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BGH, Urteil vom 13. Oktober 2004 - 2 StR 206/04


Entscheidungstext  
 
BGH, Urt. v. 13.10.2004 - 2 StR 206/04
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 206/04
 vom
13. Oktober 2004
in der Strafsache
gegen

1.
2.

wegen Beihilfe zum Totschlag u.a.
 
- 2 -


Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 13. Oktober
2004, an der teilgenommen haben:

Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Bode
 als Vorsitzender,
und der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. h.c. Detter,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Otten,
der Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Bundesanwalt
 als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
für die Angeklagte M. K .,
Rechtsanwalt
für den Angeklagten S. K.
 als Verteidiger,
Rechtsanwalt
für die Nebenkläger S. Kü. und M. Kü.
 als Vertreter der Nebenkläger,
Justizangestellte
 als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
 
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für Recht erkannt:
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 Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklä-
ger wir d das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 31. Juli
2003, soweit es die Angeklagten M. K. und S.
K. betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wir d die Sache zu neuer Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel,
an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückver-
wiesen.
 
 Von Rechts wegen
 
 Gründe:
 Das Landger icht hat die Angeklagten M.  K. und S.
K. der Beihilfe zum Totschlag für schuldig befunden, die Angeklagte M.
K. zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten
und den Angeklagten S. K. zu einer Freiheitsstrafe von sechs
Jahr en verurteilt. Den Mitangeklagten T. E. hat es wegen Mordes zu einer
lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Die vom Generalbundesanwalt vertr e-
tene Revision der Staatsanwaltschaft und die Revision der Nebenkläger betref-
fen die Angeklagten M. und S. K. . Die Staatsanwaltschaft sieht
einen Rechtsfehler des Urteils darin, daß diese Angeklagten wegen Beihilfe
zum Totschlag und nicht wegen Beihilfe zum Mord - unter Anwendung des § 28
Abs. 1 StGB - verurteilt worden sind. Die Nebenkläger halten die Verurteilung
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dieser Angeklagten wegen Beihilfe zum Totschlag für fehlerhaft und erstreben
ihre Ver urteilung wegen in Mittäterschaft begangenen Mordes.
 Die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger haben mit
der Sachrüge Erfolg. Auf die von den Nebenklägern erhobene Verfahrensrüge
kommt es daher nicht an.
 I.
 Das Landgericht hat im wesentlichen folgendes festgestellt:
 Die Angeklagte M. K. ist die Tochter des Mitangeklagten
S. K. . Sie ist in Deutschland geboren und hat hier eine Ausbil-
dung als Arzthelferin absolviert. Im Sommer 2001 hatte sie den Mitangeklagten
T. E. in der Türkei kennengelernt und sich mit ihm Ende 2001 verlobt. Vor
ihrer Bekanntschaft mit T. E. hatte sie ohne Wissen ihrer Eltern u. a. eine
- auch intime - Beziehung mit dem späteren Tatopfer V. Kü. unterhalten.
Als T. E. davon im Januar 2002 erfuhr, wollte er zunächst die Verlobung
lösen. In der Folge versöhnte er sich wieder mit M. K. . Er war je-
doch sehr eifersüchtig und befragte sie immer wieder intensiv nach ihren Be-
ziehungen zu V. Kü. , beschimpfte und schlug sie. Sie erklärte T. E.
wahrheitswidrig, daß V. Kü. sie vergewaltigt habe. Die Beziehung zu
V. Kü. hatte sie bis zuletzt nicht vollständig abgebrochen. Spätestens
am Abend des 24. Mai 2002 beschloß T. E. , das später e Tatopfer V.
Kü.
"fer tigzumachen", d. h. ihn soweit zu bringen, daß er für immer aus dem
Leben der M. K. verschwände. M. K. sollte V. Kü.
deshalb an einen ungestörten Ort locken. Ob T. E. zu diesem Zeit-
punkt bereits die Tötung des V. Kü. plante, hat sich nicht feststellen las-
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sen, er beabsichtigte jedoch eine Schußwaffe mitzunehmen und teilte dies
auch M.  K. mit. Noch in der Nacht wurde auch S. K.
in diesen Plan eingeweiht. Auf Aufforder ung des T. E. bergab ihm dieser
200 Euro zum Erwerb einer Waffe, die T. E. sodann im Beisein der M.
K. in F. besorgte. Zwischenzeitlich war es zu Anr ufen und
zum Austausch von SMS zwischen M. K. und V. Kü. gekom-
men. Gegen 5.00 Uhr holte M. K. das spätere Tatopfer, das sich auf-
grund der vorangegangenen Kontakte Hoffnung auf einen intimen Verkehr mit
ihr noch in jener Nacht machte, mit dem Fahrzeug ihres Vaters ab. T. E.
hatte sich in dem Kofferraum versteckt, wobei die Rückbank entriegelt war und
sich jederzeit umklappen ließ. V. Kü. setzte sich auf den Beifahrersitz,
ohne T. E. zu bemer ken. S. K. folgte mit dem Fahrzeug sei-
ner Tochter seinem von M. K. gesteuerten Wagen. Sowohl M.
K. als auch S. K. waren bereit, V. Kü. an einen einsa-
men Ort zu verbringen, um ihn dort T. E. zu überlassen. Daß das Tref-
fen für V. Kü. tödlich enden könnte, nahmen sie billigend in Kauf, auch
wenn ihnen ein solcher Ausgang unwillkommen war .
 Während der Fahrt tauschte M. K. mit dem im Kofferraum
befindlichen T. E. SMS aus. Als ihr Handy herunterfiel, hielt sie auf dem
Gelände einer Tankstelle, um es aufzuheben. T. E. , in dem Glauben, die
einsame Stelle sei erreicht, stieg daraufhin aus dem Kofferraum in den Fahr-
zeugraum. Als V. Kü. dies bemerkte, versuchte er zu fliehen. Da T.
E. befürchtete, daß V. Kü. in diesem Fall für ihn nicht mehr erreich-
bar wäre, schoß er V. Kü. mit Tötungsabsicht durch die r echte hintere
Seitenscheibe des Autos von hinten in den Kopf. M. K. schrie auf, zog
aber den mit dem Oberkörper aus dem Fahrzeug lehnenden V. Kü. wie-
der in das Fahrzeug und fuhr davon. S. K. , der in der Nähe gehal-
 
