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BGH, Urteil vom 24. Juli 2003 - 3 StR 153/03


Entscheidungstext  
 
BGH, Urt. v. 24.7.2003 - 3 StR 153/03
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja nur II. 2. der Gründe
Veröffentlichung: ja
_____________________________________
StGB § 13 Abs. 1
Die strafrechtliche Garantenpflicht unter Eheleuten endet, wenn sich ein Ehegatte
vom anderen in der ernsthaften Absicht getrennt hat, die eheliche Lebensgemeinschaft
nicht wieder herzustellen.
BGH, Urt. vom 24. Juli 2003 - 3 StR 153/03 - LG Oldenburg
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 153/03
vom
24. Juli 2003
in der Strafsache
gegen
- 2 -
1.
2.
wegen schwerer Brandstiftung u. a.
- 3 -
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 24. Juli 2003,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Tolksdorf,
die Richter am Bundesgerichtshof
Winkler,
Pfister,
Becker,
Hubert
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger der Angeklagten S. ,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- 4 -
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts
Oldenburg vom 27. Juni 2002 wird verworfen.
2. Auf die Revision der Angeklagten S. wird das vorbezeichnete
Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit die Beschwerdeführerin wegen Beihilfe zur Körperverletzung
durch Unterlassen verurteilt worden ist,
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels der
Angeklagten, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision der Angeklagten S. wird verworfen.
3. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft
und die den Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen
- 5 -
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten M. wegen schwerer Brandstiftung
unter Einbeziehung früherer Entscheidungen zu einer Jugendstrafe von
vier Jahren und wegen gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung früherer
Strafen zu einer Gesamtstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt;
es hat die Angeklagte S. wegen schwerer Brandstiftung und wegen
durch Unterlassen begangener Beihilfe zur Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe
von drei Jahren und einem Monat verurteilt. Von dem Vorwurf
des gemeinschaftlich versuchten Mordes in zwei Fällen hat das Landgericht die
Angeklagten freigesprochen. Gegen diesen Freispruch richtet sich die Revision
der Staatsanwaltschaft mit sachlich-rechtlichen Beanstandungen. Die Revision
der Angeklagten S. rügt die Verletzung von Verfahrensrecht und erhebt
materiellrechtliche Beanstandungen. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft
bleibt ohne, das der Angeklagten hat nur teilweisen Erfolg.
Zu den Verurteilungen hat das Landgericht festgestellt: Am Abend des
1. Juni 1996 drangen beide Angeklagte in das vom geschiedenen ersten Ehemann
der Angeklagten S. , J. , bewohnte, in fremdem Eigentum stehende
Haus in O. ein. In Abwesenheit des geschiedenen ersten Ehemanns
legten der Angeklagte M. im Schlafzimmer und die Angeklagte
S. im Bodenraum einen Brand, der das Haus vollständig zerstörte und
einen Gebäudeschaden von mindestens 300.000 DM verursachte. Am 25. Januar
2001 würgte der Angeklagte M. den Ehemann der Angeklagten, Wilhelm
S. , bis an die Grenze der Bewußtlosigkeit und schlug ihm mit der
Faust in den Magen. Er war über sein Opfer verärgert, weil dieses ihn wegen
eines Diebstahls bei der Polizei angezeigt hatte. Die Angeklagte S. hatte
kurz vor der Tat von dem Vorhaben des Angeklagten M. Kenntnis erlangt,
- 6 -
unterließ es aber, ihren Ehemann, von dem sie sich etwa vier Wochen zuvor
getrennt hatte, vor dem Angriff zu warnen. Auch unternahm sie keinerlei Bemühungen,
den Angeklagten M. von seiner Tat abzuhalten.
