tatrichter zu beantwortende Rechtsfrage ist, ob eine schwere andere seelische Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB vorliegt, die zu einer "erheblichen" Verminderung der Steuerungsfähigkeit geführt hat (std. Rspr.; BGH NStZ 2000, 24; BGH, Urteil vom 13. August 1997 - 3 StR 189/97; im Zusammenhang mit narzißtischer Persönlichkeitsstörung auch Urteil vom 26. August 1997 - 1 StR 383/97).
Im übrigen ist die Umschreibung der Persönlichkeitsstörung so knapp und allgemein gehalten, daß sich nicht zuverlässig beurteilen läßt, ob bei dem Angeklagten ein mit der Tatbegehung in symptomatischem Zusammenhang stehender, länger andauernder Defekt, der zumindest eine erhebliche Einschränkung der Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB begründet, positiv feststeht, wie dies die Anordnung der Unterbringung gemäß § 63 StGB voraussetzt (BGHSt 34, 22, 26 f.; 42, 385, 386; BGH NStZ 1999, 612 f. m.w.N.). Zwar können ausnahmsweise auch nicht pathologisch bedingte Störungen Anlaß für eine Unterbringung nach § 63 StGB sein; erforderlich ist aber, daß sie in ihrem Gewicht den krankhaften seelischen Störungen entsprechen (BGHSt 34, 22, 28; BGH NStZ 1998, 86). Die Diagnose einer wie auch immer gearteten Persönlichkeitsstörung läßt für sich genommen eine Aussage über die Frage der Schuldfähigkeit des Täters nicht zu (BGHSt 42, 385, 388; BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 13). Das Landgericht hätte sich insbesondere der Frage zuwenden müssen, ob es sich bei der von ihm beschriebenen "Persönlichkeitsstörung" letztlich um Eigenschaften und Verhaltensweisen handelt, die sich innerhalb der Bandbreite voll schuldfähiger Menschen bewegen und übliche Ursachen für strafbares Verhalten sind (vgl. BGH NStZ 1997, 383; BGHR StGB § 63 Zustand 24, 26). Hierbei konnte auch von Bedeutung sein, ob überhaupt und ggf. in welcher Weise therapeutisch auf die Persönlichkeit des Angeklagten Einfluß genommen werden kann (vgl. dazu BGH NStZ 1998, 86, 87). Dazu verhält sich das Urteil nicht. Davon abgesehen kann unter Umständen auch dann, wenn die "Schwere" der seelischen Abartigkeit bejaht wird, dennoch die "Erheblichkeit" ihrer schuldmindernden Wirkung zu verneinen sein (BGH NStZ 1996, 380 m.Anm. Winckler/Foerster NStZ 1997, 334). Der Zweifelsgrundsatz findet bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 63 StGB keine Anwendung (BGHSt 42, 385, 388). Ob Persönlichkeitsstörungen beim Täter in ihrer Gesamtheit sein Leben vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen beeinträchtigen oder einengen wie krankhafte seelische Störungen (BGHSt 37, 397, 401), läßt sich erst auf Grund einer Gesamtschau beurteilen, die eine Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Angeklagten und ihrer Entwicklung, des Gewichts der Persönlichkeitsstörung und deren Zusammenhang mit den konkreten Taten enthalten muß.
Meyer-Goßner Maatz Kuckein
Athing Ernemann



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