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BGH, Urteil vom 21. Februar 2001 - 3 StR 372/00


Entscheidungstext  
 
BGH, Urt. v. 21.2.2001 - 3 StR 372/00
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
________________
StGB § 220 a, § 6 Nr. 9,
IV. Genfer Abkommen vom 12. August 1949 Art. 146, 147
1. Die im Völkermordtatbestand des § 220 a Abs. 1 StGB vorausgesetzte Absicht,
eine nationale, rassische oder durch ihr Volkstum bestimmte Gruppe
als solche ganz oder teilweise zu zerstören, ist ein tatbezogenes Merkmal
und fällt deshalb nicht unter § 28 StGB.
2. Nach § 6 Nr. 9 StGB ist deutsches Strafrecht auf im Ausland von Ausländern
begangene Straftaten anwendbar, wenn die Bundesrepublik Deutschland
aufgrund eines zwischenstaatlichen Abkommens völkerrechtlich zur Verfolgung
dieser Auslandstaten verpflichtet ist. Eine Verfolgungspflicht ergibt sich
aus dem IV. Genfer Abkommen vom 12. August 1949 zum Schutz von Zivilpersonen
in Kriegszeiten jedenfalls dann, wenn ein internationaler bewaffneter
Konflikt vorliegt und die Straftaten die Voraussetzungen einer “schweren
Verletzung” dieses Abkommens i.S.d. Art. 147 erfüllen.
3. Der bewaffnete Konflikt in Bosnien-Herzegowina zwischen den bosnischen
Serben und der zentralen Regierung in Bosnien-Herzegowina war zumindest
im Jahre 1992 auch nach dem offiziellen Rückzug der Jugoslawischen Armee am
19. Mai 1992 ein bewaffneter internationaler Konflikt (Anschluß an das Urteil der Berufungskammer des Internationalen Gerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien
vom 15. Juli 1999 in der Sache v. Dusko Tadic IT-94-1-A).
4. Der Begriff der Folter des Art. 147 der IV. Genfer Konvention erfaßt jedes
zweckbezogene Zufügen schwerer körperlicher oder seelischer Leiden, das
durch staatliche Organe oder mit staatlicher Billigung begangen wird. Die
Folter ist gegenüber der “unmenschlichen Behandlung”, die keine auf das
Quälen eines Menschen gerichtete Absicht voraussetzt, der engere Begriff.
BGH, Urteil vom 21. Februar 2001 - 3 StR 372/00 - OLG Düsseldorf
BUNDESGERICHTSHOF
URTEIL
3 StR 372/00
vom
21. Februar 2001
in der Strafsache
gegen
wegen Beihilfe zum Völkermord u.a.
- 2 -
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
14. Februar 2001 in der Sitzung am 21. Februar 2001, an denen teilgenommen
haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Kutzer,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Rissing-van Saan,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Miebach,
von Lienen,
Becker
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
- in der Verhandlung vom 14. Februar 2001 -
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- 3 -
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Oberlandesgerichts
Düsseldorf vom 29. November 1999 wird als unbegründet
verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu
tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Oberlandesgericht hat den Angeklagten, einen bosnischen Serben,
wegen Beihilfe zum Völkermord in Tateinheit mit Beihilfe zur Freiheitsberaubung
(von über einer Woche Dauer) in 56 Fällen und in Tateinheit mit gefährlicher
Körperverletzung in fünf Fällen zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren
verurteilt.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Sachrüge
gestützten Revision. Das Rechtsmittel ist unbegründet.
1. Der Senat hat in seiner Grundsatzentscheidung BGHSt 45, 64 zur
Begründung der deutschen Gerichtsbarkeit für die Verfolgung von Völkermord
bereits entschieden, daß für ein im Ausland von Ausländern an Ausländern
begangenes Verbrechen des Völkermordes (§ 220 a StGB) nach § 6 Nr. 1
StGB kraft Weltrechtsprinzips deutsches Strafrecht gilt. Hiervon geht das
Oberlandesgericht aus. Es hat auch zutreffend die tatbestandlichen Vorausset-
4 -
zungen des Völkermordes gemäß § 220 a Abs. 1 Nr. 1 und 3 StGB als erfüllt
angesehen.
Nach den Feststellungen beteiligte sich der Angeklagte an einer in seinem
Heimatort O. und dessen Umgebung am 27. und 28. Mai 1992
durchgeführten militärischen serbischen Aktion gegen die dort lebende muslimische
Bevölkerung, die darauf gerichtet war, diese systematisch zu vertreiben
oder zu eliminieren. Dabei wurden die Häuser der Muslime durchsucht und geplündert,
die Frauen und Kinder überwiegend verschleppt und an der Kampflinie
ausgesetzt, die männlichen muslimischen Bewohner körperlich mißhandelt
oder getötet und die Mehrzahl der Männer festgenommen und in Gefangenenlager
abtransportiert. Diese Aktion in O. war Teil der von der politischen
Führung der bosnischen Serben betriebenen Aggressionspolitik zur ethnischkulturellen
Vereinheitlichung der von den Serben in Bosnien-Herzegowina beanspruchten
Gebiete. Zu diesem Zweck gingen ab April 1992 die von der jugoslawischen
Volksarmee (JNA) unterstützte bosnisch-serbische Armee und paramilitärische
Gruppen in Abstimmung mit der politischen und militärischen
Führung der bosnischen Serben etwa gleichzeitig in verschiedenen Orten an
der Nord- und Ostgrenze Bosniens gegen die dort lebende muslimische Bevölkerung
vor. Der Angeklagte, der das Erstarken des serbischen Nationalismus
in Bosnien-Herzegowina ab Herbst 1991 miterlebt hatte und dessen Ziele befürwortete,
brachte diese Einstellung auch durch nationalistische und diskriminierende
Äußerungen gegenüber muslimischen Bürgern seines Heimatortes
zum Ausdruck. Er gehörte ab März/April 1992 zu den Serben in O. , die
uniformiert und bewaffnet in der Öffentlichkeit auftraten und die serbischen Militärverbände
unterstützten, die seit dem 1. Mai 1992 zunächst die um O.
