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BGH, Urteil vom 21. April 2004 - 1 StR 522/03


Entscheidungstext  
 
BGH, Urt. v. 21.4.2004 - 1 StR 522/03
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 522/03
vom
21.4.2004
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21. April
2004, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Boetticher
als Vorsitzender
und die Richter am Bundesgerichtshof
Schluckebier,
Dr. Kolz,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Traunstein vom 29. Juli 2003 aufgehoben
a) im Strafausspruch und
b) soweit das Landgericht von der Entziehung der
Fahrerlaubnis des Angeklagten abgesehen hat.
2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete
Urteil wird verworfen.
3. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft, an eine andere
Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen tateinheitlich begangener
unerlaubter Einfuhr von und unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln
in jeweils nicht geringer Menge zur Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt,
seinen Pkw und 21,922 kg Kokain eingezogen sowie 980 € für verfallen erklärt;
von der Entziehung der Fahrerlaubnis des Angeklagten hat es abgesehen. Die
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wirksam auf den Strafausspruch beschränkte Revision des Angeklagten bleibt
erfolglos. Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft
richtet sich nach ihrer in der Verhandlung erklärten Beschränkung
noch gegen den Strafausspruch und das Unterbleiben der Entziehung der
Fahrerlaubnis; sie ist begründet.
Nach den getroffenen Feststellungen transportierte der Angeklagte auf
Veranlassung eines gewissen "O." mit seinem Pkw Opel Corsa, versteckt hinter
den rückwärtigen Seitenverkleidungen, insgesamt 21,922 kg Kokain von
Maastricht (Niederlande) aus nach Italien. Das Rauschgift war von einem Dritten,
dem er das Fahrzeug vorübergehend überlassen hatte, im Wagen deponiert
worden. Bei einer Polizeikontrolle in Deutschland wurde das Rauschgift
entdeckt. Der Angeklagte hat sich unter anderem dahin eingelassen, mit "O."
sei lediglich der Transport einer Menge von zwei Kilogramm verabredet gewesen.
Die Strafkammer hat sich nicht davon zu überzeugen vermocht, daß der
Angeklagte hinsichtlich der Mehrmenge mit bedingtem Vorsatz oder auch nur
fahrlässig gehandelt habe.
I. Die Revision des Angeklagten:
Die Nachprüfung des Urteils deckt zum Strafausspruch keinen den Angeklagten
beschwerenden Rechtsfehler auf.
1. Das Landgericht hat dem Angeklagten eine Strafrahmenmilderung
nach § 31 Nr. 1 BtMG (i.V.m. § 49 Abs. 2 StGB) rechtsfehlerfrei versagt. Nach
den Feststellungen des Landgerichts hat der Angeklagte nicht dazu beigetragen,
daß die Tat über seinen eigenen Beitrag hinaus aufgeklärt werden konnte.
2. Der Senat schließt aus, daß die Strafkammer bei der konkreten Zumessung
der Strafe die Wirkungen der ausgesprochenen achtjährigen Frei-
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heitsstrafe für das künftige Leben des Angeklagten nicht hinreichend bedacht
haben könnte. Im Zusammenhang mit den Auswirkungen der vollzogenen Untersuchungshaft
hebt die Kammer ausdrücklich hervor, der Angeklagte sei
durch die Trennung von seiner Familie nicht unerheblich beeindruckt (UA
S. 22). Sie hat zudem den Lebensweg und die Lebensverhältnisse des Angeklagten
ausführlich festgestellt. Daß ihr unter diesen Umständen die Wirkungen
der verhängten Freiheitsstrafe aus dem Blick geraten sein könnten, ist ersichtlich
nicht zu besorgen. Nur die bestimmenden Strafzumessungsgesichtspunkte
sind in den Urteilsgründen ausdrücklich anzuführen (§ 267 Abs. 3
Satz 1 StPO). Angesichts des Gewichts der Tat des Angeklagten konnte den
Folgen der Freiheitsentziehung ersichtlich nur geringe Bedeutung zukommen.
