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BGH, Urteil vom 12. September 2002 - 4 StR 165/02


Entscheidungstext  
 
BGH, Urt. v. 12.9.2002 - 4 StR 165/02
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
StGB 1998 § 306 a
Zur Tatbestandsalternative “teilweises Zerstören“ durch eine
Brandlegung in
§ 306 a StGB.
BGH, Urteil vom 12. September 2002 - 4 StR 165/02 - LG Essen
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 165/02
vom
12. September 2002
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer Brandstiftung u.a.
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
12. September 2002, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Kuckein,
Athing,
Richterinnen am Bundesgerichtshof
Solin-Stojanovic
Sost-Scheible
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwältin beim BGH
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- 3 -
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des
Landgerichts Essen vom 27. November 2001 mit den
Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen schwerer Brandstiftung in
zwei Fällen und versuchter schwerer Brandstiftung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe
von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Hiergegen
wendet sich die Angeklagte mit ihrer Revision, mit der sie die Verletzung materiellen
Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
1. Nach den Feststellungen der Strafkammer war die Angeklagte mit ihrer
Situation unzufrieden. Sie fühlte sich von ihrem Verlobten vernachlässigt
und beschloß, durch Brandstiftungen "auf sich aufmerksam" zu machen.
Fall II 1 der Urteilsgründe:
Am Morgen des 19. Juni 2000 entschloß sich die Angeklagte, die in einem
Mehrfamilienhaus gelegene 2-Zimmer-Wohnung ihres Verlobten in Brand
zu setzen und dadurch unbewohnbar zu machen, um von diesem "als ver-
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meintliches Opfer eines Unglücks" mehr Aufmerksamkeit und Zuwendung zu
erhalten und ihn zu zwingen, zu ihr zu ziehen. Sie entzündete im Wohnzimmer
eine auf einem Stapel Altpapier liegende Zeitung, begab sich zu ihrem Kind in
das Schlafzimmer und verständigte kurze Zeit später telefonisch die Feuerwehr.
Sodann verließ sie mit dem Kind die Wohnung und informierte die Nachbarn.
Beim Eintreffen der Feuerwehr hatten die Flammen eine Couch und einen
Sessel erfaßt. Eine Wand war stark verrußt, ebenso die Deckenvertäfelung.
Verschiedene Gegenstände waren durch die Hitze verformt worden. Das
gesamte Wohnzimmer war wegen des Brandschadens von Grund auf renovierungsbedürftig.
Die Wohnung wurde von dem Verlobten, der zunächst zu der
Angeklagten gezogen war, renoviert und von ihm drei Wochen später wieder
bezogen.
Fall II 2 der Urteilsgründe:
Am Abend des 17. Juli 2000 beschloß die Angeklagte, den zu ihrer
Wohnung in einem 8-Familien-Haus gehörenden Kellerraum so weit in Brand
zu setzen, daß ein Eingreifen der Feuerwehr erforderlich sein würde. Sie entzündete
dort eine Kerze und stellte sie unter einen Karton, der Tapetenreste
enthielt. Nachdem dieser brannte und sie davon ausging, das Feuer werde sich
weiter auf den Kellerraum ausbreiten, begab sie sich wieder in ihre Wohnung.
Dort verständigte sie nach kurzer Zeit telefonisch die Feuerwehr. Bei deren
Eintreffen brannten der Karton sowie eine Holzstellage; die Decke des Kellers
war verrußt. Das Feuer konnte von der Feuerwehr "zügig“ gelöscht werden.
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Fall II 3 der Urteilsgründe:
Am 1. Dezember 2000, um 1 Uhr nachts, begab sich die Angeklagte erneut
in den Keller des Hauses, in dem sie wohnte, um dort ein Feuer zu legen.
Sie entzündete den Stoffbezug an der Holztür eines fremden Kellerraums.
Auch diesmal ging sie davon aus, daß sich das Feuer weiter ausbreiten werde.
Anschließend begab sie sich in ihre Wohnung, benachrichtigte telefonisch die
Feuerwehr und informierte auch die Hausnachbarn. Der Brand konnte von der
Feuerwehr "problemlos" gelöscht werden. Der Stoffbezug war verbrannt, einige
Holzlatten, die die Kellertür bildeten, brannten, und außerdem war die Isolierung
mehrerer, im Deckenbereich über der Tür befindlicher Kabel durch die
Einwirkung des Feuers verschmort.