liegenden muslimischen Dörfer angriffen. Bereits vor dem 27./28. Mai 1992 ließ
- 5 -
er sich deshalb in Uniform und mit einem automatischen Gewehr bewaffnet zur
Bewachung der serbischen Militärkommandatur einteilen. An der am 27. und
28. Mai 1992 durchgeführten Militäraktion zur Verhaftung und Vertreibung der
muslimischen Bevölkerung beteiligte er sich in der Weise, daß er die Verladung
und den Abtransport der Bewohner eines Dorfes persönlich überwachte,
eigenhändig und unter Mitwirkung weiterer Serben muslimische Männer verfolgte,
festnahm und den Führern des bosnisch-serbischen Militärs übergab
und fünf Gefangene selbst körperlich erheblich mißhandelte. Außerdem gehörte
er zu dem Bewachungspersonal in K. , wo die Gefangenen über Nacht
festgehalten und verhört wurden und wo sie, soweit sie nicht zur Exekution
ausgesondert worden waren, mit Bussen in die Internierungslager abtransportiert
wurden.
2. Dieses Verhalten des Angeklagten hat das Oberlandesgericht
rechtsfehlerfrei als Beihilfe zum Völkermord gemäß § 220 a Abs. 1 Nr. 1 und
Nr. 3 StGB, § 27 StGB, begangen zum Nachteil der Bevölkerungsgruppe der
muslimischen Bevölkerung in und um O. und dessen Umgebung, gewürdigt.
Auch seine Annahme, für die Beihilfe zum Völkermord gemäß § 220 a
Abs. 1 StGB genüge es, daß der Haupttäter die tatbestandlich vorausgesetzte
Absicht hatte und der Gehilfe dies weiß, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
Eine Milderung nach § 28 StGB kommt nicht in Betracht, da die Völkermordabsicht
kein persönliches, sondern ein tatbezogenes Merkmal ist.
Wie der Senat bereits entschieden hat, erhalten die unter die verschiedenen
Tatmodalitäten des § 220 a Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 5 StGB fallenden objektiven
Tathandlungen ihren besonderen Unrechtsgehalt als Völkermord, der sie
von gemeinen Delikten wie Tötungsverbrechen oder schweren oder gefährli-
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chen Körperverletzungen unterscheidet, erst durch die von § 220 a Abs. 1
StGB vorausgesetzte Absicht, eine unter den Schutz dieser Vorschrift fallende
Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören (vgl. BGHSt 45, 64). Der
erstrebte Erfolg, eine Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören, muß
nicht erreicht werden, es genügt, daß er von der Täterabsicht erfaßt wird.
Durch dieses gesetzliche Merkmal, das den erstrebten Erfolg im Subjektiven
als überschießende Innentendenz gleichsam vorweg erfaßt, wird nicht der Täter,
sondern die Tat als ganzes und damit ihr besonderes Unrecht gekennzeichnet.
Die vom Tatbestand des § 220 a Abs. 1 StGB vorausgesetzte Absicht
ist deshalb ein subjektives Unrechtsmerkmal, ähnlich den Absichtsmerkmalen
der §§ 242, 243, 267 StGB (vgl. BGHSt 22, 375, 380 f.) oder der verfassungsfeindlichen
Absicht i.S.d. § 94 StGB a.F. (vgl. BGHSt 17, 215; Roxin in LK
11. Aufl. § 28 Rdn. 23 und 70), die anerkanntermaßen nicht zu den besonderen
persönlichen Merkmalen i.S.d. § 28 StGB zählen, weil sie nur ins Subjektive
verlegte Merkmale des objektiven Tatbestands darstellen (vgl. Cramer in
Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. § 28 Rdn. 20; Jescheck/Weigend, AT
5. Aufl. § 61 VII 4 a, S. 658; vgl. zu § 220 a StGB Jähnke in LK 11. Aufl.
§ 220 a Rdn. 12; Eser in Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. § 220 a Rdn. 6;
Ambos NStZ 1998, 138, 139).
3. Es gefährdet den Bestand des Urteils nicht, daß das Oberlandesgericht
ohne nähere Begründung meint, nicht feststellen zu können, welche konkreten
objektiven und subjektiven Tatanteile der Angeklagte an den festgestellten
Tötungshandlungen zum Nachteil einzelner muslimischer Männer hatte
(vgl. UA S. 102 f.). Das Oberlandesgericht hat zwar nur darlegen wollen, warum
es den Angeklagten nicht auch wegen Beihilfe zu einem oder mehreren
Delikten nach §§ 211, 212 StGB schuldig gesprochen hat. Damit setzt es sich
- 7 -
aber zugleich in Widerspruch zu seiner Würdigung der Beteiligung des Angeklagten
als Beihilfe zu § 220 a Abs. 1 Nr. 1 StGB.