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ten hatte, folgte ihr. Nach kurzer Beratung fuhren sie in ein Waldstück, wo der
tödlich verletzte V. Kü. abgelegt wurde und kurze Zeit später verstarb.
 Das Landgericht hat das Geschehen für den Mitangeklagten T. E.
als Mord aus niedrigen Beweggründen gewertet. Ihm sei klar gewesen, daß
dessen Beziehung zu M. K. noch nicht endgültig beendet gewesen
sei. Er habe V. Kü. als Konkurrenten angesehen, der aus dem Leben
der M. K. habe verschwinden müssen. Die Ehe mit M. K. sei für
ihn lebenswichtig gewesen, weil nur sie ihm eine wirtschaftliche Lebensgrund-
lage in Deutschland ermöglichte. Als V. Kü. ihn im Auto bemerkt habe
und fliehen wollte, habe er sein Ziel nur noch durch dessen Tötung err eichen
können.
 II.
Die Wertung des Landgerichts, die Angeklagten M. K. und S.
K. hätten sich lediglich der Beihilfe zum Totschlag schuldig gemacht, be-
gegnet in zweifacher Hinsicht durchgreifenden Bedenken.
 1. Das Landger icht hat - wie die Staatsanwaltschaft zu Recht rügt - ver-
kannt, daß nach ständiger Rechtsprechung Mord und Totschlag als selbständi-
ge Tatbestände anzusehen sind, die nicht im Verhältnis von Grundtatbestand
und Qualifikationstatbestand stehen (BGHSt 1, 368, 370, 371; 22, 375, 377,
378). Der Gehilfe eines Mor des, der selbst ein täterbezogenes, die Strafbarkeit
des Haupttäters nach § 211 StGB begründendes Mordmerkmal nicht verwirk-
licht, jedoch erkennt, daß dieses beim Haupttäter vor liegt, ist deshalb wegen
Beihilfe zum Mord zu verurteilen, wobei das Fehlen strafbegründender beson-
der er persönlicher Merkmale beim Gehilfen zur Anwendung des § 28 Abs. 1
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StGB führ t. Niedrige Beweggründe, von deren Vorliegen das Landgericht bei
dem Haupttäter T. E. ausgeht, sind täter bezogene Mer kmale, welche die
Strafbarkeit begr ünden (vgl. BGHSt 22, 375, 378; BGH StV 1984, 69).
Die Verurteilung der Angeklagten M. K. und S. K. we-
gen Beihilfe zum Totschlag kann danach schon aus diesem Grunde keinen
Bestand haben. Soweit auf der Grundlage der Wertung als Beihilfe zum Mord
der doppelt gemilderte Strafrahmen in Betracht kommt, wird auf die Ausführun-
gen des Senats zu den Revisionen der Angeklagten M. K. und S.
K. verwiesen, die der Senat durch Beschluß vom heutigen Tage nach
§ 349 Abs. 2 StPO verworfen hat.
 2. Aber auch die Begründung des Landgerichts, mit der es bei M.
K. und S. K. eine mittäterschaftliche Tatbegehung ablehnt,
ist nicht rechtsbedenkenfrei.
Ob ein Tatbeteiligter eine Tat als Täter begeht, ist in wertender Betrach-
tung nach den gesamten Umständen, die von seiner Vorstellung umfaßt sind,
zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte können sein der Grad des eigenen
Interesses am Erfolg der Tat, der Umfang der Tatbeteiligung, die Tatherrschaft
oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft, so daß Durchführung und Aus-
gang der Tat maßgeblich vom Willen des Betroffenen abhängen (st. Rspr.;
BGHSt 37, 289, 291 m.w.N.; BGH StV 1998, 540; BGH, Beschl. vom 17. Au-
gust 2004 - 5 StR 591/03). In Grenzfällen hat der Bundesgerichtshof dem Tat-
richter einen Beurteilungsspielraum eröffnet. Hat der Tatrichter die genannten
Maßstäbe erkannt und den Sachverhalt vollständig gewürdigt, ist danach die
tatr ichterliche Beurteilung auch dann nicht zu beanstanden, wenn ein anderes
