BGH,
Urt. v. 19.4.2000 - 5 StR 20/00
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
5 StR 20/00
URTEIL
vom 19. April 2000
in der Strafsache gegen
wegen versuchten Mordes
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 19.
April 2000, an der teilgenommen haben: Vorsitzende Richterin Harms,
Richter Basdorf, Richterin Dr. Tepperwien, Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Raum als beisitzende Richter, Bundesanwalt als Vertreter
der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als Verteidiger,
Justizobersekretärin als Urkundsbeamtin der
Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des
Landgerichts Dresden vom 9. September 1999 wird verworfen.
2. Die Staatskasse trägt die Kosten des Rechtsmittels und die
der Angeklagten J durch dieses Rechtsmittel entstandenen notwendigen
Auslagen.
- Von Rechts wegen -
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagte aus tatsächlichen
Gründen von dem Vorwurf freigesprochen, ihrem Ehemann, dem
früheren Mitangeklagten Jä , Beihilfe zu dem von ihm
versuchten Mord an seiner Mutter geleistet zu haben. Ferner hat es
bestimmt, daß die Angeklagte für die erlittene
Untersuchungshaft zu entschädigen sei. Der Ehemann der
Angeklagten ist zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt
worden. Insoweit ist das Urteil rechtskräftig. Die vom
Generalbundesanwalt vertretene, auf die Verletzung sachlichen Rechts
gestützte Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts plante der erheblich
verschuldete Ehemann der Angeklagten seit längerem, seine
Mutter zu töten, um als Alleinerbe in den Genuß
ihres Vermögens zu kommen. Anläßlich einer
von seiner Ehefrau ausgesprochenen abendlichen Einladung seiner Mutter
beschloß er, sein Vorhaben in die Tat umzusetzen. Er
veranlaßte daher die Angeklagte, seine Mutter zu bitten, ihn
an einem bestimmten Treffpunkt mit dem Fahrzeug abzuholen, da ihm am
Abend keine Fahrgelegenheit zur Verfügung stehe. Als die
Zeugin in der Nähe des vereinbarten Treffpunkts ihr Fahrzeug
anhielt, um ihren Sohn einsteigen zu lassen, gab dieser aus
nächster Entfernung einen Schuß auf sie ab, der sie
am Kopf traf, sie aber nicht tötete. Danach verließ
er fluchtartig den Tatort, wobei er mit der Möglichkeit
rechnete, daß seine Mutter an der Kopfverletzung sterben
würde. Zu Hause berichtete er seiner Frau von dem
Tatgeschehen. Um ihrem Ehemann ein Alibi für die Tatzeit zu
verschaffen, begab sich die Angeklagte zu befreundeten Wohnungsnachbarn
und teilte diesen auf Nachfrage mit, daß ihr Ehemann am Abend
versehentlich im Keller eingesperrt gewesen sei.
Bei der zwei Tage nach der Tat erfolgten ersten richterlichen
Vernehmung gab der beschuldigte Ehemann im Rahmen seines umfassenden
Geständnisses an, daß die Angeklagte seine
Tötungspläne gekannt und auch gewußt habe,
daß er seine Mutter an dem fraglichen Abend habe
erschießen wollen. Als er sie dann gebeten habe, sie
möge seine Mutter zu dem in Aussicht genommenen Tatort
schicken, habe sie geantwortet: "Gut dann bist Du im Keller
eingesperrt". Die kurze Zeit später vernommene Angeklagte
stritt zunächst jede Tatbeteiligung ab, räumte jedoch
ein, von den früheren Mordplänen ihres Mannes
gewußt, ihn aber stets von deren Verwirklichung abgehalten zu
haben. Nach Verkündung des Haftbefehls legte sie dann ein
Geständnis ab. Sowohl die Angeklagte als auch ihr Ehemann
haben im Laufe des Verfahrens ihre Aussagen "korrigiert". Die
Angeklagte hat insoweit angegeben, daß sie nach
Verkündung des Haftbefehls gehofft habe, daß sie
durch ein - wenn auch falsches - Geständnis vom Vollzug der
Untersuchungshaft verschont werden würde und ihren kleinen
Sohn wiedersehen könnte. Der Ehemann hat in diesem
Zusammenhang erklärt, er habe seine Frau nur deshalb zu
Unrecht belastet, weil er zunächst nicht die alleinige
Verantwortung für die Tat habe übernehmen wollen.
2. Das Landgericht konnte sich nicht davon überzeugen,
daß die Angeklagte - entsprechend dem Anklagevorwurf - ihre
Schwiegermutter in Kenntnis des Tötungsvorhabens ihres Mannes
an den Tatort gelockt und ihm vor der Tat zugesichert hat, ihm
für die fragliche Zeit ein Alibi zu verschaffen.
Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist aus
Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an
seiner Täterschaft nicht überwinden kann, so ist das
durch das Revisionsgericht regelmäßig hinzunehmen,
denn die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des
Tatrichters. Die revisionsgerichtliche Nachprüfung
beschränkt sich darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler
unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall,
wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder
lückenhaft ist. Insbesondere muß die
Beweiswürdigung erschöpfend sein: Der Tatrichter ist
gehalten, sich mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen
für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten
auseinanderzusetzen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu
beeinflussen. Schließlich dürfen die Anforderungen
an die für eine Verurteilung erforderliche Gewißheit
nicht überspannt werden (st. Rspr.; vgl. BGHR StPO §
261 - Überzeugungsbildung 25; BGH StV 1999, 7 m.w.N.).
Dem wird das angefochtene Urteil noch gerecht.
a) Zutreffend geht der Tatrichter davon aus, daß das
widerrufene Geständnis der Angeklagten und die
frühere, sie belastende Aussage ihres Ehemannes gewichtige
Indizien für eine Tatbeteiligung der Angeklagten seien. Das
Landgericht hat sich dabei ausführlich insbesondere mit der
Entstehung des Geständnisses und auch mit dem Aussageinhalt
auseinandergesetzt. Danach sei vorstellbar, daß die
Angeklagte bei einer laienhaften Wertung davon habe ausgehen
können, im Falle eines "falschen Geständnisses"
möglicherweise doch noch von dem Vollzug der Untersuchungshaft
verschont zu werden. Dies gelte umso mehr, als die Angeklagte
über keinerlei Gerichtserfahrungen verfügt habe und
zu diesem Zeitpunkt anwaltlich nicht beraten gewesen sei. Diese
Würdigung des Tatrichters ist jedenfalls vertretbar, zumal er
sie zusätzlich noch auf die subjektiven Begleiterscheinungen
des Geständnisses stützt. Denn nach den Bekundungen
des als Zeugen vernommenen Haftrichters war die Angeklagte bei
Eröffnung des Haftbefehls aufgelöst und
verstört, hat geweint und gefragt, ob sie ihren Mann sprechen
und ihr Kind in das Gefängnis mitnehmen könne. Erst
als dies verneint wurde, legte sie das Geständnis ab.
b) Bei der inhaltlichen Bewertung des Geständnisses
übersieht die Strafkammer nicht, daß eine
detaillierte Aussage grundsätzlich ein starkes Indiz
für die Richtigkeit des Geständnisses darstellt.
Dessen Beweiswert wird jedoch nach der zutreffenden Auffassung des
Landgerichts dadurch gemindert, daß die Angaben der
Angeklagten im wesentlichen auf Fragen und Vorhalten des Haftrichters
beruht hätten, der aus der zuvor durchgeführten
Vernehmung des Ehemannes die Details der Tat gekannt habe. Hier kommt
hinzu, daß die Angeklagte die Einzelheiten des Tatgeschehens
ohnehin bereits vor der Vernehmung kannte, weil der Mitangeklagte ihr
unmittelbar nach der Tatausführung hiervon berichtet hatte.
Außerdem hat sie stets eingeräumt, von den
früheren Mordplänen ihres Mannes gewußt zu
haben. In ihrer Vernehmung konnte es also nur noch darum gehen, ob sie
am Tattag eingeweiht war und ihrem Ehemann vor der
Tatausführung zugesagt hat, ihm ein Alibi für die
Tatzeit zu geben.
c) Zu Unrecht meint die Beschwerdeführerin, daß es
angesichts des "eher lebensfremden Motivs" für das
Geständnis erforderlich gewesen wäre, sowohl den
Zeitpunkt als auch die Umstände, unter denen der Widerruf
erfolgt ist, darzulegen. Der Senat entnimmt dem Zusammenhang der
Urteilsausführungen (vgl. UA S. 24, 30), daß die
Angeklagte ihr Geständnis (spätestens) in der
Hauptverhandlung vor dem Tatrichter widerrufen hat, während
ihr Ehemann sie bereits in "allen weiteren polizeilichen Vernehmungen"
nicht mehr als Tatbeteiligte bezeichnet hatte (UA S. 27). Angesichts
seiner eingehenden Erörterung zur Entstehung und zur Bewertung
des Geständnisses war der Tatrichter nicht unbedingt
verpflichtet, weitere Umstände mitzuteilen. Für
lebensfremd mußte er das Motiv für das
Geständnis jedenfalls nicht halten.
d) Das Gericht hat sich auch in hinreichender Weise mit der
früheren, die Angeklagte belastenden Aussage des Ehemannes und
deren Widerruf auseinandergesetzt. Es hat bei der Bewertung der
belastenden Aussage in Rechnung gestellt, daß diese nicht
ausschließlich von Belastungseifer getragen war und deshalb
möglicherweise der Wahrheit entsprach. Der Tatrichter hat es
schließlich nicht an der notwendigen Gesamtschau fehlen
lassen. Er hat bei seiner Abwägung als entscheidenden
Gesichtspunkt auf die Persönlichkeit der Angeklagten
abgestellt. Danach wird seine Beweiswürdigung letztlich auch
nicht in Frage gestellt durch nicht ganz unbedenkliche
Erwägungen im Zusammenhang mit dem Fehlen eines Tatmotivs der
Angeklagten und eines Entlastungsmotivs für ihren Ehemann.
Harms Basdorf Tepperwien
Gerhardt Raum |