§ 220 a Abs. 1 Nr. 1 StGB ist eine Begehungsalternative des Völkermordes,
die als Tatbestandsmerkmal die vorsätzliche Tötung eines Menschen voraussetzt,
so daß der Sachverhalt, der wegen Völkermordes nach § 220 a
Abs. 1 Nr. 1 StGB festgestellt werden muß, jeweils auch eine Verurteilung zumindest
wegen Totschlags trägt (BGHSt 45, 64, 70). Die tatbestandlichen Voraussetzungen
des § 220 a Abs. 1 Nr. 1 StGB und die für die Beihilfe hierzu
erforderlichen objektiven und subjektiven Förderungshandlungen des Angeklagten
hat das Oberlandesgericht jedoch festgestellt und rechtlich zutreffend
gewürdigt. Es hat dem Angeklagten in diesem Zusammenhang angelastet, daß
er sich am 28. Mai 1992 seit den Vormittagsstunden im Bereich des sogenannten
Lesesaals, in dem die gefangenen Muslime die Nacht über festgehalten
worden waren, aufgehalten und Anteil an dem genommen hat, was sich
dort und in seinem Umkreis abspielte. Es hat festgestellt, daß der Angeklagte
spätestens im Verlauf des Vormittags des 28. Mai 1992 von der vorgesehenen
Liquidierung bestimmter Muslime Kenntnis erlangt hatte und dies billigte. Unter
den zur Liquidierung aussortierten Männern waren u.a. Adem, Fehim und Ferid
A. , Mujo und Hamdija I. sowie Esed B. , die der Angeklagte
zum Teil selbst am Vortag festgenommen und mißhandelt hatte. Nach den
Feststellungen wurden drei dieser Männer später getötet. Ausweislich der Urteilsgründe
sah der Angeklagte auch, daß in der Nähe des Lesesaals ein Lkw
bereit stand, der für den Abtransport der zur Liquidation vorgesehenen Männer
bestimmt war, welche Personen ihn besteigen mußten oder auf seine Ladefläche
geworfen wurden. Ebenso ist dem Angeklagten - so das Urteil - die Erschießung
zweier namentlich genannter weiterer muslimischer Männer im Ver-
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lauf der Verladeaktion der zum Abtransport in die Gefangenenlager bestimmten
Muslime nicht entgangen, da er u.a. in der Reihe der ein Spalier bildenden
Serben stand, durch das die gefangenen Muslime unter Schlägen zum Bus
hingetrieben wurden (vgl. UA S. 36 f., 40 f., 84 f.). Daß das Oberlandesgericht
diese Feststellungen für nicht ausreichend erachtet hat, den Angeklagten auch
wegen Beihilfe zum Mord zum Nachteil der namentlich genannten fünf Muslime,
deren Tötung festgestellt worden ist, schuldig zu sprechen, beschwert den
Angeklagten nicht.
4. Auch soweit das Oberlandesgericht den Angeklagten der Beihilfe zur
Freiheitsberaubung in 56 und der gefährlichen Körperverletzung in fünf Fällen
schuldig gesprochen und die Anwendbarkeit deutschen Rechts insoweit auf § 6
Nr. 9 StGB gestützt hat, hält das Urteil rechtlicher Nachprüfung stand.
a) Nach § 6 Nr. 9 StGB gilt das deutsche Strafrecht unabhängig vom
Recht des Tatorts für im Ausland begangene Taten, die aufgrund eines für die
Bundesrepublik Deutschland verbindlichen Abkommens auch dann zu verfolgen
sind, wenn sie im Ausland begangen wurden. § 6 Nr. 9 StGB erfaßt jedoch
nur solche Taten, zu deren Verfolgung im Einzelfall eine völkervertragliche
Verfolgungspflicht der Bundesrepublik Deutschland besteht, was mit dem Gesetzeswortlaut
des § 6 Nr. 9 StGB "zu verfolgen sind" zum Ausdruck gebracht
wird (vgl. Gribbohm in LK 11. Aufl. § 6 Rdn. 66 f.; vgl. auch BGH NJW 1991,
3104; Eser in Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. § 6 Rdn. 10; Hoyer in SK
StGB § 6 Rdn. 4). Ein derartiges Abkommen ist die IV. Genfer Konvention zum
Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten vom 12. August 1949 (IV. GK) mit den
Zusatzprotokollen I und II vom 8. Juni 1977 (Gribbohm aaO vor § 3 Rdn. 29
und § 6 Rdn. 78; Lackner/Kühl, StGB 23. Aufl. § 6 Rdn. 1; Eser in Schön-
9 -
ke/Schröder aaO Rdn. 11). Die Bundesrepublik Deutschland ist dem IV. Genfer
Abkommen vom 12. August 1949 mit Gesetz vom 21. August 1954 (BGBl 1954
II S. 781), bezüglich der Zusatzprotokolle mit Gesetz vom 11. Dezember 1990
(BGBl 1990 II S. 1550) beigetreten, ebenso im Jahre 1954 die ehemalige Föderative
Volksrepublik Jugoslawien (BGBl 1954 II S. 976 und 1003). Unabhängig
von der Frage, ob Bosnien-Herzegowina schon als einer der Nachfolgestaaten
der ehemaligen Föderativen Volksrepublik Jugoslawien mit dem Tag seiner
Unabhängigkeitserklärung vom 6. März 1992 die Verpflichtungen aus dieser
IV. GK ohne weiteres übernommen hat, ist Bosnien-Herzegowina selbst am
31. Dezember 1992 mit Wirkung vom 6. März 1992 allen vier Genfer Konventionen
vom 12. August 1949 beigetreten (BGBl 1993 II S. 1190).