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Ergebnis möglich gewesen wäre. Diesen Anforderungen wird das angefochte-
ne Ur teil nicht gerecht.
a) Das Landgericht hat hinsichtlich der Angeklagten M.  K.
ausgeführt, Mittäterschaft habe nicht vorgelegen. Zwar habe die Angeklagte
einen erheblichen Tatbeitr ag geleistet, denn sie habe das Tatopfer dazu ge-
bracht, in das Fahrzeug zu steigen, in dem sich der Angeklagte T. E. ver-
steckt hatte. Sie habe jedoch dem Angeklagten T. E. die Entscheidung
überlassen, ob und wann er die Schußwaffe gegen V. Kü. einsetze.
Nachdem V. Kü. in das Fahrzeug eingestiegen sei, habe es auch nicht
in ihrer Macht gelegen, seine von ihr nicht gewünschte, wenn auch für möglich
gehaltene und akzeptierte Tötung zu verhindern. Sie habe deshalb weder Tat-
her rschaft noch subjektiven Täterwillen gehabt.
Diese Ausführungen berücksichtigen nicht, daß die Angeklagte mehrere
Möglichkeiten gehabt hätte, um die Tat zu verhindern. Abgesehen davon, daß
das Tatopfer nur durch ihre Mitwirkung in das Fahrzeug gelockt werden konnte,
hätte sie V. Kü. , selbst nachdem er eingestiegen war, noch warnen und
ihm die Flucht er möglichen können.
Aber auch soweit das Landgericht ein eigenes Tatinteresse der Ange-
klagten abgelehnt hat, tr ifft dies auf der Grundlage der getr offenen Feststellun-
gen nicht zu. Die Angeklagte erhoffte sich von dem Ergebnis der von allen An-
geklagten geplanten Auseinandersetzung mit V. Kü. die endgültige Lö-
sung dieser Beziehung, die für T. E. ein dauernder Stein des Anstoßes
war und die er ihr ständig vorwarf. Da ihr dieses Ziel wichtiger war als das Le-
ben des V. Kü. , hatte sie ein eigenes Tatinteresse. Daß ihr der Tod des
V. Kü. an sich unerwünscht war und sie eine andere Lösung vorgezogen
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hätte, steht dem nicht entgegen (vgl. auch BGHR StGB § 25 Abs. 2 Tatinter es-
se 5).
b) Gleiches gilt auch für die Verneinung eines eigenen Tatinteresses bei
dem Angeklagten S. K. . Auch er erhoffte sich eine Lösung der fa-
miliären Probleme und nahm die ihm an sich unerwünschte Tötung des V.
Kü. zur Erreichung dieses Ziels in Kauf. Soweit das Landgericht im übrigen
ausgeführt hat, daß sich sein Tatbeitrag darin erschöpft habe, T. E. bei
der geplanten Auseinander setzung Beistand zu leisten und deshalb mit dem
Fahrzeug hinterher zu fahren, hat es nicht berücksichtigt, daß der Angeklagte
dem Mitangeklagten T. E. in der Tatnacht 200 Euro zum Kauf einer Waffe
gegeben und damit ebenfalls einen gewichtigen Tatbeitrag geleistet hat.
In die gebotene umfassende Würdigung des Sachverhalts hätte das
Landgericht diese Gesichtspunkte, auch wenn sie nur indizielle Bedeutung ha-
ben, einbeziehen müssen. Das Urteil kann daher, soweit es die Angeklagten
M. K. und S. K. betrifft, keinen Bestand haben.
3. Der neue Tatrichter wird auf der Grundlage seiner Feststellungen zu
würdigen haben, ob auch bei diesen Angeklagten unter Berücksichtigung ihr es
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eigenen Tatinteresses von niedrigen Beweggründen auszugehen ist. Ange-
sichts der Tatsache, daß das Tatopfer in eine Falle gelockt wurde, ist auch die
Annahme einer heimtückischen Begehungsweise nicht fernliegend (BGHSt 22,
77 f.).
Bode    Detter   Otten
  Rothfuß   Roggenbuck



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