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BGH, Urteil vom 13. Oktober 2005 - 3 StR 385/04


Entscheidungstext  
 
BGH, Urt. v. 13.10.2005 - 3 StR 385/04
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
_________________
BÄO §§ 2, 6, 10 b, 13
ZahnheilkundeG §§ 1, 13 a, 18 Nr. 2
Die Befugnis eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union
zur vorübergehenden Ausübung des ärztlichen (oder zahnärztlichen) Berufs in
Deutschland (§ 2 Abs. 3 BÄO, § 1 Abs. 2 ZHG) wird durch das Ruhen einer ihm etwa
erteilten deutschen Approbation nicht berührt.
BGH, Urt. vom 13.10.2005 - 3 StR 385/04 - LG Wuppertal
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 385/04
vom
13.10.2005
in der Strafsache
gegen
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wegen gefährlicher Körperverletzung u. a.
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
11.08.2005 in der Sitzung vom 13.10.2005, an denen teilgenommen
haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Tolksdorf,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Miebach,
Pfister,
Becker,
Hubert
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt in der Verhandlung,
Richter am Landgericht bei der Verkündung
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt ,
Rechtsanwalt (nur in der Verhandlung)
als Verteidiger,
Justizamtsinspektor in der Verhandlung,
Justizangestellte bei der Verkündung
als Urkundsbeamte der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
Landgerichts Wuppertal vom 23. Dezember 2003
a) aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen Verstoßes
gegen § 13 Bundesärzteordnung in vier Fällen und gegen
§ 18 Nr. 2 Zahnheilkundegesetz in einem Fall verurteilt
worden ist,
b) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte
unter Freisprechung im Übrigen wegen gefährlicher Körperverletzung
sowie wegen vorsätzlicher Körperverletzung
in zehn Fällen verurteilt ist.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels
und die den Nebenklägerinnen dadurch entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung,
wegen vorsätzlicher Körperverletzung in zehn Fällen, davon in sechs
Fällen in Tateinheit mit einem Verstoß gegen § 13 Bundesärzteordnung (BÄO)
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und in einem Fall in Tateinheit mit einem Verstoß gegen § 18 Nr. 2 Zahnheilkundegesetz
(ZHG) sowie wegen Verstoßes gegen § 13 BÄO in vier weiteren
Fällen und wegen Verstoßes gegen § 18 Nr. 2 ZHG in einem weiteren Fall zu
einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Es hat ihn darüber hinaus
zur Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld an die Nebenklägerin
Sch. verurteilt und festgestellt, dass der Angeklagte ihr zum Ersatz künftiger
materieller und immaterieller Schäden verpflichtet ist. Die hiergegen gerichtete
Revision des Angeklagten hat nur einen Teilerfolg.
I. Das angefochtene Urteil hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand, soweit
der Angeklagte wegen verbotener Ausübung des Arzt- bzw. Zahnarztberufs
gemäß § 13 BÄO bzw. § 18 Nr. 2 ZHG verurteilt worden ist.
1. Das Landgericht hat festgestellt: Der Angeklagte ist deutscher Staatsangehöriger.
Nach dem Studium der Medizin und der Zahnmedizin wurde ihm
in Deutschland die Approbation als Arzt und als Zahnarzt erteilt. Er arbeitete
von 1974 bis 1979 als Stationsarzt im Klinikum der Universität . 1978
ließ er sich - mit einer belgischen "Approbation"- in Belgien als Arzt nieder und
verlegte auch seinen Wohnsitz dorthin. Ab 1981 praktizierte er zusätzlich in
einer Gemeinschaftspraxis in Wuppertal. 1989 meldete er seine Niederlassung
und Praxisführung in Deutschland ab und erbrachte fortan vom Ort seiner belgischen
Niederlassung aus Leistungen als Belegarzt in der von ihm gegründeten
Wuppertaler -Klinik.
Mit Verwaltungsakt vom 10. August 2000 ordnete die Bezirksregierung
in Düsseldorf "wegen Unwürdigkeit und Unzuverlässigkeit im Rahmen der Berufsausübung"
das Ruhen der Approbation des Angeklagten als Zahnarzt und
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Arzt an. Zugleich verfügte sie die sofortige Vollziehung dieser Anordnung. Widerspruch
und Anträge des Angeklagten, im Verwaltungsrechtsweg die aufschiebende
Wirkung des Widerspruchs wiederherzustellen, blieben erfolglos.