b) Nach Art. 2 der IV. GK findet das Abkommen in allen Fällen eines erklärten
Krieges oder eines anderen bewaffneten Konfliktes Anwendung, der
zwischen zwei oder mehreren Vertragsparteien entsteht, auch wenn der
Kriegszustand von einer der Parteien nicht anerkannt wird (Abs. 1), aber auch
in allen Fällen vollständiger oder teilweiser Besetzung des Gebiets einer der
Vertragsparteien, selbst wenn diese Besetzung auf keinen bewaffneten Widerstand
stößt (Abs. 2). Nach Art. 4 Abs. 1 dieses Abkommens unterfallen solche
Personen seinem Schutz, die sich im Falle eines Konflikts oder einer Besetzung
zu irgendeinem Zeitpunkt und gleichgültig auf welche Weise im Machtbereich
einer am Konflikt beteiligten Partei oder einer Besatzungsmacht befinden,
deren Angehörige sie nicht sind. Die Verpflichtung einer Vertragspartei zur
Strafverfolgung von Verletzungen des Abkommens ist in Art. 146 Abs. 1 der IV.
GK auf die Personen beschränkt, die eine der in Art. 147 der IV. GK umschriebenen
schweren Verletzungen des Abkommens gegen geschützte Personen
begangen oder den Befehl zu einer solchen schweren Verletzung erteilt haben.
- 10 -
Die Vertragsparteien des Abkommens sind nicht nur zur Verfolgung solcher
Personen, die schwerer Verletzungen nach Art. 147 der IV. GK beschuldigt
werden, verpflichtet, sondern auch dazu, sie ungeachtet ihrer eigenen Nationalität
vor ihre eigenen Gerichte zu stellen (Art. 146 Abs. 2 Satz 1 IV. GK). Nach
Art. 148 der IV. GK kann zudem keine der Vertragsparteien sich oder eine andere
Partei von den Verantwortlichkeiten befreien, die ihr oder einer anderen
Partei infolge einer schweren Verletzung i.S.d. Art. 147 der IV. GK zufallen.
c) Die auf die völkervertragsrechtliche Verfolgungsverpflichtung aus der
IV. GK gestützte Anwendbarkeit des § 6 Nr. 9 StGB im vorliegenden Fall setzt,
jedenfalls nach herkömmlichem Verständnis (vgl. dazu Kreß EuGRZ 1996, 638,
645; Werle JZ 2000, 755, 759), voraus, daß die Übergriffe der bosnischen Serben
gegen die muslimische Bevölkerung in Bosnien-Herzegowina im Rahmen
der sogenannten ethnischen Säuberungen auch nach dem offiziellen Rückzug
der jugoslawischen Volksarmee (JNA) aus Bosnien-Herzegowina am 19. Mai
1992 noch im Zusammenhang mit einem internationalen Konflikt i.S.d. Art. 2
der IV. GK standen. Außerdem ist erforderlich, daß die Tatopfer unter den
Kreis der "geschützten Personen" nach Art. 4 Abs. 1 des IV. GK fallen.
Das hat das sachverständig beratene Oberlandesgericht anhand der
von ihm hierzu festgestellten Umstände und Gegebenheiten zur Tatzeit in Bosnien-
Herzegowina rechtsfehlerfrei dargelegt. Seine Bewertung steht im Einklang
mit dem Urteil der Berufungskammer des Internationalen Strafgerichtshofs
für das ehemalige Jugoslawien in der Sache gegen Dusko Tadic vom 15. Juli
1999 (ICTY-Appeals Chamber Prosecutor v. Dusko Tadic, Judgement,
15.7.1999; www.un.org/icty/tadic/appeal/judgement).judgement).
