BGH,
Urt. v. 20.2.2002 - 5 StR 545/01
5 StR 545/01
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 20. Februar 2002
in der Strafsache gegen
wegen Totschlags
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat in der Sitzung vom 20.
Februar 2002, an der teilgenommen haben: Vorsitzende Richterin Harms,
Richter Häger, Richter Basdorf, Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Raum als beisitzende Richter, Staatsanwältin als
Vertreterin der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als Verteidiger,
Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der
Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
1. Die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das
Urteil des Landgerichts Göttingen vom 12. Juni 2001 werden
verworfen.
2. Der Angeklagte hat die Kosten seiner Revision zu tragen. Die
Staatskasse trägt die Kosten der Revision der
Staatsanwaltschaft sowie die dem Angeklagten hierdurch entstandenen
notwendigen Auslagen.
- Von Rechts wegen -
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer
Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Gegen das Urteil wenden
sich sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft mit der
Sachrüge; beide Revisionen haben keinen Erfolg.
I.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte, ein Wolgadeutscher, der in der ehemaligen
Sowjetrepublik Kasachstan beheimatet war, siedelte im Jahre 1991 mit
seiner Familie nach Deutschland über. Während sich
seine Ehefrau, das spätere Tatopfer M , hier schnell einlebte,
die deutsche Sprache bald beherrschte, Arbeit als Altenpflegerin fand
und soziale Kontakte knüpfte, hatte der Angeklagte erhebliche
Eingewöhnungsschwierigkeiten: Er erlernte die deutsche Sprache
nur unvollkommen, fühlte sich deshalb isoliert und
vermißte die dörfliche Gemeinschaft seiner Heimat.
Dies führte zu einer Änderung der familiären
Verhältnisse in der Weise, daß nunmehr die Ehefrau
die dominierende Rolle spielte, das Geld verwaltete, die
Behördengänge erledigte und auch die übrigen
mit der Übersiedlung verbundenen Probleme regelte. Der
Angeklagte, der sich durch diese Entwicklung gekränkt und
gedemütigt fühlte, begann in erheblichem
Maße Alkohol zu trinken, was die Spannungen zwischen den
Eheleuten noch verstärkte. M verweigerte zunehmend den
ehelichen Verkehr, da sie sich vor den alkoholbedingten
Ausfällen des Angeklagten ekelte. Dies ließ den
Angeklagten - zu Unrecht - vermuten, daß seine Ehefrau ihn
betrüge. Er verfolgte sie mit übersteigerter
Eifersucht und spionierte ihr nach. Zweimal - in den Jahren 1996 und
1998 - griff der Angeklagte seine Ehefrau auch tätlich an:
Einmal verletzte er sie leicht mit einem Messer und das andere Mal
schlug er ihr in den Nacken. Nach einer vorübergehenden
Versöhnung brachen die alten Konflikte erneut aus: Wieder
spionierte der Angeklagte seiner Ehefrau nach und versuchte, ihre
Kontakte außerhalb der Familie zu unterbinden. Die Situation
verschlimmerte sich noch dadurch, daß der Angeklagte im Jahre
1999 seine Arbeit verlor und sich nunmehr vollends nutzlos und
minderwertig vorkam.
Am Vormittag des 14. September 2000 kam es zu einer heftigen verbalen
Auseinandersetzung zwischen den Eheleuten, in deren Verlauf der
Angeklagte seine Ehefrau wiederum des Ehebruchs bezichtigte und ihr
vorwarf, sich ihm sexuell zu verweigern und heimlich Geld aus dem Haus
zu schaffen. M bestritt die Vorwürfe, beleidigte und
beschimpfte den Angeklagten und teilte ihm mit, daß sie sich
von ihm trennen wolle. Innerlich aufgewühlt und tief getroffen
von den erstmals geäußerten Trennungsabsichten
seiner Frau, verließ der Angeklagte die Wohnung, holte eine
auf dem Dachboden versteckte geladene Pistole, steckte sie in die
Hosentasche und kehrte in die Wohnung zurück. Er wollte noch
einmal mit seiner Frau reden, sie jedoch töten, falls sie bei
ihrem Trennungswunsch bleiben sollte.