Über den Gegenstand der Verurteilung hinaus war beiden Angeklagten
in der Anklage zur Last gelegt worden, zweimal versucht zu haben, Wilhelm
S. heimtückisch zu töten. Sie sollen im Januar 1998 dem Opfer einen
Grog zu trinken gegeben haben, in den sie ein zuvor von dem Angeklagten
M. beim Tierarzt Dr. H. entwendetes Mittel zur Tötung von Tieren
("T 61") gemischt hatten. Wilhelm S. soll mit dem Bemerken, der Grog sei
salzig, das Getränk sofort wieder ausgespuckt und den Rest in die Güllegrube
geschüttet haben. Im Jahr 2000 soll die Angeklagte S. ihrem Mann Ecstasy-
Tabletten, die der Angeklagte M. zuvor besorgt hatte, verabreicht haben.
Anstelle des von beiden Angeklagten erstrebten Todes soll es beim Opfer nur
zu Kreislaufproblemen gekommen sein. Obwohl der Angeklagte M. diese
Tatvorwürfe in der Hauptverhandlung einräumte, hat sich das Landgericht von
einem solchen Geschehensablauf nicht überzeugen können und nicht auszuschließen
vermocht, daß zwischen den Angeklagten nur unverbindliche Gespräche
über solche Tatmöglichkeiten geführt worden waren.
I. Revision der Staatsanwaltschaft und Revision der Angeklagten S.
, soweit sie sich gegen die Beweiswürdigung wendet
Die Staatsanwaltschaft rügt, das Landgericht habe die Angeklagten aufgrund
einer rechtsfehlerhaften Beweiswürdigung vom Vorwurf des zweifach
versuchten Mordes freigesprochen. Dabei hebt sie im wesentlichen darauf ab,
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daß das Landgericht das Geständnis des Angeklagten M. insoweit nicht als
ausreichend angesehen hatte, während es für die Verurteilung der Angeklagten
wegen schwerer Brandstiftung und Körperverletzung ein Geständnis dieses
Angeklagten hatte ausreichen lassen.
Die Angeklagte S. rügt hingegen, das Landgericht habe sie aufgrund
einer rechtsfehlerhaften Beweiswürdigung wegen schwerer Brandstiftung
verurteilt. Auf die Angaben des Angeklagten M. habe sich das Landgericht
nicht stützen können, da es dessen Angaben zum Vorwurf des zweifach versuchten
Mordes nicht als ausreichend für eine Überführung angesehen hatte.
Beide Revisionen zeigen mit ihren Beanstandungen keinen Rechtsfehler
auf. Wenn der Tatrichter einem Beweismittel zu einem Teil folgt und zu einem
anderen Teil nicht zu folgen vermag, ist er nur zu einer näheren Darlegung der
hierfür maßgeblichen Gründe in der Beweiswürdigung gehalten (st. Rspr., vgl.
z. B. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung, widersprüchliche 4 und Beweiswürdigung
13; BGH NJW 1993, 2451; BGHR StPO § 261 Zeuge 8; BGH, Beschl.
vom 14. Juli 1998 - 4 StR 289/98). Diese Darlegung ist dem Urteil zu entnehmen.
Von dem der Verurteilung wegen schwerer Brandstiftung zugrunde liegenden
Geschehen hat sich das Landgericht aufgrund der geständigen Angaben
des Angeklagten M. überzeugt, weil dessen Bekundungen durch weitere
Beweisergebnisse (die Ausführungen des Brandsachverständigen und die
Bekundungen eines Feuerwehrmannes zum Brandverlauf sowie die Aussage
einer Vollzugsbediensteten über das Eingeständnis der Tat durch die Angeklagte
ihr gegenüber) Bestätigung gefunden haben. Gleiches gilt auch für das
- 8 -
Geständnis des Mitangeklagten M. betreffend die Körperverletzung zum
Nachteil des Wilhelm S. .
