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BGH, Urteil vom 22. August 2001 - 3 StR 249/01


Entscheidungstext  
 
BGH, Urt. v. 22.8.2001 - 3 StR 249/01
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 249/01
vom
22. August 2001
in der Strafsache gegen
1.
2.
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 22. August 2001, an der teilgenommen haben: Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Rissing-van Saan als Vorsitzende, die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Miebach, Winkler, Pfister, von Lienen als beisitzende Richter, Bundesanwalt in der Verhandlung, Staatsanwältin bei der Verkündung als Vertreter der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als Verteidiger des Angeklagten F. , Rechtsanwalt als Verteidiger des Angeklagten M. , Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hannover vom 26. März 2001 werden verworfen.
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels, der Angeklagte F. darüber hinaus auch die dem Nebenkläger durch sein Rechtsmittel entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten F. wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, wegen gefährlicher Körperverletzung, wegen Diebstahls und wegen Nötigung unter Einbeziehung eines anderen jugendrichterlichen Urteils zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren verurteilt; den Angeklagten M. hat es wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichteten, auf sachlichrechtliche Beanstandungen gestützten Revisionen der Angeklagten bleiben ohne Erfolg.
Zum Schuldspruch bedarf nur die beide Angeklagte betreffende Tat der Erörterung. Wegen der weiteren drei dem Angeklagten F. zur Last gelegten Taten hat die Überprüfung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
Gegenstand der gemeinschaftlichen Verurteilung ist ein Angriff des Angeklagten F. auf den Nebenkläger K. , dem sich der Ange-
klagte M. angeschlossen hat. Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte sich der Angeklagte M. an dem abgeschlossen abgestellten Fahrrad des Nebenklägers zu schaffen gemacht. Nachdem der hinzutretende Nebenkläger ihn aufgefordert hatte, das Fahrrad loszulassen, war der Angeklagte
F. hinzugekommen, hatte den Nebenkläger beleidigt, angespuckt und mit einem Totschläger und den Worten bedroht: "Ich mache Dich alle". Als der Nebenkläger, ein nicht im Dienst befindlicher, zivil gekleideter Polizeibeamter, mit seinem Mobiltelefon die Polizei um Hilfe bat, traten beide Angeklagte ganz nah an ihn heran, und der Angeklagte F. schlug mit dem Totschläger mehrmals in Richtung des Kopfes des Nebenklägers, stoppte den Schlag aber jeweils kurz vor dem Kopf ab. Der Angeklagte F. wollte sich jetzt entfernen, wurde aber von dem Nebenkläger am Oberarm festgehalten. Gleichzeitig erfuhr er von einem hinzutretenden Kaufhausdetektiv, daß es sich bei dem Nebenkläger um einen Polizeibeamten handelte. Um sich losreißen und weglaufen zu können, schlug der Angeklagte F. sodann mit äußerster Heftigkeit fünf mal mit dem Totschläger auf den Kopf und den Schulterbereich des Nebenklägers ein. Die Gefahr tödlicher Verletzungen war ihm bewußt, der Tod seines Gegenüber jedoch gleichgültig. Dem Nebenkläger gelang es trotz der erlittenen Schläge, die u.a. zu einer Kopfplatzwunde führten, den Angeklagten F. in einen Haltegriff zu nehmen. Nunmehr schlug der Angeklagte M. , der das Geschehen bislang aus unmittelbarer Nähe verfolgt hatte, mit der Faust gegen den Kopf und den Rücken des Nebenklägers und rief dem Angeklagten F. zu "Schlag ihn tot, schlag ihn tot". Er wollte damit erreichen, daß der Angeklagte F. aus dem Haltegriff des Nebenklägers freikommen, weiter auf den Nebenkläger einschlagen und fliehen konnte. Auch er nahm dabei den Tod des Nebenklägers zumindest billigend in Kauf. Trotz des Haltegriffes gelang es dem Angeklagten F. auch, den Nebenkläger mit dem Totschläger noch mehrfach am Unterschenkel, am Hinterkopf und an der Schläfe zu treffen. Dem Kaufhausdetektiv gelang es schließlich, da