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BGH, Urteil vom 16. Dezember 2003 - 5 StR 458/03


Entscheidungstext  
 
BGH, Urt. v. 16.12.2003 - 5 StR 458/03
5 StR 458/03
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom
16.12.2003
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Totschlags u.a.
- 2 -
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 16. Dezember
2003, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin Harms,
Richter Basdorf,
Richter Dr. Raum,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt B
als Verteidiger des Angeklagten Z ,
Rechtsanwältin S
als Verteidigerin des Angeklagten A ,
Rechtsanwalt H
als Nebenklägervertreter,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
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für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Nebenkläger wird das Urteil
des Landgerichts Göttingen vom 7. Mai 2003 im
Schuldspruch dahingehend abgeändert, daß die Angeklagten
jeweils der gefährlichen Körperverletzung
schuldig sind, der Angeklagte Z in Tateinheit
mit Totschlag, der Angeklagte A in Tateinheit mit
Beihilfe zum Totschlag. Die Rechtsfolgenaussprüche
bleiben aufrechterhalten.
2. Die weitergehende Revision betreffend den Angeklagten
A wird verworfen.
3. Die Angeklagten haben die Kosten der Rechtsmittel
der Nebenkläger und deren notwendige Auslagen zu
tragen.
- Von Rechts wegen -
G r ü n d e
Das Landgericht hat den Angeklagten Z wegen gefährlicher
Körperverletzung in Tateinheit mit Körperverletzung mit Todesfolge zu
einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten und seinen Schwager,
den Angeklagten A , wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit
mit Beihilfe zur Körperverletzung mit Todesfolge (durch Unterlassen) zu einer
Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Die Eltern des zu Tode gekommenen
Bo haben sich dem Verfahren als Nebenkläger angeschlossen.
Ihre Revisionen, mit denen sie die unterbliebene anklagegemäße Ver-
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urteilung wegen Totschlags rügen, haben weitgehend Erfolg. Sie bleiben nur
insoweit erfolglos, als sie die Gehilfenstellung des Angeklagten A angreifen.
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
a) Die jeweils 24 Jahre alten Angeklagten nahmen am Abend des
19. Juni 2002 in Hannoversch Münden in einer Musikgaststätte an einer Feier
anläßlich der Beendigung des Schuljahres teil. Der Angeklagte Z
traf dabei auf den bereits stark angetrunkenen 21jährigen Bo ,
der mit einer brennenden Zigarette das T-Shirt des Angeklagten berührte;
dieses wurde kaum sichtbar beschädigt. Zu späterer Stunde kam es deswegen
zu einem Streit zwischen dem Angeklagten und Bo . Nachdem weitere
Gäste den Angeklagten vom Ort der Auseinandersetzung weggezogen hatten,
entschloß sich Z , Bo eine Abreibung zu verpassen. Der
Angeklagte forderte seinen Schwager A auf, sich zu beteiligen. Gegen
2.15 Uhr folgten die - nach dem Genuß von alkoholischen Getränken und
Haschisch in ihrer Steuerungsfähigkeit erheblich verminderten - Angeklagten
dem Bo über den Parkplatz des Anwesens bis zu einer sich anschließenden
mit Bäumen und Büschen bewachsenen ehemaligen Pferdekoppel.
Z griff den wegen seines übermäßigen Alkohol- und Haschischkonsums
nicht mehr zu koordinierter, effektiver Abwehr fähigen Bo
an und brachte ihn gemeinsam mit seinem Schwager zu Fall. Beide Angeklagte
schlugen und traten - jeder mindestens dreimal - mit Verletzungsvorsatz
auf ihr Opfer ein und fügten ihm erhebliche Verletzungen am Kopf und
Rumpf bei. Der Angeklagte Z umschlang dann mit seinem Gürtel
den Hals des bäuchlings liegenden Bo und strangulierte ihn mit erheblicher
Kraftentfaltung - auf seinem Opfer sitzend oder mit einem Bein auf dessen
Rücken oder Kopf stehend - mindestens drei, möglicherweise fünf Minuten
lang (UA 36). In dieser Zeit bildete sich als Reaktion auf das Strangulieren
eine massive Gehirnschwellung, die den Tod von Bo herbeiführte.