Er traf seine Ehefrau im Badezimmer an, wo sie - auf dem
Toilettendeckel sitzend - Wäsche sortierte. M
erklärte dem Angeklagten, sie werde seine Sachen packen, damit
er gehe. Es kam erneut zum Streit. Als es dann wieder um das Erkalten
ihrer sexuellen Gefühle ging, äußerte M ,
er - der Angeklagte - sei ohnehin impotent. Als dem Angeklagten klar
wurde, daß seine Frau ihn endgültig verlassen
wollte, zog er die Pistole aus der Hosentasche, legte auf seine Frau an
und drückte zweimal ab. Es löste sich jedoch kein
Schuß. Als M jetzt erkannte, daß sie in
Lebensgefahr schwebte, versuchte sie, aus dem Badezimmer zu entkommen.
Der Angeklagte versperrte ihr jedoch den Weg, nahm sie in den
Schwitzkasten und schlug ihr mit dem Pistolengriff drei- bis viermal
kräftig auf den Kopf, so daß sie auf dem
Fußboden des Badezimmers zusammenbrach. Da die
Kopfverletzungen nach Einschätzung des Angeklagten noch nicht
tödlich waren, holte er ein Fleischermesser aus der
Küche, mit dem er seiner auf dem Boden liegenden, bereits
schwerverletzten Ehefrau Schnitt- und Stichverletzungen im Brust- und
Halsbereich beibrachte; schließlich schnitt er ihr die Kehle
durch. M verstarb noch am Tatort. Zur Schuldfähigkeit hat die
sachverständig beratene Strafkammer festgestellt,
daß die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur
Tatzeit aufgrund einer schweren
Persönlichkeitsstörung gemäß
§ 21 StGB erheblich vermindert war.
II.
Die auf den Strafausspruch beschränkte Revision des
Angeklagten ist unbegründet. Daß der Tatrichter das
Vorliegen eines minder schweren Falls nach § 213 StGB verneint
hat, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Auch die Strafzumessung
enthält keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten.
III.
Ebenfalls ohne Erfolg bleibt die Revision der Staatsanwaltschaft, die
eine Verurteilung des Angeklagten wegen Mordes aus niedrigen
Beweggründen anstrebt. Die Erwägungen, mit denen das
Landgericht das Vorliegen niedriger Beweggründe abgelehnt hat,
halten rechtlicher Überprüfung stand. Auch
daß die Strafkammer das Mordmerkmal der Heimtücke
nicht erörtert hat, begegnet entgegen der Auffassung des
Generalbundesanwalts im Ergebnis keinen Bedenken.
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes sind
Beweggründe niedrig, wenn sie als Motive einer Tötung
nach allgemeiner sittlicher Würdigung auf tiefster Stufe
stehen und deshalb besonders verachtenswert sind. Ob dies der Fall ist,
beurteilt sich aufgrund einer Gesamtwürdigung, welche die
Umstände der Tat, die Lebensverhältnisse des
Täters und seine Persönlichkeit einschließt
(BGHSt 35, 116, 127; BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige
Beweggründe 23 und 39).