Die Ruhensanordnung ist bestandskräftig geworden.
In Kenntnis des Ruhens seiner deutschen Approbation nahm der Angeklagte
ab dem Spätsommer 2000 bis Juni 2002 in Deutschland an verschiedenen
Patienten ärztliche bzw. zahnärztliche Behandlungen vor.
2. Diese Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten nach
§ 13 BÄO nicht. Nach dieser Norm, die das in § 5 Heilpraktikergesetz strafbewehrte
Verbot der Ausübung des Arztberufs ohne Approbation oder sonstige
Gestattung ergänzt, macht sich nur strafbar, wer die Heilkunde ausübt, solange
durch vollziehbare Verfügung das Ruhen seiner dafür erforderlichen deutschen
Approbation angeordnet ist.
a) Der Angeklagte benötigte für die festgestellten Behandlungsmaßnahmen,
die Gegenstand der Verurteilung sind, keine deutsche Approbation.
Seine Tätigkeit war ihm vielmehr unabhängig hiervon gemäß § 2 Abs. 3, § 10 b
Abs. 1 BÄO gestattet. Denn er hat, nachdem er seine Niederlassung und Praxisführung
in Deutschland abgemeldet hatte, diesen Beruf im Inland lediglich
vorübergehend ausgeübt. Dazu war er als Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates
der Europäischen Union, der zur Ausübung des ärztlichen Berufs in
einem der übrigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Belgien) berechtigt
ist, als Dienstleistungserbringer i. S. d. Art. 50 des Vertrags zur Gründung der
Europäischen Gemeinschaft (EGV) befugt.
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Die Auffassung des Landgerichts, der Angeklagte sei im Inland nicht nur
vorübergehend als Arzt tätig geworden, findet in den getroffenen Feststellungen
keine Stütze. Unter welchen Voraussetzungen eine Tätigkeit als lediglich
vorübergehend i. S. von § 2 Abs. 3, § 10 b Abs. 1 BÄO anzusehen ist, kann nur
mit Blick auf europäisches Recht in seiner Auslegung durch den Europäischen
Gerichtshof beurteilt werden. Denn durch diese Vorschriften werden die europarechtlichen
Vorgaben der Art. 49, 50 EGV in das innerstaatliche Recht umgesetzt,
insbesondere die Bestimmung des Art. 50 Abs. 3 EGV, wonach der
Dienstleistende (hier der freiberuflich tätige Arzt; vgl. Art. 50 Abs. 2 Buchst. d
EGV) unbeschadet der Niederlassungsfreiheit nach Art. 43 EGV zur Erbringung
seiner Leistungen seine Tätigkeit vorübergehend in dem Staat ausüben
darf, in dem seine Leistung erbracht wird. Maßgeblich für die Annahme bloß
vorübergehender Tätigkeit ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs
nicht nur die Dauer der Leistung, sondern auch ihre Häufigkeit, regelmäßige
Wiederkehr oder Kontinuität; selbst die Ausstattung des Dienstleistenden
mit einer bestimmten Infrastruktur im Aufnahmemitgliedstaat schließt
den vorübergehenden Charakter der Dienstleistung nicht notwendig aus
(EuGH 1995 I, 4165 [4195] - Gebhard). Bei Anlegung dieses Maßstabs ist der
Angeklagte im Tatzeitraum nur vorübergehend in Deutschland tätig geworden:
Er hat nach den getroffenen Feststellungen zwischen Spätsommer 2000 und
Juni 2002 in 23 Fällen (16 Fälle sind angeklagt und abgeurteilt; sieben weitere,
nicht angeklagte Fälle sind festgestellt) Untersuchungen und Behandlungen
vorgenommen, die zum Teil nur kurze Zeit in Anspruch nahmen und vereinzelt
nur deshalb in Deutschland stattfanden, weil die Patienten dem Wunsch des
Angeklagten, nach Belgien zur Behandlung zu kommen, nicht nachkommen
wollten. Das für die ärztliche Tätigkeit notwendige Material hat der Angeklagte
jeweils aus Belgien mitgebracht und in Wuppertal lediglich die - von zwei
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zahnärztlichen Behandlungsstühlen abgesehen - leer stehenden Räume der
-Klinik genutzt.