Fall II 4 der Urteilsgründe:
Nachdem die Angeklagte im Mai 2001 mit ihrem Verlobten eine gemeinsame
Mietwohnung in einem 6-Familien-Haus bezogen hatte, ärgerte sie sich
erneut über dessen Verhalten. Sie faßte deshalb wieder den Plan, durch eine
Brandstiftung auf ihre als unbefriedigend empfundene Situation aufmerksam zu
machen. Sie entzündete im Kleiderschrank des Schlafzimmers mit einem Feuerzeug
das oberste Wäschestück eines Stapels von Bettwäsche, verschloß die
Schranktür, verließ die Wohnung und begab sich zu der wenige Häuser entfernt
liegenden Wohnung ihrer "Schwiegereltern", wo sich ihr Verlobter aufhielt.
Dort wurde sie wegen der Feuerlegung unruhig, weil sie annahm, daß möglicherweise
Bewohner des Hauses gefährdet sein könnten. Sie drängte deshalb,
nach Hause zu gehen, worauf ihr Verlobter zunächst nicht einging. Nach einer
guten Stunde begab sie sich dann mit dem Verlobten und ihrem Kind nach
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Hause. Vor dem Haus sah sie Qualm aus dem Schlafzimmerfenster dringen
und machte ihren Verlobten darauf aufmerksam. Dieser schickte sie und das
Kind zurück zu den "Schwiegereltern", um die Feuerwehr verständigen zu lassen.
Er konnte den Brand aber allein löschen, weil sich das Feuer nicht weiter
ausgebreitet hatte. Es "glühte" lediglich oben im Bereich des Stapels von Bettlaken.
2. Das Landgericht hat das Verhalten der Angeklagten im Fall II 1 als
vollendete schwere Brandstiftung (§ 306 a Abs. 1 Nr. 1 StGB) gewertet, weil
insbesondere durch die starke Verrußung des Wohnzimmers ein wesentlicher
Teil des Wohngebäudes unbrauchbar gemacht und damit zerstört worden sei.
Da durch das "Inbrandsetzen" bereits ein erheblicher Schaden entstanden sei,
komme eine Strafmilderung wegen tätiger Reue (§ 306 e StGB) nicht in Betracht.
Im Fall II 2 habe sich die Angeklagte der versuchten schweren Brandstiftung
(§§ 306 a Abs. 1 Nr. 1, 22, 23 StGB) schuldig gemacht, weil sie gewollt
habe, daß der Keller als wesentlicher Teil des Wohngebäudes in Brand gerate.
Von dem Versuch sei sie durch die Meldung an die Feuerwehr weder strafbefreiend
zurückgetreten, noch komme eine Strafmilderung wegen tätiger Reue in
Frage.
Den Fall II 3 hat die Strafkammer als vollendete schwere Brandstiftung
(§ 306 a Abs. 1 Nr. 1 StGB) gewertet, weil, dem Vorsatz der Angeklagten entsprechend,
der Kellerraum als Teil des Wohngebäudes in Brand geraten und
dadurch, daß die Holztür selbständig gebrannt und das Feuer auf die Verka-
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belung übergegangen sei, die Inbrandsetzung vollendet gewesen sei. Tätige
Reue komme nicht in Betracht.
Im Fall II 4 hat das Landgericht die Angeklagte wegen versuchter schwerer
Brandstiftung (§§ 306 a Abs. 1 Nr. 1, 22, 23 StGB) schuldig gesprochen,
weil sie die "komplette Wohnung" habe in Brand stecken wollen. Daß es nicht
zu einem weiteren Ausbruch des Feuers gekommen sei, beruhe auf "reinem
Zufall", so daß ein freiwilliger Rücktritt oder die Annahme tätiger Reue ausscheide.
