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BGH, Urteil vom 15. Juni 2004 - 1 StR 39/04


Entscheidungstext  
 
BGH, Urt. v. 15.6.2004 - 1 StR 39/04
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 39/04
vom
15.06.2004
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 15. Juni
2004, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Hebenstreit,
Dr. Graf,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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1. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten
gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 12. September
2003 werden verworfen.
2. Die Beschwerdeführer haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu
tragen. Der Angeklagte trägt die der Nebenklägerin durch sein
Rechtsmittel entstandenen notwendigen Auslagen. Die dem
Angeklagten durch die Revision der Staatsanwaltschaft im Revisionsverfahren
entstandenen notwendigen Auslagen fallen
der Staatskasse zur Last.
Von Rechts wegen
Gründe:
Dem Angeklagten liegt zur Last, versucht zu haben, seine Ehefrau mit
einem Messer mit tiefreichenden Schnitten in beide Unterarme und mit einem
Stich in die linke Brust zu töten. Das Landgericht hat ihn deshalb wegen versuchten
Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe
von vierzehn Jahren verurteilt. Der Angeklagte greift das Urteil mit
einer Verfahrensrüge und der Sachrüge insgesamt an; insbesondere rügt er
die Annahme, er habe sich eines versuchten Mordes aus sonst niedrigen Beweggründen
schuldig gemacht. Die Staatsanwaltschaft hat ihre zu Ungunsten
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des Angeklagten eingelegte Revision auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt;
sie wendet sich mit der Sachrüge im wesentlichen dagegen, daß das
Landgericht zu der Strafmilderung wegen Versuchs gekommen ist und erstrebt
eine Verurteilung des Angeklagten zu lebenslanger Freiheitsstrafe. Beide
Rechtsmittel haben keinen Erfolg.
I.
Die Revision des Angeklagten
Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat
keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
1. Die Rüge wegen rechtsfehlerhafter Ablehnung eines Beweisantrags
auf Anhörung eines weiteren Sachverständigen zur Schuldfähigkeit des Angeklagten
ist jedenfalls unbegründet. Weder aus den vorgetragenen Verfahrenstatsachen
noch aus den Urteilsgründen ergeben sich Zweifel an der Sachkunde
des angehörten Sachverständigen Dr. W. oder der Richtigkeit seines
Gutachtens. Nach den Urteilsgründen hat sich der Sachverständige vielmehr
ausführlich mit einem möglichen Einfluß des vom Angeklagten behaupteten
Schädelhirntraumas auf die Schuldfähigkeit sowie mit dessen Herkunft und
sozialer Integration in Deutschland auseinandergesetzt und im einzelnen ausgeführt,
weshalb sich aus psychiatrischer Sicht beides nicht auf die Begehung
der Tat ausgewirkt hat. Der Beschwerdeführer zeigt auch nicht auf, welche
konkreten Beweisergänzungen mit einem weiteren Gutachten zu erzielen wären
(§ 244 Abs. 2 StPO). Sein Vorbringen erschöpft sich vielmehr in revisionsrechtlich
unbeachtlichen Angriffen auf die in den Urteilsgründen niedergelegte
tatrichterliche Würdigung der Tatsachen, aufgrund derer die Strafkammer zur
Annahme der uneingeschränkten Schuldfähigkeit gelangt ist.