3. Der Strafausspruch begegnet auch sonst keinen rechtlichen Bedenken.
II. Die Revision der Staatsanwaltschaft:
1. Die Aufklärungsrüge (§ 244 Abs. 2 StPO) ist unbegründet. Die Verlesung
des Protokolls der Vernehmung des Angeklagten durch den Ermittlungsrichter
drängte sich nicht auf. Die Beschwerdeführerin hat dies dementsprechend
in der Hauptverhandlung auch nicht beantragt, sondern lediglich angeregt.
2. Die Strafkammer hat zu Recht ein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich
der ersten Äußerungen des Angeklagten gegenüber der Polizei zur Menge
des von ihm transportierten Kokains angenommen. Der Angeklagte war zum
Zeitpunkt seiner Äußerungen nicht als Beschuldigter belehrt; die Strafkammer
konnte sich auch nicht davon überzeugen, daß ihm die Beschuldigtenrechte
aufgrund der in zurückliegender Zeit in Italien erfolgten Verurteilungen geläufig
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und aktuell bewußt waren. Die Erwägungen dazu sind tragfähig; gegen sie ist
von Rechts wegen nichts zu erinnern.
3. Sachlich-rechtlich halten die Ausführungen des Landgerichts zur subjektiven
Tatseite hinsichtlich der vom Angeklagten transportierten Kokainmenge
der Überprüfung jedoch nicht in jeder Hinsicht stand.
a) Soweit die Beschwerdeführerin die Verneinung bedingten Vorsatzes
des Angeklagten hinsichtlich der Kokainmenge beanstandet, deckt sie indessen
keinen Rechtsfehler auf. Zwar wird ein Drogenkurier, der weder auf die
Menge des ihm übergebenen Rauschgifts Einfluß nehmen noch diese Menge
überprüfen kann, in der Regel auch damit rechnen müssen, daß ihm mehr
Rauschgift zum Transport übergeben wird, als man ihm offenbart. Das gilt jedenfalls
dann, wenn zwischen ihm und seinem Auftraggeber kein persönliches
Vertrauensverhältnis besteht. Läßt er sich auf ein solches Unternehmen ein,
dann liegt auf der Hand, daß er die Einfuhr einer Mehrmenge billigend in Kauf
nimmt. Gegen einen derartigen bedingten Vorsatz können aber Umstände
sprechen, die dem Kurier die Überzeugung zu vermitteln vermögen, sein Auftraggeber
habe ihm die Wahrheit gesagt (vgl. nur BGH NStZ 1999, 467).
Die Strafkammer hat hier alle Umstände des Falles ausdrücklich erwogen
und Zweifel an der billigenden Inkaufnahme des Transports einer Mehrmenge
nicht auszuräumen vermocht (vgl. UA S. 14-17). Diese tatsächliche
Würdigung, die dem Tatrichter obliegt, ist vom Revisionsgericht hinzunehmen;
sie läßt weder Würdigungslücken noch sonst von Rechts wegen zu beanstandende
Erwägungen erkennen.
b) Die Urteilsgründe leiden indessen an einem Erörterungsmangel insoweit,
als das Landgericht auch einen Fahrlässigkeitsvorwurf hinsichtlich der
gesamten Rauschgiftmenge verneint. Es begründet dies nicht weiter, sondern
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verweist lediglich auf die Ausführungen zur Verneinung bedingten Vorsatzes.
Das ist hier nicht tragfähig. Angesichts der geringeren Anforderungen an die
Annahme etwa bewußter Fahrlässigkeit (vgl. dazu nur Weber BtMG 2. Aufl.
§ 29 Rdn. 1437 ff., insbesondere 1440-1442) und der übrigen zum Geschehensrahmen
festgestellten Umstände hätte das besonderer Begründung bedurft.