3. Diese Würdigung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Eine Verurteilung nach § 306 a Abs. 1 Nr. 1 StGB setzt voraus, daß ein Gebäude,
ein Schiff, eine Hütte oder eine andere Räumlichkeit, die der Wohnung
von Menschen dient, in Brand gesetzt oder durch eine Brandlegung ganz oder
teilweise zerstört wird.
a) Im Hinblick auf die beiden Wohnungen, in denen Feuer gelegt wurde,
belegen die Feststellungen im Fall II 1 nicht, daß die Angeklagte ein Gebäude
in Brand gesetzt oder durch eine Brandlegung (teilweise) zerstört hat; im Fall II
4 ist die Frage des strafbefreienden Rücktritts nicht rechtsfehlerfrei erörtert.
aa) Geschütztes Tatobjekt des - durch das Sechste Gesetz zur Reform
des Strafrechts (6. StrRG) vom 26. Januar 1998 (BGBl I 164) neu gefaßten -
§ 306 a Abs. 1 Nr. 1 StGB ist jede Räumlichkeit, die der Wohnung von Menschen
dient; Gebäude, Schiff und Hütte werden nur exemplarisch genannt
(BTDrucks. 13/8587 S. 88). Geschützt ist die “Wohnstätte“ des Menschen
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(Heine in Schönke/Schröder StGB 26. Aufl. § 306 a Rdn. 3). Mit der in der Vorschrift
genannten “andere(n) Räumlichkeit“ sollen auch Wohnungen erfaßt
werden, die kein "Gebäude" sind, wie beispielsweise Wohn- oder Künstlerwagen
(vgl. BTDrucks. 13/8587 S. 68 f.; Hörnle Jura 1998, 181). Wohnungen in
Gebäuden - wie in den Fällen II 1 und 4 der Urteilsgründe - sind Teile des Gebäudes
(vgl. BGH NStZ 2001, 252; BGH, Beschluß vom 3. April 2002 - 3 StR
32/02 [Zimmer in einem Asylbewerberheim]); sie waren damit taugliche Tatobjekte.
bb) Die Feststellungen tragen in beiden Fällen aber nicht die Wertung,
daß die Angeklagte - wie das Landgericht meint (UA 10, 11) - ein Gebäude in
Brand gesetzt oder sie dies versucht hat.
In Brand gesetzt ist ein Gebäude, wenn es so vom Feuer erfaßt ist, daß
es selbständig ohne Fortwirken des Zündstoffs weiterbrennt, wobei es erforderlich,
aber auch ausreichend ist, daß sich der Brand auf Teile des Gebäudes
ausbreiten kann, die für dessen bestimmungsgemäßen Gebrauch von wesentlicher
Bedeutung sind (BTDrucks. 13/8587 S. 26; vgl. nur BGHSt 18, 363, 364
ff.; 34, 115, 117; BGHR StGB § 306 Nr. 2 Inbrandsetzen 1, 3, 6; BGH NStZ
1981, 220 f.; 1982, 201; NJW 1999, 299).
Die bisherigen Feststellungen belegen nicht, daß diese Voraussetzungen
vorlagen: Im Fall II 1 hatten die Flammen lediglich eine Couch und einen
Sessel erfaßt, eine Wand und die Deckenvertäfelung waren verrußt und verschiedene
Gegenstände waren von der Hitze verformt, bevor die von der Angeklagten
herbeigerufene Feuerwehr eintraf. Im Fall II 4 "glühte" das Feuer
lediglich in einem Stapel von Bettlaken. Ein vollendetes (Fall II 1) oder ver-
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suchtes (Fall II 4) Inbrandsetzen ist damit nicht festgestellt (zur “Inbrandsetzung“
beweglicher Gegenstände und des Mobiliars vgl. BGHSt 16, 109, 110;
BGH NStZ 1984, 74; BGH, Urteil vom 18. Oktober 1994 - 1 StR 502/94; zur
"Verrußung" vgl. BGH NStZ 2001, 252; BGH, Beschlüsse vom 18. Oktober
1983 - 5 StR 760/83 - und vom 5. Dezember 2001 - 3 StR 422/01; zur Beeinträchtigung
durch Hitzeeinwirkung vgl. BGH NStZ 1982, 201; StV 1997, 518);
denn Feststellungen, daß das Feuer Bestandteile des Gebäudes erfaßt hat, es
auf für das jeweilige Gebäude wesentliche brennbare Bestandteile hätte übergreifen
können und die Angeklagte dies auch wollte oder sie zumindest damit
rechnete (vgl. BGHSt 18, 363, 366 f.), enthält das Urteil nicht.
cc) Die Feststellungen tragen auch nicht eine Verurteilung wegen vollendeter
oder versuchter schwerer Brandstiftung in der Tatbestandsalternative
"teilweises Zerstören eines Gebäudes durch eine Brandlegung" (§ 306 a Abs. 1
Nr. 1 2. Alt. StGB).