b) Die sich danach aus § 2 Abs. 3, § 10 b Abs. 1 BÄO ergebende Befugnis
des Angeklagten, vorübergehend als Arzt in Deutschland zu praktizieren,
wurde durch das Ruhen seiner deutschen Approbation nicht berührt.
aa) Zwar darf nach dem Wortlaut des § 6 Abs. 3 BÄO, auf den sich das
Landgericht maßgeblich stützt, ein Arzt, dessen Approbation ruht, den ärztlichen
Beruf nicht ausüben. Dies gilt, wie sich aus der Systematik der Bundesärzteordnung
ergibt, indessen nur, wenn er für seine Tätigkeit überhaupt eine
Approbation benötigt.
Die Bundesärzteordnung enthält in § 2 BÄO vier verschiedene, selbständig
nebeneinander stehende Legitimationstatbestände für die Ausübung
der Heilkunde in Deutschland unter der Berufsbezeichnung Arzt oder Ärztin
(vgl. Schiwy, Deutsches Arztrecht, Bd. I § 2 BÄO Erläuterung 1.1, 21). Als Regelfall
bedarf der Arzt, der in Deutschland den ärztlichen Beruf uneingeschränkt
ausüben will, der Approbation (§ 2 Abs. 1 BÄO). Von den weiteren
Legitimationstatbeständen (§ 2 Abs. 2 bis 4 BÄO), die die ärztliche Tätigkeit in
jeweils spezifisch eingeschränkter Weise erlauben, interessiert hier allein § 2
Abs. 3 BÄO. Danach dürfen - in Umsetzung der europarechtlich normierten
Dienstleistungsfreiheit (Art. 50 EGV) - Staatsangehörige eines Mitgliedstaates
der Europäischen Union, die zur Ausübung des ärztlichen Berufs in einem der
übrigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union berechtigt sind, den ärztlichen
Beruf vorübergehend in Deutschland ausüben.
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Die in § 2 Abs. 1 bis 4 BÄO genannten Legitimationstatbestände sind in
ihren Voraussetzungen und spezifischen Rechtsfolgen jeweils gesondert geregelt:
die Approbation im Abschnitt II (§§ 3 bis 9 BÄO), die Erlaubnis im Abschnitt
III (§§ 10, 10 a BÄO) und die Erbringung von Dienstleistungen im Abschnitt
IV (§ 10 b BÄO) der Bundesärzteordnung; die Berufsausübung für
"Grenzärzte" richtet sich nach den hierfür abgeschlossenen zwischenstaatlichen
Verträgen (vgl. § 2 Abs. 4 BÄO).
Das durch § 13 BÄO strafbewehrte Verbot, den ärztlichen Beruf auszuüben,
wenn die Approbation ruht (§ 6 Abs. 3 BÄO), ist in der Bundesärzteordnung
im II. Abschnitt ("Die Approbation") geregelt. Sein Gegenstand ist nach
dem Regelungszusammenhang dementsprechend nur die ärztliche Tätigkeit,
die auf Grund einer erteilten Approbation erbracht wird und dem Erbringer nicht
aufgrund eines anderen Legitimationstatbestands erlaubt ist.
Die vorübergehende ärztliche Tätigkeit im Sinne des § 2 Abs. 3 BÄO ist
demgegenüber in der Bundesärzteordnung im IV. Abschnitt ("Erbringung von
Dienstleistungen") in § 10 b BÄO näher normiert. Diese Vorschrift gestattet den
deutschen Behörden nicht, die Tätigkeit eines Arztes, der aufgrund seiner Approbation
in einem anderen EU-Mitgliedstaat vorübergehend in Deutschland
praktiziert, in eigener Zuständigkeit zu unterbinden, wenn sie feststellen, dass
dieser seine ärztlichen Pflichten (vgl. § 10 b Abs. 3 Satz 1 BÄO) verletzt. Weder
wird dort § 6 BÄO in Bezug genommen noch in sonstiger Weise ein Zusammenhang
zwischen dem Ruhen einer eventuell vorhandenen deutschen
Approbation und der Befugnis hergestellt, auf der Grundlage von § 2 Abs. 3,
§ 10 b Abs. 1 BÄO vorübergehend in Deutschland zu praktizieren. Die einzige
Möglichkeit, auf eine Pflichtverletzung des vorübergehend in Deutschland
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praktizierenden Arztes zu reagieren, besteht in der unverzüglichen Unterrichtung
der zuständigen Behörde des Herkunftsstaates des Arztes (§ 10 b Abs. 3
Satz 2 BÄO). Erst wenn dem Arzt daraufhin durch die zuständige Behörde seines
Herkunftsstaates seine dortige Zulassung entzogen wird, darf er auch in
Deutschland nicht mehr vorübergehend tätig werden (vgl. § 10 b Abs. 1 BÄO).