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2. Die Sachrüge hat keinen Rechtsfehler ergeben. Der Erörterung bedarf
nur folgendes: Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind
Beweggründe niedrig, wenn sie als Motive einer Tötung nach allgemeiner sittlicher
Würdigung auf tiefster Stufe stehen und deshalb besonders verachtenswert
sind. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich aufgrund einer Gesamtwürdigung,
welche die Umstände der Tat, die Lebensverhältnisse des Täters und seine
Persönlichkeit einschließt (BGHSt 35, 116, 127; BGHR StGB § 211 Abs. 2
niedrige Beweggründe 23 und 39). Nach den Feststellungen war Beweggrund
des Angeklagten, seiner Ehefrau, die sich in Deutschland besser integriert hatte
als er, das Recht abzusprechen, ihr Leben eigenverantwortlich zu gestalten
und sich von ihm zu trennen, ferner sein ausgeprägtes Besitzdenken und sein
rücksichtsloser Eigennutz. Aus Wut und Verärgerung über die von seiner Ehefrau
ausgesprochene Trennung fühlte er sich in seinem Stolz gekränkt, weil er
als Familienoberhaupt aus der Wohnung gewiesen, mit einem Kontaktverbot
belegt und zu Unterhaltszahlungen aufgefordert wurde. Er ging davon aus, seine
Ehefrau habe ihr Leben verwirkt, weil sie sich von ihm trennen wollte. Dafür
wollte er sie bestrafen und erhob sich gleichsam als "Vollstrecker eines Todesurteils"
über die Rechtsordnung und das Lebensrecht seiner Frau (UA S. 33).
Die Gefühle der Demütigung und Kränkung wurden dabei überlagert von Gefühlen
des Neides, des Hasses und dem Wunsch, seine Ehefrau körperlich zu
zerstören. Seine Ehefrau hatte dabei objektiv keinen begründeten Anlaß zu
Haßgefühlen und Eifersucht gegeben.
Die Kammer hat rechtsfehlerfrei dargelegt, daß dem Angeklagten bewußt
war, daß seine Motive auf sittlich tiefster Stufe stehen und verachtenswert
sind. Der Hinweis des Beschwerdeführers auf das Urteil des Bundesgerichts-
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hofs vom 20. Februar 2002 - 5 StR 545/01 - NStZ 2002, 368 geht fehl, weil die
Entscheidung einen anderen Sachverhalt betraf.
Das Landgericht hat auch eine mögliche tatbestimmende eigene Suizidalität
des Angeklagten rechtsfehlerfrei ausgeschlossen. Die hiergegen gerichteten
Angriffe des Beschwerdeführers sind revisionsrechtlich unbeachtlich. Sie
erschöpfen sich darin, die Wertung des hierzu berufenen Tatrichters durch eine
eigene abweichende Bewertung zu ersetzen. Einen Rechtsfehler zeigen sie
hingegen nicht auf.
II.
Die Revision der Staatsanwaltschaft
1. Die Entscheidung des Landgerichts, im Falle des versuchten Mordes
(hier in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung) von der Strafmilderungsmöglichkeit
nach § 23 Abs. 2 in Verbindung mit § 49 Abs. 1 StGB Gebrauch zu
machen, hält rechtlicher Prüfung stand.
a) Die rechtsfehlerfreie Anwendung des § 23 Abs. 2 StGB verlangt eine
Gesamtschau, die neben der Persönlichkeit des Täters die Tatumstände im
weitesten Sinne und dabei insbesondere die versuchsbezogenen Gesichtspunkte
einbezieht wie Nähe zur Tatvollendung, Gefährlichkeit des Versuchs
und eingesetzte kriminelle Energie (vgl. BGHSt 16, 351, 353; 35, 347, 355f.;
BGHR StGB § 23 Abs. 2 Strafrahmenverschiebung 1, 2, 4, 5, 8, 9, 11 und 12).
Eine sorgfältige Abwägung dieser Umstände, auch soweit sie für den Täter
sprechen, ist namentlich dann geboten, wenn von der Entschließung über die
versuchsbedingte Milderung die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe ab-
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hängt (BGHR StGB § 23 Abs. 2 Strafrahmenverschiebung 8 und § 46 Abs. 2
Wertungsfehler 21).
b) Die Strafkammer hat ausgeführt, sie habe die Strafmilderung aufgrund
der notwendigen Gesamtbetrachtung aller Tatumstände und der Täterpersönlichkeit
nach reiflicher Überlegung vorgenommen, wobei sie den wesentlichen
versuchsbezogenen Umständen besonderes Gewicht beigemessen habe. Sie
habe entscheidend auf die Nähe zur Tatvollendung, die Gefährlichkeit des
Versuchs und das Maß der in ihm zutage getretenen kriminellen Energie abgestellt.