- 11 -
aa) Der Internationale Gerichtshof ist in diesem Urteil aufgrund einer
Gesamtbetrachtung der Verhältnisse in Bosnien-Herzegowina, der faktischen
Kräfteverteilung sowie der politischen Entwicklung bis hin zum Dayton-Paris-
Abkommen vom 14. Dezember 1995 davon ausgegangen, daß es sich bei der
bewaffneten Auseinandersetzung im muslimisch-serbischen Konflikt in Bosnien-
Herzegowina wegen der nach dem offiziellen Rückzug der Jugoslawischen
Armee am 19. Mai 1992 andauernden Verwicklung der Republik Jugoslawien in
die militärischen Auseinandersetzungen - auch - um einen internationalen
Konflikt handelte. Soweit staatliche jugoslawische Truppen nicht an konkreten
Auseinandersetzungen beteiligt waren, kommt es nach Auffassung des Internationalen
Strafgerichtshofs darauf an, ob dem auswärtigen Staat, nämlich
(Rest-)Jugoslawien, das Verhalten der nichtstaatlichen Truppen, d.h. konkret
der bosnischen Serben, als eigenes zugerechnet werden kann, so daß die Aktivitäten
der bosnischen Serben de facto als Aktivitäten der Republik Jugoslawien
bzw. der JNA erscheinen. Dies ist dann der Fall, wenn diese Truppen
oder paramilitärischen Einheiten im großen und ganzen unter der Kontrolle Jugoslawiens
standen und damit zu dessen de facto-Organen geworden sind (vgl. Urteil der Berufungskammer in der Sache Tadic vom 15. Juli 1999 Nr. 83 ff., 157 ff., 162; vgl. hierzu auch Ambos NStZ 2000, 71; Kreß, Resolution 827
(1993) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen betreffend den Internationalen
Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien, Vorbemerkungen in
Grützner/Pötz IRG 2. Aufl. Bd. III 27, Rdn. 24 f.). Zu einem vergleichbaren Ergebnis,
nämlich daß der Konflikt zwischen der JNA und der Armee der bosnischen
Serben auf der einen und der bosnischen Regierung auf der anderen
Seite zumindest während des gesamten Jahres 1992 angedauert hatte und
deshalb ein internationaler Konflikt gewesen sei, war schon zuvor eine andere
erstinstanzliche Kammer des Internationalen Gerichtshofs im sogenannten
- 12 -
Celebici-Verfahren (ICTY Prosecutor v. Delalic et al. Judgement, vom 16. November 1998 - IT-96-21-T, Nr. 211 ff.) gekommen, ebenso das Minderheitenvotum der Richterin McDonald in dem erstinstanzlichen Urteil des Verfahrens gegen Tadic vom 7. Mai 1997 (vgl. dazu Kreß in Fischer/Lüder (Hrsg.) Völkerrechtliche Verbrechen vor dem Jugoslawien-Tribunal, nationalen Gerichten und dem Internationalen Strafgerichtshof (1999) S. 15, 24 ff.).
bb) Daß die Teilnahme des Angeklagten an der serbischen Säuberungsaktion
in und um O. am 27./28. Mai 1992 zum Nachteil der dort lebenden
muslimischen Bewohner gemessen an diesen Grundsätzen eine Teilnahme
an Aggressionshandlungen der bosnischen Serben im Rahmen des
internationalen Konflikts zwischen Bosnien-Herzegowina und der Republik Jugoslawien
darstellte, belegen die Feststellungen des Urteils des Oberlandesgerichts
mit hinreichender Deutlichkeit. Danach wußte der Angeklagte um die
Entwicklungen des Konfliktes, war beteiligt an militärischen Vorbereitungen der
Überfälle der serbischen Armee auf die muslimischen Dörfer im April/Mai 1992
in der Umgebung von O. und nahm Weisungen bosnisch-serbischer Militärs
zur Verfolgung und Festnahme flüchtiger muslimischer Männer entgegen.
Er war an der Bewachung und den Verhören der muslimischen Gefangenen in
K. beteiligt. Er erschien für die vernommenen Zeugen ersichtlich wie ein Teil
der bosnisch-serbischen Militärs, in deren Handlungen und Aktivitäten er sich
nahtlos einfügte.
cc) Schließlich ist das Oberlandesgericht auch zu Recht davon ausgegangen,
daß die unter Mitwirkung des Angeklagten aus ihren Dörfern vertriebenen,
körperlich mißhandelten oder getöteten Muslime zu den "geschützten
Personen" i.S.d. Art. 4 Abs. 1 der IV. GK gehörten, selbst wenn sie offiziell die-
13 -
selbe - bosnische - Staatsangehörigkeit wie die bosnisch-serbischen Täter besaßen.
Auch insoweit hat sich das Oberlandesgericht an die Auslegung des Art. 4 Abs. 1
der IV. GK durch den Internationalen Gerichtshof in dem genannten Berufungsurteil
gegen Tadic angelehnt. Die Berufungskammer des Internationalen Gerichtshofs
hat bei der Beurteilung der Frage, wer zu den "geschützten Personen" zu zählen ist,
entgegen dem Wortlaut des Art. 4 der IV. GK nicht auf die formale Staatsangehörigkeit der Beteiligten abgestellt, sondern darauf, ob die jeweilige Person bei materieller Betrachtung als dem Staat zugehörig angesehen werden kann, in dessen Gewalt sie sich befindet.
Das ist für die muslimischen Bosnier, die sich für die Zeit der bewaffneten Auseinandersetzung
in der Gewalt der bosnischen Serben befanden, zu verneinen,
da die bosnischen Serben als de facto-Organe (Rest-)Jugoslawiens handelten
und die bosnischen Muslime sich unter diesen Umständen in den Händen des
feindlichen Jugoslawiens befanden. Auch dann, wenn die bosnischen Muslime
- noch - die jugoslawische Staatsangehörigkeit besessen haben sollten, kommt
es nicht allein auf die formale Bindung an einen bestimmten Staat, sondern
darauf an, ob die muslimischen Bosnier Schutz von dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit
sie innehaben, erhielten und ihm Loyalität schulden würden.
Dies war im Verhältnis zwischen den muslimischen Bosniern und (Rest-)
Jugoslawien nicht der Fall, so daß die muslimische Bevölkerung trotz jugoslawischer
Staatsangehörigkeit nach den Grundsätzen des Internationalen Gerichtshofs
als "geschützte" Personen anzusehen sind, wenn sie in die Gewalt
der bosnischen Serben bzw. des bosnisch-serbischen Militärs geraten und deren
Willkürakten ausgesetzt waren vgl. zum Ganzen Urteil der Berufungskammer des Internationalen Gerichtshofs in der Sache gegen Tadic vom 15. Juli 1999, Nr. 163 ff., insbesondere Nr. 167 bis 169; Kreß in Grützner/Pötz, aaO. Rdn. 25 und Fn. 79;
Ambos NStZ 2000, 71 f.).