Bezüglich des Vorwurfs des zweifach versuchten Mordes hat das Landgericht
zuerst die für eine Glaubhaftigkeit der Aussage des Angeklagten sprechenden
Umstände (Selbstbelastung; kein nachvollziehbares Motiv für eine
Falschbelastung der Mitangeklagten; Detailreichtum, Konstanz und Widerspruchsfreiheit
der Aussage; Spontaneität der Aussageergänzungen; Lebensbeichte
als Aussagemotivation) erörtert. Dem hat es Umstände entgegengestellt,
die Zweifel an der Glaubhaftigkeit wecken konnten (Detailarmut gerade
bei der Schilderung der entscheidenden Handlungsteile; Widerspruch zum
Verhalten bei der Körperverletzung am 25. Januar 2001; Falschaussage des
Angeklagten M. in einem Nebenpunkt). Insoweit enthält die Beweiswürdigung
entgegen dem Revisionsvorbringen der Staatsanwaltschaft weder Lücken
noch Widersprüche.
Es ist auch nicht zu besorgen, daß sich das Landgericht bei dem Freispruch
von der rechtsfehlerhaften Annahme hätte leiten lassen, auf ein von
weiteren Beweisergebnissen nicht bestätigtes Geständnis könne eine Verurteilung
nicht gestützt werden. Anlaß für verbleibende Zweifel der Strafkammer
an der Richtigkeit des Geständnisses war nämlich nicht nur die Tatsache, daß
das vermeintliche Opfer sich an die geschilderten Tatumstände nicht zu erinnern
vermochte; vielmehr standen einzelne Beweisergebnisse dem Geständnis
des Angeklagten M. direkt entgegen: So fand die erste Einschläferung eines
Tieres auf dem Hof der S. s mit dem Mittel "T 61" nach den Bekundungen
des Tierarztes Ende März 1998, also erst nach dem angeblichen Mordversuch,
statt. Auch konnte der Tierarzt nicht bestätigen, daß das Mittel bei ihm entwen-
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det worden war. Zudem haben die Ermittlungen zum Geschmack des Giftes
nichts für den - nach Darstellung des Angeklagten M. - von Wilhelm S.
bemerkten starken Salzgeschmack ergeben.
Insgesamt ist das Landgericht der Verpflichtung nachgekommen, in der
Beweiswürdigung näher darzulegen, warum es dem Mitangeklagten M. zu
einem Teil gefolgt ist und ihm zu einem anderen Teil nicht zu folgen vermocht
hat. Es stellt deshalb auch keinen Rechtsfehler dar, wenn die Strafkammer es
nicht für ausgeschlossen erachtet, daß sich die Angeklagten möglicherweise
nur im Gespräch und in im einzelnen nicht feststellbarer Weise mit dem Gedanken
an eine Tötung des Wilhelm S. befaßt hatten. Ob auch eine andere,
zur Verurteilung der Angeklagten führende Überzeugungsbildung rechtsfehlerfrei
möglich gewesen wäre, ist für die Nachprüfung der vom Landgericht
vorgenommenen Beweiswürdigung im Revisionsverfahren ohne Belang.
II. Revision der Angeklagten S. im übrigen
1. Auf die Verfahrensrüge, das Landgericht habe gegen die Hinweispflicht
nach § 265 Abs. 1 StPO verstoßen, kommt es nicht an, da die insoweit
allein betroffene Verurteilung wegen Beihilfe zur Körperverletzung auf die
Sachrüge hin aufgehoben werden muß.
2. Die Verurteilung der Angeklagten wegen durch Unterlassen begangener
Beihilfe zur Körperverletzung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
- 10 -
a) Entgegen den Angriffen der Revision kann dem Urteil entnommen
werden, daß die Tat des Angeklagten M. zumindest erschwert worden wäre,
wenn die Angeklagte S. sich bemüht hätte, ihn von der Tat abzuhalten,
oder wenn sie ihren Ehemann telefonisch gewarnt hätte. Dies ist ausreichend.