Nachdem der Angeklagte A mit den Worten „jetzt reicht es" ein
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noch längeres Drosseln durch Z verhindert hatte, trugen beide
Angeklagte den bewußtlosen, möglicherweise bereits verstorbenen
Bo vom Parkplatz weg. Sie legten ihr Opfer in einem Gebüsch ab. Die Angeklagten
richteten ihre Kleidung wieder her und gingen zur Gaststätte zurück.
Der Angeklagte Z schilderte die Tat in seiner russischen
Heimatsprache mehreren Zeugen (UA 22). Er führte aus, das Opfer sei gewürgt,
getreten, geschlagen und - nachdem es fast totgeschlagen worden
sei - in die Büsche geworfen worden.
b) Das Landgericht hat sich vor dem Hintergrund dieser Äußerung
zwar davon überzeugt, daß der Angeklagte Z den Tod des
Bo ernsthaft für möglich gehalten hat (UA 50 f.). Es hält aber die Einlassung
der Angeklagten durch die Beweisaufnahme nicht für widerlegt, sie
hätten damit gerechnet, das Opfer werde sich selbst „wieder aufrappeln"
(UA 49), und damit nicht nur vage darauf vertraut, der Tod werde nicht eintreten.
2. Die dafür vom Landgericht herangezogenen Erwägungen halten
sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand.
a) Zwar geht das Schwurgericht zutreffend davon aus, daß bei einer
objektiv äußerst gefährlichen Handlung, wie es das Strangulieren des Tatopfers
unzweifelhaft darstelle, die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes
nahe liege (UA 50). Das Schwurgericht mißt der indiziellen Wirkung der
Gefährlichkeit der Handlung aber nicht das sich aus den Tatumständen ergebende
gesteigerte Gewicht bei. Es stellt nämlich nicht auf die außerordentlich
lange Dauer des Strangulierens von drei bis fünf Minuten ab (vgl. BGHR
StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 33) und verstellt sich deshalb den Blick
darauf, daß der Angeklagte Z nicht nur eine das Leben gefährdende
Handlung vornahm, sondern sein Opfer in einer Weise verletzte, die
ganz sicher - etwa einem Stich in das Herz vergleichbar - zum Tode führte
(vgl. BGHR aaO 35 und 51). Damit hatte die Drosselung ihre Eignung als
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bloße Verletzungshandlung bereits vollständig verloren. Sie konnte nur noch
zur Tötung des Opfers führen. In einer solchen Fallkonstellation liegt (zumindest)
bedingter Tötungsvorsatz auf der Hand, ohne daß es dafür besonderer
Anforderungen an die Darlegung der inneren Tatseite in den Urteilsgründen
bedurft hätte (vgl. BGH NStE Nr. 27 zu § 212 StGB).
b) Das Landgericht hat ferner anhand von mehreren Indizien das
voluntative Vorsatzelement in Zweifel gezogen, ohne dies mit tragfähigen
Feststellungen zu belegen.
aa) Die Einlassung der Angeklagten, sie hätten geglaubt, das Opfer
werde sich „wieder aufrappeln", ist zur Widerlegung eines aus dem Drosselvorgang
zu ziehenden Schlusses nicht geeignet. Die Angeklagten hatten sich
nämlich lediglich hinsichtlich einer Körperverletzung durch Tritte und Schläge
geständig eingelassen (UA 30), die Drosselung dagegen vollständig in Abrede
gestellt (UA 36). Ihre Äußerungen über die Schwere der „zugefügten
Verletzungen" (UA 49) konnten deshalb nur die eingeräumten Verletzungshandlungen
betreffen. Diese auch mit dem wiedergegebenen Wortlaut der
Einlassungen übereinstimmende Wertung wird durch die vom Angeklagten
Z vorgetragene Ergänzung (UA 49) bestätigt, wonach er in
Rußland schon schlimmere Prügel miterlebt hätte. Auch mit dieser Äußerung
sprach der Angeklagte nur Folgen von Schlägen, aber nicht Folgen einer
Drosselung an.