Ob deutsche Behörden die vorübergehende Tätigkeit des Arztes in Fällen, in
denen eine konkrete Gefährdung für das Leben oder die Gesundheit von Patienten
besteht, nach anderen Vorschriften untersagen können, bedarf hier keiner
Entscheidung, weil eine entsprechende Anordnung nicht ergangen ist und
eine Zuwiderhandlung auch nicht unter Strafandrohung stünde.
Diese Gesetzessystematik erfährt eine Bestätigung durch die Regelung
in § 10 a BÄO. In Absatz 3 dieser Vorschrift hat der Gesetzgeber die besondere
Erlaubnis für die fachzahnärztliche Tätigkeit nach § 10 a Abs. 1 oder 2 BÄO
beim Ruhen der zahnärztlichen Approbation ausdrücklich ausgeschlossen.
Dies zeigt deutlich, dass er in anderem Zusammenhang durchaus eine Wechselbeziehung
zwischen dem Ruhen einer Approbation und der Zulässigkeit der
ärztlichen Tätigkeit auf anderer rechtlicher Grundlage als einer Approbation
herstellt.
bb) Sinn und Zweck der Vorschrift gebieten keine andere Auslegung.
Die Ruhensanordnung dient zwar dazu, in unklaren Situationen oder Eilfällen
dem Arzt vorläufig den Beruf zu untersagen, und bezweckt damit den Schutz
der Öffentlichkeit bzw. der ordnungsgemäßen Gesundheitsversorgung (vgl.
Schiwy aaO § 6 BÄO Erläuterung 1a und 1e). Dieser Schutzzweck könnte es
nahe legen, dass - wovon auch das Landgericht im angegriffenen Urteil ausgegangen
ist - das Ruhen der Approbation zu einem umfassenden Tätigkeitsver-
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bot ohne Beschränkung auf die ausschließlich durch die Approbation erlaubte
Tätigkeit führt. Einer solchen Betrachtung steht aber zum einen entgegen, dass
das Gesetz den Schutz der inländischen Bevölkerung vor unzuverlässigen Ärzten,
die aufgrund der Gestattung nach § 2 Abs. 3; § 10 b BÄO vorübergehend
in Deutschland praktizieren, auf andere Weise anstrebt: Nach § 13 Abs. 3 Satz
2 BÄO ist die zuständigen Behörde des Landes, in dem die Dienstleistung erbracht
wird, verpflichtet, unverzüglich die zuständige Behörde des Herkunftsstaates
über eine Pflichtverletzung zu unterrichten. Dies ermöglicht wiederum
dieser Behörde, dem Arzt die Erlaubnis zu entziehen, aufgrund derer er in
Deutschland tätig werden kann. Zum andern darf der hier zu beurteilende
Sachverhalt die Auslegung schon wegen seiner Besonderheiten, die ihn zu
einem Ausnahmefall machen, nicht prägen: In aller Regel wird der Arzt, der auf
der Grundlage von § 2 Abs. 3 BÄO vorübergehend in Deutschland praktiziert,
über keine deutsche Approbation verfügen. Es besteht dann von vornherein
nicht die Möglichkeit, über eine Ruhensanordnung nach § 6 Abs. 1 BÄO in seine
hiesige Berufsausübung einzugreifen. So läge es hier auch, wenn der Angeklagte
auf seine Approbation verzichtet hätte, als er seine Praxis in Deutschland
abmeldete, oder wenn er immer nur in einem der übrigen Mitgliedstaaten
der Europäischen Union "approbiert" gewesen wäre. Allein der zufällige Umstand,
dass er auch noch eine - für seine vorübergehende Tätigkeit im Inland
nicht benötigte - deutsche Approbation besaß, kann daher weder die Auslegung
der einschlägigen Vorschriften im allgemeinen noch deren Anwendung im
hier zu beurteilenden Sonderfall beeinflussen.