die Schläge auf den Nebenkläger nicht aufhörten, den Angeklagten F. und den Nebenkläger zu trennen und sich zwischen sie zu stellen. Er schlug dem Angeklagten F. mehrfach mit der Faust ins Gesicht, um ihn davon abzuhalten, weiter auf den Nebenkläger einzuschlagen. Als der Angeklagte F. weglaufen wollte, griff der Nebenkläger um den Kaufhausdetektiv herum nach ihm und hielt ihn erneut fest. Darauf schlug der Angeklagte mit dem Totschläger wieder auf den Nebenkläger ein und traf ihn zweimal am Oberarm, so daß dieser ihn loslassen mußte. In diesem Augenblick ertönten die Sirenen der eintreffenden Polizeifahrzeuge, worauf die Angeklagten flüchteten.
Rechtsfehlerfrei hat sich das Landgericht vom bedingten Tötungsvorsatz der beiden Angeklagten überzeugt. Es konnte dabei auch berücksichtigen, daß der Angeklagte F. bei seiner Vernehmung am Tag nach der Tat gesagt hatte, er hätte, wenn er ein Messer dabeigehabt hätte, "den Bullen abgestochen". Bei dem Angeklagten M. hat das Landgericht darauf abgehoben, daß er als Auslöser des Tatgeschehens ein erhebliches Interesse daran hatte, daß er und sein Mittäter unerkannt entkommen konnten. Hieraus sowie aus dem Zuruf an den Mitangeklagten und den eigenen Schlägen gegen Kopf und Rücken des Opfers konnte das Landgericht auf den Tötungsvorsatz schließen und die Beteiligung des Angeklagten M. an der Tat auch als Mittäterschaft bewerten (vgl. BGH NStZ-RR 1998, 136; BGH, Beschl. vom 7. November 2000 - 5 StR 150/00). Die mißverständlichen Formulierungen auf Seite 9 und Seite 17 des Urteils, der Wille des Angeklagten M. sei auf die Tötung des Nebenklägers gerichtet gewesen, gefährden den Bestand des Urteils nicht. Dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ist mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen, daß das Landgericht nur vom - rechtsfehlerfrei belegten - bedingten Tötungsvorsatz ausgegangen ist. Der Tötungsversuch des Angeklagten F. war auch noch nicht beendet, als sich der Angeklagte M. ihm in Kenntnis des bisher Geschehenen anschloß, denn der Nebenkläger rang noch mit dem Angeklagten F. .
Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht auch einen Rücktritt vom Totschlagsversuch abgelehnt. Der Geschehensablauf hat durch das tätliche Eingreifen des Kaufhausdetektivs für beide Angeklagte eine Zäsur erfahren. Denn durch das Dazwischengehen und die Schläge des Detektivs war der Angeklagte F. gehindert, weiter gegen den Kopf des Nebenklägers zu schlagen oder in anderer lebensbedrohlicher Weise gegen diesen vorzugehen, so daß er seine lebensgefährlichen Handlungen - unfreiwillig - abbrechen mußte. Damit war der Versuch fehlgeschlagen und ein Rücktritt für beide Angeklagte deshalb nicht mehr möglich (vgl. BGHSt 39, 221, 227). An dieser Bewertung ändert auch das sich anschließende Geschehen nichts, da dieses sich mit den vorangegangenen Ereignissen nicht als einheitlicher Lebensvorgang, sondern als eine weitere, auf einem neuen Tatentschluß beruhende Tat darstellt (vgl. BGHSt aaO S. 232). In den weiteren Schlägen mit dem Totschläger könnte deshalb allenfalls ein erneutes Ansetzen des Angeklagten F. zu einem neuen bedingt vorsätzlich begangenen Tötungsversuch gesehen werden, von dem der Angeklagte F. wegen der notwendigen Flucht vor den jetzt eintreffenden Polizeibeamten nicht freiwillig zurückgetreten wäre. Auch der Angeklagte M. ist nunmehr wegen der am Tatort erscheinenden Polizei geflohen.
Die Erwägungen, mit denen das Landgericht beim Angeklagten M. die Verhängung der Jugendstrafe sowohl wegen Schwere der Schuld als auch wegen schädlicher Neigungen für erforderlich gehalten hat, sind aus Rechtsgründen ebenfalls nicht zu beanstanden. Die Angriffe der Revision gehen daran vorbei, daß sich der Angeklagte nicht aus falsch verstandener Kameradschaft dem Versuch eines Tötungsdelikts angeschlossen hat, sondern selbst an der Entwicklung des Geschehens beteiligt war.
Rissing-van Saan Miebach Winkler Pfister von Lienen



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