bb) Auch soweit das Schwurgericht eine psychische Ausnahmesituation
des Angeklagten Z annimmt (UA 51), begegnet dies durchgreifenden
Bedenken. Der rechtsfehlerfrei festgestellte Sachverhalt offenbart
gerade kein „allmähliches Hochschaukeln der Emotionen" (UA 51). Vielmehr
hegte allein der Angeklagte Z aus nichtigem Anlaß Rachepläne
gegen den weitaus stärker betrunkenen (UA 16, 17, 18, 32, 33) Bo ,
die er unter Zuhilfenahme seines Schwagers verwirklichte. Während des
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Tatgeschehens machte Bo keinerlei Äußerungen, die für die Tatausführung
hätten mitursächlich werden können.
cc) Die Annahme des Landgerichts, die Alkoholisierung des Z
sei ein Indiz dafür, daß er die Auswirkungen seines Handelns falsch
dahingehend eingeschätzt habe, es werde „schon alles gut gehen“ (UA 52),
findet in den Feststellungen ebenfalls keine ausreichende Stütze. Der
psychiatrische Sachverständige hatte dem Angeklagten gute bis gut durchschnittliche
intellektuelle Fähigkeiten attestiert (UA 56). Das Schwurgericht
befaßt sich zwar ausführlich mit der Frage einer alkoholbedingten erheblichen
Verminderung der Steuerungsfähigkeit. Auf die in diesem Zusammenhang
maßgebliche Beeinträchtigung der Erkenntnisfähigkeit und der Willenskräfte
(vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 54) geht das Landgericht
aber nicht ein. Feststellungen für eine relevante Beeinträchtigung der
intellektuellen Leistungsfähigkeit werden im einzelnen nicht getroffen. Vielmehr
stellt das Landgericht wesentliche Elemente bestehender Kognitionsfähigkeit
heraus, wie die Möglichkeit einer problemlosen Gesprächsführung mit
den Angeklagten (UA 64), der im Kern zutreffende Bericht über die Tat bei
zugleich situationsgerechter Verschleierung der Gewalthandlung (UA 64),
schließlich die Entfernung des Geldbeutels des Opfers durch einen Wurf
über ein Wohnhaus (UA 46).
c) Das Schwurgericht hat daneben auf weitere nach seiner Auffassung
gegen den Tötungsvorsatz sprechende Indizien abgestellt; diese erweisen
sich aber allesamt als nicht tragfähig.
aa) Die Äußerungen des Angeklagten Z über die Tat belegen
kein Vertrauen, Bo werde überleben. Der Angeklagte hat sich nämlich
einer konkreten Äußerung über die Folgen des Drosselns enthalten (UA 22,
23, 38, 40, 41, 42). Die Wertung des Landgerichts, die Äußerungen des Angeklagten
gegenüber vier Zeugen „gingen in die Richtung, daß sie glaubten,
zumindest aber hofften, das Opfer lebe noch" (UA 51), steht im Widerspruch
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zu der Feststellung, daß die Angeklagten diese Zeugen über die zurückliegende
Auseinandersetzung eher verharmlosend informiert hatten in dem
Sinne, daß das Opfer zwar erheblich verletzt, sein Tod aber keineswegs
wahrscheinlich sei (UA 53). Auch die eineinhalb Stunden nach der Tat an
einen weiteren Zeugen gerichtete Frage, ob die Polizei erschienen, bzw. ein
Krankenwagen vorgefahren sei (UA 23, 51), bietet vor diesem Hintergrund
keine tragfähige Grundlage für ein während der Tatzeit bestehendes Vertrauen
der Angeklagten auf einen glimpflichen Ausgang.
bb) Auch die weitere vom Landgericht angestellte Erwägung, die Angeklagten
seien nicht wegen eines Gewaltdelikts vorbestraft, was indiziell
gegen einen Tötungsvorsatz spreche (UA 51), ist hier nicht tragfähig. Bei der
Würdigung von Indizien ist eher auf die konkrete Sachlage abzustellen, als
daß ein Fehlen einschlägiger Vorbelastungen entscheidend wäre.
cc) Schließlich spricht auch das Fehlen eines einsichtigen Beweggrundes
für die Tötung eines Menschen (UA 52) hier nicht gegen eine Billigung
des Todes. Der Angeklagte Z hatte nicht nur keinen einsichtigen
Grund, sein Opfer zu töten, sondern auch nicht den geringsten Anlaß
für die Drosselung (vgl. BGH NStE Nr. 27 zu § 212 StGB).