- 14 -
dd) Der Senat macht sich die weite Auslegung des Art. 4 Abs. 1 der
IV. GK durch den Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien
zu eigen. Sie ermöglicht es, Sinn und Zweck des auf höchstmöglichen
Schutz von Zivilpersonen gerichteten Art. 4 der IV. GK auch in den schwierig
zu beurteilenden Fällen ethnisch bedingter Konflikte, die zu einem Zerfall eines
Staates in einzelne Teile führen, hinreichend Rechnung zu tragen. Ein solcher
effektiver Schutz von Zivilpersonen in derartigen bewaffneten Konflikten ist nur
gewährleistet, wenn sie auch dann bei Übergriffen der gegnerischen militärischen
Kräfte und deren Parteigänger als geschützte Personen gelten, wenn sie
formal (noch) dieselbe Nationalität haben wie ihre Gegner. Gemessen an diesen
Grundsätzen waren die muslimischen Bewohner von O. geschützte
Personen i.S.d. Art. 4 Abs. 1 der IV. GK. Dies gilt vorliegend vor allem auch
deshalb, weil die von der Republik Jugoslawien und der Jugoslawischen Armee
gesteuerten Übergriffe der bosnischen Serben gegen die muslimischen Bewohner
von O. auf dem Boden des unabhängigen Staates Bosnien-
Herzegowina stattfanden, der nach seiner Unabhängigkeitserklärung vom
6. März 1992 am 6. April 1992 von der Europäischen Union anerkannt worden
und am 22. Mai 1992 Mitglied der Vereinten Nationen geworden war.
Der Senat kann deshalb offenlassen, ob die im völkerstrafrechtlichen
Schrifttum vordringende Ansicht zutrifft, daß internationale und innerstaatliche
Konflikte im Hinblick auf die Strafbarkeit der Verstöße gegen die IV. GK gleichbehandelt
werden können und schon nach gegenwärtiger Rechtslage die Anwendbarkeit
deutschen Strafrechts aus § 6 Nr. 9 StGB auch bei innerstaatlichem
Konflikt hinsichtlich schwerer Verstöße gegen Art. 3 der IV. GK ohne
Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot abgeleitet werden kann (vgl. dazu
Ambos NStZ 1999, 226, 228 f.; Werle ZStW 109 (1997), 808, 818 ff., 825; ders.
- 15 -
JZ 2000, 755, 759; vgl. auch Kreß in Fischer/Lüder, Völkerrechtliche Verbrechen,
S. 15, 19 f.).
d) Jedenfalls im Ergebnis zutreffend hat das Oberlandesgericht schließlich
auch angenommen, daß sämtliche nach § 239 Abs. 2 StGB, § 223 a StGB
a.F. strafbaren Handlungen des Angeklagten als "schwere Verletzungen" i.S.d.
Art. 147 des IV. GK anzusehen sind.
Als "schwere Verletzungen" gelten nach Art. 147 der IV. GK namentlich
vorsätzliche Tötung, Folterung oder unmenschliche Behandlung, vorsätzliche
Verursachung großer Leiden oder schwere Beeinträchtigungen der körperlichen
Unversehrtheit oder der Gesundheit, rechtswidrige Verschleppung oder
rechtswidrige Gefangenhaltung.
aa) Daß die vom Oberlandesgericht unter § 239 Abs. 2 StGB subsumierten
Verhaftungen mit anschließender Internierung von 56 muslimischen
Männern in Gefangenenlagern, deren Gefangenschaft unter menschenunwürdigen
und grausamen Bedingungen teilweise über ein Jahr dauerte, nach ihrer
Art und Schwere die Merkmale der "rechtswidrigen Verschleppung" bzw. der
"rechtswidrigen Gefangenschaft" des Art. 147 der IV. GK erfüllen, versteht sich
ohne weiteres. Allerdings erscheint die Wertung des Oberlandesgerichts, die
vom Angeklagten eigenhändig oder im Zusammenwirken mit weiteren Serben
begangenen gefährlichen Körperverletzungen zum Nachteil von fünf namentlich
benannten Personen stellten "Folterungen" i.S.d. Art. 147 der IV. GK dar,
nicht in allen Fällen rechtsbedenkenfrei.
