BGH,
Urt. v. 23.2.2006 - 4 StR 444/05
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 444/05
vom 23.2.2006
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung u.a.
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
23.02.2006, an der teilgenommen haben: Vorsitzende Richterin am
Bundesgerichtshof Dr. Tepperwien, Richter am Bundesgerichtshof Maatz,
Athing, Richterin am Bundesgerichtshof Solin-Stojanović, Richter am
Bundesgerichtshof Dr. Ernemann als beisitzende Richter, Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als Verteidiger,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des
Landgerichts Berlin vom 14. März 2005 wird verworfen. 2. Die
Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten im Revisionsverfahren
entstandenen notwendigen Auslagen hat die Staatskasse zu tragen. Von
Rechts wegen Gründe: Das Landgericht hat den Angeklagten wegen
versuchter schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit
gefährlicher Körperverletzung zu einer
Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit ihrer
zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Revision rügt die
Staatsanwaltschaft die Verletzung materiellen Rechts. Sie erstrebt eine
Verurteilung des Angeklagten (auch) wegen räuberischen
Angriffs auf Kraftfahrer (§ 316 a StGB). Ferner beanstandet
sie, dass das Landgericht zu Gunsten des zur Tatzeit alkoholisierten
Angeklagten bei der Bemessung der verhängten Strafe von der
Milderungsmöglichkeit nach §§ 21, 49 StGB
Gebrauch gemacht hat. 1 Das Rechtsmittel, das vom Generalbundesanwalt
nur in Bezug auf die Vornahme der Strafmilderung nach
§§ 21, 49 StGB vertreten wird, hat keinen Erfolg. 2
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1. Nach den Feststellungen bestieg der Angeklagte nach dem Besuch
zweier Gaststätten, in denen er zuvor Wein und Bier in
erheblichen Mengen zu sich genommen hatte, am frühen Morgen
des 10. November 2004 ein Taxi. Als das Fahrtziel erreicht war, hielt
der Taxifahrer gegen 3.10 Uhr - aufgrund der Tageszeit herrschte kein
Verkehrsaufkommen - das Fahrzeug im Kreuzungsbereich zweier
Straßen an, schaltete die Innenraumbeleuchtung ein und
brachte bei laufendem Motor den Wählhebel für die
Getriebeautomatik in die Parkstellung. Anschließend bat er
den im Fahrzeugfond sitzenden Angeklagten um die Entrichtung des
Fahrpreises in Höhe von 9,80 Euro. Spätestens jetzt
entschloss sich der erheblich angetrunkene Angeklagte, den Taxifahrer
unter Einsatz eines mitgeführten Pfeffersprays an der
Geltendmachung des Fahrpreises zu hindern. Er beugte sich vor,
sprühte dem völlig überraschten Tatopfer
Pfefferspray in das Gesicht und flüchtete nach einem kurzen
Gerangel aus dem Fahrzeug. Als er wenig später
stürzte, konnte er von dem nacheilenden Taxifahrer
überwältigt werden. Durch den Einsatz des
Pfeffersprays erlitt der Fahrer des Taxis Reizungen und Schmerzen an
den Augen. 3 2. Auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen
Feststellungen hat das Landgericht im Ergebnis zu Recht eine
Strafbarkeit des Angeklagten nach § 316 a StGB verneint. 4 a)
Allerdings war das Tatopfer zum Zeitpunkt des auf ihn verübten
Angriffs (noch) Führer eines Kraftfahrzeugs und damit
taugliches Tatobjekt einer Straftat nach § 316 a StGB.
Führer eines Kraftfahrzeuges im Sinne dieser Bestimmung ist,
wer das Fahrzeug in Bewegung zu setzen beginnt, es in Bewegung
hält oder allgemein mit dem Betrieb des Fahrzeugs und/oder mit
der Bewältigung von Verkehrsvorgängen
beschäftigt ist (BGHSt 49, 8, 14). Befindet sich das Fahrzeug
nicht mehr in Bewegung, so ist darauf abzustellen, ob das 5
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Opfer als Fahrer noch mit der Bewältigung von Betriebs- oder
Verkehrsvorgängen befasst ist (BGH aaO). Dies ist, auch bei
einem nicht verkehrsbedingten Halt, regelmäßig der
Fall, wenn - wie hier - der Motor des Fahrzeugs noch in Betrieb ist
(vgl. hierzu im Einzelnen BGH NJW 2005, 2564, 2565). b) Liegt ein
Angriff auf den Führer eines Kraftfahrzeugs im Sinne des
§ 316 a StGB vor, ist in einem zweiten Schritt zu
prüfen, ob der Täter „dabei die besonderen
Verhältnisse des Straßenverkehrs“
ausgenutzt hat. Danach ist erforderlich, dass der
tatbestandsmäßige Angriff gegen das Tatopfer als
Kraftfahrzeugführer unter Ausnutzung der spezifischen
Bedingungen des Straßenverkehrs begangen wird (BGHSt 49, 8,
11). Das ist (objektiv) der Fall, wenn der Führer eines
Kraftfahrzeugs im Zeitpunkt des Angriffs noch in einer Weise mit der
Beherrschung seines Kraftfahrzeugs und/oder mit der
Bewältigung von Verkehrsvorgängen
beschäftigt ist, dass er gerade deshalb leichter zum
Angriffsobjekt eines Überfalls werden kann (BGH aaO S. 14 f.).