(1) Die Handlungsalternative “wer ... durch eine Brandlegung ganz oder
teilweise zerstört“ wurde durch das 6. StrRG in die Brandstiftungstatbestände
(§§ 306, 306 a StGB) eingefügt (vgl. hierzu Stein in Dencker/Struensee/
Nelles/Stein, Einführung in das 6. Strafrechtsreformgesetz 1998, S. 84 ff.).
Anlaß zur Ergänzung der früheren - alleinigen - Tatbestandshandlung "Inbrandsetzen"
war für den Gesetzgeber, daß die zunehmende Verwendung feuerbeständiger
und feuerhemmender Baustoffe und Bauteile dazu führen kann,
daß bei Brandlegungen zwar wesentliche Gebäudebestandteile selbst nicht
brennen, gleichwohl aber durch große Ruß-, Gas- und Rauchentwicklung sowie
durch starke Hitzeeinwirkung Gefährdungen für Leben und Gesundheit der
Bewohner, aber auch für bedeutende Sachwerte, entstehen (BTDrucks.
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13/8587 S. 26; vgl. BGH NStZ 2001, 252). Den Gesetzesmaterialien läßt sich
entnehmen, daß der Gesetzgeber eine weitere Handlungsalternative deswegen
für erforderlich hielt, weil “in Fällen erheblicher Menschengefährdung und hoher
Sachschäden“ die §§ 303, 305 StGB, die (möglicherweise) einschlägig wären,
wenn eine Verurteilung wegen Brandstiftung ausscheidet, “für eine angemessene
Ahndung der Tat“ nicht ausreichten (BTDrucks. 13/8587 S. 26); "teilweises
Zerstören" sollte "in Anlehnung“ an die gleichlautenden Formulierungen
in den §§ 305, 305 a StGB - die durch das 6. StrRG nicht geändert wurden -
verstanden werden (BTDrucks. 13/8587 S. 88). Daraus folgt zum einen, daß
nach dem Willen des Gesetzgebers grundsätzlich auf die Auslegung des Begriffs
“teilweises Zerstören“ in den §§ 305, 305 a StGB zurückgegriffen werden
kann (vgl. Radtke ZStW 110 [1998], 848, 871), zum anderen aber, daß - auch
bei Berücksichtigung der (Gemein-) Gefährlichkeit einer jeden Brandlegung -
im Hinblick auf die hohe Strafdrohung in den §§ 306 Abs. 1, 306 a Abs. 1, 2
StGB (Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn bzw. bis zu 15 Jahren; §§ 305,
305 a StGB: Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren) ein “teilweises
Zerstören“ von Gewicht vorliegen muß, um im Sinne der §§ 306, 306 a StGB
tatbestandsmäßig zu sein (vgl. zu diesem Gesichtspunkt BTDrucks. 13/8587 S.
48 [Abgrenzung der Sachbeschädigungs-Tatbestände (Vergehen) von der
Brandstiftung (Verbrechen)]).
(2) Teilweises Zerstören im Sinne der §§ 305, 305 a StGB wird angenommen,
wenn - für eine nicht nur unbeträchtliche Zeit (vgl. BGHSt 41, 219,
221; Stree in Schönke/Schröder StGB 26. Aufl. § 305 Rdn. 5) - das Tatobjekt
wenigstens für einzelne seiner Zweckbestimmungen unbrauchbar gemacht
wird, wenn ein für die ganze Sache zwecknötiger Teil unbrauchbar wird (vgl.
OGHSt 2, 209, 210) oder wenn einzelne Bestandteile der Sache, die für einen
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selbständigen Gebrauch bestimmt und eingerichtet sind, wie etwa Abteilungen
eines Gebäudes, gänzlich vernichtet werden (vgl. RGSt 54, 205, 206; BGH,
Urteil vom 22. Mai 1963 - 2 StR 133/63, insoweit in BGHSt 18, 363 nicht abgedruckt;
vgl. auch Tröndle/Fischer StGB 50. Aufl. § 305 Rdn. 2 m.w.N.). Dabei
ist eine Zerstörung der Substanz der Sache nicht erforderlich (RGSt 55, 169,
170; zu § 303 StGB: BGHSt 13, 207, 208; 44, 34, 38).