- 16 -
Der Begriff der Folter wird durch Art. 1 Abs. 1 des Übereinkommens gegen
Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung
oder Strafe (UN-Anti-Folterkonvention) vom 10. Dezember 1984
(BGBl 1990 II S. 247 f.) völkerrechtlich definiert. Die Folter wird nicht nur in
Art. 147 der IV. GK, sondern auch beim Folterverbot der Art. 3 MRK, Art. 7
IPBPR neben der unmenschlichen Behandlung als besondere Form völkerrechtswidrigen
Verhaltens aufgeführt. Somit kann davon ausgegangen werden,
daß mit den Begriffen der Folter und der unmenschlichen Behandlung in völkerrechtlich
relevanten Vorschriften jeweils vergleichbare Verhaltensweisen
gemeint sind, die entweder verboten sind oder geächtet werden sollen (so auch
EGMR NJW 2001, 56, Leitsatz 4). Folter ist dabei der engere Begriff. Er erfaßt
vorsätzliche schwere körperliche oder psychische Mißhandlungen einer Person
durch staatliche Organe oder durch mit staatlicher Billigung tätig werdende
Personen. Die Zufügung schwerster körperlicher oder seelischer Qualen muß
dabei vorbedacht und gewollt sein. Folter setzt heute allerdings nicht mehr
zwingend, wie noch der engere rechtshistorische Folterbegriff, als Zweck der
Mißhandlung die Erlangung von Informationen oder die Erzwingung eines Geständnisses
voraus. Nach der Definition des Art. 1 Abs. 1 der UN-Anti-
Folterkonvention genügt vielmehr auch die absichtliche Zufügung großer körperlicher
oder seelischer Schmerzen oder Leiden zum Zwecke der Einschüchterung
anderer, der Diskriminierung einer Person als Angehöriger einer bestimmten
Gruppe oder zum Zweck der Bestrafung; damit kann jede zweckbezogene
Quälerei eines Menschen durch staatliche Organe oder mit staatlicher
Billigung dem Begriff der Folter unterfallen (vgl. Gollwitzer in Löwe/Rosenberg,
24. Aufl. Art. 3 MRK/Art. 7 IPBPR Rdn. 18 f. m.w.Nachw.). Demgegenüber ist
für eine "unmenschliche" oder "grausame" Behandlung im Sinne dieser Vorschriften
keine hierauf gerichtete Absicht erforderlich. Folter ist deshalb die
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verschärfte und vorbedachte Form der unmenschlichen oder grausamen Behandlung.
Ob eine schwere Mißhandlung von Menschen als Folter bewertet
werden kann, hängt nach der Rechtsprechung des EGMR von den Umständen
des Einzelfalles ab, wie der Dauer der Behandlung, ihren physischen und psychischen
Folgen sowie u. U. vom Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand
des Opfers (vgl. EGMR in EuGRZ 1979, 149, 153 f. und bei Strasser EuGRZ
1990, 86 f.). Bei der Abgrenzung der Folter von der unmenschlichen Behandlung
ist aber zu beachten, daß die zunehmend höheren Anforderungen an den
Schutz der Menschenrechte und die Grundfreiheiten es erforderlich machen,
die herkömmliche Definition der UN-Anti-Folterkonvention "im Lichte der heutigen
Verhältnisse" auszulegen (EGMR NJW 2001, 56, 60 m.w.Nachw.). Dies
kann zur Folge haben, daß in der Vergangenheit nur als "unmenschliche oder
erniedrigende Behandlung" eingestufte Verhaltensweisen künftig als "Folter"
qualifiziert werden können. Ob dies der Fall ist, insbesondere, ob das "Mindestmaß
an Schwere" erreicht ist, hängt von den Umständen des Einzelfalles
ab (vgl. EGMR aaO).
Demgegenüber wird der Begriff der Folter in Art. 7 Abs. 2 e) des Römischen
Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH-Statut) vom 17. Juli
1998 (BGBl 2000 II S. 1394 ff.) lediglich dahin definiert, "daß einer im Gewahrsam
oder unter der Kontrolle des Beschuldigten befindlichen Person vorsätzlich
große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden".
Eine notwendige Verbindung des Zufügens von großen Schmerzen oder
Leiden mit irgendeinem verfolgten Zweck ist nach dieser Definition nicht vorgesehen.
Ob damit der Folterbegriff des Art. 1 Abs. 1 der UN-Anti-Folterkonvention
dahin erweitert werden soll, daß es auf eine bisher erforderliche
Absicht des Täters nicht mehr ankommt, erscheint fraglich; denn neben der
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Folter in Art. 7 Abs. 1 f) werden in Art. 7 Abs. 1 k) des IStGH-Statuts andere
"unmenschliche Handlungen ähnlicher Art", mit denen vorsätzlich große Leiden
usw. verursacht werden, als Unterfälle des Verbrechens gegen die Menschlichkeit
genannt. Daraus folgt, daß zwischen "Folter" und "unmenschlichen
Handlungen ähnlicher Art" auch nach der Grundkonzeption des IStGH-Statuts
ein Unterschied bestehen muß. Jedenfalls soll der Folter nicht der Charakter
als typischerweise von staatlichen Organen gestütztes Delikt genommen werden.
Es geht ersichtlich vor allem darum, die Folter bei massenhafter und systematischer
Begehung im Zusammenhang mit einem ausgedehnten Angriff
gegen die Zivilbevölkerung als Anwendungsfall des völkerstrafrechtlichen Verbrechens
gegen die Menschlichkeit zu kennzeichnen (vgl. zur V. Sitzung der
Vorbereitungskommission des Internationalen Strafgerichtshofs Ambos NJW
2001, 405, 406). Die konkrete Auslegung des Folterbegriffs in Art. 7 Abs. 1 des
IStGH-Statuts, der für diese Fälle zukünftig die Gerichtsbarkeit des Internationalen
Strafgerichtshofs begründen soll, kann hier jedoch offenbleiben, da der
bisher völkerrechtlich anerkannte und auch zur Tatzeit geltende Folterbegriff
der engere und deshalb hinsichtlich seiner Anwendbarkeit der für den Angeklagten
günstigere ist.
bb) Gemessen an den zu Art. 1 Abs. 1 UN-Anti-Folterkonvention sowie
Art. 3 EMRK und Art. 7 IPBPR entwickelten Auslegungsmaßstäben, die auch
für die Auslegung des Art. 147 der IV. GK herangezogen werden können, ist
die Bewertung der massiven und schwersten Mißhandlungen des Esed B.
durch den Angeklagten als Folter rechtlich vertretbar. Dies gilt im Ergebnis
ebenso für die Gesamtheit der Mißhandlungen des Adem A. sowie des
Ibrahim B. und des Mehmet C. , insbesondere im Hinblick auf die Folgen
der Mißhandlungen dieser Männer durch den Angeklagten und weitere Serben.