Verübt der Täter den Angriff im fließenden
Verkehr oder bei einem verkehrsbedingten Halt, stellt dies ein
gewichtiges Indiz dafür dar, dass er dabei auch die besonderen
Verhältnisse des Straßenverkehrs ausnutzt. Aber auch
bei einem nicht verkehrsbedingten Halt (hier: zu dem Zweck, den
Fahrpreis für die Beförderung zu kassieren) kann im
Einzelfall eine Gegenwehr des angegriffenen Fahrzeugführers
infolge spezifischer Bedingungen des Straßenverkehrs
erschwert sein (vgl. die Beispielsfälle in BGH NJW 2005, 2564,
2565). Hierfür genügt jedoch nicht, dass der
Fahrzeugmotor noch läuft und der Fahrer (allein) deshalb mit
dem Betrieb des Fahrzeugs beschäftigt ist (BGH aaO). Vielmehr
müssen weitere verkehrsspezifische Umstände
vorliegen, die zu einer Beeinträchtigung der
Abwehrmöglichkeiten des angegriffenen Fahrzeugführers
geführt haben. Derartige Umstände hat das Landgericht
mit dem Hinweis verneint, dass zur Tatzeit am Tatort kein
Verkehrsaufkommen bestand, mithin das Tatopfer zum Zeitpunkt des
Angriffs nicht 6
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mit der Bewältigung von Betriebs- oder
Verkehrsvorgängen in einer Art und Weise beschäftigt
war, die ihn in seiner Abwehrmöglichkeit
beeinträchtigte. Dies ist nach den dargelegten
Grundsätzen rechtlich nicht zu beanstanden, zumal die
Feststellungen zudem belegen, dass auch das Fahrzeug des Tatopfers zum
Tatzeitpunkt keiner besonderen Überwachung durch den Fahrer
bedurfte, da es durch Einlegen des Automatikhebels in die Parkstellung
gegen ein Wegrollen oder ungewolltes Beschleunigen hinreichend
gesichert war. 3. Auch die vom Landgericht nach Maßgabe der
§§ 21, 49 Abs. 1 StGB vorgenommene
Strafrahmenverschiebung weist keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf.
7 Beruht die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit - wie
hier - auf zu verantwortender Trunkenheit, spricht dies in der Regel
gegen eine Strafrahmenverschiebung nach den genannten Bestimmungen,
wenn sich aufgrund der persönlichen oder situativen
Verhältnisse des Einzelfalls das Risiko der Begehung von
Straftaten vorhersehbar signifikant infolge der Alkoholisierung
erhöht hat. Ob dies der Fall ist, hat der Tatrichter im Rahmen
des ihm gesetzlich eingeräumten Ermessens in wertender
Betrachtung zu bestimmen; seine Entscheidung unterliegt nur
eingeschränkter revisionsrechtlicher
Überprüfung (BGHSt 49, 239; Senatsurteil vom
15.12.2005 - 4 StR 314/05). 8 Gemessen an diesen Grundsätzen
ist die Entscheidung des Landgerichts, den Strafrahmen des §
250 Abs. 3 StGB gemäß §§ 21, 49
Abs. 1 StGB zu mildern, nicht zu beanstanden. Die erkennende
Strafkammer hat bei ihrer Entscheidung in erster Linie darauf
abgestellt, dass der Angeklagte bislang noch nicht wegen eines
Gewaltdelikts verurteilt worden ist und damit zum Ausdruck gebracht,
dass eine in der Person des Angeklagten begründete,
für ihn 9
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vorhersehbare signifikante Erhöhung des Risikos der Begehung
von Straftaten aufgrund seiner Alkoholisierung in Bezug auf die
ausgeurteilte Tat nicht gegeben war. Nach den rechtsfehlerfrei
getroffenen Feststellungen lag auch keine für den Angeklagten
vorhersehbare Risikoerhöhung aufgrund der situativen
Verhältnisse vor. Der Angeklagte befand sich nicht in einer
gefahrträchtigen Lage, als er den Alkohol zu sich nahm. Auch
danach hat er sich weder bewusst noch leichtfertig in die Tatsituation
gebracht (vgl. hierzu BGHSt 49, 239, 243 f). Der Angeklagte hat - wovon
das Landgericht in zutreffender Anwendung des Zweifelssatzes
ausgegangen ist - den Tatentschluss spontan erst unmittelbar vor
Begehung der Tat gefasst. In Bezug auf die mitgeführte
Pfefferspraydose hat er sich unwiderlegt dahin eingelassen, diese zu
seinem Selbstschutz mit sich geführt zu haben.
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4. Die Nachprüfung des Urteils hat auch im Übrigen
keinen den Angeklagten begünstigenden oder benachteiligenden
(vgl. § 301 StPO) Rechtsfehler ergeben. 10
Tepperwien Maatz Athing Solin-Stojanović Ernemann |