c) An diese verwaltungsrechtliche Rechtslage knüpfen auch die akzessorischen
Strafbestimmungen an, die (vgl. Art. 103 Abs. 2 GG) noch weniger
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als rein verwaltungsrechtliche Normen allein unter dem Aspekt eines als berechtigt
anerkannten Schutzzwecks ausdehnend ausgelegt werden können.
3. Aus denselben Erwägungen ist auch eine Strafbarkeit des Angeklagten
nach § 18 Nr. 2 ZHG nicht gegeben. Die Rechtslage für die Ausübung der
Zahnheilkunde nach dem Zahnheilkundegesetz entspricht derjenigen der Bundesärzteordnung
für die Ausübung des Arztberufs. Allein der Umstand, dass
sich der Grundtatbestand über die Gestattung der vorübergehenden Tätigkeit
in Deutschland durch Zahnärzte aus anderen EU-Mitgliedstaaten in § 1 Abs. 2
ZHG und damit im I. Abschnitt dieses Gesetzes über "Die Approbation als
Zahnarzt" findet, ändert hieran nichts; denn die systematische Unterscheidung
zwischen den Gestattungsformen der zahnärztlichen Tätigkeit aufgrund deutscher
Approbation einerseits und der europarechtlich gewährleisteten Dienstleistungsfreiheit
andererseits wird hinreichend deutlich dadurch, dass letztgenannte
Tätigkeit im III. Abschnitt des Zahnheilkundegesetzes unter der Überschrift
"Sonderbestimmungen" in § 13 a ZHG eine dem § 10 b BÄO entsprechende
eigenständige Durchnormierung erfährt. Demgegenüber stellt § 1
Abs. 1 ZHG ausdrücklich klar, dass eine deutsche Approbation nur derjenige
benötigt, der im Geltungsbereich des Zahnheilkundegesetzes die Zahnheilkunde
"dauernd" ausüben will. Ebenso wird die verwaltungsakzessorische Differenzierung
der einschlägigen Strafvorschriften in § 18 ZHG besonders deutlich,
da hier ausdrücklich zwischen der unerlaubten Ausübung der Zahnheilkunde
unter Verstoß gegen § 1 Abs. 2 ZHG einerseits (§ 18 Nr. 1 ZHG) und während
des Ruhens der Approbation andererseits (§ 18 Nr. 2 ZHG) unterschieden
wird.
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4. Nach alledem bedarf die von der Revision in den Mittelpunkt gestellte
Frage nach der Vereinbarkeit der innerstaatlichen Gesetze mit den Normen
des europäischen Gemeinschaftsrechts keiner Entscheidung. Entgegen der
Grundannahme des Landgerichts fehlt es nämlich an einer Regelung des deutschen
Rechts, die die europarechtlichen Befugnisse des Angeklagten einschränkt.
Der Gesetzgeber hat eine spezifische berufsrechtliche Regelung
nicht geschaffen, durch die es deutschen Behörden ermöglicht würde, einem
Arzt oder Zahnarzt, der aufgrund der europarechtlichen Dienstleistungsfreiheit
vorübergehend im Inland praktiziert, bei Verstoß gegen seine Berufspflichten
die Tätigkeit in eigener Zuständigkeit zu untersagen und den Verstoß gegen
dieses Berufsverbot strafrechtlich zu sanktionieren. Dass eine derartige Regelung
etwa zur Abwehr möglicher Gefahren für potentielle Patienten in Deutschland
mit der europarechtlichen Dienstleistungsfreiheit nicht in Konflikt stünde,
bedarf keiner näheren Begründung. Es gilt hier nichts anderes als für die Abwehr
möglicher Gefährdungen von Straßenverkehrsteilnehmern durch ungeeignete
Kraftfahrzeugführer (vgl. zur Suspendierung der Berechtigung zum
Führen von Kraftfahrzeugen im Inland aufgrund einer durch einen anderen Mitgliedstaat
der Europäischen Union ausgestellten Fahrerlaubnis, wenn deren
Inhaber im Inland die Fahrerlaubnis etwa entzogen wird, § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV;
hierzu auch EuGH NJW 2004, 1725).