3. Die vom Schwurgericht fehlerfrei getroffenen Feststellungen zum
äußeren Tatgeschehen und aller weiterer Umstände belegen damit bezüglich
des Angeklagten Z die Vornahme einer auf die Herbeiführung des
Todes gerichteten Gewalthandlung in Kenntnis der äußerst gefährlichen Tatausführung.
Da keine Umstände vorlagen, die ein Vertrauen der Angeklagten,
daß der Tod nicht eintreten werde, hätten begründen können, ergibt sich
aus den Feststellungen auch eindeutig die Billigung des Todes durch Z .
Sie belegen ferner, daß der - in geringerem Umfang unter Alkoholeinwirkung
stehende (UA 63 f.) - Mitangeklagte A die Haupttat in ihren
wesentlichen Merkmalen kannte, an deren Begehung er seinen bisherigen
Mittäter Z trotz Garantenpflicht gegenüber dem Opfer durch
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vorangegangenes Tun nicht hinderte, bei der er ihn vielmehr durch seine
weitere Präsenz bestärkte. Für diesen Angeklagten kommt indes wegen dessen
ersichtlich fehlenden eigenen Interesses am Taterfolg und mangels Tatherrschaft
in dieser Phase des Geschehens die Annahme einer Täterschaft
nicht in Betracht (vgl. BGHSt 37, 289, 291). Seine Äußerung nach drei- bis
fünfminütigem Drosseln „jetzt reicht es" ist für den Gehilfenvorsatz völlig unbeachtlich,
selbst wenn darin eine Mißbilligung der Haupttat zu sehen wäre
(vgl. BGHSt 46, 107, 109 m. w. N.).
Bei dieser Sachlage kann der Senat die Schuldsprüche, die sonst
auch keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten erkennen lassen
(§ 301 StPO), selbst entsprechend den durch das Schwurgericht erteilten
Hinweisen auf Totschlag und Beihilfe zum Totschlag umstellen (vgl. BGH
NStZ-RR 1997, 296, 297; BGHR StPO § 349 Abs. 4 Nebenklägerrevision 1).
Eine weitergehende Strafbarkeit wegen eines Verdeckungsmordes oder die
Annahme niedriger Beweggründe kommt nicht in Betracht (vgl. BGH NJW
2003, 1060, 1061; BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 15).
4. Die Strafaussprüche bleiben hier ausnahmsweise von diesem
Rechtsfehler unberührt. Der Senat kann letztlich mit hinreichender Sicherheit
ausschließen, daß das Schwurgericht bei zutreffender Beurteilung des
Schuldspruchs höhere Strafen gegen die Angeklagten verhängt hätte. Das
Landgericht hat die Strafe für den Angeklagten Z dem nach §§ 21,
49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 227 Abs. 1 StGB entnommen.
Dieser Strafrahmen unterscheidet sich allein durch eine geringere Mindeststrafe
(sechs Monate anstatt zwei Jahre Freiheitsstrafe) von dem nach
§§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB, aber
nicht hinsichtlich der Höchststrafe von elf Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe.
Ähnliches gilt für die dem doppelt gemilderten (§§ 21, 27 Abs. 2, 49
Abs. 1 StGB) Strafrahmen des § 227 Abs. 1 StGB entnommene Strafe für
den Angeklagten A . Die sich daraus ergebende Mindeststrafe liegt lediglich
fünf Monate unter der sich aus einer Anwendung von § 212 Abs. 1 StGB
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ergebenden Strafe (ein Monat anstatt sechs Monate Freiheitsstrafe). Da sich
das Schwurgericht eher an der Strafrahmenobergrenze orientiert und darüber
hinaus die Brutalität und Menschenverachtung der Angeklagten (UA 72,
74) strafschärfend berücksichtigt hat - bei Vorliegen erheblicher Strafmilderungsgründe
-, kann ausgeschlossen werden, daß es bei zutreffender strengerer
Beurteilung des Schuldspruchs höhere Strafen verhängt hätte.
Harms Basdorf Raum
Brause Schaal



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