(3) An dem primären Schutzzweck des § 306 a Abs. 1 Nr. 1 StGB -
Wohnen als “Mittelpunkt menschlichen Lebens“ (vgl. BGHSt 26, 121, 123) -
ausgerichtet, bedeutet “teilweises Zerstören“ (von Gewicht) bei einer Brandlegung
in einem Mehrfamilienhaus, daß (zumindest) ein zum selbständigen Gebrauch
bestimmter Teil des Wohngebäudes - d.h. eine zum Wohnen bestimmte,
abgeschlossene “Untereinheit“ - durch die Brandlegung für Wohnzwecke
unbrauchbar geworden ist. Das ist dann der Fall, wenn für den “verständigen“
Wohnungsinhaber die Wohnung wegen der Brandlegungsfolgen für
eine beträchtliche Zeit - und nicht nur für Stunden oder einen Tag - nicht mehr
benutzbar ist. Zur Erfüllung des Tatbestandes “teilweises Zerstören eines Gebäudes“
reicht es nicht aus, daß (lediglich) das Mobiliar zerstört wurde.
(4) Dem entsprechend wurde in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
zu § 306 a Abs. 1 Nr. 1 StGB "teilweises Zerstören durch eine
Brandlegung" angenommen, wenn eine Wohnung u.a. durch starkes Verrußen
des gesamten Wohnbereichs nicht mehr benutzbar ist (BGH NStZ 2001, 252;
vgl. auch BGH, Beschluß vom 5. Dezember 2001 - 3 StR 422/01; Zaczyk in
Nomos-Kommentar zum StGB [1998] § 305 Rdn. 9 [Zerstörung einer Wohnung
in einem Mehrfamilienhaus ist “teilweises Zerstören“]).
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(5) Danach läge im Fall II 1 der Urteilsgründe "teilweises Zerstören" des
Wohngebäudes durch Brandlegung vor, wenn die brandgeschädigte Wohnung
infolge der Tathandlung (objektiv) für eine nicht unbeträchtliche Zeit wegen der
tatbedingt erforderlichen Renovierungsarbeiten nicht benutzbar war. Ob dies
so war, läßt sich den Feststellungen nicht entnehmen; denn daß der Geschädigte
die Wohnung erst drei Wochen später wieder bezogen hat, besagt nicht,
daß die Wohnung so lange nicht bewohnt werden konnte. Im Fall II 4 läßt sich
zwar dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe (UA 8 f., 11) noch entnehmen,
daß die Angeklagte durch die Brandlegung die gesamte Wohnung
unbenutzbar machen wollte; die Revision rügt jedoch zu Recht, daß die Strafkammer
die Frage des strafbefreienden Rücktritts (§ 24 Abs. 1 StGB) - ebenso
wie im Fall II 2 - nicht zureichend geprüft hat (vgl. hierzu BGH NJW 1985, 813,
814; NStZ 1999, 300 f.; NStZ-RR 1997, 233 f.; Tröndle/Fischer aaO § 24
Rdn. 15, 26 ff., 29 ff.). Die Verurteilung muß daher im Fall II 4 ebenfalls aufgehoben
werden.
b) Auch in den Fällen II 2 und 3 (Brand im Keller) belegen die Feststellungen
nicht, daß die Angeklagte eine Tathandlung im Sinne des § 306 a Abs.
1 Nr. 1 StGB vorgenommen hat (Fall II 3) bzw. sie versucht hat, eine solche
vorzunehmen (Fall II 2).
Ein Kellerraum in einem Wohnhaus ist in der vom Landgericht angenommenen
Tatbestandsalternative “Inbrandsetzen“ mögliches Tatobjekt des
§ 306 a Abs. 1 Nr. 1 StGB, wenn das Feuer wesentliche Gebäudeteile erfaßt
hat oder es sich - etwa von der Lattentür eines Kellerraumes - auf Gebäudeteile
ausbreiten kann, die für den bestimmungsgemäßen Gebrauch des Ge-
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bäudes, also das Wohnen, wesentlich sind (vgl. BGH NJW 1999, 299 zu § 306
Nr. 2 StGB aF).
Ob dies der Fall war, ist nicht festgestellt. Zu den Tathandlungen ist dem
angefochtenen Urteil lediglich zu entnehmen, daß die Angeklagte, um den
Kellerraum im Fall II 2 in Brand zu setzen, eine brennende Kerze unter einen
Karton stellte, der Tapetenreste enthielt, und beim Eintreffen der Feuerwehr
der Karton sowie eine Holzstellage brannten und die Decke des Kellers verrußt
war bzw. sie - im Fall II 3 - den Stoffbezug an einer Kellertür entzündete und
dieser sowie einige Holzlatten der Tür brannten und die Isolierung von Kabeln
verschmort war. Ein (versuchtes) Inbrandsetzen des Wohngebäudes ist damit
nicht belegt (vgl. BGH NStE Nr. 10 zu § 306 StGB; zur Latten-Kellertür als
“nicht wesentlichem“ Bestandteil des Gebäudes vgl. auch BGHSt 18, 363, 364
ff.; BGH NJW 1999, 299).