Die Nähe zur Tatvollendung sei hier gegeben; die Geschädigte habe viel
Blut verloren und wäre ohne sofortige Notoperation innerhalb weniger Minuten
verblutet. Die kriminelle Energie sei hoch; es handele sich um eine vorangekündigte
Tat, die der Angeklagte umsichtig und wohl überlegt durchgeführt habe.
Die Tatausführung sei sadistisch und brutal gewesen. Der Angeklagte habe
seine Ehefrau in Tötungsabsicht an beiden Handgelenken tiefreichende
Schnittwunden zugefügt und dabei die Ellenarterien, die Sehnen und Nerven
durchtrennt. Er habe sich bei seinen Handlungen weder durch die Schreie seiner
Ehefrau noch durch seine hinzutretende Tochter beeindrucken lassen und
habe seinen Tötungsversuch mit gefühlskalten Kommentaren wie “So, jetzt
müssen wir ins Herz gehen! So, bist Du schon verreckt? So ist gut!“ fortgesetzt.
Zur Begründung ihrer Entscheidung hat das Landgericht ausgeführt:
„Das entscheidende Kriterium, das die Kammer letztlich bewogen hat, doch von
der Milderungsmöglichkeit Gebrauch zu machen, sind die erstaunlich geringen
Folgen der Tat bei der Geschädigten. Sie trägt sichtbare Narben, ist in der Bewegungsfähigkeit
ihrer Arme und Hände eingeschränkt und leidet unter gelegentlichem
Stimmverlust. Bei der brutalen Vorgehensweise des Angeklagten
und dem entstandenen Verletzungsbild sind weit schlimmere Folgen denkbar,
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wie völliger Verlust der Bewegungsfähigkeit der oberen Extremitäten oder gar
hirnorganische Schäden bedingt durch den hohen Blutverlust" (UA S. 37/38).
2. Der Beschwerdeführerin ist zuzugeben, daß diese Formulierung für
sich gesehen eher gegen die vorgenommene Strafrahmenverschiebung
spricht. Im Rahmen der von der Strafkammer angestellten Gesamtwürdigung ist
aber nicht zu besorgen, daß sie sich mit der Betonung des ausgebliebenen
Erfolgsunwerts den Blick auf die Bedeutung und Tragweite der festgestellten
versuchsbezogenen Umstände verstellt hat.
Die Strafkammer hat alle wesentlichen straferschwerenden Gesichtspunkte,
die für oder gegen eine Versagung der Versuchsmilderung sprechen
können, gesehen und gewertet. Wenn die Kammer im Bewußtsein der Problematik
einer sonst zwingenden Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe
gleichwohl als letztlich ausschlaggebend für eine Strafmilderung nach den
§§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB erachtet hat, daß es bei hohem Handlungsunwert
(glücklicherweise) „nur“ zu einem sich im Rahmen haltenden Erfolgsunwert gekommen
ist, hält sich dies noch innerhalb des Spielraums, der dem Tatrichter
bei der Strafzumessung eingeräumt ist. Bei der Gewichtung der für die Strafzumessung
wesentlichen Umstände können Gesichtspunkte eine entscheidende
Rolle spielen, die aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung und dem Eindruck
von der Persönlichkeit des Angeklagten gewonnen worden und einer
exakten Richtigkeitskontrolle entzogen sind. Das Revisionsgericht nimmt die
Strafzumessung des Tatrichters bis an die Grenze des Vertretbaren hin, (vgl.
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BGHSt 27, 2, 3; 29, 319, 320; jeweils m. w. Nachw.). Rechtsfehler, die ein Eingreifen
des Revisionsgerichts ermöglichen und zugleich notwendig machen
würden, läßt die Entscheidung der Strafkammer für eine Versuchsmilderung
nicht erkennen.
Nack Wahl Boetticher
Hebenstreit Graf



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