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BGH, Urteil vom 23. August 2000 - 3 StR 234/00


Entscheidungstext  
 
BGH, Urt. v. 23.8.2000 - 3 StR 234/00
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 234/00
vom
23. August 2000
in der Strafsache gegen
wegen versuchten Totschlags
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 23. August 2000, an der teilgenommen haben: Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Rissing-van Saan als Vorsitzende, die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Miebach, Winkler, Pfister, von Lienen als beisitzende Richter, Staatsanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwältin als Verteidigerin, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
Auf die Revision der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Itzehoe vom 16. Februar 2000 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich die Nebenklägerin mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision. Sie beanstandet, daß der Angeklagte nicht wegen versuchten Mordes verurteilt worden ist. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
I.
Am 25. November 1998 hatte der Angeklagte Hafturlaub. Er paßte die Nebenklägerin, die schon vor längerer Zeit die Beziehung zu ihm abgebrochen hatte, womit sich der Angeklagte aber nicht abfand, gegen 8.00 Uhr auf dem Weg zu ihrer Arbeitsstelle ab, hielt sie am Arm fest und redete auf sie ein. Der zufällig vorbeikommende Arbeitgeber der Zeugin befreite sie aus dieser Situation und begleitete sie zu ihrem Arbeitsplatz. Als die Nebenklägerin gegen 16.00 Uhr ihre Arbeitsstelle verließ, trat der Angeklagte wiederum auf sie zu. In der Zwischenzeit hatte er sich ein ca. 20 cm langes Messer, das er schon vor einigen Wochen der Nebenklägerin drohend gezeigt hatte, eingesteckt. Er wich nicht von ihrer Seite, redete ständig auf sei ein und begleitete sie gegen ihren Willen. Schließlich gelang es der Nebenklägerin, sich von dem Angeklagten zu trennen. Alleine ging sie, ohne weiter auf den Angeklagten zu achten, gegen 18.35 Uhr zu einem Einkaufszentrum auf einem Rad- und Fußweg, der von der Fahrbahn durch einen Grünstreifen mit einem Erdwall abgetrennt und nur schwach beleuchtet war. Der Angeklagte war der Nebenklägerin, von dieser unbemerkt, gefolgt. In Höhe des Hauses Nr. 86 hatte er sie eingeholt. Nun näherte sich der Angeklagte der Nebenklägerin von hinten und stach ihr, ohne vorher ein Wort zu sagen oder sich sonstwie bemerkbar gemacht zu haben, mit dem mitgebrachten Messer in den Rücken auf Höhe des linken Nierenbeckens. Die überraschte Nebenklägerin dreht sich um und erkannte den Angeklagten, der sofort ein zweites und ein drittes Mal zustach, wobei er in die rechte Seite sowie rechts neben den Bauchnabel traf. Während der gesamten Tatausführung handelte der Angeklagte, der dreimal mit voller Kraft zustieß, mit zumindest bedingtem Tötungsvorsatz. Alle drei Stiche führten zu Perforationsverletzungen des Dickdarms. Ohne sofortige ärztliche Hilfe wäre die Nebenklägerin binnen weniger Stunden gestorben.
II.
1. Das Landgericht hat das Mordmerkmal der Heimtücke nicht rechtsfehlerfrei verneint.
a) Es hat dazu ausgeführt, daß der Angeklagte der Nebenklägerin in der Vergangenheit schon mindestens zweimal mit einem Messer gedroht habe, so daß ihr seine Aggressionen, auch aufgrund anderer auffälliger und aufdrängender Verhaltensweisen, nicht unbekannt gewesen seien. Auch sei nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit nachzuweisen, daß dem Angeklagten in diesem Moment die Arg- und Wehrlosigkeit der Nebenklägerin bewußt war und er diese ausnutzen wollte.
b) Maßgebend für die Beurteilung, ob der Täter, der die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers in feindlicher Willensrichtung bewußt zur Tötung ausnutzt, somit heimtückisch gehandelt hat, ist grundsätzlich der Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs und damit der Eintritt der Tat in das Versuchsstadium (vgl. BGHSt 32, 382, 384; BGHR StGB § 211 II Heimtücke 13). Nach den getroffenen Feststellungen war die Nebenklägerin zu diesem Zeitpunkt arglos. Dem steht nicht entgegen, daß die Nebenklägerin früher erheblichen Aggressionen des Angeklagten ausgesetzt war. Zwar kann die Arglosigkeit beseitigt sein, wenn der Tat eine offene Auseinandersetzung mit von vorneherein feindseligem Verhalten des Täters vorausgeht. So war es hier aber nicht. Ein der Tat vorangegangener bloßer Wortwechsel oder eine nur feindselige Atmosphäre schließt Heimtücke jedenfalls dann nicht aus, wenn das Opfer hieraus noch nicht die Gefahr einer Tätlichkeit entnommen hat (vgl. BGHR StGB § 211 II Heimtücke 21). Das gilt ebenso für längere Zeit zurückliegende Aggressionen und Tätlichkeiten. Auch ein generelles Mißtrauen schließt die Arglosigkeit nicht aus (vgl. BGHSt 39, 353, 368).
Nach der Feststellung liegt es nahe, daß der Angeklagte auch in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewußt zu der beabsichtigten Tötung ausgenutzt hat, weil er sich bewußt war, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber dem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (vgl. BGH NStZ 1984, 506, 507; BGHR StGB § 211 II Heimtücke 26). Zwar hat das Landgericht das Vorliegen dieser Voraussetzungen im Rahmen der rechtlichen Würdigung verneint. Indes fehlt dafür jede Begründung. Die getroffenen Feststellungen deuten vielmehr auf die vollständige Erfassung und Beherrschung aller objektiven und subjektiven Umstände durch den Angeklagten hin, der nach Auffassung der sachverständig beratenen Kammer zur Tatzeit weder im Zustand erheblich verminderter noch ausgeschlossener Schuldfähigkeit - auch nicht infolge einer affektiven Aufladung - handelte. Dies gilt um so mehr, als das Ausnutzungsbewußtsein des Angeklagten bei einer wie hier derart offen zutage liegenden Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers nicht zweifelhaft sein kann (vgl. BGHR StGB § 211 II Heimtücke 25).
2. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, daß auch die Ausführungen zu dem Mordmerkmal niedrige Beweggründe nicht den rechtlichen Anforderungen genügen. Beweggründe sind niedrig, wenn sie nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und deshalb besonders verachtenswert sind (st. Rspr. BGHSt 3, 132, 133; BGHR StGB § 211 II niedrige Beweggründe 35). Das Landgericht hat nicht nachvollziehbar dargelegt, warum das Motiv des Angeklagten - Tötung der Nebenklägerin als Reaktion auf ihr seit einem längeren Zeitraum gezeigtes abweisendes Verhalten gegenüber dem sie ständig bedrängenden und nach seinen Angaben sie immer noch liebenden Angeklagten - einen solchen Beweggrund nicht darstellt, und warum angesichts der getroffenen Feststellungen die Voraussetzungen zur subjektiven Seite nicht vorgelegen haben (vgl. BGHSt 28, 210, 212; BGHR StGB § 211 II niedrige Beweggründe 6, 13, 32).
3. Auch hat das Landgericht unberücksichtigt gelassen, daß sich der Angeklagte nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs tateinheitlich einer gefährlichen Körperverletzung schuldig gemacht hat (vgl. BGHSt 44, 196 = BGH NStZ 1999, 30).
Rissing-van Saan Miebach Winkler Pfister von Lienen



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