Da der Angeklagte die Größe der Hohlräume in seinem Pkw kannte und
diese seinem Auftraggeber "O." gar vor Antritt der Fahrt durch Abschrauben
einer Seitenverkleidung gezeigt hatte, liegt die Annahme von Fahrlässigkeit
nicht fern.
c) Die abgeurteilten Straftatbestände setzen wenigstens Vorsatz voraus.
Führt der Täter aber eine Rauschgiftmenge ein, die tatsächlich größer ist, als
er sie sich vorgestellt hat, so darf die von seinem Vorsatz nicht umfaßte Mehrmenge
dann als tatschulderhöhend gewertet und mithin strafschärfend berücksichtigt
werden, wenn ihn insoweit der Vorwurf der Fahrlässigkeit trifft (§ 46
Abs. 1 Satz 1 StGB; vgl. auch § 29 Abs. 4 BtMG; BGH StV 1996, 90; BGH, Urt.
v. 20. Dezember 1995 - 2 StR 460/95). Die Strafkammer indessen hat hier die
strafschärfende Berücksichtigung der die Vorstellung des Angeklagten übersteigenden
Rauschgiftmenge ausdrücklich abgelehnt (UA S. 24).
Danach kann der Strafausspruch keinen Bestand haben. Der Senat
vermag nicht sicher auszuschließen, daß die hohe Strafe ohne den rechtlichen
Mangel im Blick auf die erheblichen Mengenunterschiede (vorgestellte Menge:
2 kg; tatsächlich transportierte Menge: fast 22 kg Kokain) noch höher ausgefallen
wäre.
4. Schließlich hält auch die Ablehnung der Entziehung der Fahrerlaubnis
rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
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Das Landgericht hat lediglich ausgeführt, der versteckte Transport des
Rauschgifts im Fahrzeug rechtfertige nicht die Annahme charakterlicher Ungeeignetheit
zum Führen von Kraftfahrzeugen. Das genügte hier nicht.
Der Angeklagte war im Begriff, eine außergewöhnlich große Menge von
Betäubungsmitteln im Auftrag einer kriminellen Organisation - auch aus persönlichem
Gewinnstreben - unter Einsatz seines Pkw's von Maastricht nach
Italien zu transportieren. Er hat sein Fahrzeug gezielt als Transport- und damit
als Tatmittel eingesetzt sowie seine Fahrerlaubnis - sollte er über eine solche
verfügen - für eine schwerwiegende Straftat mißbraucht. Vor dem Hintergrund
seiner Vorverurteilungen auch wegen Betäubungsmitteldelikten und angesichts
der Ergebnisse der Haaranalyse, der Urinprobe sowie des positiven "Drug-
Whipe-Tests" lag deshalb die Annahme nahe, er sei charakterlich ungeeignet
zum Führen von Kraftfahrzeugen (vgl. § 69 Abs. 1, §§ 69a, 69b StGB; vgl. zur
Maßregel weiter: Tröndle/Fischer StGB 51. Aufl. § 69b Rdn. 3).
Das Landgericht hat sich bei der Ablehnung der Maßregel auf die neuerdings
vom 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs vertretene Rechtsauffassung
zur Auslegung des § 69 Abs. 1 StGB berufen, die von der bisherigen
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abweicht. Der erkennende Senat
folgt dem jedoch nicht (vgl. nur Senat, Beschl. v. 14. Mai 2003 - 1 StR 113/03
- NStZ 2003, 658 m.w.N.). Er ist durch das vom 4. Strafsenat eingeleitete Anfrageverfahren
nach § 132 Abs. 3 GVG nicht gehindert, wie geschehen zu entscheiden
(vgl. BGHR GVG § 132 Anfrageverfahren 1).
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5. Der Strafausspruch sowie die Frage der Entziehung der Fahrerlaubnis
bedürfen danach neuer Verhandlung und Entscheidung. Die insoweit rechtsfehlerfrei
getroffenen Feststellungen können bestehen bleiben. Ergänzende
Feststellungen sind zulässig.
Boetticher Schluckebier Kolz
Elf Graf



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