II. Danach ist die Verurteilung in den Fällen aufzuheben, in denen dem
Angeklagten allein ein Verstoß gegen § 13 BÄO oder gegen § 18 Nr. 2 ZHG
zur Last lag. Der Senat schließt aus, dass ein neuer Tatrichter feststellen könnte,
dass der Angeklagte nicht nur vorübergehend i. S. v. § 10 b Abs. 1 BÄO,
§ 13 Abs. 1 ZHG tätig war. Er spricht deshalb den Angeklagten insoweit frei.
Dieser Freispruch erstreckt sich auch auf die vier weiteren Fälle ärztlicher Be-
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rufsausübung, die das Landgericht entsprechend der Anklage festgestellt und
mit Einzelstrafen belegt, aber im Schuldspruch nicht zum Ausdruck gebracht
hat.
In den Fällen der Verurteilung wegen Verstoßes gegen § 13 BÄO bzw.
§ 18 Nr. 2 ZHG in Tateinheit mit Körperverletzung ändert der Senat den
Schuldspruch. Die Verurteilungen wegen (tateinheitlich begangener) Körperverletzung
sind rechtsfehlerfrei. Das Landgericht hat zutreffend eine rechtswidrige
Körperverletzung jeweils auch deshalb angenommen, weil der Angeklagte
seine Patienten nicht darüber aufgeklärt hatte, dass wegen Unwürdigkeit und
Unzuverlässigkeit das Ruhen seiner deutschen Approbation angeordnet worden
war. Diese Aufklärungspflicht bestand unabhängig davon, ob sich der Angeklagte
durch seine Tätigkeit nach der Bundesärzteordnung bzw. dem Zahnheilkundegesetz
strafbar machte - wie es das Landgericht angenommen hat -
oder nicht. Ihre Verletzung führte dazu, dass die Einwilligung der Patienten
jeweils unwirksam war. Die Verurteilungen wegen Körperverletzung können
deshalb bestehen bleiben.
Soweit sich das Rechtsmittel mit Einzelbeanstandungen gegen die Verurteilung
wegen gefährlicher Körperverletzung sowie wegen vorsätzlicher Körperverletzung
in drei Fällen wendet, zeigt es keinen den Angeklagten beschwerenden
Rechtsfehler auf. Insoweit nimmt der Senat Bezug auf die Antragsschrift
des Generalbundesanwalts vom 17. November 2004.
III. Die Änderung des Schuldspruchs hat auf den Ausspruch über die
verbleibenden Einzelstrafen sowie über die Gesamtstrafe keine Auswirkung.
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Soweit in sieben Fällen die tateinheitliche Verurteilung nach § 13 BÄO
bzw. § 18 Nr. 2 ZHG entfallen und nur eine solche wegen vorsätzlicher Körperverletzung
verblieben ist, kann dahinstehen, ob durchweg ein Beruhen der Einzelstrafen
auf der vom Landgericht angenommenen rechtlichen Würdigung
auszuschließen ist. Die erkannten Einzelstrafen sind jedenfalls angemessen
(§ 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO). Angesichts der in ihrer Kunstfehlerhaftigkeit und
groben Pflichtwidrigkeit kaum zu überbietenden "Behandlungen" des Angeklagten
sowie mit Blick auf die schweren gesundheitlichen Folgen bei den Tatopfern
und die Vielzahl der Fälle erscheinen mildere Strafen unvertretbar.
Aus denselben Erwägungen hat auch die Gesamtstrafe (ungeachtet des
Wegfalls von neun Einzelstrafen von jeweils 60 Tagessätzen) Bestand.
IV. Auch im Übrigen hat die Überprüfung des Urteils auf die allgemeine
Sachrüge keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 4 StPO. Die Änderung
des Schuldspruchs ist nicht von solcher Bedeutung, dass es unbillig wäre, den
Beschwerdeführer mit den gesamten Kosten des Rechtsmittels zu belasten.
Tolksdorf Miebach Pfister
Becker Hubert



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