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Zweifelhaft erscheint hingegen, insbesondere mit Blick auf die erforderliche
Absicht, ob die Tätlichkeit des Angeklagten gegen den zuvor von anderen Serben
festgenommenen und körperlich mißhandelten Fehim A. , schon die
Bewertung als Folter rechtfertigt. Insoweit hat das Oberlandesgericht lediglich
festgestellt, daß der Angeklagte diesem Tatopfer, das als Folge der vorherigen
Mißhandlung durch andere Serben und ohne Zutun des Angeklagten blutende
Gesichtsverletzungen davongetragen hatte, einmal mit dem Gewehrkolben auf
den Kopf schlug, so daß dieses aufschrie und erneut frisches Blut über sein
Gesicht lief. Das Verhalten des Angeklagten darf jedoch nicht losgelöst von
den Gesamtumständen des Geschehens am 27. Mai 1992 gesehen werden; zu
berücksichtigen ist auch, daß die muslimischen Bewohner der Dörfer L. und
S. an diesem Tag systematisch aus ihren Häusern vertrieben wurden, die
Männer sich aus Angst vor körperlichen Übergriffen und Gefangennahme in
der Umgebung auf Feldern und in den Wäldern zu verstecken suchten, wo sie
unter Teilnahme des Angeklagten systematisch aufgespürt und unter Mißhandlungen
und Beleidigungen zu einem Sammelpunkt getrieben wurden, um
später von den Familien getrennt in die Gefangenschaft abtransportiert zu werden.
Angesichts der Gesamtheit der Tatumstände liegt jedenfalls eine "unmenschliche
Behandlung" im Sinne einer die Menschenwürde des betroffenen
Tatopfers mißachtenden Zufügung von schweren körperlichen und seelischen
Leiden vor (vgl. zu dem Begriff Gollwitzer in Löwe/Rosenberg aaO Rdn. 22 f.),
so daß die Tätlichkeiten des Angeklagten auch insoweit unter Art. 147 der
IV. GK fallen, und seine Verurteilung nach § 223 a StGB a.F. auch diesbezüglich
auf § 6 Nr. 9 StGB gestützt werden kann.
e) Im übrigen hat das Oberlandesgericht im Anschluß an die bisherige
Rechtsprechung, die über den Wortlaut des § 6 StGB hinaus einen legitimie-
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renden Anknüpfungspunkt im Einzelfall verlangt, der einen unmittelbaren Bezug
der Strafverfolgung im Inland herstellt und die Anwendung innerstaatlichen
(deutschen) Strafrechts rechtfertigt, geprüft, ob solche Anknüpfungstatsachen
vorliegen (vgl. dazu zuletzt BGHSt 45, 64, 66 zu § 6 Nr. 1 StGB m.w.Nachw.,
insoweit ablehnend Werle JZ 1999, 1181, 1182 f.; ders. JZ 2000, 755, 759;
Lüder NJW 2000, 269 f.; Lagodny/Nill-Theobald JR 2000, 205, 206; offengelassen
in Bundesverfassungsgericht, Beschluß vom 12. Dezember 2000
- 2 BvR 1290/99 - unter III 6 c) - [S. 22]). Diese hat es zutreffend darin gesehen,
daß der Angeklagte, der von 1969 bis 1989 kontinuierlich in der Bundesrepublik
Deutschland gelebt und gearbeitet hatte, nach wie vor seine Wohnung
hier innehatte und auch in den letzten Jahren dorthin regelmäßig zurückgekehrt
war, um seine ihm in Deutschland gewährte Rente abzuholen und sich
beim Arbeitsamt zu melden, bei dem er noch als Arbeitsuchender registriert
war. Der Senat neigt jedoch dazu, jedenfalls bei § 6 Nr. 9 StGB, solche zusätzlichen
legitimierenden Anknüpfungstatsachen für nicht erforderlich zu halten
(vgl. auch Ambos NStZ 1999, 226, 227 und NStZ 1999, 404, 405; a.A. BGH
NStZ 1999, 236; BayObLG NJW 1998, 392, 393). Wenn nämlich die Bundesrepublik
Deutschland in Erfüllung einer völkerrechtlich bindenden, aufgrund
eines zwischenstaatlichen Abkommens übernommenen Verfolgungspflicht die
Auslandstat eines Ausländers an Ausländern verfolgt und nach deutschem
Strafrecht ahndet, kann schwerlich von einem Verstoß gegen das Nichteinmischungsprinzip
die Rede sein (noch offen gelassen in BGHSt 45, 64, 69). Der
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Senat braucht diese Frage auch jetzt nicht abschließend zu entscheiden, weil
das Urteil des Oberlandesgerichts insoweit jedenfalls keinen Rechtsfehler zum
Nachteil des Angeklagten aufweist.
Kutzer Rissing-van Saan Miebach
von Lienen Becker



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