Es ist für die Annahme einer Beihilfe durch Unterlassen nicht erforderlich, daß
die unterlassene Handlung den Taterfolg verhindert hätte (vgl. BGH NJW
1953, 1838 m. w. N.).
b) Die Feststellungen des Landgerichts ergeben jedoch nicht, daß die
Angeklagte, wie es für ihre Verurteilung wegen durch Unterlassen begangener
Beihilfe zur Körperverletzung erforderlich wäre, zum Tätigwerden zugunsten
des Tatopfers verpflichtet gewesen ist. Nach ihnen ist es vielmehr möglich, daß
die sich aus der Ehe ergebende Garantenpflicht hier dadurch weggefallen ist,
daß sich die Angeklagte etwa vier Wochen vor der Tat von ihrem Ehemann
getrennt und einem anderen Mann zugewandt hat.
aa) Hinsichtlich der Garantenpflicht unter Ehegatten ist unstreitig, daß
Ehegatten bei bestehender Lebensgemeinschaft einander als Garanten zum
Schutz verpflichtet sind, also jeweils dafür im Sinne des § 13 StGB einzustehen
haben, daß dem anderen Teil kein Schaden zugefügt wird, der sich als "Erfolg"
eines Straftatbestands darstellt. Dementsprechend kann nicht zweifelhaft sein,
daß die Angeklagte - hätte sie sich nicht von ihrem Ehemann getrennt - verpflichtet
gewesen wäre, ihn vor der drohenden Körperverletzung durch den
Mitangeklagten M. zu warnen bzw. zu versuchen, diesen von der beabsichtigten
Tat abzuhalten.
- 11 -
bb) Unterschiedlich beurteilt wird, worin die Grundlage für die Annahme
der Garantenpflicht zu sehen ist und welche Bedeutung eine Trennung der
Eheleute für sie hat.
Insofern wird einerseits vertreten, daß sich die Garantenpflicht der Ehegatten,
im Grundsatz ohne Rücksicht auf das tatsächliche Bestehen einer Lebensgemeinschaft,
aus § 1353 Abs. 1 Satz 2 BGB ergebe (Jakobs, Strafrecht
AT 2. Aufl. S. 823; Welzel, Strafrecht 11. Aufl. S. 217; Geilen FamRZ 1961,
148). Das tatsächliche Bestehen einer Gemeinschaft sei zwar nicht ohne jede
Bedeutung. Ohne sie sei etwa eine Garantenpflicht für andere Rechtsgüter als
Leib, Leben und Freiheit zu verneinen (Jescheck in LK 11. Aufl. § 13 Rdn. 23
aE). Die Einstandspflicht zum Schutze der genannten Rechtsgüter sei aber
schlicht an den Fortbestand der Ehe geknüpft und werde - mit der Folge, daß
der Schuldspruch hier keinen Bedenken begegnete - nicht schon dadurch beendet,
daß die Ehegatten ihre Lebensgemeinschaft aufgeben und getrennte
Wege gehen.
Nach anderer Auffassung findet die Garantenpflicht unter Eheleuten ihre
Grundlage nicht in § 1353 BGB. Entscheidend für die Annahme einer Garantenstellung
soll vielmehr allein das tatsächliche Bestehen eines gegenseitigen
Vertrauens- und Abhängigkeitsverhältnis zwischen den Ehegatten im Hinblick
auf den Schutz der bedrohten Rechtsgüter sein (Rudolphi in SK-StGB § 13
Rdn. 50 m. w. N.). Fehle es daran, wie z. B. in aller Regel bei tatsächlichem
Getrenntleben der Ehegatten, so stehe das Unterlassen mangels eines Obhutsverhältnisses
nicht dem aktiven Bewirken des tatbestandsmäßigen Unrechtserfolges
gleich. Daran vermöge die sich aus § 1353 BGB ergebende
Rechtspflicht zur Begründung der ehelichen Lebensgemeinschaft nichts zu än-
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dern. Denn solange der Ehegatte diese Rechtspflicht nicht erfülle, es also an
einem auf der tatsächlichen Lebensgemeinschaft basierenden gegenseitigen
Vertrauens- und Abhängigkeitsverhältnis zwischen den Ehegatten fehle, solange
sei er auch nicht Garant, sondern lediglich verpflichtet, ein garantenpflichtiges
Obhutsverhältnis zu begründen. Diese Pflicht stehe aber - mit der Folge,
daß die Verurteilung der Angeklagten hier keinen Bestand haben könnte - der
Garantenpflicht nicht gleich (Rudolphi aaO).