Die Strafkammer geht davon aus, daß der Angeklagte seine
Ehefrau in erster Linie aus Verzweiflung und Wut über die
Trennungsandrohung und die beleidigende Bemerkung über seine
Potenz getötet hat. Wut kann als niedriger Beweggrund dann in
Betracht kommen, wenn sie ihrerseits auf niedrigen
Beweggründen beruht (BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige
Beweggründe 36 m.w.N.). M hatte dem Angeklagten unmittelbar
vor der Tat vorgeworfen, impotent zu sein, was den Angeklagten tief
getroffen und gekränkt hat (UA S. 20 und 24). Zudem hatte sie
ihn schon bei der ersten am Tattat geführten
Auseinandersetzung erheblich beleidigt (UA S. 19). Wenngleich der
Angeklagte die verbalen Entgleisungen seiner Ehefrau durch seine
unberechtigten Vorwürfe auch mitverursacht hatte, entbehrte
seine Wut doch nicht einer gewissen Berechtigung, so daß
schon deshalb zweifelhaft ist, ob sein Tötungsmotiv auf
niedrigen Beweggründen beruhte (vgl. BGH aaO). Vor diesem
Hintergrund hat das Landgericht zutreffend die für den
Angeklagten bestimmenden Motive in ihrer Gesamtheit nicht als niedrig
im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB bewertet. Die von der
Beschwerdeführerin in den Vordergrund gerückte Frage
der kulturbedingten Wertvorstellungen des Angeklagten spielte bei dem
komplexen emotionalen Ursachengeflecht ersichtlich nur eine
untergeordnete Rolle.
2. Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts begegnet es keinen
durchgreifenden rechtlichen Bedenken, daß die Strafkammer das
Mordmerkmal der Heimtücke nicht geprüft hat.
Allerdings legen die getroffenen Feststellungen die Erörterung
auch dieses Mordmerkmals nahe. Heimtückisch handelt, wer in
feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers
bewußt zur Tötung ausnutzt. Arglos ist ein Tatopfer,
wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz
geführten Angriffs weder mit einem lebensbedrohlichen noch mit
einem "lediglich" gegen seine körperliche Unversehrtheit
gerichteten schweren oder doch erheblichen Angriff rechnet (vgl. BGHSt
33, 363, 365; 20, 301, 302; BGHR StGB § 211 Abs. 2
Heimtücke 7, 13 und 17). Arg- und Wehrlosigkeit
können auch dann gegeben sein, wenn der Tat - wie hier - eine
feindselige verbale Auseinandersetzung vorausgeht, das Opfer die
drohende Gefahr aber erst im letzten Augenblick erkennt, so
daß ihm keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff zu
begegnen (BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 3 und 15).
Nach den Urteilsausführungen erkannte M erst bei der
versuchten Schußabgabe, daß sie in Lebensgefahr
war. Ihr Fluchtversuch erwies sich als aussichtslos, da der Angeklagte
ihr den Weg versperrte und sie zu Boden schlug. Ob zu diesem Zeitpunkt
andere realistische Verteidigungsmöglichkeiten - etwa das
Herbeirufen von Hilfe - bestanden haben, ist dem Urteil nicht zu
entnehmen, liegt aber nach den getroffenen Feststellungen nicht nahe.
Auch daß sich das schwerverletzt auf dem Boden liegende Opfer
noch mit den Händen gegen das Messer gewehrt hat,
schließt Heimtücke nicht aus. Denn Abwehrversuche,
die das durch einen überraschenden Angriff in seinen
Verteidungsmöglichkeiten behinderte - hier bereits schwer
verletzte - Opfer im letzten Moment unternommen hat, stehen der Annahme
dieses Mordmerkmals nicht entgegen (BGH NStZ 1999, 506).
Nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe und namentlich
den mitgeteilten Ausführungen des psychiatrischen
Sachverständigen konnte der Tatrichter aber die subjektiven
Voraussetzungen der Heimtücke so sicher
ausschließen, daß eine Erörterung
ausnahmsweise entbehrlich war. Dem entspricht, daß auch die
Staatsanwaltschaft dieses Mordmerkmal weder in ihrer Anklageschrift
benannt noch mit der Revision beanstandet hat, das Landgericht habe die
Heimtücke nicht geprüft. Auch daraus
schließt der Senat, daß es für alle
Prozeßbeteiligten auf der Hand lag, daß der
Angeklagte infolge seines Zustands der erheblich verminderten
Schuldfähigkeit die mögliche Arg- und Wehrlosigkeit
seines Opfers nicht erkannt hat und ihm das Bewußtsein, diese
auszunutzen, gefehlt hat.
Harms Häger Basdorf
Gerhardt Raum
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