4. Die Sache bedarf daher erneuter Verhandlung und Entscheidung. Der
Senat hebt die Feststellungen insgesamt auf, um dem neuen Tatrichter eine
Entscheidung ohne die Bindung an bereits rechtskräftige Feststellungen zu
ermöglichen.
5. Für die neue Verhandlung weist der Senat auf folgendes hin:
Die nunmehr entscheidende Strafkammer wird im Falle der Verurteilung
wegen Brandstiftungsdelikten eingehender als bisher die Voraussetzungen
strafbefreienden Rücktritts bei Versuchstaten und tätiger Reue gemäß
§ 306 e StGB bei vollendeten Taten zu prüfen haben (vgl. hierzu BGH NStZRR
1997, 233, 234; StV 1999, 211 f.).
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Ob bereits ein “erheblicher Schaden“ i.S. von § 306 e StGB eingetreten
ist, richtet sich nach dem durch die Brandstiftung betroffenen Schutzgut unter
Berücksichtigung der Zielsetzung des vom Gesetzgeber mit § 306 e StGB geschaffenen
persönlichen Strafmilderungs- bzw. Strafaufhebungsgrundes. Während
die Vorschrift - ebenso wie bereits § 310 StGB aF - für Fälle des § 306a
Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. StGB (Inbrandsetzen) dem Umstand Rechnung trägt, daß
die Vollendung der Tat weit nach vorn verlagert und dem Täter damit die Möglichkeit
eines strafbefreienden Rücktritts vom Versuch auch in einem Stadium,
in dem bedeutende Sachschäden noch nicht entstanden sind, abgeschnitten
ist, trifft dies auf § 306 a Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. StGB (vollständiges oder teilweises
Zerstören durch eine Brandlegung) nicht zu. Setzt - wie ausgeführt - vollständiges
oder teilweises Zerstören gewichtige Funktionseinbußen voraus, werden
diese, sofern sich die Tat auf ein Wohngebäude bezieht, in aller Regel mit einem
beträchtlichen Sachschaden einhergehen. Soll § 306 e StGB für die letztgenannte
Fallgruppe nicht leerlaufen, was vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt
war (vgl. BTDrucks. 13/8587 S. 52; 13/9064 S. 22) und kriminalpolitisch im
Sinne erwünschter Schadensbegrenzung nicht angezeigt wäre, darf die Schadensgrenze
nicht zu niedrig angesetzt werden. Auf Wertgrenzen, die die
Rechtsprechung für andere Tatbestände mit gänzlich anderen Normzwecken
und Schutzobjekten entwickelt hat (etwa für § 315 c Abs. 1 StGB: ca. 750 Euro)
kann daher nicht zurückgegriffen werden (aA Lackner/Kühl StGB 24. Aufl.
§ 306 e Rdn. 2; Arzt/Weber Strafrecht BT, 2000, S. 818 Rdn. 59 m.w.N.). Vielmehr
ist ein durch Brandstiftung entstandener erheblicher (Sach-) Schaden an
einem Wohngebäude regelmäßig erst dann anzunehmen, wenn mindestens
2500 Euro objektiv - tatobjektbezogen - zur Schadensbeseitigung erforderlich
sind. Da die Brandstiftungen der Angeklagten, soweit sie möglicherweise voll-
15 -
endet sind, jeweils nur Fremdschäden verursacht haben, läßt der Senat offen,
ob bei der Schadensberechnung auch Eigenschäden zu berücksichtigen sind.
Die Ausführungen zur Schuldfähigkeit der Angeklagten im Zeitpunkt der
Taten und zur Erforderlichkeit der Anordnung von Maßregeln (UA 11 f.) sind
- 16 -
- wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 7. Mai 2002 ausgeführt
hat - unzureichend; in dem neuen Urteil bedürfen diese Fragen vertiefter,
nachvollziehbarer Erörterung.
Tepperwien Kuckein Athing
Solin-Stojanovic Sost-Scheible




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