Der Bundesgerichtshof hat zu der Frage der strafrechtlichen Garantenpflicht
unter Ehegatten - soweit ersichtlich - noch nicht entscheidungserheblich
Stellung genommen. Nach einer Entscheidung des 1. Strafsenats gründet die
Verpflichtung der Ehegatten, sich gegenseitig zum Schutze beizustehen, auf
die "enge, vom Treuegebot beherrschte Lebensgemeinschaft" (BGHSt 2, 150,
153), was in dem Sinne verstanden werden könnte, daß das Bestehen der
Gemeinschaft das maßgebliche Kriterium ist. In der weiteren Begründung wird
dann aber auf § 1353 BGB abgestellt und unter Berufung auf diese Norm die
"Rechtspflicht" bejaht, "einander in Lebensgefahr nach Kräften zu schützen
und zu helfen," wobei dieser Grundsatz allerdings wieder durch den Zusatz
eingeschränkt wird, die Rechtspflicht bestehe "mindestens so lange, wie kein
Teil das Recht zum Getrenntleben hat und beide Teile ... in Hausgemeinschaft
leben (vgl. RGSt 71, 187, 189)" (BGHSt 2, 150, 153 f.). Ob das Getrenntleben
die Garantenstellung entfallen läßt, brauchte in der Entscheidung BGHSt 2,
150 nicht entschieden zu werden, weil die Eheleute in dem zu beurteilenden
Sachverhalt noch zusammenlebten. Eine weitere - in dem hier in Rede stehenden
Zusammenhang gelegentlich zitierte - Entscheidung (BGHSt 6, 322) betrifft
nicht die Frage der wechselseitigen Schutzverpflichtung, sondern die der
Rechtspflicht zur Verhinderung von Straftaten des anderen Teils und damit -
- 13 -
ebenso wie die Entscheidung des Senats NStE Nr. 3 zu § 13 StGB - andere
Fallgestaltungen.
cc) Dem Senat erscheint im Ergebnis eine vermittelnde Betrachtung angezeigt:
Ihren Ausgangspunkt muß die Beantwortung der Frage nach den strafrechtlichen
Schutzpflichten unter Eheleuten bei § 1353 BGB nehmen. Es ist
nicht ersichtlich, warum, wenn Ehegatten nach dieser Norm Verantwortung füreinander
tragen (§ 1353 Abs. 1 Satz 1 2. Halbs. BGB), dies im Grundsatz nicht
auch für die strafrechtliche Betrachtung gelten sollte. Dementsprechend kann
die gegenseitige Beistandspflicht nicht etwa schon mit dem bloßen Auszug eines
Ehegatten aus der Ehewohnung als solchem, also mit der bloßen räumlichen
Trennung als beendet angesehen werden. Das Fehlen einer häuslichen
Gemeinschaft muß - je nach den Umständen - nicht bedeuten, daß die eheliche
Lebensgemeinschaft aufgegeben worden ist (Palandt/Brudermüller, BGB
62. Aufl. § 1565 Rdn. 2). Dadurch unterscheidet sich die Ehe von der bloßen,
auf gegenseitige Hilfeleistung angelegten Gemeinschaftsbeziehung, wie sie
etwa auch bei einer Wohngemeinschaft gegeben sein mag. Bei letzterer wird
die strafrechtliche Garantenpflicht im allgemeinen mit dem tatsächlichen Ende
der Beziehung enden.
Andererseits würde es eine nicht zu rechtfertigende Überdehnung der
strafrechtlichen Beistandspflicht unter Eheleuten bedeuten, wollte man annehmen,
daß diese erst mit dem Ende der Ehe, ggf. also erst mit der Rechtskraft
des Scheidungsurteils endet. Es sind zahlreiche Lebensgestaltungen denkbar,
in denen - ungeachtet des formal fortbestehenden Ehebandes - keiner der bei-
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den Ehegatten tatsächlich darauf vertraute oder auch nur Anlaß hätte, darauf
zu vertrauen, der andere Teil würde ihm zum Schutze seiner Rechtsgüter beistehen.
Das gilt besonders augenfällig etwa dann, wenn die Ehegatten bereits
seit Jahren getrennt sind, dabei möglicherweise sogar mit anderen Partnern in
einer Lebensgemeinschaft verbunden, wie auch dann, wenn sie - etwa aus rein
wirtschaftlichen Gründen - nach schweren ein- oder beidseitigen Eheverfehlungen
oder Zerwürfnissen in demselben Haus oder in derselben Wohnung
getrennt voneinander leben.
In solchen Fällen ist die Annahme einer die Strafbarkeit wegen eines
Unterlassungsdelikts begründenden Beistandspflicht unter Ehegatten auch
ausgehend davon, daß diese ihre Grundlage in § 1353 BGB hat, keineswegs
geboten. Denn für die Bestimmung der Grenzen der strafrechtlichen Beistandspflicht
dürfen bei diesem Ansatz die gesetzlichen Regelungen, aus denen
sich Beschränkungen der Pflicht zu ehelicher Lebensgemeinschaft ergeben,
nicht außer Betracht bleiben. Dementsprechend endet die strafrechtliche
Garantenpflicht unter Eheleuten, wenn sich ein Ehegatte vom anderen in der
ernsthaften Absicht getrennt hat, die eheliche Lebensgemeinschaft nicht wieder
herzustellen. Das entspricht den Regelungen in § 1353 Abs. 2 und § 1565
Abs. 1 BGB unter Berücksichtigung von § 1566 BGB.
Nach § 1565 Abs. 1 Satz 2 BGB ist die Ehe gescheitert, wenn die Lebensgemeinschaft
der Ehegatten nicht mehr besteht und nicht erwartet werden
kann, daß die Ehegatten sie wiederherstellen. Das Scheitern der Ehe hat nach
§ 1353 Abs. 2 BGB zur Folge, daß die Rechtspflicht zur ehelichen Lebensgemeinschaft
nicht mehr besteht. Die danach erforderliche ernsthafte Aufgabe
der ehelichen Lebensgemeinschaft, die auch der strafrechtlichen Beistands-
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pflicht ihre rechtliche Grundlage entzieht, setzt dabei nicht voraus, daß die
Ehegatten ein Jahr lang getrennt leben. Dieser Wertung steht § 1566 Abs. 1
BGB nicht entgegen. Danach wird das Scheitern der Ehe zwar unwiderlegbar
vermutet, wenn die Ehegatten seit einem Jahr getrennt leben und beide Ehegatten
die Scheidung beantragen oder der Antragsgegner der Scheidung zustimmt.
Bei dieser Vorschrift handelt es sich aber nur um eine zwingende Beweisregel
für das Scheitern der Ehe, die das Gericht von der Feststellung der
Zerrüttung entlastet (Palandt/Brudermüller, BGB 62. Aufl. § 1566 Rdn. 1). Sie
schließt die Annahme eines früheren Scheiterns - mit Folgen ggf. auch für die
Prüfung der strafrechtlichen Garantenpflicht - indes nicht aus.
Diese vermittelnde Auffassung, die bereits in der Entscheidung BGHSt 2,
150, 153 f. angelegt ist, dürfte mit der Meinung, nach der die strafrechtliche
Garantenpflicht unter Eheleuten in ihrem Grund und in ihrem Umfang allein aus
dem tatsächlichen Bestehen eines gegenseitigen Vertrauensverhältnis abzuleiten
ist, im Ergebnis weitgehend übereinstimmen. Wenn Vertreter dieser Meinung
etwa ausführen, daß die Garantenpflicht "in aller Regel bei tatsächlichem
Getrenntleben der Eheleute" entfallen wird (vgl. etwa Rudolphi in SK-StGB
§ 13 Rd. 50), so sind - wie zu vermuten steht - gerade die Fälle ausgenommen,
in denen sich die Ehegatten getrennt haben, um zu prüfen, ob ihre Beziehung
eine Chance hat, während in den Fällen, in denen die Trennung die endgültige
Aufhebung der Gemeinschaft bedeuten soll, auch nach Auffassung des Senats
eine Garantenpflicht nicht mehr besteht.
dd) Auf der Grundlage dieser Auffassung kann die Verurteilung der Angeklagten
wegen durch Unterlassen begangener Beihilfe zur Körperverletzung
keinen Bestand haben. Nach den bisherigen Feststellungen ist es möglich, daß
dem Auszug der Angeklagten S. ein ernsthafter Entschluß, die eheliche
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Lebensgemeinschaft nicht mehr fortzusetzen, zugrunde gelegen hatte und damit
die Garantenpflicht beendet war. Dafür könnte sprechen, daß sich die Angeklagte
einem anderen Mann zugewandt hatte. Andererseits kann der zum
Tatzeitpunkt erst kurze Zeit zurückliegende Auszug aus der Ehewohnung seinen
Grund auch darin gehabt haben, daß sich die Angeklagte über die weitere
Entwicklung der Ehe klar werden wollte. Feststellungen, die eine fortbestehende
Garantenpflicht begründen, erscheinen insoweit nicht ausgeschlossen. Der
Senat kann die Angeklagte deshalb von diesem Vorwurf nicht freisprechen.
3. Die Einzelstrafe wegen schwerer Brandstiftung wird von der Aufhebung
der Verurteilung wegen Beihilfe zur Körperverletzung nicht berührt. Soweit
die Revision im übrigen die Verneinung von § 21 StGB durch die Strafkammer
sowie die Strafzumessung angreift, ist sie unbegründet im Sinne von
§ 349 Abs. 2 StPO.
4. Der neue Tatrichter wird das Augenmerk auch darauf zu richten haben,
ob die Angeklagte S. dem Angeklagten M. bei der Körperverletzung
nicht sogar durch positives Tun geholfen hat. Anlaß zu diesem Hinweis
geben die bisherigen Feststellungen. Das Landgericht hat es für möglich
gehalten, daß die Angeklagte S. in Kenntnis der vom Angeklagten M.
beabsichtigten Körperverletzung zu diesem gesagt hatte, er solle es "ordentlich"
machen. Es hat aber dahinstehen lassen, ob diese Worte tatsächlich gefallen
sind, weil es ihnen für den Nachweis einer von der Angeklagten S.
unternommenen, versuchten Anstiftung des Angeklagten M. zu einem Tötungsdelikt
keine entscheidende Bedeutung beimessen wollte. Sollte sich der
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neue Tatrichter von einer solchen Äußerung der Angeklagten S. überzeugen,
läge eine psychische Beihilfe nahe.
Tolksdorf Winkler Pfister
RiBGH Hubert ist wegen
Becker Urlaubs an der Unterschrift
gehindert.
VRiBGH Prof. Dr. Tolksdorf
ist an der Unterzeichnung
des Verhinderungsvermerks
gehindert, da er zwischenzeitlich
ebenfalls im Urlaub
ist.
Winkler



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